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Scheiße, und jetzt?
Hallo Mama!
Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich schreiben soll.
Es tut mit so Leid, was passiert ist, sei bitte nicht mehr sauer, ja?
Ich weiß, ich hätte nicht abhauen sollen, ich war einfach so sauer, weil Du mich ständig angemault hast. Nie konnte ich dir was recht machen, Nicole hier böse, Nicole da schlecht. Zu faul, zu dumm, zu irgendwas.
Du hast Dir bestimmt voll Sorgen gemacht, als ich einfach weg war, es tut mir voll Leid!
Mama bitte hab mich noch lieb, ich hab Dich auch lieb!
Aber selbst Schuld, wirst du sagen und ja, Du hast Recht.
Ich hab totale Scheiße gebaut, ich kann dir das gar nicht erzählen. Ich bin nach Berlin gefahren, weil ich dachte, dass ich hier schon klarkommen kann.
Ich hab so oft im Fernsehen die anderen gesehen, die sind alle abgehauen, weißt du?
Die machen alle was sie Bock haben. Ich dachte das ist ganz einfach, man findet schon wen, bei dem man unterkommt und wenn nicht, dann nimmt man sich ein Schließfach am Bahnhof und wird schon irgendwo schlafen können, bis man was findet, Bahnhofsmission oder so. Und wenn das Geld ausgeht, dann schnorrt man aufm Alex.
Das geht auch, wenn man aufpasst. Am Anfang haben sie mich weggescheucht, manchmal sogar getreten, weil ich nicht wusste, dass das denen Ihr Platz war. Nach ein paar Tagen hab ich aber ein paar Leute kennen gelernt, die mir geholfen haben. Bei Dieter kann ich wohnen, da kommen immer mal Leute dazu und wieder weg, als ich einzog waren wir zu fünft. Wenn ich was geschnorrt hab, geb ich die Hälfte ab für die Miete. Das machen wir alle so, manchmal gehen wir gemeinsam los. Ich dachte, das wär mein neues Leben, ne Wohnung, genug Geld für Essen und so.
Mama, es kam dann alles ganz anders.
Wir haben viel Bier getrunken, jeden Abend. Am Anfang fand ich’s eklig, aber es war billig und die andern tranken das ja auch, oft gab’s auch gar nix anderes wenn wir bei jemand waren. Außerdem war´s auch immer total lustig und nach ´ner Weile fand ich´s lecker.
Irgendwann tranken wir den ganzen Tag Bier und irgendwann trank ich’s weil’s mir ohne nur schlecht ging. Erst hab ich immer Kotzen müssen, wenn ich zuviel hatte, später kotzte ich, wenn ich keins trank.
Manchmal kann ich mich an nichts mehr erinnern. Ein paar mal bin ich aufgewacht und wusste nicht wo meine Klamotten sind. Ich fühle mich eklig, ich hasse meinen Körper, weil irgendwelche Typen mich angefasst haben.
Mama, bitte hasse mich jetzt nicht, es ist nicht beim Bier geblieben. Keine Sorge, ich häng nicht an der Nadel oder so. Davor hab ich zu sehr Angst.
Aber ich hab andere Sachen genommen, weil ich dachte, es macht mich glücklich. Macht es auch. Aber danach geht’s Dir noch viel schlechter.
Mama, ich hab alles verkauft, was ich hatte. Meine G-Shock, meinen iPod und vorgestern mein Handy. Ich hab sowieso kein Geld mehr um Guthaben draufzuladen und ich hab fast 40 Euro dafür gekriegt.
Trotzdem Mama, ich will hier wieder weg, das ist alles nur Scheiße geworden. Dieter nimmt ständig meine Kohle weil wir grade nur zu dritt wohnen und es kaum für die Miete reicht. Von dem was ich für mein Handy bekommen hab, musste ich 30 Euro abgeben. Ich kann als Mädchen am meisten kriegen beim Schnorren, deshalb schicken sie mich immer öfter alleine los, weil die keinen Bock haben mitzugehen.
Letzte Woche hat mir einer mein Geld geklaut, und als ich ohne bei Dieter ankam, hat der mich gehauen.
Keine Sorge, ist nix passiert, nur ein paar blaue Flecken. Er hat ja recht, was lass ich mir von so´nem scheiß Punk meine Kohle abziehen. Schließlich fliegen wir aus der Bude, wenn wir keine Miete zahlen.
Aber Mama, ich glaub, die bescheißen mich. Ich glaub, die lassen mich alleine Ackern, aber ich schaff das nicht, ich hab keine Ahnung was ich machen soll.
Ich würd so gerne nach Hause, aber ich hab Angst, dass du mich nicht mehr willst. Und ich wüsste auch gar nicht, wie ich dahin kommen soll, die nehmen mir ja meine ganze Kohle weg, so krieg ich nie genug zusammen für den Zug.
Ich hab versucht Geld zu verstecken, aber Dieter hat neulich als er besoffen war, beim Kiffen das Sofa angezündet, da haben sie´s gefunden und Schnaps von gekauft. Den hab ich nicht mitgetrunken, Schnaps find ich eklig.
Mama, was soll ich machen?
Ich hab dich so lieb, bitte hab mich auch noch lieb.
Bitte nimm mich zurück.
Wenn ich zu so´nem komischen Streetworker gehe, meinst du die kaufen mir ein Zugticket?
Wenn ich nur wüsste, das ich wieder nach Hause kommen darf. Aber wahrscheinlich hast du mich schon längst vergessen.
Ich hab Dich nicht vergessen.
Soll ich vielleicht doch mal so´nen Typen fragen, ob die mir helfen können?
Mama, ich will bitte nach Hause.
Ich hab Dich lieb,
Nicole.