Schattenjäger
Ich sah den Raum in der Reflexion eines Spiegels. Der Staub glitzerte wie Schneeflocken, als er das violette Mondlicht passierte. Eine kürzliche Bewegung hatte die mehrere Jahre dicke Schicht aufgewirbelt, es war das gleiche Wesen, das die fünf langen staubfreien Linien auf dem Spiegel hinterlassen hatte, welche es mir überhaupt erst ermöglichten in den Raum zu blicken.
Es herrschte Stille, so tiefe Stille, dass man meinen konnte die Termiten am Holz nagen zu hören.
Ich lehnte mich voller Anspannung gegen die Wand und strengte meine Ohren an jedes Kratzen und jedes Rascheln wahrzunehmen, schließlich war meine Beute alles andere als leicht zu fassen. Ja man könnte sogar sagen fast so schwer wie den eigenen Schatten einzufangen...
Da, ein Knistern! Frischer Staub wirbelte auf, etwas huschte im Spiegel, zu schnell um es zu erkennen. Zum Glück hatte ich alles gut vorbereitet, es gab nur einen Ausweg, sofern es das Mondlicht vermeiden wollte. Meine Falle war perfekt.
Ich machte mich bereit. Das Stück Metall lag kühl in meiner Hand.
Ein Zucken, ein Rascheln und im Bruchteil einer Sekunde stand es neben mir und wäre im selben Bruchteil wieder verschwunden hätte ich nicht den kleinen Knopf gedrückt.
Ekelhaft grünes Licht erstrahlte und fixierte die Erscheinung an Ort und Stelle. Ein Zischen, fast schon ein Wimmern ertönte. Der Schatten war gefangen.
Ich grinste zufrieden, während ich ihn dabei beobachtete wie er mühsam eine Form annehmen musste. Welche würde dieser wohl haben? Ich hoffte auf etwas außergewöhnliches, je einzigartiger, je interessanter, desto mehr Ruhm würde er mir bringen.
Als ich auf den Schatten zu schritt und damit die Intensität des Lichts erhöhte, hielt der Schatten nicht mehr stand und wurde trotz seines unstetigen Seins in eine feste Form gezwungen.
Es handelte sich um den Umriss eines Brautkleids.
Hmm... Na gut, es sah altertümlich aus, möglicherweise historisch nicht ganz uninteressant und wenn man die Spitze genauer... Ach, wem machte ich etwas vor, wochenlange mühsame Arbeit für ein Brautkleid? Verdammt, ich hatte mir echt mehr erhofft! Nun gut, immerhin etwas, es sollte die Mindestanforderungen erfüllen, aber Ruhm und Ehre... nein das würde mir dieses kleine Biest nicht einbringen.
Ich seufzte, entrollte das überdimensionale Stück Papier und legte es auf den fixierten Schatten. Es verging ein kurzer Augenblick, dann begann sich die weiße Fläche schwarz zu färben. Das war dann wohl der Verdienst meiner wochenlangen Arbeit.
Sobald das Papier den Schatten vollends aufgenommen hatte rollte ich es wieder ein, schaltete das Licht aus und verließ das alte Gemäuer. Draußen im freiem sah ich noch einmal auf das zerfallene Haus und schüttelte den Kopf.
Ich hätte mir eine andere Spezialisierung suchen sollen. Dieses Trümmerklettern und Kellerausgraben strapazierte einfach zu sehr meine Nerven. Lieber wie die anderen den ganzen Tag im Labyrinth aus Büchern und Bücherregalen der Akademie verbringen, nicht nur einen Teil. Wobei... der Mangel an Frischluft und das ewig dumpfe Lampenlicht drückten schwer aufs Gemüt, dann doch wenigstens ein bisschen Abwechslung in die Sache bringen. Allerdings hatte ich letztens erst gehört das ein gigantischer Schatten, vielleicht sogar einer der Großen in den Hallen der Bibliothek gesichtete worden war. Viele kleinere und größere Gruppen hatten sich gebildet und suchten nun Tag ein Tag aus nach dem Ungeheuer. Ja, wenn man den finden würde und es ein echter Großer wäre... man müsste nie wieder nach dummen altertümlichen Brautkleidern jagen.
Ich verließ den Wald und kehrte auf die Straßen der Stadt zurück. Es herrschte tiefste Nacht, doch je näher ich den wolkenhohen Türmen kam, desto heller schien ihr glänzendes Licht und die asphaltierten Straßen und Gassen wurden immer belebter.
Jäger die loszogen, Jäger die Wiederkehrten. Erleichterung in den Gesichtern jener die von einer erfolgreichen Jagt kamen, Verzweiflung bei denen die noch losziehen mussten und wussten, dass der Glockenschlag bald schon eine Beute einfordern würde. Jetzt war ich froh das ich wenigstens irgendetwas hatte, das mir das bissige Tier, die Zeit, aus meinem Nacken hielt.
„Akademie der Schattenjäger“ Strahlte das goldene Schild und zeugte von dem Ruhm den diese Einrichtung genoss. Von überall kamen sie her, von überall um sich darin ausbilden zu lassen die Schatten zu jagen, die durch die Nacht huschten und die Leute in ihre Häuser zwangen, mit Fenster und Tür fest verschlossen.
Hier um die Akademie herum war natürlich mittlerweile alles einiger maßen sicher, solange man sich nicht in die Bibliothek begab konnte man sehr gewiss sein keinem der schrecklichen Wesen zu begegnen. Jedoch hielten einigen das Ganze für nichts als eine trügerische Sicherheit. Wo blieb die Sonne, wenn es doch so gut wie keine Schatten mehr gab? Warum herrscht immer noch Nacht, wenn die Jagt doch so erfolgreich war? Das wusste leider keiner so genau. Obwohl in den letzten Jahren so gut wie alle Giganten gefangen worden waren, die die Menschheit seit jeher in Angst und Schrecken versetzte, so machte die Nacht keine Anstalten zu verschwinden, obwohl man immer gedacht hatte, dass, mit dem Einfangen der Schatten, der Tag und die Sonne irgendwann wieder kommen müssten, schließlich folgte auf die Nacht doch der Tag, oder etwa nicht?
Aber nichts desto Trotz; Die Welt wurde sicherer. Man konnte auf die Jagt gehen ohne dabei hinter jeder Ecke eine zähnefletschende Bestie befürchten zu müssen die kaum ein Jäger allein zu Strecke bringen konnte.
Der Hof war durchquert und ich entdeckte die kleine Schlange, die sich vor dem Büro gebildet hatte. Ich stellte mich hinten an und beobachtete was die anderen Jäger so auf Papier gebannt hatten. Da waren Insekten und Vögel, dort Zahlen und Formeln und weiter vorne eine mittelalterliche Rüstung. Das übliche, keiner der Großen, keiner der in der Bibliothek fündig geworden war. Wie schade.
„Der Nächste bitte.“ Ertönte die Stimme aus dem Inneren und die Schlange bewegte sich um einen Platz weiter.
Ach ja, die letzten großen Bestien, wer träumte nicht von ihnen. All die Sicherheit ließ einen hin und wieder von Gefahr träumen, von den letzten großen Schatten, die noch über diese Erde wandelten und auf die man möglicherweise doch noch stoßen konnte. Welcher Ruhm einen erwarten würde, wenn man etwas bisher undenkbares zu Tage bringen würde.
„Der nächste bitt...“
Ein Zucken, ein Rascheln. Ich schrak auf. Ein Schatten? Hier? Ich sah mich um, keiner hatte etwas bemerkt, war es nur ein Trugbild gewesen?
Nein! Da war es wieder! Es entschwand in die Dunkelheit. Hinterher? Der Glockenschlag, bald würde die Jagt beendet werden und wenn ich dann nicht... Ach, scheiß drauf, dann lasse ich mir eben etwas einfallen. Ein Schatten der hier lauerte konnte alles andere als gewöhnlich sein, wenn er sich solange unbemerkt hier hatte verstecken können.
Ich trat also aus der Reihe und gab mir dabei die größte Mühe nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Erst als ich außer Sicht war spurtete ich los. In das erschlossene aber nicht beleuchtete Akademiegelände immer weiter dem Schemen nach, den ich gerade noch so zu erkennen glaubte.
Ich zückte mein Werkzeug, das kleine Gerät mit dem silbernen Knopf, und schaltete es ein. Es half mir dabei meinen Weg zu finden. Man vergaß manchmal allzu schnell, dass es nicht nur dabei nützlich war Schatten zu fixieren, sondern auch um tatsächlich etwas in der Dunkelheit der Nacht sehen zu können, wenngleich das Licht scheußlich anzusehen war.
Ich trat um eine Ecke. Mondlicht brach zwischen den Türmen hindurch und erhellte den vor mir liegenden Platz. Vom Schatten keine Spur, dafür sah ich eine Gestalt in der Mitte des Platzes im Mondlicht sitzen. Sie hatte mir den Rücken zugedreht, verwundert trat ich näher an sie heran.
„Hallo?“ Fragte ich zaghaft.
„Oh hallo.“ Sagte eine Stimme, doch die Person drehte sich nicht um.
„Ähm, Entschuldigung, aber haben sie eine Schatten hier vorbei rennen sehen?“
„Einen Schatten? Hier auf dem Gelände der Akademie außerhalb der Bibliothek? Nein, einen Schatten habe ich nicht gesehen... Du bist also ein Jäger?“
„Ja, noch in der Ausbildung, aber ein Jäger bin ich.“ Antwortete ich nicht ohne etwas Stolz darauf zu sein Teil dieser Gemeinschaft zu sein.
„Ah. Natürlich, natürlich, immer auf der Suche nach dem nächsten Schatten hmm? Je größer desto besser, nicht wahr?“
„Ja.“ Ich lachte verlegen, „so ist es.“
„Ach ja, die Jagt, was wären wir nur ohne sie? Ängstliche Tölpel die noch immer in vermeintlich sicheren Höhlen Zuflucht suchen würden. Bei jedem Blitzen und Donnern vor Schreck alles stehen und liegen lassen. Und doch... obwohl wir den Höhlen entkommen sind so scheint es, dass wir noch immer in tiefster Nacht leben. Es gibt dunkle, verworrene Orte an denen wir zwar Schatten finden, die aber weiterhin in Finsternis verharren. Egal was wir tun, die Nacht scheint einfach nicht vergehen zu wollen...“ Diese Gestalt, es musste ein Professor sein, wer sonst saß alleine hier Draußen und machte sich über derartige Dinge Gedanken? Aber für eine nette Unterhaltung war ich immer zu haben.
„Nun, ich habe gehört in der Bibliothek soll eine der großen Bestien gesichtete worden sein. Vielleicht sogar so gigantisch, dass man vermutet mit ihr einen Teil der Nacht endgültig vertreiben zu können.“
„Das mag man behaupten, aber behauptet man das nicht jedes Mal, wenn die Rede von einem neuen Giganten ist? Und dann, dann findet man irgendwo einen noch größeren... Junger Jäger, hast du schon mal daran gedacht, dass all diese Schatten, ganz gleich wie groß oder wie klein, nur Teil eines einzigen gewaltigen Schattens sind?“
„Natürlich, jeder fragt sich doch irgendwann wie und ob alle Dinge zusammenhängen, was das große Ganze ist.“
„Also was... was steht dann dem Gedanken im Weg, dass wir nicht die Schatten jagen um die Nacht zu vertreiben, sondern es die Nacht ist, die wir in Wirklichkeit jagen.“
„Das ist sehr gut möglich.“
„Aber dann, mein junger Freund, stellt sich doch die Frage, wie man die Nacht höchst selbst einfangen und auf Papier bannen kann.“
„Na, in dem wir Stück für Stück ihre Schatten zähmen.“ Was erzählte er nur da? War es so etwas wie ein Test? Das war alles Stoff, den man in den ersten Monat an der Akademie lernte. Kleine Schatten fangen um schließlich die Großen in die Knie zu zwingen. Die Methoden verbessern um immer größere und feingliedrigere Beute zu machen.
„Ja... und sind wir nicht Teil der Nacht? Haben wir nicht auch unseren Schatten? Und wenn er Teil von uns ist, wieso glauben wir dann ohne ihn den Tag betreten zu können?“
„Ja, vielleicht leben wir einfach nur allein für die Jagt, so dass wir sicher durch unsere Nacht spazieren, Fremde treffen und uns mit ihnen unterhalten können, ohne uns vor Schatten fürchten zu müssen.“ Ich lächelte.
„Ohne Schatten sagst du? Und was ist dann das, dort drüben?“ Ein Fingerzeig, ich schaute ihm nach.
„Aber da ist doch nichts...“ Ich drehte mich wieder zurück und stockte. Keine Gestalt die vor mir stand. Ich war allein auf dem vom Mondlicht beleuchteten Platz und alles was ich sah war mein eigener, kleiner Schatten der sich in die Dunkelheit der Nacht verlor.
Was das wohl zu bedeuten hatte?