Schaukelpferd-Aerobic
Viele Kalorien verbrennen und dabei die Durchblutung der Arterien verbessern war wichtig. Viele hielten Laufen für den optimalen Sport, manche meinten Fahrradfahren wäre schonender, also besser. Dr. Rowlinson war ein einsamer Vorreiter einer glorreichen Idee, die aber leider nur er alleine vertrat.
Täglich eine Runde Schaukelpferd-Reiten, war seine Idee, die schon bald um den Globus rasen würde, und Rowlinson zu einem reichen Buchautor machen würde. Aerobic und Konsorten waren schon lange out, dennoch war dem Doc klar, dass die Leute etwas neues brauchten, einen Tritt in den Arsch sozusagen. Die meisten verrückten Ideen kamen aus den USA, aber Rowlinson wollte unbedingt beweisen, dass wir auf dem alten Kontinent auch was drauf hatten.
Zunächst waren die Vorteile dieser Methode herauszuarbeiten. Weil er eben nicht gleich die ganze Idee verraten wollte, beschränkte er sich auf Versuche im eigenen Haus. Seine Frau zum Beispiel war gerade dabei, den ganzen Körper in Elektroden verpackt, einen Fünf-Minuten-Schaukeltest durchzuführen. Es war nicht leicht gewesen, sie dazu zu überreden, aber Rowlinson hatte bereits gewisse Behauptungen in den Raum geworfen, die ihr die Entscheidung leichter gemacht hatten. Zum Beispiel hatte er heute morgen das Gespräch unauffällig darauf gelenkt, dass Pferde-Schaukeln die Fruchtbarkeit erhöht, handele es sich doch um eine Tätigkeit, die den Beckenboden stabilisiert und dessen innere Durchblutung fördert. Seine Frau war zunächst skeptisch gewesen, sah sie doch recht albern auf dem einen Meter hohen Holzgaul aus. Sie musste aber zugeben, dass ihre allgegenwärtige Migräne nicht zu spüren war, während sie schaukelte. Rowlinson hatte den Verdacht, dass die am Kopf angeklebten Elektroden dafür den Ausschlag gaben, aber er sagte kein Wort.
Diesen Freitag hatte Rowlinsons Unternehmergeist einen gehörigen Dämpfer erhalten. Als er am Morgen in den eigens ausgestatteten Fitnessraum kam, sah er seine Frau nicht ihren üblichen Morgenausritt machen, die Elektroden lagen verstreut auf dem Boden herum, die Holzaugen des Rosses schauten traurig geradeaus, als wollte sich das Ding jetzt schon über die eigene Erfolglosigkeit beschweren. Hatte seine Idee doch nicht das Potential zum Megaseller? Vielleicht war das ewige Hin-und-Her doch nicht aufregend genug, um sich damit täglich zu beschäftigen. Er durchsuchte rufend das ganze Haus, konnte sie aber erst im Badezimmer finden. Sie stand mit blutorangenfarbenem Kopf über das Spülbecken gebeugt und für Rowlinson bestand kein Zweifel daran, was sie gerade tat.
"Liebling", sagte er besänftigend und berührte sachte ihre Schulter, "du wirst dich schon noch daran gewöhnen. Es ist doch nicht so schlimm..."
Er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, da drehte sie das rote Gesicht zu ihm, die Mundwinkel mit Erbrochenem bedeckt und gab ihm mit einem Handzeichen unmissverständlich zu verstehen, was sie von seiner Erfindung hielt. Dann widmete sie sich wieder dem Waschbecken und er wusste, dass er von nun an auf Selbstversuche angewiesen war.
Man kann sich die Enttäuschung vorstellen, die daraufhin den Doktor ereilte. Es ließ sich nicht leugnen, dass die Seekrankheit ein ernstes Hindernis auf seinem Weg zum Ruhm war. Vielleicht genügte ein Schild mit dem Hinweis, "Nur zu verwenden bei ausreichender Wassersport-Erfahrung", aber das ließ den Kundenstamm auf dermaßen unvertretbare Zahlen schrumpfen, dass er sich etwas anderes überlegen musste.
Das Konzept des Pferdes sollte bleiben, nur das Geschaukel musste weg. Aber wenn keine Bewegung stattfand, wo war dann der Gesundheitsfaktor? Fragen über Fragen, die Rowlinson in einen kurzen, aber innovativen Schlaf begleiteten, an dessen Ende frisch und ausgeruht eine neue Idee dastand.
Es war ein wunderschöner Samstagmorgen, der Rowlinson nur so zum Tatendrang animierte. Zunächst schwang er sich aufs Fahrrad, fuhr die steile Kuppel zum Blumenhändler hinauf und erstand eine wunderschöne Orchidee, die die gestrige Konvulsion vergessen machen sollte.
Seine Frau war immer noch in schlechter Stimmung, wie er sah als er mit der Blume in die Küche trat. Nach einer Weile des So-tun-als-ob-er-nicht-da-ist, hob sie den Kopf und sah von der Zeitung hoch. Der Anblick der Blume brachte ihren Mundwinkel nur kurz zum Zucken, dann war er wieder ein gerader Strich wie zuvor.
"Deine Fitness-Bücher werden bestimmt eine gute Ofenbeheizung abgeben", sagte sie. Nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu: "Und wenn sich dieses Holzvieh in großen Stückzahlen verkauft, werden wir keine Kohlekraftwerke mehr brauchen."
Sie war noch immer sauer, dachte er. Aber das machte nichts, denn mit der neuen Idee würde er sie überzeugen.
Für den verbesserten Prototyp hatte er sechs unabhängige Räder an die gekrümmten Holzschienen befestigt. Das Pferd würde jetzt nicht mehr schaukeln, sondern fahren. Was noch fehlte, war ein zuverlässiger Antrieb, den er im Inneren des Haushaltsroboters fand, den er heute morgen unauffällig aus der Küche herausgeschmuggelt hatte. Er hätte auch einen beliebigen Elektromotor nehmen können, aber dann wäre er nicht Rowlinson gewesen, und die Idee nicht revolutionär. Der Witz war, und das würde er in seinen Büchern mehrere hundert Seiten lang ausschlachten, dass sich jedes Rad vollkommen unabhängig von den anderen fünf Nachbarn verhielt. Es war nicht nur so, dass jedes Rad einen eigenen Motor hatte, nein, es hatte sogar seinen eigenen Willen. Ein Mikroprozessor, der vollkommen von den anderen entkoppelt war, zwang es, irgendeine Richtung einzuschlagen, Hauptsache es war nicht dieselbe wie die der restlichen Räder. Rowlinson bewegte sich damit natürlich auf dünnem Eis. Auf einem Holzpferd in der Gegend umherkurven war nun nicht gerade der Fitness zuträglich. Aber das unberechenbare Verhalten, das aus seinem bald patentierten Antrieb resultierte, zwang den Fahrer zu blitzschnellen Reaktionen, die zweifellos einen Einfluss auf das Hormonale System hatten.
So war es dann auch, dass er diesmal auf die Geheimhaltung pfiff. Er schaffte den Gaul über den Hinterausgang quer über den Rasen auf die Straße hinaus, nicht auf den Spott der Leute achtend. Sollten die doch reden. Zeit für Überredungsversuche an seine Frau wollte er diesmal auch nicht verschwenden, deswegen setzte er sich kurzerhand auf und drückte auf den "ON"-Schalter zwischen den Ohren. Die sechs Motoren erwachten unabhängig und willkürlich aus dem Schlaf. Der linke mittlere wollte zuerst los, also fing das Tier an, sich wie in einem Rodeo wild um sich zu drehen. Rowlinson wusste augenblicklich wie sich seine Frau beim Schaukeln gefühlt haben musste, bevor ihm jedoch richtig schlecht werden konnte, schaltete sich sein Zwillingsbruder Mitte rechts ein und Rowlinson beschleunigte die Straße runter. Die restlichen Elektromotoren verhielten sich vergleichsweise schüchtern, nur der eine vorne rechts erlaubte sich einen leichten Zug, der den Doc umgehend auf den Bürgersteig beförderte, wo sich vor ihm ein Wald von Briefkästen auftat.
Rowlinson bekam jetzt erste leichte Bedenken, was seine neue Erfindung betraf. Vielleicht sollte man doch irgendeinen Sicherheitsmechanismus einbauen, nur für Fälle wie diesen, wenn man gerade drauf und dran war, das Briefkastensterben in seine endgültige Phase zu verfrachten. Aber es war müßig, jetzt darüber nachzudenken. Er drückte die Beine so fest er konnte in den Boden, in der Hoffnung zu bremsen, oder zumindest einige der Motoren zum Überhitzen zu bringen. Letzteres gelang ihm dann irgendwie. Aber Rowlinson fürchtete, es war eher ein Wackelkontakt als ein Überhitzen, denn jetzt schaltete sich abwechselnd und periodisch mal der linke mal der rechte Motor ein. Für den Doc war das letztendlich Glück im Unglück, denn er konnte die vor ihm liegenden Briefkästen wie ein Fahnenmeer beim Slalom umfahren.