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Schattenwelt

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04.07.2003
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Schattenwelt

Ein Schlag. Ich spürte, wie mich die Faust am Kiefer traf, mir die beiden Kiefer aufeinander schlug, so dass die Zähne schmerzten. Ich wusste, ich würde den Rest des Tages Kopfschmerzen haben, aber das war jetzt nebensächlich.
Ein weiterer Schlag, diesmal mitten auf die Brust. Ich bekam keine Luft mehr, das Atmen fiel mir schwer, mein ganzer Körper brannte wie Feuer, schmerzte, wollte nur noch weg von hier, aber das war nicht möglich.
Endlich ließen sie von mir ab. Meine Lippe blutete, ich hielt mir den Bauch, keuchte, wusste mich kaum zu orientieren.
Es war wie jeden Tag, mal passierte es früher, mal später, heute bereits in der ersten Pause.
Mit schmerzenden Schritten ging ich in die Klasse zurück und setze mich alleine in meine Bank, ganz hinten im Raum. Ich saß schon lange alleine, niemand wollte mehr neben mir sitzen, keiner wollte mein Schicksal teilen.
Als der Lehrer hereinkam, war mein Geist längst an einem anderen Ort. Ich schweifte ab, vergaß den Alptraum, der meine Klasse war. Ich dachte an das schöne Mädchen aus der Parallelklasse, an meinen Vater, den ich bald wieder sehen würde, und an die drei Katzenbabies, die in der letzten Nacht zur Welt gekommen waren. Ich dachte an alles, aber nicht an das, was sich hier abspielte. Seit ich hier wohnte, hackten sie auf mir herum. Wären es doch nur einen Tag lang nur Beleidigungen, ich wäre überglücklich, aber meist blieb es nicht dabei.
Ich war machtlos dagegen, sogar die Lehrer waren machtlos. Niemand wusste, was jeden Tag wirklich geschah.
Ich weinte nicht, egal welche Schmerzen ich hatte, wenn sie wieder meine Seele in Stücke rissen, oder auf meinen Körper einschlugen. Bis auf die Äußerlichkeiten wusste niemand, wie es mir ging, wie ich mich fühlte. Meine Mutter war in Sorge, das spürte ich.
Sobald ich die Schule verließ, sahen mich die anderen als einen glücklichen Teenager, der sich freute, wenn die Sonne schien. Aber so war es nicht, schon lange nicht mehr.
„Dominik, beantwortest du bitte meine Frage?“ Das war mein Mathematik-Lehrer gewesen.
Er riss mich aus meinen Gedanken. Erst jetzt merkte ich, wie weh mir meine Rippen, und die aufgeplatzte Lippe taten. Ich konnte das nicht mehr ertragen.
Aber jetzt war es genug, endgültig. Ich stand auf, mein ganzer Körper zitterte vor Anspannung und ich antwortete: „Wofür denn? Das ist doch alles total sinnlos!“
Ich nahm meinen Rucksack und rannte aus der Klasse.
Mir schossen die Tränen in die Augen, aber erst, nachdem ich die Klasse verlassen hatte.
Nein, ich weine nicht, diesen Triumph dürfen sie nicht bekommen!
Meine Gedanken rasten, ich war außer mir vor Zorn.
Einige Sekunden später flog auch schon die Klassenzimmertür auf und mein Lehrer stürmte mir hinterher. Er packte mich am Arm und drehte mich um. Nein, nie wieder!, waren meine einzigen Gedanken.
Mit dem schärfsten Ton, der mir über die Lippen ging zischte ich ihn an: „Lassen sie mich sofort los!“ Als er mich jedoch weiter festhielt, wurde ich wirklich laut, ich brüllte ihn an: „Wenn sie mich nicht sofort loslassen, dann ...“ Weiter sprach ich nicht.
Er ließ mich los, und ich ging einfach weiter, so schnell ich konnte, nur raus aus dieser Schule.
Als ich meinen Alptraum, meine Schattenwelt verlassen hatte, draußen war, die Sonne scheinen sah, wurde mir erstmals bewusst, wie sehr ich mich verstellte, um ein glückliches Kind darzustellen. Aber dieses Mal nicht, das war vorbei.
Ich kam nach Hause, begrüßte meine Mutter, wie ich es immer tat, warf meine Schultasche hin, und verließ das Haus wieder, mit der Begründung, noch Futter für meine Katze kaufen zu müssen. Aber die Zoohandlung war nicht mein Ziel. Mein Ziel war das neue Bürohaus. Heute waren die Arbeiter nicht da, das wusste ich. Ich rannte die Treppen hoch, 21 Stockwerke, ohne Pause, nur von einem einzigen Gedanken besessen. Ich wollte weg, weit weg, für immer.
Als ich oben angekommen war und versuchte, über das Gitter zu klettern, rutschte ich ab und stach mir einen der Stäbe tief in meinen Arm. Aber das bemerkte ich kaum, ich war nicht mehr in meinem Körper.
Als ich blutend an der Kante stand und fünfzig Meter nach unten sah, war ich nur noch einen Impuls meines Gehirns davon entfernt, endlich ins Licht zu treten.
Aber ich zögerte, ich weiß bis heute nicht warum. Ein Gefühl beschlich mich, das Gefühl, einen Fehler zu begehen.
Was mache ich nur, was mache ich bloß, ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, lasst mich raus aus meinem Gefängnis. Diese Gedanken kreisten in mir, und plötzlich sah ich ein Bild in meinem Kopf: Ich sah meine Mutter.
Jetzt war ich wieder bei Sinnen. Ich, der ich eigentlich schreckliche Höhenangst hatte, trat erschrocken von der Kante zurück. Ich lief los, die Stufen hinunter, wobei ich einmal fiel und mir abermals ziemlich weh tat.
Ich rannte die ganzen drei Kilometer bis nach Hause, meine Lunge brannte, aber das war mir egal.
Als ich zu Hause ankam, nach Luft schnappend, mit meiner abermals aufgeplatzten Lippe, lief ich ganz instinktiv in die Küche, um nach meiner Mutter zu sehen.
Sie stand am Herd, und kochte etwas herrlich Duftendes zu Mittag, denn sie war eine gute Köchin.
Sie bemerkte mich nicht, ich wollte auch nicht, dass sie mich so sah.
Ich schlich in mein Zimmer und sperrte die Tür ab. Was war nur los, verlor ich den Verstand? Hatten sie mir einmal zu oft auf den Kopf geschlagen? Ich wusste nichts mehr, ich war aufgeregt, hatte Schmerzen und war schweißnass. Ich legte mich auf mein Bett, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und mich zu beruhigen.
Ich weiß nicht, wie lange ich schlief, aber es mussten einige Stunden gewesen sein.
Als ich wieder aufwachte, wusste ich, was ich zu tun hatte: Ich musste meiner Schattenwelt, meinem Alptraum, ein letztes Mal gegenüber treten.
Ich stieg die Stufen der Treppe hinab, ganz langsam, bis ich meine Mutter sah.
Zu spät fiel mir ein: Ich hatte vergessen, meine Lippe und meinen Arm abzuwaschen, ich war blutverklebt am Hals, und mein einst weißes Hemd war blutig und schmutzig.
Ich ging zu ihr hin und nahm sie in den Arm. Ich erzählte ihr alles, ich wusste jetzt, dass sie es war, die mir meinen Schrecken, meine Schattenwelt nehmen würde.
Wir redeten den ganzen Nachmittag, ihr brannte das Essen an, so wichtig war es ihr, mir zuzuhören, wir verloren völlig jedes Zeitgefühl.
Am nächsten Morgen, als ich wieder zur Schule ging, trug ich das selbe Hemd wie am vorigen Tag, nur war es wieder weiß. Ich trug es absichtlich, ich wusste, es würde die Schläger in meiner Klasse provozieren, aber das wollte ich! Ich ging aus dem Haus, und spürte die Sonne auf meiner Haut. Lange hatte ich das nicht mehr gefühlt. Ich roch den Frühling, sah all die Menschen auf den Straßen, und all die Pflanzen, die so schön leuchteten.
Ich trat jetzt aus unserem Grundstück heraus, und ließ meine Schattenwelt, meinen Alptraum, und all dies, was mich so lange zerfressen hatte, hinter mir. Ich wusste, mir konnte keiner mehr etwas anhaben, denn jetzt war ich nicht mehr allein. Und das würde ich nie wieder sein.
Mir war klar, ich wäre meine Mitschüler, diese Typen, die nicht wussten, was sie manchen Leuten antaten, bald los, ich würde sie überstehen, ganz sicher. Niemand würde mich je wieder in meine Schattenwelt zurückversetzen. Niemand!

 

lso, das ist mein Beitrag zu einem Literaturwettbewerb zum Thema Schattenwelt...

Bin ein recht neuer und junger Schreiber, daher hätte ich gerne ein paar reaktionen auf das hier!

Grüße Summarlidi ( Dominik )

 

Zunächst mal ein herzliches Willkommen auf KG.de!

Schön, das Du den Weg hierher gefunden hast, denn nicht zuletzt von frischem Blut lebt die Seite. Eine Kritik allerdings gleich vorweg: So etwas wie Dein zweites Posting wird nicht gerne gesehen. Der beste Weg, auf Deine Geschichte aufmerksam zu machen ist es, andere Geschichten zu kommentieren. Das muß nicht unbedingt eine ellenlange wissenschaftlich fundierte Kritik sein, ein einfaches "die Geschichte gefällt mir/gefällt mir nicht" mit kurzer Begründung reicht schon aus um dem Autor weiter zu helfen.

Nun zu Deiner Geschichte.

Sie behandelt ein kontroverses Thema, wird diesem jedoch nicht gerecht, denn wir erfahren zu wenig über den Protagonisten. Wir erfahren zwar, was er tut, um den Schlägen seiner Mitschüler zu entkommen, aber was er fühlt bleibt zu abstrakt, ist zu sehr an Handlungen festgemacht.

Ich würde empfehlen, ihn nicht auf diese Bausstelle gehen zu lassen. Zu einen ist es unwahrscheinlich, das dort an einem Wochentag nicht gearbeitet wird, zum anderen währe die Szene intensiver wenn er in seinem Zimmer sitzt und sich den Selbstmord bildlich vorstellt, dann aber den Wert des Lebens erkennt, sich seiner Träume erinnert, und sich schließlich voller Verzweiflung seiner Mutter offenbart.

Alles in allem ist das Ganze für eine erste Geschichte nicht so übel. Laß mal mehr von Dir lesen!

Kane

 

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