Was ist neu

Serie Schatten (Fortsetzung von "Schwarz")

Mitglied
Beitritt
13.09.2007
Beiträge
302
Zuletzt bearbeitet:

Schatten (Fortsetzung von "Schwarz")

Viel Zeit blieb ihm nicht. Keine Zeit, sich umzudrehen, doch er wusste, dass der Stein wuchs und immer schneller wurde. Seine Schenkel brannten, Schweiß strömte, Lunge ächzte. Gleich war es vorbei. Der Stein würde sich ihn einverleiben, fast sehnte er sich danach, doch konnte er nicht aufhören, davonzulaufen. Kreischend riss die Erde auf.
Er fährt im Bett hoch, schüttelt sich, sieht auf die Uhr, erst 10. Sein Puls galoppiert, ans Weiterschlafen ist nicht zu denken. Er stemmt sich aus dem Bett, jammert vor sich hin:
„Fuck-Nachtschicht, erst 2 Stunden geschlafen.“
Fühlt sich wie durchgeprügelt, schleppt sich ins Bad, unter die warme Dusche, sein Körper entspannt sich. Er geht in die Küche, schlägt ein Ei in die Pfanne und lässt das Radio dudeln. Schon 11 Uhr, von Müdigkeit keine Spur, aber er muss schlafen. Also zurück ins Bett, dreht sich nach rechts, links und wieder auf den Rücken. Versucht zur Ruhe zu kommen, sein Kopf ist voller Schrott:
'Hoffentlich kommt der Skoda dieses Jahr noch mal durch den TÜV, muss hin, nächste Woche, spätestens Ende des Monats. Und ich muss den Keller aufräumen, das Bügelbrett suchen, Mutter will vorbeikommen. Sandra, geht da was? Soll ich sie einladen, ins „Backstage“ oder zum Essen? Die verdammte Steuererklärung muss ich auch machen, schon die erste Mahnung. Oh Mann!'
Die Uhr zeigt 10 nach 12, er steht auf, holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Hat es auch mal mit Schlaftabletten versucht, die wirkten, aber erst in der Nacht, während der Schicht. Früher hat er gezeichnet, wenn er nicht schlafen konnte, oder wenn er sich mies fühlte oder, eigentlich hat er immer gezeichnet, seit er einen Stift halten kann.
Er schaut auf den Dienstplan, dreht ihn um, greift sich seinen alten Freund, den Kohlestift.
In Zeichnen hatte er immer 'nen Einser. Später in Kunst nur eine Zwei, wegen der Lernerei. Aber er war gut, war in der Kunst-AG. Liebeskummer – seine Kumpels haben sich besoffen, er auch, und dann hat er gezeichnet. Wann hat er damit aufgehört?
Die Hand führt den Stift wie von selbst, legt ihn beiseite, seine Finger verwischen die Schattierungen. Er schaut aufs Blatt – alles schwarz. Schwarz wie der Müll in ihm. Seine Mundwinkel heben sich. Das Wichtigste fehlt noch. Er sucht auf dem Nachtkästchen, in den Schubladen.
Denkt zurück an die Zeit, als er sich, nach dem Zivildienst, entschieden hat, Krankenpfleger zu werden. Einziger Mann in der Klasse. Hahn im Korb, auch jetzt noch. Aber das war nicht der Grund. Er wollte mit Menschen arbeiten, kann sich nicht vorstellen, den ganzen Tag an Autos herumzuschrauben oder im Büro zu hocken. Er kennt keinen Beruf, der abwechslungsreicher ist. Körper und Kopf sind ständig in Aktion. Wann war ihm das letzte mal langweilig? Kann er sich nicht erinnern. Er ist sportlich, hält sich fit, das ist wichtig. Sein Rücken ist top. Die Psyche, schwieriger, man kommt einander sehr nahe. Er kennt viele Kollegen, die sich zurückziehen, abstumpfen, Selbstschutz. Hat er versucht, fühlt sich für ihn an wie behindert, nicht sein Weg.
Endlich hat er einen gefunden. Der Radierer wischt übers Papier. Wo Schatten ist, da muss auch Licht sein.

 

Hi Alex,
ich bastele noch an meinem eigenen Stil beim Schreiben, probiere herum und oftmals wirken genau die Textpassagen, welche ich anzweifele, sehr gut. Das überrascht immer wieder und bestärkt darin, mutig und authetisch zu schreiben.
Ganz großes Dankeschön und liebe Grüße,
Damaris :)

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom