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Schatten und Nebel
Der fahle Mond badete die Straßen der Stadt in einem bleichen Licht und stahl damit die Farbe von allem, was er erfasste. Nur Schwarz und Grau blieben zurück.
Nebel hatte sich gebildet; die Dunstschwaden schienen aus dem Nichts aufzutauchen, zuerst klein, verschmolzen sie nach und nach zu einer schier undurchdringlichen Wand. Wie ein samtenes Tuch senkte sich die Stille herab, jedes Geräusch gedämpft durch die geisterhaften Fetzen, die mit ihrem Wabern den Eindruck von Leben und einer schwarmgleichen Intelligenz vermittelten.
Es war wahrlich keine Nacht, die man freiwillig draußen verbringen wollte. Außer die eigenen Vorhaben waren so finster wie die verwinkelten Gassen.
Eine Tür quietschte; ein klagender Seufzer entwand sich ihren Angeln und verschwand in der Nacht. Aus dem schwarzen Schlund eines Hauseingangs trat ein Mann auf die Straße, aus der Ferne nur als gedrungener Umriss erkennbar, von Nahem ein untersetzter, älterer Herr mit einer halbmondförmigen Brille und leicht schütterem Haar. Ein schwerer Mantel lag auf seinen Schultern, an dem augenblicklich kleine Wassertropfen hängen blieben. Ein Hauch von sehr teurem Aftershave umwölkte seine Gestalt.
Er hatte es getan. Er hatte es tatsächlich getan.
Er konnte kaum glauben, dass er sich soeben seinen innigsten Traum erfüllt hatte. Er holte tief Luft, seine Nasenflügel zitterten vor Aufregung, und hoffte, damit würde er das Kochen seines Blutes, das vor Endorphinen nur so schäumte, etwas lindern. Ein schwacher Versuch, wie er sich selbst eingestehen musste.
Der Mann brauchte einige Minuten, um sich wieder zu besinnen. Pfeifend strömte die Luft aus seinen Lungen, zischend sog er frische ein. So berauschend alles doch war, musste er die Kontrolle behalten, auch wenn er jetzt am liebsten laut schreiend und jubelnd losgerannt wäre.
Zu viel Aufmerksamkeit war in jenem Moment nicht wünschenswert.
Sein Herz tanzte immer noch Tango im Rhythmus seiner hormonalen Bigband, sein Kopf hingegen war wieder klar, der Verstand war jetzt wieder der Befehlshaber. Trotzdem konnte er sich ein gewisses Lächeln nicht verkneifen, als er die Hände hinter dem Rücken verschränkte und betont langsam losmarschierte.
Seltsam hohl klang das Klappern seiner Absätze in der Leere der Nacht, ein verzerrtes, kurzes Echo wurde von den Häuserwänden zurückgeworfen.
Als er um die Häuserecke bog, begann er leise zu summen. Spätestens jetzt sollte es jedem zufälligen Beobachter klar gewesen sein, dass mit dieser Gestalt etwas nicht stimmte. Wer ging schon um diese Zeit ganz allein in diesem Stadtteil umher und summte dabei den ersten Satz der Mondscheinsonate?
Aber es kümmerte ihn nicht. Niemand würde je von dieser Nacht erfahren.
Und alles was ich dafür tun musste, war diesen läppischen Wisch zu unterschreiben. Die Umgebung, das Haus, sie…alles perfekt vorbereitet, das muss man ihm lassen. Er hat sich an den Vertrag gehalten, Wort für Wort. Aber, mein Gott! War der Typ dämlich! Na ja, was will man von einem im Woolworth-Anzug erwarten, der sich selbst nur “Der Händler“ nennt? Wirklich sehr kreativ.
Er kicherte leise in sich hinein, ein vergnügter, unschuldiger Laut, der nach und nach anschwoll zu einem schrillen, hysterischen Gackern. Ja, mit diesem Mann war eindeutig etwas nicht in Ordnung.
Selbst der Preis…
Er blieb im zarten, orangenen Schein einer kränklich-flackernden Straßenlaterne stehen, um am Mast angelehnt etwas Luft zu schnappen, völlig außer Atem von einem Lachanfall, wie er ihn nicht erwartet hatte.
Der Nebel um ihn herum saugte die Farbe des Lichtes auf und griff mit wabernden Fingern in den Kragen der einsamen Gestalt, die es gewagt hatte, seine Ruhe zu stören.
Nachdem er sich eine einzelne Träne aus dem linken Auge gewischt hatte, fiel sein Blick auf seine weißen Lederschuhe. Eine kleine Extravaganz, die er sich zu gönnen pflegte.
Nur wurden sie jetzt verunziert durch ein Ornament aus versprengten Tropfen, die, eigentlich tiefrot, in jenem Moment glänzten wie aufgesetzte Splitter aus Onyx.
Es waren die letzten Beweise seiner verabscheuungswürdigen Tat. Angewidert zückte er ein Taschentuch, wischte über die Schuhe und brachte somit auch diese Zeugen zum Schweigen.
Zu Hause würde er das Tuch verbrennen müssen.
Zufrieden setzte der Mann seinen Weg fort, versunken in schattenbehaftete Gedankengänge, in seiner Überheblichkeit nicht auf die Umgebung achtend.
Es war wie in einem schlechten Film. „Als Preis…“, sagte er, mit dieser mystischen Pause, „als Preis verlange ich deine Seele“. So ein Vollidiot, was denkt er, wer er ist? Na, soll er sie doch haben, viel Wert habe ich nie darauf gelegt. Bin gespannt, wie er sie sich holen will…HAHAHA! Einen schlechteren Scherz habe ich bisher noch nicht erlebt.
So kam es, dass er nicht sah, wie sein Schatten unter der Laterne blieb, obwohl er schon längst außerhalb des Lichtkegels war. Er klebte quasi am Boden fest, unruhig wallend auf dem Kopfsteinpflaster.
So kam es, dass er nicht bemerkte, wie der Schatten auf einmal loshuschte, über die Wände der Häuser, der Nebel wie angsterfüllt vor ihm zurückwich und er sich immer schneller näherte.
„Maaarrrc…“ zischte wer in sein rechtes Ohr.
Das allerdings bemerkte er.
„Maaarrrc…“ zischte es wieder, diesmal ins Linke.
„Wer ist da?“ fragte er nach einigem Zögern, jedoch mit fester Stimme. Er wusste, kein Mensch konnte ihm etwas anhaben bis er zu Hause ankam, das war vertraglich geregelt worden.
„Marc“, kam die Antwort, immer wieder und wieder, mal nah, mal fern.
„Zeig dich gefälligst!“
Panik breitete sich in Marcs Brust aus. Egal, wie unverwundbar man glaubte zu sein, so etwas bescherte einem eine Gänsehaut.
Stille herrschte.
„Ach komm schon! Aus der ganzen Auswahl an Fragen und lässigen Sprüchen, die für diese Situation in Frage kommen, suchst du dir ausgerechnet die zwei klischeehaftesten aus?“ Der Sprecher klang genervt und beleidigt.
„Ach, ihr Menschen… Dabei warst du doch vorhin so…“, die Stimme zögerte, und fuhr in einem suggestiveren Ton fort, „einfallsreich.“
Marc konnte seinen Augen kaum trauen, als er sah, wie sich rings um ihn herum alle Schatten der Gassen, der Straßen und der Häuser in Bewegung setzten. Sie hinterließen weiße Flecken im Mantel Nacht, wie Terpentinsprenkel auf einem Gemälde.
Sie zogen sich auf einem Fleck vor ihm zusammen, verdichteten sich, sodass sie fast greifbar schienen. Die dunkle Masse begann, an Volumen zu gewinnen, wuchs in die Höhe und dehnte sich aus. Marc musste dabei unwillkürlich an eine Luftmatratze und eine Pumpe denken.
Ehe er wirklich begriff, was geschah, stand vor ihm, sichtbar durch den grauen Nebel darum, eine Kopie von sich selbst, gemacht aus wabernden Schatten. An manchen Stellen war sie ausgebeult, an anderen eingedrückt; ein grotesk unförmiges Wesen, und doch eindeutig eine Nachahmung seiner Gestalt.
„A- aber wie ist das möglich?“ stammelte Marc.
„Weißt du, so einer wie du ist mir in all den Jahrtausenden noch nie untergekommen“ überging der Schatten sein Gegenüber einfach. „So verschlagen, so außergewöhnlich, so verdorben“ fuhr er mit schmeichelnder Stimme fort. "Was du da getan hast kann ich nur als Kunstwerk bezeichnen. Ohh, der Blick in ihren Gesichtern, ein wahres Fest!"
Marc fing an zu zittern. Von solch einem Phänomen hatte er noch nie gehört. Es war sicher ein Traum, eine Halluzination, ausgelöst durch das Adrenalin in seinem Blut und der späten Stunde. Ganz sicher. Hoffentlich.
„Du bist nicht real, nein, das kannst du nicht sein“ verlieh er seinen Gedanken Ausdruck, als ob er der Gestalt nur sagen müsste, dass sie gänzlich den Gesetzen der Realität widersprach, damit sie wieder verschwand.
Doch der Schatten blieb.
Marc wich zurück, Schweiß rann ihm über die Stirn. Was er da fühlte, war die pure Angst um sein Leben.
„Aber, aber Marc. Jetzt enttäuschst du mich wirklich. Ich dachte du… es ist ja auch egal, was ich dachte. Ich hatte dich falsch eingeschätzt.“
Beim Rückwärtsgehen konnte Marc den Blick nicht von seinem dunklen Spiegelbild abwenden und übersah deswegen einen herausstehenden Stein. Hart schlug er auf dem nassen Boden auf.
Mit dem Mut der Verzweiflung schrie er: „Was willst du!?“
Der Schatten-Marc hob den rechten Arm, wobei er schwarze Schlieren in der Luft hinterließ.
„Ich habe keine Zeit für diese beschissenen Floskeln; hast du eine Ahnung wie viele Verträge ich heute noch zu bearbeiten habe? Ich mach’s deswegen kurz. Du hast ein Abkommen unterzeichnet, mein Lieber. Ich bin hier, um den Lohn für die erbrachte Leistung einzufordern. Ich bin sozusagen der Gerichtsvollzieher oder, wenn du den moderneren Begriff lieber magst, ein Repo-Man.“
Er ging immer weiter auf Marc zu.
„Mich ruft man, wenn es um Leute wie dich geht.“
Der Schatten grinste. Eine bemerkenswerte Leistung, wenn man bedachte, dass er keinen Mund hatte, ja, keinen Körper hatte. Dort, wo sein Mund hätte sein sollen, lichtete sich die Dunkelheit ein wenig und ließ das Grau des Nebels hinter dem Kopf in Form eines Lächelns durchscheinen.
Ein Anblick, der Marc an Ort und Stelle festnagelte.
„Da du der Vertragsinhaber bist, weißt du ja, was ich meine. Ich bin hier, um deine Seele zu holen.“
Es klang so absurd. Es klang so lächerlich, dass er am liebsten geglaubt hätte, es handelte sich hier um eine Traum oder eine Sendung mit versteckter Kamera. Doch der Vertrag war echt gewesen. Genauso echt, wie die Aura der Kälte, die das Konstrukt umgab. So echt, wie der gleißende Schmerz, als dessen Hand in seine Brust griff.
Langsam wurde es hell. Ein neuer Tag begann.