Moi Lina Lu,
und ein ganz herzliches willkommen auf KG.de!
10 Jahre alt? Damit bist Du wohl unsere jüngste Horrorautorin, klasse! Früh anfangen zu wollen, ist eine gute Idee, Du scheinst einen gesunden Ehrgeiz zu haben. Und Potential ist auf jeden Fall da.
Ich finde nicht, daß Du hier für den Anfang was falsch gemacht hast (und das sage ich nicht nur, um nett zu sein):
- Du übernimmst Dich nicht gleich mit zu komplexem Aufbau, aber hast es dennoch geschafft, eine Geschichte einzuleiten, mit einem Spannungsbogen auszuerzählen und zu Ende zu bringen. Da viele Leute die Auflösung 'ach, war alles nur ein Traum' nehmen, ist das Ende fein.
- Ein paar Fehler sind drin (hast ja schon eine Liste bekommen), aber Du hast die Rechtschreibung im Griff - was man nicht einmal von einem Viertel der hier postenden älteren Autoren sagen kann.
- Es gibt ein Prinzip show don't tell, was heißt: Man behauptet als Autor nicht einfach etwas, sondern zeigt es: in einem Bild, einem Dialog - so daß sich ein Leser einfühlen kann. Das ist ziemlich schwierig (ebenfalls für Erwachsene, die schon lange schreiben), aber Du hast das schon an vielen Stellen geschafft. Du sagst nicht nur "Sie hat Angst" - Du zeigst uns, wie sie eine dunkle Stelle anschaut, was sie dabei sieht, was für Gefühle sie hat, wie es auf sie wirkt.
- Dialoge lockern eine Geschichte auf, sie wirken echt & lebendig, und Du hast sogar einen Konflikt hier: Die Mutter sagt harsch, 'Stell dich nicht so an'. Das Mädchen wird alleine gelassen. Der Leser mag mit dem Mädchen mitfühlen, vom Kopf her aber der Mutter recht geben. Damit hast Du Spannung erzeugt: Die Protagonistin fühlt sich von der Mutter im Stich gelassen, vllt ein Hinweis auf mangelndes Vertrauen, eine kühle Beziehung, vllt ist die Mutter einfach nur müde und macht sich keinen Kopf, wie das Mädchen die Welt sehen könnte.
Dann kommt ein Dreh in der Geschichte - unerwartet (sehr schön!): Der Geist ist echt. Damit spitzt sich der Konflikt zu, denn:
* das Mädchen wollte sicher nicht wirklich "verschwinden" (= sterben?)
* die Mutter hat das Kind verloren (könnte man auch im übertragenen Sinne sehen)
Zudem ein zusätzliches Lob: Korrekte Zeichensetzung für wörtliche Rede.
edit: Ich hatte es richtig gelesen, aber mir falsch gemerkt - öh!
Schön, daß Du am Ende darauf verzichtest, auf eine moralisierende Tränendrüse zu drücken, wie sich nun die Mutter grämt etc.
- Du hast gut darauf geachtet, die Sätze nicht immer mit Eva oder sie beginnen zu lassen. Ich mag kurze Sätze ohnehin am liebsten, es liest sich angenehm, wenn der Autor - wie Du - dabei die Wortstellung im Satz variiert. Auch mal mit Zeitangaben (plötzlich, doch dann, es dauerte lange bis ...) beginnt, mit Zweifeln/Widersprüchen (obwohl, dennoch ... ), oder einem Subjekt, das nicht die Protagonistin ist (Die Fußabdrücke, Der Schrank, Die Augen ...).
Die Stellen fand ich schön, und gut aufgebaut:
Es dauerte lange bis sich Evas Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Nach einer Weile sah sie etwas am Ende ihres Bettes. Sie wusste das es eigentlich nur ihr alter Schrank war, trotzdem sah er irgendwie seltsam aus. Eva versuchte etwas zu erkennen. Der Schrank erinnerte sie an einen riesigen, dunklen Felsen mit einem Gesicht darauf. Sie kniff ängstlich die Augen zu und winkelte ihre Beine dabei an.
Die Augen des Felsens starrten sie an. Sie zog ihre Decke bis zu ihrer Nase hoch.
Nach einer Weile öffnete Eva ihre Augen wieder. Sie sagte sich: „Stell dich nicht so an, das ist nur ein Schrank.“
Man sagt eigentlich, "irgendwie seltsam" sollte beschrieben werden - aber hier tust Du das dann auch. Von daher eine stimmungsvolle Einleitung aus der Sicht des Mädchens, die das eben denkt. Auch gut die Spannung aufgebaut: sie sieht etwas > findet es beängstigend > kleiner Realitätscheck, kann nicht sein> sie findet es immer noch seltsam >> der Leser erfährt, warum (wie es aussieht). Runder Bogen.
Die Augen des Felsens starrten sie an. Gefällt mir sehr gut, elegant, ein schönes Bild.
Eva lauschte. Am liebsten würde sie jetzt nach ihrer Mutter schreien, aber sie traute sich nicht. Eva überlegte, wer das sein könnte.
„Ein Einbrecher“, vermutete sie. Die Schritte wurden lauter. Plötzlich hörten sie auf.
Eva guckte unter der Tür durch. Tatsächlich, da stand jemand. Sie konnte zwei nackte Füße erkennen. Jetzt hörte sie ein leises Kratzen.
Ganz fest winkelte sie wieder ihre Beine an. Eva konnte ihr Herz spüren. Vielleicht war ihre Mutter ja schon tot?
Eva bekam Gänsehaut. Auf einmal kamen die Füße unter der Tür hindurch. Als Fußabdrücke kamen sie immer näher. Es sah aus, als wären sie vorher durch Wasser gegangen.
Hat man Angst, werden Gedanken absurd, unsinnig, übertrieben. Mit der Frage, ob die Mutter tot sein könnte zeigst Du - ohne es dem Leser direkt auf die Nase zu binden -
wie sehr das Mädchen sich bereits fürchtet. Auch hier: Spannung gut gehalten. schön auch, daß Du den 'Geist' nicht im Detail ausbeschreibst, sondern nur die Fußabdrücke nimmst. Ist der Leser mit seiner Phantasie gefragt, wird es für ihn auch unheimlicher, geheimnisvoller. Und dennoch huddelst Du nicht drüber weg, sondern gibst der Gestalt genug Raum.
Ein bissl zu nölen hab ich auch:
Aus den Fußabdrücken wurden Hände, die Evas Haare griffen und sie daran hoch zogen. Vor Eva tauchte eine Gestalt auf. Diese sah genau so aus wie sie sich die ertrunkene Frau aus der Geschichte vorgestellt hatte. Eva schrie und schrie doch es kam keiner. Der Geist ließ Eva mit einem mal fallen, hob die Decke und warf diese über Eva. "Dein Wunsch sei mir Befehl", gurgelte die Gestalt.
Anstelle der Fußabdrücke kamen nun Hände vielleicht? Sonst denkt man an nasse Abdrücke von Händen / Handstand.
"Dein Wunsch ..." > Du hast im Text so wenige Klischees, das fällt hier raus. Wie ein Märchen. Vllt etwas modernisieren, so daß es härter und gemeiner klingt. Vorschlag:
Ganz wie du willst. / Wie du möchtest / Wenn das dein Wunsch ist.. ... sowas in der Art.
Muß es 'gurgelte' sein? Du läßt dem Leser bisher viel Freiheit, was gut ist. Das Gurgeln ist plötzlich eine starke Übertreibung, die dem Bild die Wirkung nimmt. Wie wäre ein
flüsterte? Manchmal ist weniger mehr.
Ich muß ganz ehrlich sagen, daß ich mich ein bißchen gegruselt habe - obwohl ich Horrorfilme gucke, seit ich so alt war wie Du (und das ist lange her!). Weil ich als kleines Kind im Bett saß und spät abends gewartet habe, daß meine Mutter nach Hause kommt. Im Flur war Licht an, ich schaue also auf die Garderobe, und nach einer Weile des ängstlichen (schon zu viele Gespenstergeschichten gelesen) Hinstarrens meine ich zu sehen, daß sich die Mantelärmel bewegten. Man sieht das ja 'echt', weil man da solange draufstarrt. Denkt auch, daß es nicht anginge, und doch bleibt die Illusion wie Realität. Und an dieses Gefühl habe ich mich bei Deiner Geschichte erinnert. Für mich hast Du das schön wiedergegeben, ausgedrückt.
Liebe Grüße, ich bin gespannt, was Du noch schreibst.
Katla