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Schatten der Vergangenheit - K1: Die Narbe
Ich schreckte hoch. Meine Stirn war schweißnass. Wieder hatte ich einen dieser Alpträume, die mich schon so oft in den letzten Nächten geplagt hatten. Es war wie eine dunkel Vorahnung, dass etwas nicht stimmte, aber ich konnte nicht deuten, was es war. Neben meinem Bett stand eine halb volle Wasserflasche, nach der ich griff. Ich leerte sie in einem Zug. Das trockene Gefühl in meinem Hals wollte dennoch nicht weichen. Ich musste einfach aufstehen. Leise erhob ich mich aus meinem Doppelbett, um meine Freundin Bianca nicht zu wecken. Ich beobachtete sie, wie sie schlief. Sie sah einfach in jeder Situation wunderschön aus. Diese lange braunen Haare und das fein geschnittene Gesicht. Dazu ihre tiefblauen Augen, die bestimmt schon so manchen Mann hatten schwach werden lassen. Nackt und nur halb zugedeckt, lag sie im Bett vor mir. Oh Mann, was war das für eine Liebesnacht. Nach einer zugegeben feucht-fröhlichen Feier in meinem Verlag, wo ich als freier Reporter arbeitete, waren wir schließlich in meiner Wohnung gelandet, wo es dann heiß her ging. Nun lag sie hier vor mir und ich beneidete sie, um ihren ruhigen Schlaf.
Meiner war umso schlechter und das nicht erst seit Heute. Diese Träume waren einfach zu anstrengend. Meist sah ich mich einfach nur in ein tiefes, dunkles Loch fallen, doch bevor ich aufschlug, wurde ich immer wieder wach. Ich ging ins Bad und wusch mir den Schweiß aus dem Gesicht. Mein Blick traf den Spiegel. Das blonde, viel zu lange Haar hing mir wirr ins Gesicht. Die Narbe an meiner Stirn schmerzte wieder, wie immer nach so einer unruhigen Nacht. Woher ich sie hatte, wusste ich bis heute nicht. Man sagte mir, ich musste sie mir schon irgendwo als kleines Kind zugezogen haben. „Mike, du siehst echt schlecht aus.“, sprach ich zu mir selber und verließ das Bad wieder. Im Moment konnte ich nicht ins Bett gehen, zu viele Gedanken gingen mir durch den Kopf. Ich entschloss mich am PC meine Mails zu checken. Nur langsam fuhr der PC nach oben. Es war nicht mehr der aktuellste, doch fürs Internet reichte er noch aus. Ein Blick auf die Uhr im unteren Display zeigte mit, dass wir 6 Uhr morgens schon überschritten hatten. Wäre es nicht Wochenende gewesen, so hätte ich mich nun auf den Weg in den Verlag machen müssen. Die Online-Verbindung baute sich auf. Ich zog die Tür etwas zu, damit Bianca nicht von den Anwahlgeräuschen wach wurde. Als armer freier Reporter konnte man sich eben nur eine analoge Verbindung leisten. „You´ve got mail!“ erschien auf dem Display meines Monitors.
5 Mails befanden sich nun in meinem Postfach. Komisch, alle hatten sie einen unbekannten Absender. Ich hätte sie auch einfach löschen können, doch irgendetwas hielt mich davon ab. So öffnete ich das erste Mail. „HAU AB, DU BIST IN GEFAHR!“ Dies war der einzige Satz der dort zu lesen war. Was sollte der Quatsch? Hatte dieses Mail überhaupt einen Sinn? In letzter Zeit wurde man ja regelrecht von Spam-Mails überhäuft. Ich öffnete die zweite Mail. „SIE IST SCHON IN DEINEM HAUS! SIE HAT KONTROLLE ÜBER DICH! TRAUE NIEMANDEM!“ So langsam fand ich diese Mails nicht mehr komisch. Der Absender musste einen ziemlichen Schatten haben, dennoch öffnete ich auch das dritte Mail. „WAS IST DAS LETZTE IN DEINER KINDHEIT, AN DAS DU DICH ERINNERST?“ Auch wenn ich es nicht wollte, ich begann zu überlegen. Eigentlich war dort nur das Heim, in das ich nach einem tödlichen Unfall meiner Eltern gesteckt worden war. Da man meinen Namen nicht wusste, nannte man mich Mike. Ich hatte mal versucht herauszufinden, wer meine Eltern waren, doch aller Ermittlungen verliefen im Sand. Schließlich fand ich mich mit meinem Schicksal ab und akzeptierte, dass ich wohl nie die Wahrheit erfahren würde. Auch meine Adoptiveltern waren leider keine sehr große Hilfe gewesen, doch sie halfen mir diese Zeit zu überstehen. Es gab schon einige Ungereimtheiten in meiner Vergangenheit. Aber woher sollte diese jemand kennen. Zwei Mails waren noch offen und ich wählte die Vierte aus. „VERSCHWINDE!“ Hätte ich eine Tasse in der Hand gehabt, so wäre sie mir wahrscheinlich zu Boden gefallen. Wollte mir dort jemand Angst machen? Am liebsten hätte ich den PC ausgeschaltet, doch die Neugierde vor der letzten Mail hinderte mich daran. Auch sie klickte ich an. „SCHAU IN DEINEN BRIEFKASTEN!“
Eigentlich hätte ich es ignorieren sollen, doch nun hatte ich Blut geleckt. Ich streifte meine Jeans über und griff mir das erstbeste Hemd, dazu wählte ich meine schwarzen Sportschuhe. Mit dem Schlüssen, den ich zuvor aus dem Board geholt hatte, verließ ich leise die Wohnung. Zwei Stockwerke musste ich nach unten, um den Briefkasten im Erdgeschoss zu erreichen. Vorsichtig steckte ich den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Klappe. Sofort fiel mir das Päckchen entgegen. Es hatte also tatsächlich jemand etwas eingeworfen. Ich überlegte lange, ob ich es öffnen sollte, denn schließlich konnte mir auch jemand eine Briefbombe gesendet haben. So richtig wollte ich nicht daran glauben, schließlich hielt ich mich bei Weitem für nicht so wichtig und meine Neugierde war einfach größer. Zum Vorschein kam ein kleiner PDA. Langsam zog ich den Stift an der Seite heraus und tippte mit ihm auf das Display. Ein kleiner Film öffnete sich aus dem Speicher des PDA. Er zeigte ein blonde Frau und einen Mann, mit schwarzen Haaren und einem Schnauzbart, die vor einer Treppe standen. Die Frau hielt in ihren Händen ein Baby. Plötzlich trat eine dritte Person ins Bild, sie man nur von hinten sah. Auch dieser Mann hatte dunkle Haare. Es schien zu einem Streit zwischen den beiden Männern zu kommen. Leider war kein Ton vorhanden, so konnte ich nicht herausfinden, um was es ging. Plötzlich zog der hinzu gekommene Mann eine Pistole und erschoss den Schnauzbärtigen. Die Frau mit dem Baby begann zu schreien, dann bekam sie einen Stoss und stürzte mit dem Baby die Treppe herab. Zum Schluss zeigt der Film noch eine Großaufnahme des Babys, dass sich bei dem Sturz eine Narbe an der Stirn geholt hatte.
Verdammt! Ich berührte mit dem Zeigefinger meine Stirn. Das auf dem Video war ich gewesen und auf dem PDA hatte ich den Beweis, für den Mord an meinen Eltern. Es war unglaublich. Bianca musste davon erfahren, also machte ich mich wieder auf den Weg nach oben. Fragen über Fragen schossen mir durch den Kopf, als ich meine Wohnung leise wieder betrat. Ich ging am Schlafzimmer vorbei und stellte fest, dass Bianca nicht mehr im Bett lag. Sie konnte eigentlich nur in mein Arbeitszimmer gegangen sein. Mein Blick fuhr durch den Spalt der angelehnten Tür. Dort saß sie vor meinem PC. Sie hatte mich noch nicht gesehen. Irgendetwas hinderte mich daran, zu ihr zu gehen. Bianca hatte sich eines meiner Hemden angezogen. Ihre Handtasche stand neben ihr auf dem zweiten Stuhl. Meine Mails schienen sie sehr zu interessieren. Sie griff in ihre Handtasche und holte ihr Handy hervor. Leise belauschte ich ihr Gespräch.
„Hallo! Mein Code lautet BX-3-V-4. Ich muss ihn sprechen.“
Kurze Pause, dann hatte sie wohl jemanden am Apparat, mit dem sie sprach.
„Code Red! Er weiß es! Jemand hat geredet. Was soll ich tun.“
Wieder entstand eine kurze Pause. Ich kam mir vor, wie jemand der in einem Agentenfilm mitwirkte. Auf Biancas Gesicht zeigte sich ein mir fremdes böses Grinsen.
„Tja, dann geht es wohl nicht anders. Schade, er war so gut im Bett!“ Das Gespräch war beendet. Sie nestelte in ihre Tasche und zog ein paar Handschuhe hervor, welche sie anzog. Sie griff erneut in ihre Tasche, was zum Vorschein kam, ließ meinen Atem stocken. Es war eine kleine Pistole mit einem Schalldämpfer, die der Mordwaffe ähnelte, mit der auch mein Vater erschossen worden war.
Oh Gott, sie will dich umlegen. Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf. Wie stand es doch in der Mail, ich sollte niemandem trauen. Bianca hatte ein falsches Spiel mit mir getrieben. Wahrscheinlich stand ich schon mein ganzes Leben unter Beobachtung und ich begann auch meine Adoptiveltern mit anderen Augen zu sehen. Nun saß da diese wunderschöne Frau in meinem Arbeitszimmer und wartete darauf mich zu ermorden. Sie verhielt sich relativ ruhig. Normalerweise musste sie gemerkt haben, dass ich nicht da war. Aus irgendeinem Grund, schien sie dies nicht zu beunruhigen. In der einen Hand hielt lag ihre Waffe, in der anderen ihr Handy. Ich hätte abhauen sollen, aber die Neugierde hinderte mich daran. Dies sollte ich bereuen, denn plötzlich drehte sich Bianca mit dem Waffenlauf in meine Richtung, als wüsste sie genau wo ich stehe. Das konnte doch nicht sein. Ich war die ganze Zeit ruhig, sie hätte mich nie finden können.
„Komm raus, Mike. Ich weiß längst wo du steckst.“
Mir blieb nichts anderes übrig, als mein Versteck zu verlassen. Ich wollte vor ihr keine Angst zeigen. Hoffentlich wollte sie noch reden und nicht sofort schießen.
„Wie hast du mich gefunden? Du konntest mich doch gar nicht sehen.“
„Glaubst du unsere Organisation trifft keine Vorkehrungen? Deine Kleidung ist natürlich verwanzt. Deine Schuhe, deine Knöpfe. Du kannst uns gar nicht entkommen.“
Da hatte sie wohl schon mehr verraten, als sie eigentlich wollte. Es hab also eine Organisation, welche hinter allem steckte. Doch so richtig schlau war ich noch immer nicht.
„Was ist der Grund? Warum tut ihr mir das an? Warum mussten meine Eltern sterben?“
„Halt den Mund! Ich weiß gar nicht, wieso ich hier noch mit dir rede. Ich könnte dir auch gleich ein Kugel in den Schädel jagen, wie es mir befohlen wurde.“
„Kläre mich wenigstens auf. Ich bitte dich darum. Ich kenne das Video!“
„Tja, dein Vater war Ermittler bei der Polizei. Er hatte sich leider mit den falschen Leuten angelegt und dies musste auch deine Mutter bereuen. Bei dem Versuch ihr das Baby, also dich abzunehmen, stürzte sie mit dir die Treppe herab und brach sich das Genick. Du trägst seit dem deine Narbe.“
„Warum lebe ich noch?“
„Nenn es Mitleid mit einem Baby. Doch nun weißt du schon zuviel, was wir nicht dulden können. Bedanke dich bei deinem geheimen Informanten. Und nun schließ dein Augen.“
Sie wollte mich wirklich töten. Die Frau, der ich am meisten vertraut hatte, die ich liebte, wollte meinem Leben ein Ende setzten. Es musste doch eine Möglichkeit geben, sie zu überwältigen. Weit standen wir nicht auseinander. Ich hätte sie von meiner Position aus leicht erreichen können, doch eine falsche Bewegung in ihre Richtung und ich würde mein Leben mit einem Loch in der Stirn aushauchen. Da fiel mir der Lichtschalter ins Auge. Wenn es mir gelang, das Licht zu löschen, dann gab es eine geringe Chance sie zu überwältigen. Der Zufall half mir Bianca abzulenken, denn der PDA begann zu piepen. Sie war irritiert. Ich stürzte auf den Lichtschalter zu. Urplötzlich wurde es dunkel. Ein Schuss halte durch den Raum. Ich spürte noch den Luftzug der Kugel, als sie an meinem Kopf vorbei surrte. Sie hatte tatsächlich geschossen. Noch einmal sollte sie nicht dazu kommen. Es war zwar jetzt dunkel im Raum, doch ich konnte noch die Konturen erkennen, wo sie stand. Mit einem Sprung war ich bei ihr. Sie wollte schon zum zweiten Schuss ansetzen, doch ich schaffte es ihre Waffe zur Seite zu drücken. Die Kugel erwischte den Monitor, dessen Bild mit einem lauten Krachen erlöschte. Funken flogen, zum Glück lösten sie keinen Brand aus, aber auch der PC war wohl nicht verschont geblieben. Ich drückte Bianca zu Boden und konnte die Waffe in meinen Besitz bringen.
„Lass mich los. Du kannst uns sowieso nicht entkommen.“
„Wer steckt hinter eurer Organisation? Rede!“
„Lieber sterbe ich!“
Ich drehte ihren Arm auf den Rücken. Plötzlich vernahm ich ein seltsames Röcheln von ihr. Es war fast so, als hätte sie einen Anfall. Sofort sprang ich auf und sorgte wieder für Licht. Es war zu spät. Leblos mit weit aufgerissenen Augen, lag Bianca am Boden meines Arbeitszimmers. Um ihren Mund herum hatte sich Schaum gebildet. Der Anblick tat mir im Herzen weh. Sie hatte sich lieber vergiftet, als mir die Wahrheit zu erzählen. Mit meiner Hand schloss ich ihre Augen. Ich musste die Polizei rufen. Aber konnte ich das so einfach. Sie würden mich für den Mörder halten. Nur meine Fingerabdrücke waren auf der Waffe, die mir aus der Hand rutschte und dann zu Boden fiel. Panik kam in mir auf. Du musst hier raus. Du musst verschwinden. Der PDA fiel mir wieder ein. Nein, verdammt. Er hatte den Kampf nicht überstanden. Die letzten Beweise für meine Unschuld waren vernichtet. Ich musste hier weg.
Schnell hatte ich die Wohnung verlassen und stürmte das Treppenhaus herunter. Waren das Polizeisirenen, die ich dort vernahm. Irgendwer meiner Nachbarn musste sie gerufen haben, trotz des Schalldämpfers, waren die Schüsse gehört worden. Ich musste weg, bevor sie hier waren. Unten im Eingang stand mein Fahrrad. Grade war ich um die Ecke des Hauses verschwunden, als der Einsatzwagen auch schon vor der Tür stoppte und 3 Beamte das Haus stürmten. Das war das letzte was ich sah, denn von nun an war ich auf der Flucht.