Was ist neu

Schattenhedda

Bas

Mitglied
Beitritt
16.09.2018
Beiträge
274
Zuletzt bearbeitet:
Anmerkungen zum Text

Es gibt eine Vorgeschichte zur Schattenhedda, die aber zum Verständnis dieser Geschichte hier nicht gelesen werden muss (bzw. war das zumindest meine Intention). Ruben und Inga hatten früher bereits einen Auftritt in dieser Geschichte.

Schattenhedda

I

Jeder im Dorf kennt die Hedda mit dem Strick um den Hals. Aber nur der kleine Ruben weiß Bescheid. Dass man die alte Hedda schon vor dreihundertunddreiundvierzig Jahren zum Tod am Galgen verurteilt hat. Sie aber nicht sterben wollte. Sie nicht mal mit den Beinen gezappelt hat, nur die Lippen haben sich bewegt, während sie jedem der Schaulustigen in die Augen gestarrt und sie für alle kommenden Generationen verflucht hat, alle außer den Henker, den hat sie vergessen. Weil der ja hinter ihr stand. Und der Henker war der Urururururgroßvater vom Ruben.

Die Erwachsenen wissen, dass der kleine Ruben bloß Schauermärchen erzählt. Und dass die Hedda in Wahrheit einfach verrückt ist. Sich den Strick selbst umgelegt hat, zu welchem Zweck auch immer, und jetzt also wie eine Kette um den Hals trägt, wenn sie doch mal ihre Hütte verlässt und zum Laden geht oder zum Brunnen. Und schon deshalb hält sich jeder im Dorf von ihr fern, egal ob groß oder klein.


II

Im Frühling tanzt die Birke vor dem Fenster. Aufgeregt, weil etwas passiert. Die schuppigen Kätzchen an den Enden der Zweige pendeln im Wind hin und her, klopfen gegen die Scheibe, als wollten sie sagen: Komm raus zum Spielen, wie früher.
Aber ich bin zu alt. Deshalb gehe ich auch nur noch zum Laden, nirgendwo sonst hin. Wasser holen am Brunnen noch, aber sonst bin ich hier, in meiner Hütte, sitze auf dem Stuhl neben dem Fenster oder liege im Bett. Stehe am Herd, wenn ich muss. Schaue nach draußen und warte und weiß doch nicht, worauf.
Ich kenne die Schatten in der Hütte. Ich weiß, wie die Sonne sich bewegt, wie sie wandert. Ich weiß, dass der Henkel meiner Tasse jeden Morgen einen Bogen auf den Tisch malt, das weiß ich, weil ich dann die Fingerspitze in den Bogen lege, bis er enger wird, bis die Schlinge sich zuzieht, und erst im letzten Augenblick ziehe ich den Finger wieder raus. Ich weiß so vieles und nichts davon hilft.

Morgens schlage ich die Augen auf. Dass ich alt bin, spüre ich immer dann: Wenn ich dort liege und die Hüfte durch das Stroh auf den Boden sackt.
Neben dem Bett steht der Stuhl. Ich ziehe mich hoch, an der Lehne, und wenn ich stehe, muss ich mich wieder setzen. Und da sitze ich dann auf dem Stuhl, während die Sonne weiter wandert. Während meine Hüfte schmerzt und meine Beine.

Ich könnte aufstehen und vor die Tür gehen und die ersten Blätter von der Birke pflücken. Ich könnte mich an den Herd stellen und die Blätter aufkochen, ich weiß, das würde helfen gegen die Schmerzen, gegen die Entzündung, ich könnte so vieles, wenn ich könnte.


III

Am Stamm der Birke sitzt ein Porling. Ein dicker, weißbrauner Pilz. Wie ein Mund. Zwei aufeinandergepresste Lippen. Ein unausgesprochenes Geheimnis. Ich weiß, dass der Porling den Stamm faulen lässt, er macht das Holz von innen heraus brüchig, ich könnte rausgehen mit meinem Messer und ihn abschneiden, man kann den Porling auch essen, aber das Holz würde weiter verfaulen.
Neben dem Porling sitzt ein Falter. Ein Spanner. Er hat dieselbe Farbe wie die Rinde. Schwarzweiß gefleckt. Und ich frage mich, ob er zuerst weiß war und die Flecken erst später kamen, mit dem Leben und den Gedanken, und so sitze ich hier auf meinem Stuhl in meiner Hütte. Schaue aus dem Fenster und denke nach. Über Pilze und Falter. Und das Kind. Das blonde Mädchen, das seit Neustem um meine Hütte schleicht.

Eine Narbe zieht sich durch ihr Gesicht. Quer durch das Auge. Sie spielt. Ausgelassen. Fast entrückt. Setzt einen Fuß vor den anderen und geht auf einer geraden, unsichtbaren Linie und ich denke mir: Jetzt hangelt sie über einen Abgrund. Sie dreht sich mit ausgestreckten Armen im Kreis und dabei hüpft sie und ich weiß: Jetzt kann sie fliegen. Und später liegt sie im Gras auf dem Rücken, schaut hinauf in die Wolken, und ich weiß: Jetzt sieht sie exotische und ausgestorbene Tiere, Hyänen und Mammuts. Mystische Wesen, Greifen und Drachen, ich weiß nicht. Aber ich ahne, dass sie fortwill, etwas plagt sie, wen nicht.
Denn da ist noch was. Sie ist schreckhaft. Wie ein Kaninchen. Eben noch Kind, nur Spiel, ganz Traum, reißt sie den Kopf rum, wirft ihn zur Seite, die geflochtenen Zöpfe wirbeln wild über die Schulter. Sie steht da wie erstarrt. So lange, dass es mich wundert, dass ich mich frage, was sie sieht, wo sie ist, doch da schüttelt sie den Schreck schon wieder ab, mit einem Lächeln. Rollt mit den Augen. Sagt sich selbst: Du Dummi, wovor hast du Angst. Und ich wüsste einiges, würde sie fragen. Es gibt Winkel in meinem Kopf, da halte ich mich fern.


IV

Im Sommer ist das Laub der Birke sattgrün. Reflektiert das Licht und wirft gelbe Punkte an die Wände der Hütte.
Das Fenster steht offen, lässt Luft herein und Geräusche. Ich höre die Blätter rascheln, aber nicht alle Zweige machen mit. Manche sind kahl, die Blätter abgenagt von glänzenden Käfern. Wieder andere rascheln ganz besonders. Aufgeregt, weil etwas passiert.

Das Mädchen schlägt Räder. Ich weiß es, ohne hinzusehen: Es ist Abend, die Sonne steht tief und die Schatten ihrer Beine werfen kreisende Mühlräder an meine Wände, schneiden durch gestapelte Töpfe und Teller. Ich sitze da, angespannt. Lächerlich, ich warte auf das Klirren und das Poltern und am liebsten würde ich schreien, auch um sie zu verjagen, das Mädchen, Inga.

Ihr Name ist Inga. So hat er sie gerufen, der Mann. Vielleicht ihr Vater. Ich habe ihn nur gehört, nicht gesehen. Obwohl ich mich ein wenig vorgebeugt habe auf meinem Stuhl. Das einzige, was ich gesehen habe, war Inga. Die sich versteckt hat. Im Gestrüpp vor meiner Hütte. Denn wie ich die Birke kenne, kenne ich auch das Gestrüpp, das wuchernde Unkraut, und ich habe sie nicht wirklich gesehen, nur das Loch in den Halmen. Das empörte Kopfschütteln des Unkrauts, empört über das Kind, das da zwischen ihm liegt und Schutz sucht. Das Gestrüpp würde Inga verraten, so viel ist klar. Würde dem Vater zurufen, wenn es könnte. Und ich könnte. Könnte rufen: Hier ist dein Blag, nimm es mit! Und überhaupt, warum treibt sie sich hier herum, was will sie hier, sie soll mich in Ruhe lassen, ich brauche Ruhe! Stattdessen lehne ich mich leise zurück in den Stuhl. Sehe dabei zu, wie die Schatten in der Hütte wachsen, lausche dem Gesang der Amsel. Bis ich weiß, dass er fort ist. Bis mein altes Herz sich beruhigt. Bis nur noch Schatten ist in der Hütte, bis das Kaninchen aus seinem Bau schlüpft.

Vier und vier. Finger wie Schattenraupen auf meinem Fensterbrett. Ich sitze direkt daneben. Könnte sie berühren, die Raupen zerquetschen. Ich sitze an der Wand und bete, dass ihre Finger mich nicht sehen.
»Bist du eine Hexe?«, flüstert es da in den Raum hinein.
Ihr Kinn zwischen den Fingern. Die kleine Nase in der Hütte.
Und ich sage nichts. Zwei aufeinandergepresste Lippen. Schaue bloß. Zwei trübe Augen.
»Mein Bruder sagt, dass du eine Hexe bist.«
Ich höre sie atmen. Sie raubt mir die Luft, als wäre es ihre.
»Ich mag meinen Bruder nicht.«

Wenn die Zunge zu lange im Mund liegt, wird sie dick, schwillt sie an. Wenn die Lippen zu lange aufeinandergepresst werden, kleben sie aneinander. Ziehen Fäden, wenn der Mund sich dann öffnet, rosa Haut, die spannt und einreißt, und die Worte kommen an Land wie Kaulquappen, gehören nicht hier her.
»Dann muss ich deinen Bruder zu Suppe machen.«
»Hihi!«, machen die kleinen Raupen da und fallen nacheinander vom Fensterbrett, vier und vier und zwei wippende Zöpfe, die im Dunkeln verschwinden.
Draußen zirpen die Grillen. Bis sich der Atem beruhigt. Bis ich das Fenster verschließe.


V

Ich sitze das Leben aus. Sitze meinem Tod entgegen. Ich sitze im Dunkeln und im Hellen, im Dunkeln leuchtet die Rinde der Birke im Mondschein, im Hellen strahlt die goldgelbe Krone.

Nachts bin ich alleine. Am Tag kommt das Mädchen. Es ist Herbst, am Fuß der Birke wächst ein Fliegenpilz. Im löchrigen Blattwerk hat eine Spinne ihr Netz gespannt. Der Nebel schnürt Wasserperlen auf seidene Fäden. Eine Fliege verfängt sich im Netz. Das Netz sirrt, die Spinne rennt auf acht Beinen, die Tropfen fallen auf den gepunkteten Schirm. All das sieht Inga und ich sehe sie.

Meine Zunge liegt wieder im Mund begraben. Geschwollen und dick. Doch die Lippen sind rissig, formen jede Nacht Worte. Meine Hände greifen ins Dunkel. Packen zu.
Ich sehe Inga in den Schatten meiner Hütte, ich sehe ihren Vater auf acht Beinen. Ihren Bruder. Ich sehe all die Männer und die Narben, die sie reißen, wenn es ihnen danach ist und ich denke: Was glaubt ihr, wer ihr seid. Und: Was bildet ihr euch ein. Und: Wenn ich nicht so alt wäre!, und passt besser auf!, noch habe ich Kraft!, und ich stehe auf, Frau wie ein Baum, schnüre die Schuhe, nehme das Messer. Ich gehe zur Tür raus und schmecke Kälte, höre die Nacht, höre mich lachen, und da presse ich die Lippen aufeinander, mit Gewalt. Beiße mir die Wangen wund, bis ich blute. Bis ich Eisen schmecke. Gehe zurück in meinen Bau.


VI

Weiß auf Weiß haftet der Schnee an der Rinde. Und trotzdem, beim ersten Licht des Tages ist die Birke fast blau.
Jeder im Dorf kennt die alte Birke neben Heddas Hütte. Und Ruben weiß Bescheid. Ruben weiß, dass Birken alt werden können. Dreihundertundvierunddreißig Jahre und älter. Das weiß er aus einem Märchen.

Nur dass die Hedda mal ein Kind war, weiß er nicht. Das weiß nur Inga. Und dass selbst ein Kind mal verfault. Wie die Birke, wenn der Porling das Holz bricht. Und wenn die schuppigen Kätzchen im Frühling dann noch ein letztes Mal hin und her pendeln und gegen die Scheibe klopfen, als wollten sie sagen: Komm raus zum Spielen, wie früher, wird keiner mehr antworten, denn jetzt pendelt auch die Hedda im Wind, die Hedda mit dem Strick um den Hals, mit offenen Augen,
mit Augen
so weiß.

 

Moin, moin @Bas,

da bin ich heilfroh eine Idee und einen groben Plan zu haben und Du lieferst ab - Hut ab. Eine düsterer Geschichte, mit hellen Tupfen und wunderschönen Bildern. Ein interessanter Aufbau, ein Verweben und ein paar Dunstschleier, die sich bei mir vielleicht beim nächsten Lesen noch heben. Ich mag sie auf alle Fälle, habe hier jetzt wirklich jede kleine Stelle rauszitiert, bei der mir ein Gedanke durch den Kopf schoss, also durchaus vieles ignorierbar.
Lass mal schauen:

alle außer den Henker, den hat sie vergessen. Weil der ja hinter ihr stand. Und der Henker war der Urururururgroßvater vom Ruben.
Herrlich! Also natürlich traurig und schlimm, aber der Gedankengang ist so logisch-lustig.
Ich gestehe, die zeitliche Abfolge/Logik der Geschichte raffe ich noch nicht, fühle mich aber nicht davon gestört.

Die Erwachsenen wissen, dass der kleine Ruben bloß Schauermärchen erzählt.
Wie gesagt, ich bin jetzt mal wirklich popelig, der Text gefällt mir, da bin ich für ganz genau hinschauen. Mir ist das "wissen" zu hart, zu deutlich. Würde ich in denken, glauben oder für die Erwachsenen ... abschwächen, es reißt mich (Kopfmensch) sonst raus.

und jetzt also wie eine Kette um den Hals trägt,
Ich habe eine Füllwortallergie! Leider nur bei Fremdtexten, bei mir übersehe ich sie gerne oder erkenne sie nicht als solche. Ich würde es einmal ohne das also versuchen.

schuppigen Knospen an den Enden der Zweige pendeln im Wind hin und her
Und ich bin Gärtnerin und liebe Botanik! Du meinst die Kätzchen, das sind Saatstände, keine Knospen. Troddeln wird auch gesagt.

nirgendwo sonst hin. Wasser holen am Brunnen noch, aber sonst bin ich hier,
ich würde über das 'noch' nachdenken. Es fühlt sich auch nach unzuverlässigem Erzähler an. Erst nirgendwo und dann kommt was.

und schaue sonst bloß zum Fenster raus,
ich kann nichts dafür, lasse mich aber gerne ignorieren. Wenn das der gewünschte Sound ist, alles gut, ist ja kein Wunschkonzert.

Ich weiß, wie die Sonne sich bewegt, wie sie wandert.
Für Deine feinen Beobachtungen ist mir das zu ungenau. Da bewegt sich ja nicht die Sonne, sondern der Lichtfleck, das Licht, oder wie auch immer man das nennt.

Ich weiß so vieles und nichts davon hilft.
Deine jeweils letzten Sätze der Absätze sind für mich toll! Sie überraschen, sind klar, schön formuliert - passt!

Bleibe liegen. Ich könnte stundenlang daliegen und zusehen, wie die Sonne wandert, aber dass ich alt bin, spüre ich immer dann, wenn ich wieder zu lange liegen bleibe.
Vorschlag: den fetten Teil weglassen, dann ist es nicht zu viel wiederholt, nicht so totgeredet. Den Sinn kann ich verstehen, aber die Sequenz war mir eindeutig zu wiederholend und damit langweilig.

Dann spüre ich das Alter in der Hüfte und in den Beinen, denn je länger ich liege, desto schwerer werden sie und die Hüfte sackt durch das Stroh bis fast auf den Boden, zumindest fühlt es sich so an.
Denn hier geht es immer noch darum, dafür ist es mir nicht geschmeidig genug. Aber wenn so gewollt, ihrem Alter im Kopf geschuldet - passt natürlich auch.

Und da sitze ich dann, auf dem Stuhl, während die Sonne weiter wandert. Während meine Hüfte schmerzt und meine Beine.
hier passt das dann irgendwie, aber auch dieser Satz wiederholt es noch einmal.
Ja, ich höre Dein Argument: Sie sitzt halt nur noch ...

ich könnte so vieles, wenn ich könnte.
Denn dieses hier stimmt selbstverständlich und lässt mich schlucken.

Birke sitzt ein Porling. Ein dicker, weißbrauner Pilz. Wie ein Mund. Zwei aufeinandergepresste Lippen. Ein unausgesprochenes Geheimnis. Ich weiß, dass der Porling den Stamm faulen lässt, er macht das Holz von innen heraus brüchig, ich könnte rausgehen mit meinem Messer und ihn abschneiden, man kann den Porling auch essen, aber das Holz würde weiter verfaulen.
Den Porling hast du toll beschrieben, aber irgendwie würde ich bei ihr erwarten, das sie mehr die Heilwirkung sieht, es als Nahrung würde man den nicht, der ist nur ganz, ganz jung essbar, sprich zart genug. Mir ist klar, das dies hier ein Botanikabriss ist, dennoch frage ich mich, ob man von Fäulnis spricht, wenn das Pilzmyzel den Baumstamm verzehrt.

Über Pilze und Falter. Und das Kind. Das blonde Mädchen, das seit Neustem um meine Hütte schleicht.
Wieder eine Überraschung - ich mag die Struktur der Geschichte total, den jahreszeitlichen Wandel der Birke und die Absatzüberleitungen.

ich weiß nicht, aber ich weiß, sie will fort, etwas plagt sie, wen nicht.
Ich bin ein Kopfmensch! Und meine Logik sagt, ne, das kann sie nicht wissen, nur ahnen, vermuten. Aber ich gestehe, ich habe auch nicht verstanden, woran du das hier festmachst. Warum soll das Kind (ist es vielleicht auch die junge Hedda) wegwollen.

Und ich wüsste einiges, würde sie fragen. Es gibt Winkel in meinem Kopf, da halte ich mich fern.
Oh oh - da läuft gleich parallel ein Film mit ab. Für mich gut gelöst. Beim letzten Satz bin ich unsicher - sagt man das so? Gefühlt fehlt da etwas - von? davon? Ich komme nicht drauf, was mich irritiert.

lässt Luft rein
ich würde ein 'herein' stimmiger finden.

Ich habe gehört, wie er sie gerufen hat, der Mann. Vielleicht ihr Vater. Ich habe ihn nur gehört, nicht gesehen. Obwohl ich mich ein wenig vorgebeugt hab auf meinem Stuhl, um besser zu hören. Das einzige, was ich gesehen habe, war Inga.
Müsste hinter 'Vielleicht ihr Vater' nicht ein Fragezeichen? Eventuell könnte das fette weg und beim doppelten hören würde ich auch noch einmal nach Alternativen schauen.

lausche dem Gesang der Amsel, das klingt wie Wasser, das aus dem Eimer in den Brunnen schwappt.
Ups! Was klingt wie Wasserschwappen? Der Amselgesang. Da kann ich nicht folgen.

Meine Zunge liegt wieder im Mund begraben. Geschwollen und dick. Doch die Lippen sind rissig, formen jede Nacht Worte.
Hier geht es mir zu widersprüchlich zu, aber wenn es schon der Geist von Hedda ist, mag es passen. Da verliere ich mich allmählich in der Orientierung, wer von wem erzählt.

Ich sehe Inga in den Schatten meiner Hütte. Ich sehe ihren Vater auf acht Beinen.
Ja, ihre Wahrnehmung verrutscht. Im ersten Satz fehlt aber ein Wort.

Beiße mir ins Zahnfleisch, bis ich blute, bis ich Eisen schmecke und gehe zurück in die Hütte. Hole den Stuhl.
VI
Kann man sich ins Zahnfleisch beißen? Hier hat mich die Logik verlasse, das warum erhängt sie sich, bleibt mir verschlossen.

Nur dass die Hedda mal ein Kind war, weiß er nicht. Das weiß nur Inga. Und dass ein Kind, das man alleine lässt, verfault. Wie die Birke, wenn der Porling das Holz bricht.
Für mich gehören Hedda und Inga zusammen, auch das verbinden mit dem vergehen des Baumes passt für mich (egal, wie man es nennt). Aber wo gehört jetzt der Einschub: ein Kind, das man alleine lässt; hin?

denn jetzt pendelt auch die Hedda im Wind, die Hedda mit dem Strick um den Hals, mit offenen Augen,
mit Augen
so weiß.
Ja, ich mag den Schluss, wenn mir auch noch eine klitzekleine Information/Verbindung fehlt. Ich lese gleich noch ein drittes Mal.
Für mich passt hier ganz viel in der Geschichte, ich liebe ganz viele Stellen und entschuldige mich noch einmal eindeutig fürs herumstochern, aber der Kleinkram ist mir gerade bei so schönen Geschichten wichtig. Ich verfolge mal die weiteren Kommentare, dann verstehe ich sicherlich auch den Rest.
Viele Grüße
witch (die jetzt mal den ersten Satz ihres Beitrages zu Papier bringt)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Bas,

du bist ja echt sehr aktiv gerade! Ich habe deinen neuen Text hier nur einmal in zwei Zügen durchgelesen und muss gestehen, dass ich ihn sehr kryptisch finde. Ich glaube, ich kann den Inhalt aus dem Stegreif nicht komplett wiedergeben. Er liest sich wie ein Text, der zwischen Märchen, Sage, Fantasy, Krimi und Historie changiert, aber spontan kriege ich ihn nicht zu fassen.

Ich wollte auflisten, was ich verstanden habe, aber scheitere schon an dieser Aufgabe, weil sich mir der reine Plot, den man kurz umreißen kann, einfach nicht erschlossen hat. Ich müsste jetzt nach oben scrollen und den Text systematisch untersuchen, um mir ein Bild zu machen, und damit wäre es kein erster Eindruck mehr.

Die Sprache des Textes finde ich faszinierend und auf eine Weise anziehend, auch wenn sie durch ihren Detailreichtum irgendwie gerade verhüllt, was erzählt wird. Es gibt ja diese Leerstellentheorie, nach der man Texte umso bedeutungsvoller und bildhaft findet, je weniger konkret sie sind. Hier kann ich bei mir den umgekehrten Effekt beobachten: Die einzelnen Beschreibungen wirken beim Lesen einnehmend und beschwören Bilder herauf, aber es sind nicht recht meine eigenen inneren Bilder und daher verblassen sie auch direkt wieder und ein Gesamtbild stellt sich nicht so recht ein. Vielleicht geht das aber auch nur mir so.

Tja, so richtig kann man natürlich in einer Antwort nicht in die Tiefe gehen, wenn man einen Text nicht verstanden hat. Meine Verbesserungsvorschläge würden daher erwartungsgemäß vor allem in Richtung "mehr Klarheit schaffen" zielen. Aber eventuell nähme das vom Reiz der Sprache und vom Mysteriösen weg. Ich enthalte mich also (vorerst) einer tiefergehenden Reaktion zum Text und warte ab, wie sich die Kommentare entwickeln. Werde den Text dann auch noch ein zweites Mal lesen die Tage.

Bis dahin freundliche Grüsse

HK

Hier noch ein paar Fehler bzw. grammatische Ungereimtheiten:

Dass man die alte Hedda schon vor dreihundertunddreißundvierzig Jahren zum Tod am Galgen verurteilt hat.

Mystische Wesen, Greifen und Drachen, ich weiß nicht, aber ich weiß, sie will fort; etwas plagt sie. Wen nicht?

Sagt sich selbst: Du Dummi, wovor hast du Angst?

Und überhaupt, hat sie kein Zuhause. Warum treibt sie sich hier herum? Was will sie hier? Sie soll mich in Ruhe lassen; ich brauche Ruhe!

Was glaubt ihr, wer ihr seid? Und: Was bildet ihr euch ein?

Und: Wenn ich nicht so alt wäre! Und: Passt besser auf, noch habe ich Kraft! Und ich stehe auf, als wäre ich jung; ich schnüre meine Schuhe; ich nehme das Messer.

Beiße mir ins Zahnfleisch, bis ich blute, bis ich Eisen schmecke, und gehe zurück in die Hütte, hole den Stuhl.

 

Hallo @Bas!

Das ist großartig! Dein Text hat mich nach wenigen Zeilen in Bann gezogen, auch wenn ich längst nicht alles verstanden, es aber bald schon nicht mehr versucht habe. Es war schlicht wunderbar zu Lesen, plätscherte auf mich ein, und rang mir ein ums andere Mal ein Wow! ab – wunderbar formuliert!
Ich glaube allmählich zu verstehen, wie du (schreibtechnisch) tickst und erspare uns daher etwaige Umschreib Vorschläge, die sich ohnedies oftmals mit denen der Vorkommentatoren decken würden. Lässt man sich darauf ein, passt das genau so, wie du das machst. Stünde dein Text nicht hier bei der Challenge, wäre ich sehr für eine Empfehlung! Oder geht das trotzdem?
Habe deine Geschichte zunächst auch ohne Bezug zur Challenge gelesen und war, als ich es bemerkte, verwundert, da mir weder beim ersten, zweiten oder dritten Lesen klar wurde, wie sich das mit einer vom Balkon geschmissenen Oma zusammenbringen läßt? Da bin ich doch sehr neugierig, wie das zusammengeht?

Wie dem auch sei – das ist sehr gut gemacht, danke dir fürs Teilen!

Gruß,
Sammis

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Bas,

ich schließe mich den Kritikern und Lobern gern an, auch wenn ich thematisch keinen Bezug zum Challenge-Thema erkennen kann. Du formulierst wunderbar, die Atmosphäre, die du in einzelnen Absätzen kreierst, ist sehr stark! Eine mystische Stimmung, die sich toll entfaltet, ob durch Hedda, die nicht sterben will und deren Beine nicht einmal zappeln, oder Situationsbeschreibungen wie mit dem Pilz und dem Falter usw.
Jetzt kommt trotzdem ein Aber: Die Mär, dass man bitte nicht an den Leser denken soll, wenn man schreibt, halte ich für blanken Unsinn, denn der soll/muss es doch ansatzweise verstehen. Bei den starken Bildern hätte ich mir, bei aller Liebe zum Kryptischen und Mystischen - von mir aus gern offen in mehrerer Hinsicht - ein etwas klareres Bild von der Geschichte gewünscht, die erzählt wird. Ein paar Hinweise mehr. Aber das ist - wie immer - Geschmackssache. Deine Formulierungen sind große Klasse und entwickeln einen ganz eigenen Sog. Das hat man nicht häufig!

Von daher beeindruckt, Grüße von Jaylow

 

Hallo @greenwitch,

und vielen Dank fürs Vorbeischauen. Schön zu lesen, dass du der Geschichte trotz Hindernissen etwas abgewinnen konntest.
Ich habe einige deiner Verbesserungsvorschläge schon übernommen, bei anderen überlege ich noch, wie und ob ich sie umsetzen möchte.

Und ich bin Gärtnerin und liebe Botanik! Du meinst die Kätzchen, das sind Saatstände, keine Knospen. Troddeln wird auch gesagt.

Perfekt, eine Fachfrau! Gut zu wissen. Und so ein schönes Wort, Kätzchen, das übernehme ich doch extragerne.

Vorschlag: den fetten Teil weglassen, dann ist es nicht zu viel wiederholt, nicht so totgeredet. Den Sinn kann ich verstehen, aber die Sequenz war mir eindeutig zu wiederholend und damit langweilig.

Ich habe den gesamten Absatz noch mal entschlackt und überarbeitet, ja, ich habe da schon absichtlich mit den Wiederholung spielen wollen, das war dann aber doch zu viel des Guten und tatsächlich einfach nur langweilig.

Mir ist klar, das dies hier ein Botanikabriss ist, dennoch frage ich mich, ob man von Fäulnis spricht, wenn das Pilzmyzel den Baumstamm verzehrt.

Ich rede mich damit raus, dass die Erzählerin keine Botanikerin ist. Sie beobachtet und deutet :Pfeif:

Ich bin ein Kopfmensch! Und meine Logik sagt, ne, das kann sie nicht wissen, nur ahnen, vermuten. Aber ich gestehe, ich habe auch nicht verstanden, woran du das hier festmachst. Warum soll das Kind (ist es vielleicht auch die junge Hedda) wegwollen.

Hm, also zum einen: Hedda beobachtet und deutet. Sie sieht das Mädchen, das alleine um ihr Haus schleicht, sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, sich wegträumt ... Zum anderen: Hedda beobachtet und deutet. Ich mag den Gedanken, dass sie unterbewusst Vieles auf Inga projiziert ... Moment mal, sagt man das so? Na ... Also ... Dass sie ihre eigenen Gedanken auf Inga überträgt, sich selbst in ihr sieht. Und beides zusammen führt dann zu diesem Urteil.
Aber ich bin da schon auch bei dir und habe es deshalb abgeschwächt, lasse sie das jetzt ahnen statt wissen.

Ups! Was klingt wie Wasserschwappen? Der Amselgesang. Da kann ich nicht folgen.

:Pfeif: Ich habe überlegt: Wie klingt eigentlich Amselgesang ... Und dann war ich bei plätscherndem Wasser ... Aber mehr wie aus einem Springbrunnen ... Na aber die gibt es hier nicht, also schwappt wohl Wasser aus dem Eimer ... Wie auch immer, Amselgesang klingt wohl doch einfach bloß nach Amselgesang und ganz sicher nicht nach aus Eimern schwappendem Wasser, deshalb habe ich das jetzt auch wieder gelöscht.

Hier geht es mir zu widersprüchlich zu, aber wenn es schon der Geist von Hedda ist, mag es passen. Da verliere ich mich allmählich in der Orientierung, wer von wem erzählt.

Hm, das zieht sich ja durch die bisherigen Kommentare: Wie kryptisch die Geschichte ist und dass man nicht durchsteigt. Dabei habe ich mir diesmal tatsächlich vorgenommen, einfach eine halbwegs simple Geschichte zu erzählen, ohne irgendwelche Formexperimente - die alte Hedda, geplagt von den Geistern ihrer Vergangenheit, hat sich in ihrem Leben eingerichtet, als Inga auftaucht, ihre Gedanken ins Rollen bringt, die Geister aufscheucht - was Hedda nicht erträgt und der Sache ein Ende setzt. Kommt das denn rüber? Oder bin ich irgendwo falsch abgebogen, sind die Bilder zu krumm?

Also nein, kein Heddageist an der von dir zitierten Stelle, nur Hedda, die tagsüber, solange sie die Kontroll hat, schweigt, (Meine Zunge liegt wieder im Mund begraben. Geschwollen und dick) aber nachts, vielleicht im Traum, weiter mit den Geistern ringt (Doch die Lippen sind rissig, formen jede Nacht Worte).

Kann man sich ins Zahnfleisch beißen? Hier hat mich die Logik verlasse, das warum erhängt sie sich, bleibt mir verschlossen.

Zahnfleisch war für mich gleichbedeutend mit all dem Fleisch im Mundraum ... Was natürlich Blödsinn ist :shy: Ja und wie schon erwähnt, dass dir das verschlossen bleibt, das lässt mich doch ziemlich zweifeln, denn so wie ich den Text lese, steht das da schwarz auf weiß: Dass sie ihre schlechten Erfahrungen mit Männern auf Inga überträgt und dann kippt etwas, sie kommt zu dem Schluss, Inga schützen zu müssen, greift zum Messer, macht sich auf den Weg ... Und kommt doch noch zur Einsicht, dass das kein gesundes Verhalten ist. Und dass das, was da in ihr schlummert, vielleicht nicht gesellschaftsfähig ist. Und deshalb schmeißt sie die Oma vom Balkon, sozusagen :shy:

Ich danke dir sehr fürs aufmerksame Lesen und drücke die Daumen für deinen eigenen Beitrag zur Challenge - ich bin gespannt und hoffe auf viel Grünzeug!

Hallo @H. Kopper,

Ich habe deinen neuen Text hier nur einmal in zwei Zügen durchgelesen und muss gestehen, dass ich ihn sehr kryptisch finde. Ich glaube, ich kann den Inhalt aus dem Stegreif nicht komplett wiedergeben. Er liest sich wie ein Text, der zwischen Märchen, Sage, Fantasy, Krimi und Historie changiert, aber spontan kriege ich ihn nicht zu fassen.

Ich bin in meiner Antwort an greenwitch schon auf das Thema eingegangen, ich bin jedenfalls sehr dankbar für deinen "ungeschönten" Ersteindruck, weil er mir zeigt, dass mein eigenes Verständnis von klarem, deutlichen Erzählen vielleicht noch ein wenig ... schief ist.

Und du gibst ja auch gleich einen Lösungsansatz: Detailreichtum verringern. Bilder einsparen, die das große Bild verdecken. Was ich gut nachvollziehen kann. Weil ich das bereits gestern geahnt habe, als der Text noch mal um einiges vollgepackter war. Woraufhin ich ihn vorm Einstellen noch mal deutlich entschlackt habe. :shy: Deshalb mal schauen, wo ich jetzt noch ansetzen kann, weniger geht ja fast immer und mit ein bisschen Abstand tut es auch nicht mehr so weh ...

Hallo @Sammis,

Wow! klingt toll - freut mich sehr, dass der Text dich begeistern konnte, das spornt an und zaubert mir ein breites Lächeln unter die Sorgesfalten :D

Habe deine Geschichte zunächst auch ohne Bezug zur Challenge gelesen und war, als ich es bemerkte, verwundert, da mir weder beim ersten, zweiten oder dritten Lesen klar wurde, wie sich das mit einer vom Balkon geschmissenen Oma zusammenbringen läßt? Da bin ich doch sehr neugierig, wie das zusammengeht?

Ich habe die Sache so gedeutet, dass in der Geschichte nicht tatsächlich eine Oma vom Balkon fliegen muss, dass es nicht mal eine Oma oder einen Balkon geben muss, sondern das eher als überspitztes Bild für "ausgediente" Alte dient, die von der Gesellschaft ausgeklammert werden - liege ich da richtig?
:schiel:
Falls ja hoffe ich, dass Heddas Geschichte sich als challengewürdig erweist.

Hallo @Jaylow,

auch dir vielen Dank für deinen Kommentar! Das ist jetzt faul, aber die Sache mit dem Challengethema habe ich eben hoffentlich ausreichend beantwortet, und auch das hier:

Jetzt kommt trotzdem ein Aber: Die Mär, dass man bitte nicht an den Leser denken soll, wenn man schreibt, halte ich für blanken Unsinn, denn der soll/muss es doch ansatzweise verstehen. Bei den starken Bildern hätte ich mir, bei aller Liebe zum Kryptischen und Mystischen - von mir aus gern offen in mehrerer Hinsicht - ein etwas klareres Bild von der Geschichte gewünscht, die erzählt wird.

Habe ich weiter oben thematisiert. Ja, ich bin da ganz bei dir, es war nicht mein Ziel, schöne Bildchen zu malen, ich wollte eine Geschichte erzählen. Ich schaue jetzt mal, wo ich da ansetzen kann, um mehr Klarheit zu schaffen.

Aber ich überlese natürlich auch dein Lob nicht, freut mich sehr, dass du so viel Positives entdeckt hast :)

Danke für eure Zeit!

Bas

 

Ich habe die Sache so gedeutet, dass in der Geschichte nicht tatsächlich eine Oma vom Balkon fliegen muss, dass es nicht mal eine Oma oder einen Balkon geben muss, sondern das eher als überspitztes Bild für "ausgediente" Alte dient, die von der Gesellschaft ausgeklammert werden - liege ich da richtig?
Selbstverständlich liegst du damit richtig, dass es hier nicht um vom Balkon fliegende Omas gehen muss (noch nicht mal unbedingt um ausgediente Alte), sondern dass der Challenge-Titel einfach übergreifend für unsere lieben (oder auch nicht) Senioren dient. Fliege hat das ja auch wunderbar und ausführlich im Infothread erklärt, hast also alles richtig gemacht.

 

Oha, so ganz klar ist mir die Themenvorlage offenbar nicht, aber ich bin gespannt.

 

Hallo Bas, du bist ja superschnell, ich glaub ich hab von der Challenge gerade erst gelesen, da ist dein Text schon da.
Ich hab deine Geschichte verschlungen. Ich fand die Bilder, die du ersonnen hast, den Rahmen, den du der Geschichte um die alte Frau gibst, die Handlung, ich fand es einfach beeindruckend. Wie du das alles miteinander verknüpfst, den Ruben mit seinem Eindruck von der alten Hedda und seiner Schauergeschichte, von dem Strick um ihren Hals, die Tatsache, dass es seine kleine Schwester ist, die vor dem Haus der alten Hedda spielt, ihre Narbe und wie das Spiel und vor allem die Angst der Kleinen vor ihrem Vater (vielleicht müsste man besser sagen, die Interpretation Heddas von dem Verstecken, denn so ganz genau weiß man ja nicht, warum sich die Kleine tatsächlich versteckt), wie das alles Hedda zu diesem letzten Schritt veranlasst.
Eines vorweg, ich hab keine Kommentare gelesen, wenn ich mich also wiederhole, seis drum, ging nicht anders, hab zu wenig Zeit, obwohl ich es immer schon besser finde, die Komms der anderen zu lesen, kann man gezielter schreiben.

Ich selbst schreibe nicht mehr, aber das neue Challengethema hat mich sehr interessiert. Vielleicht, weil ich mittlerweile selbst so eine Oma bin und darauf schiele, wo der nächste Balkon lauert. Ich glaube, ich wäre das Thema ähnlich angegangen, wie du. Nur, dass ich eben leider nicht diese feinen Beobachtungen und Analogien habe, wie du sie gerne machst. Und diesen superdurchdachten Aufbau der Handlung, die sich langsam steigert zu der Auflösung, die ich unten zitiert habe und wie sich die gesamte Geschichte der alten Hedda durch die Andeutungen und ihre eigenen Kommentare zu dem Beobachteten ergibt.

Einen Einwand hatte ich zunächst zu deiner Geschichte, aber ich gestehe, ich habe ihn mittlerweile selbst revidiert. Ich hatte am Anfang Schwierigkeiten damit, dass die alte Frau sich am Ende erhängt. Ich fand so beim ersten Blick, dass sie sich jetzt nicht umbringen dürfte, trotz der Isolation, sie hat doch gerade wieder Kontakt zu den Menschen gefunden, die kleine Inga knüpft doch diesen Kontakt, Hedda kann sich in ihr wiederentdecken, das ist doch etwas Schönes. Ich wollte wohl einfach nicht, dass Hedda sterben soll. Im Nachhinein muss ich ein wenig lachen, denn da hab ich wohl zu sehr von mir aus gedacht und von meiner Sicht auf die Welt. Ich habs mal trotzdem so geschrieben, vielleicht kannst du was damit anfangen.
Wenn ich mich innerlich in deine Geschichte hineinbegebe, in die alte Hedda, dann ist ihr Tod wohl sehr folgerichtig. Leider. Diese Frau hat ja jahrelang in der Isolation gelebt, sie hat die Menschen gemieden und die Menschen sie. Irgendwann vor sehr langer Zeit hat ihr jemand eine Wunde geschlagen, ein Mann, die Männer, vielleicht ihr eigener Vater, nehme ich an. So, wie sie Ingas Vater zur Spinne macht und wie sie ihre eigenen Ängst in Inga und in den Vater von Inga hineinprojiziert. Irgendetwas jedenfalls hat sie so in die Einsamkeit getrieben, dass sie da nicht mehr rausfindet. Durch das Zusammentreffen mit Inga wird alles wieder aufgewühlt, aber sie hat keine Kraft mehr, tatsächlich sich zu rächen.

Meine Zunge liegt wieder im Mund begraben. Geschwollen und dick. Doch die Lippen sind rissig, formen jede Nacht Worte. Meine Hände greifen ins Dunkel.
Packen zu.
Ich sehe Inga in den Schatten meiner Hütte, ich sehe ihren Vater auf acht Beinen. Ihren Bruder. Ich sehe all die Männer und die Narben, die sie reißen, wenn es ihnen danach ist und ich denke: Was glaubt ihr, wer ihr seid. Und: Was bildet ihr euch ein. Und: Wenn ich nicht so alt wäre!, und passt besser auf!, noch habe ich Kraft!, und ich stehe auf, Frau wie ein Baum, schnüre die Schuhe, nehme das Messer. Ich gehe zur Tür raus und schmecke Kälte, höre die Nacht, höre mich lachen, und da presse ich die Lippen aufeinander, mit Gewalt.
Hier steht ja eigentlich alles. das, was sie die ganze Zeit nicht anrühren wollte und konnte, das wird durch Inga aufgerührt. Sie sieht sich selbst in Ingas Spiel und in Ingas Angst. Jetzt endlich will sie sich wehren, aber sie hat die Kraft nicht mehr.
Beiße mir die Wangen wund, bis ich blute. Bis ich Eisen schmecke. Und gehe zurück in die Hütte.

Ja, da ist das folgerichtig, dass sie sich tötet.

So eine furchtbar traurige und leider zeitlose Nebelgeschichte. Sie spielt zwar irgendwann vor langer, langer Zeit, aber das Thema, ist leider Gottes immer noch sehr aktuell.
Grau, melancholisch, und sehr verwoben mit der Natur geschrieben und sehr empfehlens wert zum lesen.
Bis die Tage
Novak

 

Hallo @Bas

Toll, dass du dich als Erster getraut und deinen Hut in den Ring geworfen hast.
Ich lese deine Geschichte als eindringliches Psychogramm über eine alte, vereinsamte Frau, die über den Kontakt zu der Schwester von Ruben erst richtig begreift, wie einsam sie ist. Das Thema der Geschichte: die Einsamkeit, aber mystisch verbrämt. Als Leser fühle ich mich halb und halb dazu gedrängt, an die Version Rubens zu glauben, dass die Alte vielleicht doch eine Hexe ist.
Wo die Ursachen liegen, deutet sie zum Schluss an. Sie ist als Kind schon alleine gelassen worden.

Mir gefallen einige schöne Formulierungen und Vergleiche, zum Beispiel das Motiv des Porlings, der die Birke faulen lässt. Sie lässt sich gut lesen und regt zum Nachdenken an. Allerdings - wenn die Gedanken dann ins Leere laufen, wie bei mir, fehlt die Belohnung.
Du setzt am Anfang starke Marker, die Geschichte mit dem Henker, die Schlinge um den Hals. Das sind doch Wegweiser, die aber nirgendwohin führen und mich nur verwirrt haben.

Es gibt für mich auch zu viele Warums. Warum glaubt Ruben an diese Geschichte mit dem Henker, woher hat er das? Warum wird denn plötzlich das Mädchen von der Alten so magisch angezogen? Weil es der Plot so will? Das sind Risse im Gefüge, welche die teilweise schönen Bilder aus meiner Sicht nicht übertünchen können.

Womit ich zum Erzählton der Ich-Erzählerin komme. Das liest sich teilweise - ich formuliere es mal überspitzt - als hätte sie mindestens ein Semester Germanistik studiert, sie verwendet gekonnt Ellipsen, findet mehr oder weniger originelle Vergleiche, das passt für mich nicht zur Figur. Einige Vergleiche finde ich zu bemüht (von der Ich-Erzählerin, einer alten einsamen Frau, die am Rand des Dorfes dahinvegetiert!)

Beispiele:

Das empörte Kopfschütteln des Unkrauts, empört über das Kind, das da zwischen ihm liegt und Schutz sucht.
Vier und vier. Finger wie Schattenraupen auf meinem Fensterbrett.
Noch so ein bemühtes Bild: Natürlich dürfen es nicht einfach nur Raupen sein. Nein, Schattenraupen! Das liest sich viel toller.

Hier noch Kleinigkeiten:

Das einzige, was ich gesehen habe, war Inga.
Das Einzige
Denn wie ich die Birke kenne, kenne ich auch das Gestrüpp, das wuchernde Unkraut
Gestrüpp reicht doch. Wucherndes Unkraut eben.
die geflochtenen Zöpfe rauschen wild über die Schulter.
Lass sie lieber wirbeln. Würde doch besser passen, oder?

Grüße
Sturek

 

Moin @Bas ,

nur ganz kurz (ich drücke mich noch ein bisschen vorm schreiben meiner Geschichte)

Mir ist klar, das dies hier ein Botanikabriss ist, dennoch frage ich mich, ob man von Fäulnis spricht, wenn das Pilzmyzel den Baumstamm verzehrt.
Ich rede mich damit raus, dass die Erzählerin keine Botanikerin ist. Sie beobachtet und deutet :Pfeif:
Das ist auch so absolut in Ordnung, ich war gestern echt pingelig.

Na ... Also ... Dass sie ihre eigenen Gedanken auf Inga überträgt, sich selbst in ihr sieht. Und beides zusammen führt dann zu diesem Urteil.
Ja, so habe ich es auch gelesen, neige aber selbst eher zum zweifeln, daher wohl meine Reaktion.

Wie kryptisch die Geschichte ist und dass man nicht durchsteigt. Dabei habe ich mir diesmal tatsächlich vorgenommen, einfach eine halbwegs simple Geschichte zu erzählen, ohne irgendwelche Formexperimente
Dann bist du nachweislich schon auf einen tollen Niveau, wenn das eine einfache Geschichte ist :-).
die alte Hedda, geplagt von den Geistern ihrer Vergangenheit, hat sich in ihrem Leben eingerichtet, als Inga auftaucht, ihre Gedanken ins Rollen bringt, die Geister aufscheucht - was Hedda nicht erträgt und der Sache ein Ende setzt. Kommt das denn rüber? Oder bin ich irgendwo falsch abgebogen, sind die Bilder zu krumm?
Im großen und ganzen habe ich die Geschichte auch verstanden, erfühlen können. Aber ich zeige Dir gleich nochmal die beiden Stellen, an denen ich falsch abgebogen bin.

Ja und wie schon erwähnt, dass dir das verschlossen bleibt, das lässt mich doch ziemlich zweifeln, denn so wie ich den Text lese, steht das da schwarz auf weiß: Dass sie ihre schlechten Erfahrungen mit Männern auf Inga überträgt und dann kippt etwas, sie kommt zu dem Schluss, Inga schützen zu müssen, greift zum Messer, macht sich auf den Weg ... Und kommt doch noch zur Einsicht, dass das kein gesundes Verhalten ist. Und dass das, was da in ihr schlummert, vielleicht nicht gesellschaftsfähig ist. Und deshalb schmeißt sie die Oma vom Balkon,
Ich denke, hier kommen dann Erwartungs- und Erfahrungswerte mit ins Spiel, da musst du überhaupt nichts ändern, dann das liegt beides auf Seite des Lesers.
Ich habe die zwei Zeilen mit negativen Männerzeichen nicht so hart gelesen und kann daher ihrer Intention nicht ohne weiteres folgen. Ich bräuchte den Auslöser also deutlicher.
Die Aufhängszene, aber noch viel mehr den Prozess dorthin habe ich absolut als Thema erfüllt gelesen, also meinerseits gab es keine Zweifel am Challengebeitrag.

Ich danke dir sehr fürs aufmerksame Lesen und drücke die Daumen für deinen eigenen Beitrag zur Challenge - ich bin gespannt und hoffe auf viel Grünzeug!
Lieben Dank! Ich gebe mir im Gegenteil ganz viel Mühe, ohne viel Grünkram auszukommen. Aber jetzt, wo du es sagst :Pfeif:

Jeder im Dorf kennt die Hedda mit dem Strick um den Hals. Aber nur der kleine Ruben weiß Bescheid. Dass man die alte Hedda schon vor dreihundertunddreiundvierzig Jahren zum Tod am Galgen verurteilt hat. Sie aber nicht sterben wollte. Sie nicht mal mit den Beinen gezappelt hat, nur die Lippen haben sich bewegt, während sie jedem der Schaulustigen in die Augen gestarrt und sie für alle kommenden Generationen verflucht hat, alle außer den Henker, den hat sie vergessen.
Ich glaube, ich bin am Anfang auf eine falsche Spur geraten und habe sie nicht mit dem Ende sauber zusammenbekommen.
Diesen ersten Absatz lese ich so: Gegenwart! Hedda ist eine Sagengestalt der Gegend/Dorf, sehr lange her, spukt dort jetzt herum - für mich war Hedda hier ein Geist
Und somit später hatte ich im Kopf einen Sprung, Hedda in der Vergangenheit, reales Leben (halt 343 Jahre vorher :-))
Ich habe also nicht die Personen richtig zugeordnet, weil ich im Kopf getrennte Zeiten hatte. Mag aber trotz aufmerksamen Lesens einfach eine Unaufmerksamkeit sein.

Ich sehe Inga in den Schatten meiner Hütte, ich sehe ihren Vater auf acht Beinen. Ihren Bruder. Ich sehe all die Männer und die Narben, die sie reißen, wenn es ihnen danach ist und ich denke: Was glaubt ihr, wer ihr seid. Und: Was bildet ihr euch ein.
Wie gesagt, auf böse Männer und irgendwas schlimmes bin ich hier nicht gekommen. Jedenfalls nicht im Sinne von Messer zücken und mit erstechen lösen. Das aufhängen habe ich daher auch "nur" als ein - ich will nicht mehr gewertet.
Vielleicht hilft dir das beim besser einordnen meiner kleinen Probleme, ich sehe sie sie aber eher bei meinem Leseverständnis und nicht bei deinem Schreiben.

Liebe Grüße
witch

 

Hallo @Bas ,


Als Leserin vom Schattenfedka wollte ich hier auch vorbeischauen. Gratuliere, dass du der erste Omaschmeißer bist. :D

Deine Geschichten haben eine Art Leichtigkeit in ihrer Machart, dass sie sich fast ein wenig anfühlen wie "Steine flitschen", also flache Kiesel über eine Wasseroberfläche springen zu lassen. Das beinhaltet auch eine gewisse Geschwindigkeit, der Schwung, den es zum mehrmaligen Aufditschen der Kiesel braucht. Im Gegensatz dazu verlaufen bei dir unter der Oberfläche aber Verbindungen zwischen den Kontaktpunkten, das wirkt scheinbar mühelos.

Am ersten Absatz gefällt mir, wie ein Bild vom kleinen Jungen kippt, von einem scheint's Verbündeten, wenn man nur die ersten beiden Sätze liest, bis hin dann zum Richter: Sie ist eine Hexe, und nur der kleine Ruben weiß Bescheid. Hin zum aberwitzigen Detail des Henkers, aber der Ton, wie Dorfgerede klingt, ist im letzten Satz famos getroffen.
Die Erwachsenen wissen, dass Ruben Schauermärchen erzählt, aber die anderen Kinder nicht und auch diese Kinder werden groß. Ist ein schönes Beispiel dafür, wie etwas als harmlos abgetan wird, das den Grund für einen Flächenbrand legt. Das ist so der erste Punkt der Geschichte der "männlich-dominanten Narrative", die du in der Geschichte behandelst. Es kann ein Narrativ sein, das ihr Schicksal bestimmt, ihre Ermordung vielleicht, wie es bei der Hexenverfolgung ja auch geschehen ist.

Die Beschreibung des Frühlings anhand der Birke stellt wenigstens jahreszeitlich den längsten Teil des Textes. :shy: Vielleicht hatte die Hedda auch einen schönen Frühling, wenn's sich jetzt auch nicht ganz so liest. Gefolgt vom Sommer, die längsten Tage.
Ich mag die Beschreibung der Birke durch die Jahreszeiten. Vor allem, da es auch inhaltlich wieder aufgegriffen wird wie im Aufkochen der Birkenblätter, ist ja etwas, das damaligen Hexen vorgeworfen wurde: Pflanzenheilkunde bzw. die Unterstützung einer Heilung durch pflanzliche Substanzen und das Wissen darüber.

Ich weiß so vieles und nichts davon hilft.
Das ist ein großartiger Satz, finde ich.
Ein unausgesprochenes Geheimnis. Ich weiß, dass der Porling den Stamm faulen lässt, er macht das Holz von innen heraus brüchig, ich könnte rausgehen mit meinem Messer und ihn abschneiden, man kann den Porling auch essen, aber das Holz würde weiter verfaulen.
Das lese ich als Hinweis auf die Wunden und Schädigungen, die sie in ihrem Leben durch Männer erfahren hat und von denen später die Rede ist. Das Herunterschlucken müssen, das nichts sagen und aber von innen heraus zu verfaulen, zu verfallen.

Beim ersten Lesen habe ich gedacht, als das Mädchen in ihrem Leben auftauchte, dass es ein Eindringling ist in die still gewordene Welt der Hedda.
Den Kontakt zu sich scheint Hedda allenthalben nicht verloren zu haben: als sie Inga spielen sieht, weiß sie, was in etwa in dem Kind vorgeht, aus einem vergangenem Erleben heraus, nehme ich an. Das ist ja wichtig, manche in Heddas Stimmungs- und Lebenslage, und die währt ja schon lange, hätten oder haben diesen Kontakt vielleicht bereits verloren.

Ingas Schreckhaftigkeit ist vielleicht ein Zeichen des Wachsam-Sein-Müssens, vielleicht hat Hedda ja Recht und das Kind fürchtet sich vor seinem Vater. Manches im Text habe ich erst beim dritten Lesen entdecken oder einsortieren können, was nicht per se schlimm ist, aber ich hatte beispielsweise Ingas Rolle nicht richtig beachtet. Auch das spätere Vorhandensein in den Schatten in Heddas Hütte.

Du Dummi, wovor hast du Angst. Und ich wüsste einiges, würde sie fragen. Es gibt Winkel in meinem Kopf, da halte ich mich fern.
Das ist eine der wenigen Stellen, an denen ich hängen geblieben bin. Es liegt am zweiten Satz, denke ich, das ist zu knapp inhaltlich für mich und zu vage. Wüsste einiges, wovor sie (Inga) Angst haben könnte oder sollte? Und sie würde sie fragen, ob sie diese Dinge kennt? Du siehst, ich kapier's nicht.
Im Sommer ist das Laub der Birke sattgrün. Die Blätter glänzen. Reflektieren das Licht und zaubern gelbe Punkte an die Wände der Hütte.
Hier frage ich mich, ob Hedda das so sagen würde, wenn auch nur für sich und den Leser - "zaubern". Und ob das nicht ein wenig drüber ist, gemessen an ihrer Stimmung und Wahrnehmung. Freilich kann es aber etwas sein, das sie besonders mag, Licht. Sie beschreibt ja auch genauer den Lauf der Sonne und die Bewegungen von Licht und Schatten in der Hütte. Trotzdem würde ich die Stelle runterschrauben, denke ich.
Im Sommer ist das Laub der Birke sattgrün. Die Blätter glänzen. Reflektieren das Licht und zaubern gelbe Punkte an die Wände der Hütte.
Das Fenster steht offen, lässt Luft herein und Geräusche. Ich höre die Blätter rascheln, aber nicht alle Zweige rascheln mit. Manche sind kahl, die Blätter abgenagt von glänzenden Käfern.
Zweimal "glänzen" auf engem Raum. Wahrscheinlich Absicht, aber als Gedankenanstoß: vielleicht können die Käfer auch schimmern oder so etwas.
Es ist Abend, die Sonne steht tief und die Schatten ihrer Beine werfen kreisende Mühlräder an meine Wände, schneiden durch gestapelte Töpfe und Teller und fast erwarte ich, dass alles umfällt. Ich sitze da, angespannt. Lächerlich, ich warte auf das Klirren und das Poltern und am liebsten würde ich schreien, auch um sie zu verjagen, das Mädchen, Inga.
Für mich eine der besten Stellen und Bilder. :herz:
Hier ist dein Blag, nimm sie mit! Und überhaupt, hat sie kein Zuhause, warum treibt sie sich hier herum, was will sie hier, sie soll mich in Ruhe lassen, ich brauche Ruhe!
"hat sie kein Zuhause" würde ich rausnehmen, der Ausdruck ist meines Erachtens noch recht jung, das passt für mein Dafürhalten nicht zur Greisin und in ihr sehr dörfliches Setting.
Wenn die Zunge zu lange im Mund liegt, wird sie dick, schwillt sie an. Wenn die Lippen zu lange aufeinandergepresst werden, kleben sie aneinander. Ziehen Fäden, wenn der Mund sich dann öffnet, rosa Haut, die spannt und einreißt, und die Worte kommen an Land wie Kaulquappen, gehören nicht hier her.
»Dann muss ich deinen Bruder zu Suppe machen.«
»Hihi!«, machen die kleinen Raupen da und fallen nacheinander vom Fensterbrett, vier und vier und zwei wippende Zöpfe, die im Dunkeln verschwinden.
Die Stelle ist auch toll!
Ich sehe Inga in den Schatten meiner Hütte, ich sehe ihren Vater auf acht Beinen. Ihren Bruder.
Dem Bild habe ich zu wenig Beachtung geschenkt am Anfang. Beim ersten Lesen habe ich den Suizid nicht einordnen können, mittlerweile gelingt's aber.
Ich gehe zur Tür raus und schmecke Kälte, höre die Nacht, höre mich lachen, und da presse ich die Lippen aufeinander, mit Gewalt.
Das ist auch besonders schön und ich kann mir die Sinneswahrnehmungen gut vorstellen, wenn es auch nicht die gängigen sind in Kombination mit den Substantiven.
Und Ruben weiß Bescheid. Ruben weiß, dass Birken alt werden können. Dreihundertundvierunddreißig Jahre und älter. Das weiß er aus einem Märchen.
Nochmal ein Schließen der Klammer, wie seriös schädliche Narrative sein mögen.

Mir hat die Geschichte sehr gefallen, einer der stärksten Texte, die ich bislang von dir kenne. :)

Viel Erfolg im Challengeland und viele Grüße,
Helen

 

Hallo @Novak,

was für eine Wohltat. Schon deinen Namen zu lesen. Mich zurückzuerinnern an den Käferkönig.

Ich selbst schreibe nicht mehr

Wie schade - aber du wirst deine Gründe haben.

Dein Kommentar kam gerade zum rechten Zeitpunkt, ich habe nach den ersten Kommentaren sehr mit der Geschichte gehadert und befürchtet, an zu vielen Stellen falsch abgebogen zu sein. Na und dann kommst du und erzählst mir die Geschichte, die in meinem Kopf nur noch aus durcheinandergewürftelten (Ab-)Sätzen bestand, noch mal neu, von vorne bis hinten, genau so, wie ich sie beim Schreiben im Kopf hatte. Ich will sagen: Dass du die Geschichte so gelesen hast, wie ich sie vor Augen hatte, hat das wacklige Fundament für mich gefestigt, hat all die Risse gekittet. Danke dafür.

Einen Einwand hatte ich zunächst zu deiner Geschichte, aber ich gestehe, ich habe ihn mittlerweile selbst revidiert. Ich hatte am Anfang Schwierigkeiten damit, dass die alte Frau sich am Ende erhängt. Ich fand so beim ersten Blick, dass sie sich jetzt nicht umbringen dürfte, trotz der Isolation, sie hat doch gerade wieder Kontakt zu den Menschen gefunden, die kleine Inga knüpft doch diesen Kontakt, Hedda kann sich in ihr wiederentdecken, das ist doch etwas Schönes. Ich wollte wohl einfach nicht, dass Hedda sterben soll. Im Nachhinein muss ich ein wenig lachen, denn da hab ich wohl zu sehr von mir aus gedacht und von meiner Sicht auf die Welt. Ich habs mal trotzdem so geschrieben, vielleicht kannst du was damit anfangen.

Kann ich auf alle Fälle, denn genau diesen Gedanken hatte ich selbst auch. Ich habe Hedda von Anfang an dort hängen sehen, das war eines der ersten Bilder, das ich mit dem Challengethema verknüpft habe. Aber gleichzeitig, aus Autorensicht, fand ich das auch sehr unbefriedigend, in meinen Geschichten wird gefühlt ständig gestorben und (selbst-)gemordet, aber das erscheint mir so einfach ... Als würde ich dem Text selbst nicht vertrauen. Deshalb wollte ich dann auch "deinen" Weg gehen, Inga sollte sie aus der Einsamkeit befreien, das unschuldige Kind macht Schwarz wieder Weiß, wie schön! Aber ich gebe die Kontrolle gerne ab beim Schreiben, beobachte, was mein Unterbewusstsein verzapft, und es sollte wohl einfach nicht sein. Mir ging es also genau wie dir, ich selbst hätte unglaublich gerne gesehen, wie Hedda Ingas Quasi-Oma wird.

Trotzdem war ich mir unsicher, ob der Text genug anbietet, um da keinen Deus ex machina Eindruck einstehen zu lassen, deshalb ist das hier

Wenn ich mich innerlich in deine Geschichte hineinbegebe, in die alte Hedda, dann ist ihr Tod wohl sehr folgerichtig. Leider. Diese Frau hat ja jahrelang in der Isolation gelebt, sie hat die Menschen gemieden und die Menschen sie. Irgendwann vor sehr langer Zeit hat ihr jemand eine Wunde geschlagen, ein Mann, die Männer, vielleicht ihr eigener Vater, nehme ich an. So, wie sie Ingas Vater zur Spinne macht und wie sie ihre eigenen Ängst in Inga und in den Vater von Inga hineinprojiziert. Irgendetwas jedenfalls hat sie so in die Einsamkeit getrieben, dass sie da nicht mehr rausfindet. Durch das Zusammentreffen mit Inga wird alles wieder aufgewühlt, aber sie hat keine Kraft mehr, tatsächlich sich zu rächen.

auch ein superwichtiges Feedback.

Also, noch mal, tausend Dank für deinen Leseeindruck, der mich selbst sehr versöhnt hat mit der Story. Und ich würde mich wahnsinnig freuen, wieder öfter mal etwas von dir zu lesen, es müssen ja keine Geschichten sein, auch mit Kommentaren wie diesem kannst du sehr viel bewirken.

Hallo @Sturek,

vielen Dank für deinen Kommentar. Freut mich, dass du dich grundsätzlich gut zurechtgefunden hast. Grundsätzlich, weil du ja auch offene Fragen hast, hier:

Du setzt am Anfang starke Marker, die Geschichte mit dem Henker, die Schlinge um den Hals. Das sind doch Wegweiser, die aber nirgendwohin führen und mich nur verwirrt haben.

Es gibt für mich auch zu viele Warums. Warum glaubt Ruben an diese Geschichte mit dem Henker, woher hat er das? Warum wird denn plötzlich das Mädchen von der Alten so magisch angezogen? Weil es der Plot so will? Das sind Risse im Gefüge, welche die teilweise schönen Bilder aus meiner Sicht nicht übertünchen können.


Ich verstehe deine Fragezeichen. Ja, es gibt viele Warums, Risse im Gefüge, wie du sie nennst, und ich kann nachvollziehen, dass das unbefriedigend wirken kann. Aber was wäre in deinen Augen die Lösung des Problems? Weniger Warums? Oder eine eindeutige Antwort auf jedes davon?

Nicht ganz nachvollziehen kann ich deine Beispiele, also warum dich das stört.
Warum glaubt Ruben an diese Geschichte? Warum nicht? Ich vermute, er hat sie selbst erfunden, er ist ein Kind, er hat Fantasie, er kann sich damit vor den anderen interessant machen - ich weiß etwas, das ihr nicht wisst, ätschibätsch ...
Warum wird Inga von der Alten angezogen? Warum nicht? Der Text deutet an, dass sie dort wunderbar allein sein kann, Kind sein kann, und ihr Bruder, den sie nicht mag, behauptet, Hedda ist eine Hexe. Wenn sie dort also den ganzen Tag spielt und nicht im Suppentopf landet, dann ist ihr blöder Bruder wohl doch nur ein Dummschwätzer, ätschibätsch ...

Das könnte der Text deutlich erzählen, ja. Ich könnte den Text ausbauen und offene Fragen beantworten oder einfach weniger Fragen aufwerfen - ich wünsche mir aber, dass man die Antworten zwischen den Zeilen lesen kann, hoffe, dass das Vage den Text ausmacht.

Dass das bei dir nicht aufgeht, fuchst mich, klar, ich will jeden Leser mitreißen, deshalb werde ich auch weiter über deine Worte nachdenken und überlegen, welche Risse vielleicht doch zugeputzt werden sollten.

Womit ich zum Erzählton der Ich-Erzählerin komme. Das liest sich teilweise - ich formuliere es mal überspitzt - als hätte sie mindestens ein Semester Germanistik studiert, sie verwendet gekonnt Ellipsen, findet mehr oder weniger originelle Vergleiche, das passt für mich nicht zur Figur. Einige Vergleiche finde ich zu bemüht (von der Ich-Erzählerin, einer alten einsamen Frau, die am Rand des Dorfes dahinvegetiert!)

Auch das ist etwas, worüber ich noch länger nachdenken muss. Mein erster Impuls ist: Der Text ist keine Rollenprosa (falls das in dem Zusammenhang der richtige Ausdruck ist). Klar, Hedda erzählt in der ersten Person, man ist in ihrem Kopf, aber die Erzählerrolle ist nicht absolut für mein Empfinden, am Anfang und am Ende ist man zum Beispiel ganz raus aus Heddas Kopf.

Wenn ich jetzt, im Nachhinein darüber nachdenke, glaube ich, dass ich das in der Vergangenheit oft anders gelöst habe: Ein Erzähler, der mindestens genauso nah am Protagonisten ist wie hier bei Hedda, aber in der dritten Person erzählt. Und der deshalb wohl auch einfacher damit durchkommt, wenn er sich germanistikstudierend ausdrückt :D
Spannend, darüber nachzudenken. Ich schaue mal, ob das für diesen Text hier noch Auswirkungen hat (Switch auf dritte Person?) oder das eher etwas ist, das ich in Zukunft stärke bedenke.

Danke jedenfalls für die Anregungen, hat mir gut Denkfutter gegeben, und auch für die Kleinigkeiten. Hier:

Das einzige, was ich gesehen habe, war Inga.

Das Einzige

erinnere ich mich nur dunkel an meine Schulzeit und dachte, dass sich das "einzige" in dem Fall konkret auf "Inga" bezieht, somit also nicht substantiviert wird, weil Inga ja schon substantiviert ist :shy: Falls hier zufällig ein Germanistikstudent mitliest und auflösen möchte ... Immer gerne ...

Bas

 

Hallo @Bas,

wie schön, dass du den Reigen eröffnet hast, Bas. Auch ich bin begeistert von deiner Geschichte. Die hat Wucht, Tragik und dann wieder so federleichte, bezaubernde Bilder.
Sie startet mit dem kleinen frechen Ruben, der sich Geschichten ausdenkt über die Hedda, die alleine lebt.

nur die Lippen haben sich bewegt, während sie jedem der Schaulustigen in die Augen gestarrt und sie für alle kommenden Generationen verflucht hat, alle außer den Henker, den hat sie vergessen. Weil der ja hinter ihr stand. Und der Henker war der Urururururgroßvater vom Ruben.
Wie kommt man auf so etwas?! Großartig. Man hört ihn förmlich plappern, da steckt Spaß am Grusel drin und eine Chance sich wichtig zu machen.
Im Frühling tanzt die Birke vor dem Fenster. Aufgeregt, weil etwas passiert. Die schuppigen Kätzchen an den Enden der Zweige pendeln im Wind hin und her, klopfen gegen die Scheibe, als wollten sie sagen: Komm raus zum Spielen, wie früher.
Aber ich bin zu alt.
In Wahrheit ist die Hedda eben keine Hexe, sondern eine alte Frau, die schlimme Verletzungen und Erinnerungen, auch Wut mit sich herumträgt. Und das kleine Mädchen noch in sich fühlt, wenn die Birke ans Fenster klopft.
Ich weiß so vieles und nichts davon hilft.
ich könnte so vieles, wenn ich könnte.
Was mir auch auffällt, ist so ein treibender Rythmus, Wiederholungen von Themen, von Redensarten. Das ist so komponiert, ja irgendwie hat dein Text etwas Musikalisches. Inhaltlich ist hier schon so sehr die Resignation da, eine vormalige Kraft, die nun gebrochen ist.
Am Stamm der Birke sitzt ein Porling. Ein dicker, weißbrauner Pilz. Wie ein Mund. Zwei aufeinandergepresste Lippen. Ein unausgesprochenes Geheimnis. Ich weiß, dass der Porling den Stamm faulen lässt, er macht das Holz von innen heraus brüchig, ich könnte rausgehen mit meinem Messer und ihn abschneiden, man kann den Porling auch essen, aber das Holz würde weiter verfaulen.
Hier hast du mich persönlich erwischt. Der Porling. Wir müssen uns demnächst wohl auch von einer hundertzwanzigjährigen Blutbuche trennen, weil sie vom Riesenporling befallen ist, was ein großer Schock war. Und nun springt er mir wieder aus deiner Geschichte entgegen, der Porling. Er ist ja wirklich sehr imposant und der Vergleich mit den Zusammengepressten Lippen, das Geheimnis, das da im Inneren zerstörerisch wirkt, so wie die Verletzungen, die die Hedda in sich verbirgt, das passt.
Setzt einen Fuß vor den anderen und geht auf einer geraden, unsichtbaren Linie und ich denke mir: Jetzt hangelt sie über einen Abgrund. Sie dreht sich mit ausgestreckten Armen im Kreis und dabei hüpft sie und ich weiß: Jetzt kann sie fliegen.
Da ist sofort eine tiefe Verbindung. Hat etwas von Gedankenlesenkönnen. Es gibt so eine Linie von der alten Frau zu dem Mädchen, eine gemeinsame Kraft, aber auch die Erfahrung von Gewalt.
Du Dummi, wovor hast du Angst.
Super Kindersprache.
Du Dummi, wovor hast du Angst. Und ich wüsste einiges, würde sie fragen. Es gibt Winkel in meinem Kopf, da halte ich mich fern.
Ja, die Alte weiß was Schlimmes geschehen kann.
Das Mädchen schlägt Räder. Ich weiß es, ohne hinzusehen: Es ist Abend, die Sonne steht tief und die Schatten ihrer Beine werfen kreisende Mühlräder an meine Wände, schneiden durch gestapelte Töpfe und Teller und fast erwarte ich, dass alles umfällt. I
Das Bild der Schatten, immer wieder wunderbar neu. Bei dem fetten Satz bin ich mir nicht so sicher. Das Bild mit den kreisenden, schneidenden Mühlrädern ist schon stark genug, da muss man nicht noch nachdrücken, finde ich, aber das ist nur eine ganz kleine Irritation.
Vier und vier. Finger wie Schattenraupen auf meinem Fensterbrett. Ich sitze direkt daneben. Könnte sie berühren, die Raupen zerquetschen. Ich sitze an der Wand und bete, dass ihre Finger mich nicht sehen.
»Bist du eine Hexe?«, flüstert es da in den Raum hinein.
Ihr Kinn zwischen den Fingern. Die kleine Nase in der Hütte.
Und ich sage nichts. Zwei aufeinandergepresste Lippen. Schaue bloß. Zwei trübe Augen.
Ja, das macht Spaß einen Moment zu brauchen, bis man versteht, was gemeint ist, wie die Situation aussieht. Und die aufeinandergepressten Lippen, wie beim Riesenporling, das meine ich, wie du so Motive wiederholst, toll.
»Hihi!«, machen die kleinen Raupen da und fallen nacheinander vom Fensterbrett, vier und vier und zwei wippende Zöpfe, die im Dunkeln verschwinden.
Draußen zirpen die Grillen. Bis sich der Atem beruhigt. Bis ich das Fenster verschließe.
Ganz schön mutig, das Mädchen. Wie die kleinen Raupen fallen und die Zöpfe wippen, dieses Kindliche, Leichte in der Sprache. Und dann muss sich der Atem beruhigen. Da ist nichts leicht, obwohl die Hedda noch ruppige Witze machen kann.
»Dann muss ich deinen Bruder zu Suppe machen.«
Klasse. Wahrscheinlich hätte ich es so formuiert: "Dann muss ich wohl aus deinem Bruder Suppe machen."
Und wenn die schuppigen Kätzchen im Frühling dann noch ein letztes Mal hin und her pendeln und gegen die Scheibe klopfen, als wollten sie sagen: Komm raus zum Spielen, wie früher, wird keiner mehr antworten, denn jetzt pendelt auch die Hedda im Wind, die Hedda mit dem Strick um den Hals, mit offenen Augen,
mit Augen
so weiß.
Ja, dass das Mädchen sie nicht mehr "retten" wird, das ist schon richtig. Sie stirbt ja wie der Baum. Da ist schon seit Jahrzehnten der Porling und irgendwann ist die Kraft nicht mehr da, etwas entgegenzusetzen. Sie stirbt an etwas Altem, während die Kinder in ihren letzten Tagen irgendwie noch so um sie herumflattern und ihre Themen wiederspiegeln.
Und jetzt merke ich gerade, dass ich den Text gerne so lesen will, weil es noch leichter zu ertragen ist, wenn sie ohnehin unabwendbar auf ihr Ende zugegangen ist, als wenn der Auslöser für ihren Selbstmord gerade das kleine Mädchen ist und das, was sie bei ihr geweckt hat. Im Alter kommen viele Verletzungen, die man vorher verdrängen konnte, wieder hoch und das Mädchen dringt durch den Schutz, ohne, dass noch die Kraft da wäre mit dem fertig zu werden, was da kommt.
ch gehe zur Tür raus und schmecke Kälte, höre die Nacht, höre mich lachen, und da presse ich die Lippen aufeinander, mit Gewalt. Beiße mir die Wangen wund, bis ich blute. Bis ich Eisen schmecke. Gehe zurück in meinen Bau.
Ein hilfloser Versuch, der scheitert. Wie sie sich selbst zum Tier macht, welches sich dann zum Sterben verkriecht.

Ja, ein sehr beeindruckender Text, sehr traurig.

Liebe Grüße von Chutney

P.S.

Stünde dein Text nicht hier bei der Challenge, wäre ich sehr für eine Empfehlung! Oder geht das trotzdem?
Nach der Challenge kannst du den Text gerne empfehlen, Sammis. :)

 

Hallo @greenwitch,

vielen Dank für deine erneute Rückmeldung.

Ich denke, hier kommen dann Erwartungs- und Erfahrungswerte mit ins Spiel, da musst du überhaupt nichts ändern, dann das liegt beides auf Seite des Lesers.
Ich habe die zwei Zeilen mit negativen Männerzeichen nicht so hart gelesen und kann daher ihrer Intention nicht ohne weiteres folgen. Ich bräuchte den Auslöser also deutlicher.
Die Aufhängszene, aber noch viel mehr den Prozess dorthin habe ich absolut als Thema erfüllt gelesen, also meinerseits gab es keine Zweifel am Challengebeitrag.

Ja, ich finde auch, dass der Auslöser deutlicher sein könnte. Teil des "Problems" ist vielleicht, dass die Geschichte zwar in sich abgeschlossen ist und alleine funktionieren sollte - also zumindest war das mein Ziel -, mit dem Schattenfedka ja aber schon einen Quasi-Vorgänger hat. An diesem Punkt würde das Vorwissen aus dieser Story sicher nicht schaden, um Heddas Motivation besser greifen zu können ... Hm. Ich überlege noch, ob ich die beiden Storys vielleicht aneinandertackern sollte, aus zwei eins mache, ob das an manchen Stellen für das Verständnis wichtiger ist, als ich es bisher angenommen habe. Oder ob das die einzelnen Geschichten jeweils abschwächen würde.

Ich glaube, ich bin am Anfang auf eine falsche Spur geraten und habe sie nicht mit dem Ende sauber zusammenbekommen.
Diesen ersten Absatz lese ich so: Gegenwart! Hedda ist eine Sagengestalt der Gegend/Dorf, sehr lange her, spukt dort jetzt herum - für mich war Hedda hier ein Geist
Und somit später hatte ich im Kopf einen Sprung, Hedda in der Vergangenheit, reales Leben (halt 343 Jahre vorher :-))
Ich habe also nicht die Personen richtig zugeordnet, weil ich im Kopf getrennte Zeiten hatte. Mag aber trotz aufmerksamen Lesens einfach eine Unaufmerksamkeit sein.

Ah, klar, auch gut nachvollziehbar, deine Gedanken. Wobei der Text da ja auch schnell einen Riegel vorschiebt und sagt Blödsinn, das hat der Ruben sich bloß ausgedacht. Gleichzeitig aber sicher irgendwo das Fenter offen lässt, dass doch ein Fünkchen Wahrheit dabei sein könnte ...

Vielleicht hilft dir das beim besser einordnen meiner kleinen Probleme, ich sehe sie sie aber eher bei meinem Leseverständnis und nicht bei deinem Schreiben.

Ja, auf jeden Fall, vielen Dank, dass du das noch mal so deutlich aufgezeigt hast :)

Hallo @Helenesthe,

Deine Geschichten haben eine Art Leichtigkeit in ihrer Machart, dass sie sich fast ein wenig anfühlen wie "Steine flitschen", also flache Kiesel über eine Wasseroberfläche springen zu lassen. Das beinhaltet auch eine gewisse Geschwindigkeit, der Schwung, den es zum mehrmaligen Aufditschen der Kiesel braucht. Im Gegensatz dazu verlaufen bei dir unter der Oberfläche aber Verbindungen zwischen den Kontaktpunkten, das wirkt scheinbar mühelos.

Was für ein tolles Bild, gefällt mir sehr, und besonders, dass du es auf meine Storys beziehst :herz:

Den Kontakt zu sich scheint Hedda allenthalben nicht verloren zu haben: als sie Inga spielen sieht, weiß sie, was in etwa in dem Kind vorgeht, aus einem vergangenem Erleben heraus, nehme ich an. Das ist ja wichtig, manche in Heddas Stimmungs- und Lebenslage, und die währt ja schon lange, hätten oder haben diesen Kontakt vielleicht bereits verloren.

Ja, stimmt, spannende Beobachtung. Ich glaube, deshalb mag ich Hedda so, deshalb beschäftigt sie mich so. Weil sie zwar weitestgehend von der Gesellschaft abgehängt ist, sich dabei aber viel Menschliches bewahrt hat. Und deshalb tut mir persönlich das Ende auch weh, weil ich eigentlich noch so viel Potential sehe, wie sie ihr Glück finden kann ...
Ich habe früher schon mal einen Protagonisten (Gustaf) sterben lassen und dann im Nachhinein versucht, herauszufinden, wie es so weit kam, das hat großen Spaß gemacht, vielleicht kitzelt es mich noch mal.

Das ist eine der wenigen Stellen, an denen ich hängen geblieben bin. Es liegt am zweiten Satz, denke ich, das ist zu knapp inhaltlich für mich und zu vage. Wüsste einiges, wovor sie (Inga) Angst haben könnte oder sollte? Und sie würde sie fragen, ob sie diese Dinge kennt? Du siehst, ich kapier's nicht.

Es hat keinen Sinn, wenn die eigene Intention nicht beim Leser ankommt, deshalb schaue ich mir das noch mal an, aber das war schon halbwegs bewusst, dieser Bruch, auch sprachlich. Sie entwickelt diesen Gedanken und verwirft ihn im selben Augenblick schon wieder, bevor er richtig Form annehmen kann.

Hier frage ich mich, ob Hedda das so sagen würde, wenn auch nur für sich und den Leser - "zaubern". Und ob das nicht ein wenig drüber ist, gemessen an ihrer Stimmung und Wahrnehmung. Freilich kann es aber etwas sein, das sie besonders mag, Licht. Sie beschreibt ja auch genauer den Lauf der Sonne und die Bewegungen von Licht und Schatten in der Hütte. Trotzdem würde ich die Stelle runterschrauben, denke ich.

Guter Hinweis, da ist die hexige Zauberstimmung mit mir durchgegangen, jetzt wird das Licht an die Wand geworfen.

Zweimal "glänzen" auf engem Raum. Wahrscheinlich Absicht, aber als Gedankenanstoß: vielleicht können die Käfer auch schimmern oder so etwas.

Auch hier danke für den Hinweis, habe ich überarbeitet.

"hat sie kein Zuhause" würde ich rausnehmen, der Ausdruck ist meines Erachtens noch recht jung, das passt für mein Dafürhalten nicht zur Greisin und in ihr sehr dörfliches Setting.

Hier genauso.

Vielen Dank für deine Auseinandersetzung mit dem Text, jetzt bin ich sehr gespannt, was du challengetechnisch in den Ring wirfst :)

Bas

 

Ich weiß so vieles und nichts davon hilft.​

Hoppela, da kommt bei mir der Junge durch, der die Mythen- und Sagenwelten der Altvorderen vom Nil bis Vorderasien, von Süd- bis Nordeuropa „verschlang“, um im Mythos der Mississippi-Kultur eine ferne Variante der Sintflut zu entdecken und bei den Inkas zu stranden. Aber ist die „Hedda“ bewusst gewählt oder Zufall, wenn die „Hedda“ ihre Koseform verliert und zur Hedwig (Hedda + wig) wird – mit Hedda als Kurz- und Koseform insbesondere des teutschen Frauennamens Hedwig, der sich aus althochdeutsch „hadu“ (nhd: „Kampf“) und „wīg“ („Kampf“/„Krieg“/„Streit“ und/oder„Schlacht“) zusammensetzt. – also ein fröhliches Schlachten und Streiten verspricht oder doch eher droht (, je nach eigener Vorstellung),

lieber @Bas,

da passt auf jeden Fall in seiner Beschreibung der einleitende Satz

Jeder im Dorf kennt die Hedda mit dem Strick um den Hals.

Aber wie kommt der älteste Bruder des alttestamentarischen Joseph ins Geschehen (althochdeutsch „giskiht“ - das h ist nun nicht unser heutiges Dehnungs-h in der zwoten Silbe, sondern in Ermangelung eines Buchstabens für den Reibelaut eben das Symbol fürs heutige „ch“) und aus der Historie wird mit der Neuzeit die „erdachte“ Erzählung, wie wir sie heute kennen. Aber schon im kleistwürdigen Satz
… die Augen gestarrt und sie für alle kommenden Generationen verflucht hat, alle außer den Henker, den hat sie vergessen.
meine ich, dass das „außer“ nach dem Dativ verlangt, also „außer dem Henker“.

Aber auch den Kreuzzug „rettet das Ausrufezeichen“ kann ich hier ein bissken pflegen

..., als wollten sie sagen: Komm raus zum Spielen, wie früher[!]

Wasser holen am Brunnen noch, aber sonst bin ich hier, in meiner Hütte, sitze auf dem Stuhl neben dem Fenster oder liege im Bett.
Ich mein, dass das „Wasserholen“ inzwischen vereinigt ist ...

Und da sitze ich dann, auf dem Stuhl, während die Sonne weiter wandert.
Wir Deutschsprachigen müssen bekloppt sein, stöhnen über die Satzzeichen-, insbesondere Kommaflut und setzen – aus diversen vorgeschobenen Gründen, von denen die Atempause die schrägste ist – vor allem beim Lesen (bei der kurzen Karriere im Straßentheater am deutlichsten gespürt …).

Und dann das eigene Denken

Setzt einen Fuß vor den anderen und geht auf einer geraden, unsichtbaren Linie und ich denke mir: Jetzt …
Ja wem denn sonst?

Das Mädchen schlägt Räder.
Das gibt spätestens an meinem 'ne Anzeige ...
Muss es wirklich „Räder schlagen“ um „Rad zu schlagen“ – egal, wieviele Male ...

Hier ist dein Blag, nimm sie mit!
Das Blag … es¿, nimm's halt mit,

meint der Friedel

 

Oh Hallo @Bas,

danke für das Einstellen der Geschichte, sie hat mir außerordentlich gut gefallen!

Eben weil sie mir so gut gefällt, hat sich mir dann recht schnell die Frage gestellt, weshalb er für mich so gut funktioniert. Deshalb würde ich in meinem Kommentar die von Dir bei mir erzeugte Wirkung vermischen mit Annahmen darüber, wie Du diesen Eindruck handwerklich/strukturell erzeugt hast. Ich hoffe, mein Versuch einer kleinen Dekonstruktion ist für Dich in Ordnung.

Zunächst einmal hast Du für meinen Geschmack eine sehr gute Balance gefunden zwischen dem was Du zeigst, andeutest und auslässt. Dadurch erzeugst Du für mich automatisch eine gewisse Tiefe, ein Gefühl von Authentizität und natürlich gleichzeitig eine mysteriöse Aura, die zusätzlich durch das Hexen-Narrativ und die gesellschaftliche Isolation gestützt wird. Hinzu kommt der Kontrast der Perspektive einer alten, gequälten Frau mit der (scheinbaren) Unbekümmertheit eines Kindes, der dann durch die beidseitig vorhandenen Erfahrungen von Angst und Leid Stück für Stück aufgelöst wird.

Zweitens gefällt mir die Konstruktion des Textes auf einer rein strukturellen Ebene sehr gut. Die distanziertere Erzählhaltung in den Teilen I und VI bilden einen sehr schönen Rahmen und verleihen der Geschichte etwas märchenhaftes, wobei die mystisch angehauchten Informationen mir als Leser trotz ihres übertreibenden Tons sehr bei der Orientierung helfen.

Als nächstes ist mir die Wahl Deines Leitmotivs positiv aufgefallen – die Birken beziehungsweise die Natur. Durch die räumliche und soziale Isolation der Hedda wirken die kraftvollen Natureindrücke authentisch und nicht so, als würde gerade ein Autor durch das Ausleben seiner poetischen Ader der Geschichte zwanghaft etwas Tiefe verleihen wollen. Ich glaube vielen Erzählstimmen hätte ich das schlichtweg nicht abgekauft, aber hier passt das zu meiner Vorstellung, dass ihre Gedanken wahrscheinlich seit Jahren primär um die sie umgebende Natur (und auf einem unterbewussten Level vielleicht um das Verarbeiten ihres Leids) kreisen.

Viertens gelingt es Dir durch Deine Sprache außerordentlich gut, ein Gefühl von Dynamik zu erzeugen. Einerseits hätte ich Deine Geschichte als einen ruhigen Text beschrieben, vor allem durch das Setting, das Weglassen mancher Informationen, die relative Armut an Dialog und nicht zuletzt den schönen Naturbeschreibungen. Andererseits hat mich Deine Sprache direkt durch den Text gezogen und durch das Verwenden von Wiederholungen und Ellipsen erzeugst Du bei mir eine gewisse Dringlichkeit, die für mich die emotionale Last Heddas gut aufzeigt. Das gezielte Einsetzen dieser unterschiedlichen Motive und Hilfsmittel schafft so eine sehr schöne sprachliche Rhythmik. Bei den für mich ruhigen Naturbeschreibungen verwendest Du zum Beispiel teilweise “stärkere” Verben, die zur Prägnanz des Bildes beitragen, während das Denken Heddas durch einfache Verben und sich steigernde Anaphern für mich etwas manisches bekommt.

Daran angelehnt ist mein Empfinden, dass Du die einzelnen Sätze durch das Aufgreifen von etablierten Motiven extrem gut miteinander verknüpfst und dadurch den Lesefluss vereinfachst. Betont wird dies dadurch, dass Du die Satzenden so verschiebst, dass die satzübergreifenden Bezüge oft größer wirken, als die satzinternen. Hier mal ein Beispiel für das verknüpfende Aufgreifen von Motiven:


Im Sommer ist das Laub der Birke sattgrün. Reflektiert das Licht und wirft gelbe Punkte an die Wände der Hütte.
Das Fenster steht offen, lässt Luft herein und Geräusche. Ich höre die Blätter rascheln, aber nicht alle Zweige machen mit. Manche sind kahl, die Blätter abgenagt von glänzenden Käfern. Wieder andere rascheln ganz besonders.
Ich habe hier versucht die unterschiedlichen Motive/Sinneseinheiten farblich zu markieren. Das “Rascheln” beispielsweise greift für mich sowohl das durch “Geräusche” etablierten auditive Element sowie die von mir mit dem Einlassen der Luft assoziierte Bewegung auf.

Du siehst, ich bin begeistert! :D

Hier noch ein paar konkrete Anmerkungen:

Jeder im Dorf kennt die Hedda mit dem Strick um den Hals.
Toller Einstieg der direkt den mysteriösen Ton der Geschichte festlegt.

Die Erwachsenen wissen, dass der kleine Ruben bloß Schauermärchen erzählt. Und dass die Hedda in Wahrheit einfach verrückt ist. Sich den Strick selbst umgelegt hat, zu welchem Zweck auch immer, und jetzt also wie eine Kette um den Hals trägt, wenn sie doch mal ihre Hütte verlässt und zum Laden geht oder zum Brunnen. Und schon deshalb hält sich jeder im Dorf von ihr fern, egal ob groß oder klein.
Gefällt mir sehr gut, wie du im letzten Satz durch das “groß und klein” sowohl Ruben als auch die Erwachsenen noch einmal aufgreifst.

Im Frühling tanzt die Birke vor dem Fenster. Aufgeregt, weil etwas passiert. Die schuppigen Kätzchen an den Enden der Zweige pendeln im Wind hin und her, klopfen gegen die Scheibe,
Hier gefallen mir besonders die von Dir gewählten Verben.

Deshalb gehe ich auch nur noch zum Laden, nirgendwo sonst hin.
Habe überlegt, ob man das “sonst” eventuell vor das “nirgendwo” ziehen könnte.

Ich weiß, dass der Henkel meiner Tasse jeden Morgen einen Bogen auf den Tisch malt, das weiß ich, weil ich dann die Fingerspitze in den Bogen lege, bis er enger wird, bis die Schlinge sich zuzieht, und erst im letzten Augenblick ziehe ich den Finger wieder raus.
Tolles Bild!

Ich könnte mich an den Herd stellen und die Blätter aufkochen, ich weiß, das würde helfen gegen die Schmerzen, gegen die Entzündung, ich könnte so vieles, wenn ich könnte.
Toll, wie Du hier das “könnte” einsetzt.

Neben dem Porling sitzt ein Falter. Ein Spanner.
Auch ein interessantes Motiv, der Spanner, da Hedda in der Geschichte ja vor allem eine beobachtende Rolle zukommt (natürlich ohne das mit dem Spannen assoziierte sexuell erotische Element).

Jetzt sieht sie exotische und ausgestorbene Tiere, Hyänen und Mammuts. Mystische Wesen, Greifen und Drachen, ich weiß nicht, aber ich ahne, dass sie fortwill, etwas plagt sie, wen nicht.
Hier hast Du es für meinen Geschmack etwas übertrieben mit Deiner Interpunktion, weil mir die verknüpften Sinneseinheiten im zweiten Satz zu wenig Bezug zueinander haben.

Es ist Abend, die Sonne steht tief und die Schatten ihrer Beine werfen kreisende Mühlräder an meine Wände, schneiden durch gestapelte Töpfe und Teller und fast erwarte ich, dass alles umfällt
Sehr markantes Bild, das ich ihr genauso abkaufe.

Könnte rufen: Hier ist dein Blag, nimm sie mit!
Soll es Blag oder Balg heißen? Ich glaube bei uns würde man bei “Blag” ein “deine” daborsetzen.

Bis nur noch Schatten ist in der Hütte, bis das Kaninchen aus seinem Bau schlüpft.
Schön die potenzielle Klammer des nachtaktiven Kaninchens aufgebaut, die aber ebenso gut Teil der Naturbeschreibungen sein könnte.

Ich höre sie atmen. Sie raubt mir die Luft, als wäre es ihre.
Toll!

Gehe zurück in meinen Bau.
Sehr schön die angedeutete Kaninchen-Klammer geschlossen!

Ich weiß, dass der Porling den Stamm faulen lässt, er macht das Holz von innen heraus brüchig, ich könnte rausgehen mit meinem Messer und ihn abschneiden, man kann den Porling auch essen, aber das Holz würde weiter verfaulen.
Ich schätze, dass die Länge des ersten Satzes bewusst gewählt ist um das sprunghafte Denken Heddas zu veranschaulichen und einen stilistischen Kontrast zu den darauffolgenden teilweise extrem verkürzten Sätzen zu erzeugen, aber ich beim (lauten) Lesen hätte ich wahrscheinlich trotzdem einen Punkt nach “brüchig” gesetzt.

Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!

Takinios

 

Hallo @Chutney,

freut mich sehr, dich zu lesen :) Und wenn ich das richtig gelesen habe, bist du mitverantwortlich für die Challenge? Dann schon mal vielen Dank für die Inspiration (und auch an @Fliege an dieser Stelle)!

Das Bild der Schatten, immer wieder wunderbar neu. Bei dem fetten Satz bin ich mir nicht so sicher. Das Bild mit den kreisenden, schneidenden Mühlrädern ist schon stark genug, da muss man nicht noch nachdrücken, finde ich, aber das ist nur eine ganz kleine Irritation.

Guter Einwand, sehe ich genauso und habe es deshalb gestrichen.

Ja, dass das Mädchen sie nicht mehr "retten" wird, das ist schon richtig. Sie stirbt ja wie der Baum. Da ist schon seit Jahrzehnten der Porling und irgendwann ist die Kraft nicht mehr da, etwas entgegenzusetzen. Sie stirbt an etwas Altem, während die Kinder in ihren letzten Tagen irgendwie noch so um sie herumflattern und ihre Themen wiederspiegeln.
Und jetzt merke ich gerade, dass ich den Text gerne so lesen will, weil es noch leichter zu ertragen ist, wenn sie ohnehin unabwendbar auf ihr Ende zugegangen ist, als wenn der Auslöser für ihren Selbstmord gerade das kleine Mädchen ist und das, was sie bei ihr geweckt hat. Im Alter kommen viele Verletzungen, die man vorher verdrängen konnte, wieder hoch und das Mädchen dringt durch den Schutz, ohne, dass noch die Kraft da wäre mit dem fertig zu werden, was da kommt.

Ich finde es wunderbar, wie du (und auch viele andere hier) den Text liest, hier und auch in den vorangegangenen Anmerkungen, die ich nicht einzeln zitieren sondern einfach genießen möchte.
Das hat auch mein eigenes Denken in den letzten Tagen ziemlich verschoben, um ehrlich zu sein. Ich habe den Text geschrieben, es hat Spaß gemacht, ich fand ihn ganz gut, Punkt. Und jetzt lese ich, welche Gedanken das bei dir (und anderen) auslöst, du schreibst von Hedda wie von einem realen Menschen, dadurch wird sie auch für mich viel realer, da entwickelt sich so was wie eine Verantwortung: Ach so, ich wollte doch bloß ein bisschen Spaß haben ... Und jetzt nimmt das jemand ernst, nimmt Anteil an Hedda. Und ich gebe ihr so wenig Raum ...

Vielen Dank also für deine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Text, das gibt mir viel, auch über den Text hinaus.

Hallo @Friedrichard,

Aber ist die „Hedda“ bewusst gewählt oder Zufall, wenn die „Hedda“ ihre Koseform verliert und zur Hedwig (Hedda + wig) wird – mit Hedda als Kurz- und Koseform insbesondere des teutschen Frauennamens Hedwig, der sich aus althochdeutsch „hadu“ (nhd: „Kampf“) und „wīg“ („Kampf“/„Krieg“/„Streit“ und/oder„Schlacht“) zusammensetzt. – also ein fröhliches Schlachten und Streiten verspricht oder doch eher droht (, je nach eigener Vorstellung),

Zufall, und wie so oft einer, der mir gut gefällt :)

meine ich, dass das „außer“ nach dem Dativ verlangt, also „außer dem Henker“.

Ich will dir ja glauben, unbedingt, aber kriege es nicht in meinen Kopf herein ... sie hat alle außer dem Henker verflucht ... sie hat alle außer den Henker verflucht ... Jetzt klingt für mich beides falsch :shy: Ich verrenke mir weiter den Kopf und stelle den Satz am besten einfach um.

Vielen Dank für deine Flusenlese, Friedel, und bis bald!

Hallo @Takinios,

Ich hoffe, mein Versuch einer kleinen Dekonstruktion ist für Dich in Ordnung.

Na sicher! Ich finde das sogar ziemlich spannend, das sind ja Dinge, die beim Schreiben eher unterbewusst geschehen und über die man sich selbst nicht viele Gedanken macht. Nur fällt es mir schwer, viel darauf zu erwidern, stell dir also bitte einfach vor, wie ich das (mehrmals) sehr interessiert gelesen und dabei mit dem Kopf genickt und gedacht habe: Aha, so ist das, das hat mein Unterbewusstsein sich also dabei gedacht :shy: Und ich würde wirklich gerne mehr als ein bisschen Genicke zur Unterhaltung beitragen, um meine Dankbarkeit auszudrücken, nur fehlen mir die Mittel ... Aber ja, vielen Dank für deinen spannenden Kommentar!

Bas

 

Hallo @Bas,

du hast ja schon irre viel feedback bekommen und dann auch wieder gegeben. Ich kann dem eigentlich nichts Neues hinzufügen; alles, was mir beim Lesen durch den Kopf ging, war schon Thema. Nur noch so viel: Du hast einen außerordentlich feingewebten Text geschrieben, der auch bei mir eindringliche und mystische Eindrücke hinterlassen hat. Sehr gut!

während sie jedem der Schaulustigen in die Augen gestarrt und sie für alle kommenden Generationen verflucht hat, alle außer den Henker, den hat sie vergessen.

meine ich, dass das „außer“ nach dem Dativ verlangt, also „außer dem Henker“.
Ich will dir ja glauben, unbedingt, aber kriege es nicht in meinen Kopf herein ... sie hat alle außer dem Henker verflucht ... sie hat alle außer den Henker verflucht ... Jetzt klingt für mich beides falsch :shy: Ich verrenke mir weiter den Kopf und stelle den Satz am besten einfach um.

Zu diesem Thema, ob Dativ oder Akkusativ bei außer den Henker oder außer dem Henker gibt es einen kleinen Trick:
Man ersetze den fraglichen Teil durch mir bzw. mich, auch wenn das vom Sinn her völliger Schmarrn wird. Aber dann kann man erkennen, ob die Grammatik stimmt.
In deinem Fall läge @Friedel richtig, wenn sich der Henker auf das in die Augen starren beziehen würde: während sie jedem der Schaulustigen in die Augen gestarrt hat, außer dem Henker (außer mir) (sie hat jedem in die Augen gestarrt, außer mir).
Aber dein Satz geht ja weiter: ... in die Augen gestarrt und sie für alle kommenden Generationen verflucht hat, alle außer den Henker (hier bezieht sich der Henker auf das Verfluchen), also: sie für alle kommenden Generationen verflucht hat, alle außer den Henker (außer mich) (sie hat alle verflucht, außer mich).
Ich hoffe, ich konnte hier weiterhelfen ohne zu verwirren:confused:.

Ich drücke dir die Daumen für die Challenge!

Viele Grüße
Kerzenschein

 

Sie nicht mal mit den Beinen gezappelt hat, nur die Lippen haben sich bewegt, während sie jedem der Schaulustigen in die Augen gestarrt und sie für alle kommenden Generationen verflucht hat, alle außer den Henker, den hat sie vergessen.
Ich glaube, als ich das zum ersten Mal gelesen habe, habe ich es aber auch so ein bisschen als Kindersprache, die ja oft auch grammatikalisch etwas schief ist, aufgefasst und insofern auch gekauft. Also ich finde, der Ruben darf das schon.

Ansonsten mögliche Variante:
"Dass man die alte Hedda schon vor dreihundertunddreiundvierzig Jahren zum Tod am Galgen verurteilt hat. Sie aber nicht sterben wollte. Sie nicht mal mit den Beinen gezappelt hat, nur die Lippen haben sich bewegt, während sie jedem der Schaulustigen in die Augen gestarrt und ihn für alle kommenden Generationen verflucht hat. Außer dem Henker, den hat sie vergessen. Weil der ja hinter ihr stand. Und der Henker war der Urururururgroßvater vom Ruben."

Liebe Grüße von Chutney

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom