Moi Saiana,
dieses 'Offenlassen' von dem Du sprichst - es gibt verschiedene Varianten, und einige geben dem Leser Freiheit (was Du vorhattest) andere wirken vage (ich schliesse mich der allgemeinen Kritik an, auch wenn es langweilig werden sollte).
Du lässt hier gar keine Freiheit der Interpretation - Du lässt nur eine Charakterisierung weg. Daher wirkt der Prot flach und die Geschichte trotz des Pathos seicht.
Was Du vorgibst, und woraus ich als Leser nicht entkommen kann, weil es darueberhinaus schlichtweg nix gibt, ist die Sichtweise auf das Geschehen - und zwar eine starke Wertung durch den Erzähler.
Schau mal:
„Schatten, Schatten”, sie flüstern, „Schatten.” Sie spürt sie. Hinter ihr, vor ihr. Angst. Sie zwingt sich, ruhig zu bleiben. Schritt für Schritt, für Schritt.
Kalter Atem haucht ihr in den Nacken. Kalte Finger legen sich auf ihre Schulter. Nackte Angst.
Dunkelheit um sie herum. Sie zwingt sich, ruhig zu bleiben. Schritt für Schritt, für Schritt. Sie tastet sich durch die Dunkelheit. Ihre Finger zittern. Kalter Atem. Finger umschließen ihre Hand. Kalt. Tot. Totes Fleisch. Sie kann es riechen, spüren. Es hält ihre Hand.
„Komm”, flüstert es, „komm her.”
Sie geht mit. Schritt für Schritt, für Schritt. Es führt sie. Immer weiter in die Dunkelheit.
Kälte um sie herum. Das Leben entweicht. Kein Leben. Nur Tod. Tod, Kälte, Dunkelheit. Sie spürt es. Es zieht sie immer weiter in sein Reich. Immer weiter. Schritt für Schritt, für Schritt.
Licht. Sie kann es sehen. Am Ende. Licht. Tod hält ihre Hand. Umklammert sie. Sie will gehen. Muss gehen.
„Bitte”, flüstert sie.
Dunkelheit, Angst. Allein - für immer.
Sori fuer das Vollzitat.
Also: das sind keine Erzählungen im Sinne show don't tell, das sind ganz einschränkende, vorgebende Wertungen, die ich hier einfach gezwungen bin zu uebernehmen.
Ich kann hier keine Neugierde entwicklen, mir wird das vorgekaut, was ich zu denken habe:
Kalt, Angst, Dunkelheit, Tod, muss, spuert, will ... soso. So kann ich mir keine Charakterisierung denken - nicht, weil ich keine Phantasie hätte, sondern weil wertende Schlagworte alle Phantasie und Neugier töten.
Dazu kommt, dass beinahe jedes Wort und jeder Satz eine abgedroschene Phrase (ok, das ist tautologisch
) darstellen - und Phrasen geben nur den Anschein einer Aussage, aber sie lösen keine Gefuehle aus, weil sie nicht individuell, nicht nachvollziehbar, nicht persönlich genug sind. Man sagt daher auch 'hohle Phrasen'. Die heissen nicht so, damit der Leser sie selbst fuellt, sondern weil sie nix tatsächlich aussagen - und eine Kurzgeschichte sollte genau das tun: einen ganz individuellen Blick auf Handlung plus Charakter in einer dem angemessenen, individuellen Sprache erzählen.
Dies ist keine echte KG, sie wird nur durch die unzähligen Wortwiederholungen zu einem Text, der ueber 4 mehr oder minder statische Sätze hinausgeht. WW sind nicht nur schlechter Stil (weil billig, sori), sondern lassen eine Wirkung versanden anstatt sie zu verstärken.
Du schreibst ohne WW: Es ist dunkel, sie hat Angst, der Tod fasst sie an, sie sieht ein Licht, sie geht mit. Frage: Wieviele Emotionen weckt dieser eine Satz bei Dir? Keine, hab ich recht? Eben.
Hier wird nicht erzählt - hier werden Phrasen wiederholt bis es wehtut - nicht das interessante wehtun, wenn ein Text einem zu nahe kommt, sondern das 'aua, ungeschickt, so fluppt das nicht'.
Klar, Du hast es geschrieben, wie Du willst - aber: mach doch mal fuer Dich den Test (es muss ja nicht hier eingestellt werden) und schreibe die Szene mit Gefuehlen auf, wie Du sie empfindest, wie Du sie weitergeben möchtest. Ohne Phrasen, ohne abgenutzte Bilder, ohne Personifikationen, Schlagwörter. Ohne irgendetwas - weder im Wortlaut noch paraphrasiert / synonymisiert - doppelt zu sagen. Schau, was bleibt, was anders ist. Dann suche fuer Dich eine Sprache, die das in eigene Bilder fasst, in einen plot (das bedeutet, Du brauchtst etwas, das das Gewicht von Ansicht zugunsten von innerer/äusserer Handlung verschiebt).
Eine KG benötigt einen Konflikt - und entgegen dem ersten Eindruck ist das Sterben an sich kein Konflikt, auch nicht unbedingt eine Angst. Das sind Situationen, in denen sich jemand befindet. Ein Konflikt wird es, wenn der Prot in dieser Situation verschiedene Wege sucht, damit umzugehen, egal, ob er dann scheitert oder nicht. Wenn er eine Entwicklung durchmacht, die eine fuer den Leser nachvollziehbare Veränderung anzeigt - und zwar eine, die uber, 'ach, dann geh ich halt mit, da ist ja jetzt en Licht' hinausgeht.
Wenn ein Prot eine Leerstelle im Text ist, ohne Charakter/Charakterisierung, hilft es auch nicht, ein bissl Pathos drumrumzustricken. Das ist hier eine Prot-Leerstelle in einem hohle-Phrasen-Umfeld - wie soll da beim Leser was ausgelöst werden? Oder eine Verbindung hergestellt?
Was Du meinst, das Dein Text 'tut', passiert nicht beim Leser. Durch die Wahl Deiner Mittel, nicht, weil jemand von uns zu faul/doof wäre, die Figur mit eigenen Gefuehlen zu fuellen.
Versuchs doch mal, von dieser Seite zu sehen - vllt kannst du dann mit der Kritik mehr anfangen.
Herzlichst,
Katla