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Schattiges Geflüster - Das erste Aufeinandertreffen
Ich wusste damals nicht, was mich dazu veranlasste, um Punkt Mitternacht den Müll rauszubringen. Ich lebte wohl im gefährlichsten Bezirk dieser Stadt und niemand traute sich nach 19 Uhr noch aus dem Haus. Die vielen Gangs, die sich dort überall herumtrieben, waren unerbittlich und kannten kein Erbarmen, einen Menschen abzufangen und ihn bis zur Unkenntlichkeit zu verunstalten. Irgendwie vergaß ich diesen Gedanken in dieser besagten Nacht. Meine Verlobte kam bei einem schweren Autounfall ums Leben und seitdem war mir sowieso alles egal. Das Glück sollte es eben nicht gut mit mir meinen. Ich hatte aufgehört zu zählen, wie oft ich mir schon das Leben nehmen wollte.
Genau in dem Augenblick, als ich mich an der Mülltonne befand, lief mir ein Schauer über den Rücken. Ein kleiner Schatten kam im Licht einer Straßenbeleuchtung zum Vorschein. Der Blick seiner glühend roten Augen wanderte in den klaren Sternenhimmel. Zu Tode erschrocken versteckte ich mich hinter der Mülltonne und lauschte den Worten dieses Geschöpfs.
„Menschen sind wie Gott. Sie bemerken einfach nicht, wie irrelevant sie doch sind … Trotzdem nehmen sie sich so wichtig ...“, murmelte er. „Wenn ein Gott keinen blassen Schimmer von wahrer Gerechtigkeit hat, können es seine Lebewesen auch nicht wissen. Und da wundert es die Menschen noch, dass die Welt nun mal so ist, wie sie ist: Eiskalt …!“
Das war das erste Mal, wo mir diese Gestalten aufgefallen waren. Und immer, wenn ich sie zu Gesicht bekam, flüsterten sie sich solche Dinge zu.
„Trotzdem beten sie ihn weiter an“, fuhr der Schatten fort. „So eine erbärmliche Spezies ist mir wirklich noch nicht untergekommen ...“
Auch der zweite Schatten, der plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte, schien meine Anwesenheit nicht bemerkt zu haben. Na ja, das glaubte ich jedenfalls.
„Setuga“, sprach er leise zum anderen Schatten. „Bist du etwa wieder im Sternenhimmel vertieft?“
„Darf ich dir eine Frage stellen, Moatsch? Kann man eine Spezies als intelligent bezeichnen, die sich ausschließlich von Emotionen steuern lässt?“
„Nein, natürlich nicht. Warum fragst du mich das?“
„Ach, es tut einfach immer wieder gut, die Verneinung auf diese Frage zu hören“, antwortete Setuga.
„Was sind das nur für Dinger?“, fragte ich mich die ganze Zeit. Ehe ich mir mehr Gedanken zu ihnen machen konnte, waren sie auch wieder verschwunden. Ihre beiden Namen hatten sich fest in mein Gedächtnis verankert.
Nachdem ein Jahr vergangen war, sollte ich erneut auf sie stoßen. Ich war umgezogen und lebte endlich in einem sehr sicheren Stadtteil. Deswegen kam es nicht gerade sehr selten vor, dass ich nachts auf die Straße ging und den Sternenhimmel betrachtete.
„Dich ziehen die Sterne also auch an?“, fragte mich eine Stimme.
Ich sah zur Seite und erblickte einen kleinen Schatten.
„Ich möchte dich nur darauf hinweisen, dass wir dich bemerkt haben“, fuhr er fort. „Und denk ja nicht, dass du aus dem Schneider bist, mein Freund.“
Diese eiskalte Stimme ließ mich wie Espenlaub erzittern. Ich hatte noch nie in meinem Leben eine so derartige Todesangst.
„Es ist erbärmlich, aber doch irgendwie niedlich, wie ihr Menschen versucht, durch das Leben zu gehen“, murmelte der Schatten. „Ihr lasst euch von euren eigenen Emotionen auffressen und kontrollieren. Ist doch süß, wie euch euer eigenes Gehirn fertigmacht. Einer intelligenten Spezies wahrhaftig nicht würdig.“
„Was soll dieses Gerede?“, stotterte ich aus mir heraus.
Im selben Moment erschien wieder ein zweiter Schatten. „Setuga, wir haben keine Zeit mehr“, rief er.
„Lass mich dieses Gespräch nur noch schnell zu Ende führen, Moatsch!“, sprach der Schatten neben mir und blickte mit seinen emotionslosen Augen wieder zu mir hoch.
„Mein Junge“, sprach er. „Es sieht wirklich nicht gut für dich aus. Du hast nicht die geringste Ahnung, in was du da hineingeraten bist.“
„Lasst ihn gefälligst in Ruhe!“
Das, was jetzt geschah, sollte mein ganzes Leben von Grund auf ändern. Wie von der Tarantel gestochen kam meine Verlobte Sarah hinter einer Ecke hervor. Ich war nicht weit von einem Herzinfarkt entfernt. „Sendsuang ergaseron!“, kreischte sie immer wieder die beiden Schatten an.
„Was zum …? Eine von denen ist hier?“, erschrak Moatsch.
„Da kann man wohl nichts machen. Wir verduften!“, schrie Setuga und löste sich mit dem anderen Schatten in Luft auf.
„Verflucht!“, kreischte Sarah. „Und wieder sind sie mir entwischt ...“
„Okay, das ist gerade etwas zu viel für mich ...“, stotterte ich geschockt. Ich war nicht in der Lage, mich zu bewegen.
„Sei froh, dass ich in der Nähe war!“, meinte Sarah mit strenger Stimme.
„Aber du … Aber du bist … tot?!“
„Ich weiß, es herrscht Erklärungsbedarf … und den werde ich dir auch jetzt liefern!
Kurz und bündig: Ich gehöre zu einer geheimen Organisation, die diese kleinen Schatten verfolgt und versucht, zu studieren. Wir haben bisher in Erfahrung gebracht, dass sie sich zwischen verschiedenen Dimensionsebenen bewegen können. Außerdem scheinen sie gegenüber uns sehr feindlich gesinnt zu sein. Was sie aber genau wollen … ist immer noch ein Rätsel.
Die wirren Wörter, die du vorhin gehört hast, sind ein spezieller Spruch, der sie schwächer werden lässt. Den bekommen wir gleich als erstes in der Organisation beigebracht.“
„Oh … toll ...“, stotterte ich immer noch. „Dir ist schon bewusst, dass ich gerade etwas überfordert bin, oder …?“
„Bleib einfach ganz ruhig … Alles Weitere erkläre ich dir später. Ich hab nämlich den Auftrag erhalten, dich ebenfalls in die Organisation aufzunehmen!“
„Du bist vor zwei Monaten bei einem Autounfall gestorben … Hast du eine Ahnung, wie ...“
„Ich weiß, was du durchgemacht hast … Es war ein Befehl der Organisation, mich von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Ich musste ihm Folge leisten … Keiner meiner Mitmenschen durfte noch wissen, dass ich lebe … auch du nicht ...“
„Und wieso?“
„Die Lage spitzt sich zu. Irgendwann wirst du es verstehen ...“
„Was für eine Lage? Mit diesen Viechern da, oder was? Ich kann immer noch nicht glauben, was hier abgeht ...“
„Ich werde alles wieder gutmachen. Das ist ein Versprechen“, sprach sie.
Gleich am nächsten Tag wurde ich der Organisation vorgeführt. Ohne großen Vorreden wurde ich als Jäger dieser kleinen Schattenwesen ausgebildet. Warum gerade ich, war mir bis heute noch nicht ganz klar. Ich war weder besonders sportlich, noch hatte ich irgendwelche besondere Fähigkeiten. Anscheinend war die Organisation auf irgendeine Art und Weise beeindruckt von mir, weil ich per Zufall auf diese Schatten traf. Jedenfalls musste ich Tag für Tag ein hartes Training über mich ergehen lassen. Als erstes galt es, diesen eigenartigen Bannspruch, der sie schwächelte, auswendig zu lernen. Er bestand zwar nur aus zwei Wörtern, aber sie wollten mir bis heute nicht so richtig in den Kopf gehen. Darüber hinaus musste man auch noch auf die richtige Betonung achten.
Es war einfach nicht zu glauben. Da wollte man nur einmal nachts den Müll rausbringen …