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Scharfe Sachen
„Kommt mich alle in China besuchen!“, lud Petra uns ein, bevor sie für ein Jahr nach Peking zu Moritz, ihrem Freund, zog, der dort für BMW arbeitet.
„Wir haben genug Platz. Uns steht ein ganzes Appartement für unsere Gäste zur Verfügung.“
Also flogen Andreas und ich vergangene Ostern in das Reich der Mitte, um die bunten Eier mit Stäbchen zu essen. Gott sei's gedankt, blieb uns das erspart, denn die Chinesischen Eier, auch als Hundert- oder Tausendjährige bekannt, Ledereier, wenn man wörtlich übersetzt, unterscheiden sich gewaltig von unseren. Chinesen legen rohe Enteneier in einen Gewürz-Kalk-Brei, dem man Teeblätter, Piniennadeln, Holzasche, Sägespäne und was man sonst gerade zur Hand hat, beimischt. Dort bleiben die Eier ungefähr ein viertel Jahr, bis sie zu einer grün-schwarzen, zähen Masse fermentiert sind, an der man drei Jahre lang bedenkenlos herumstäbeln kann. Das mit den Hundert bis Tausend Jahren ist also leicht übertrieben. Nun gut, unsere Hasen hoppeln ebenso wenig mit bunten Eiern zu Aldi und Lidl, nicht mal zu Alnatura. So gesehen, kann man den Chinesen nichts vorwerfen. Hauptsache es schmeckt.
Wir verzichteten auf diese Delikatesse, auch Hühnerfüße ließen wir links liegen, Heuschrecken haben wir weder tot noch lebendig gesichtet, Hunde verwöhnen in Peking nicht den Gaumen, sondern werden als Haustiere verwöhnt. Aber von Pekingente über Hotpot bis Reisnudeln, Schautze und Bautze, um nur einiges zu nennen, war diese Reise ein kulinarischer Genuss, der zur Folge hat, dass ich vom chinesischen Essen in Deutschland nur noch enttäuscht werden kann.
Die Esskultur erinnert an eine Großfamilie vergangener Zeiten: viele Menschen setzen sich zusammen an den Tisch. Alle Speisen werden gemeinsam verzehrt. Da laufen einem ganze Gewässer im Munde zusammen. Man lernt wie von selbst, die Stäbchen effektiv zu nutzen, sonst verhungert man an der reichlich gedeckten Tafel.
Speisekarten sind in der Regel nur auf Chinesisch, jedoch bebildert, so dass die Auswahl kein Problem sein sollte. Also machten sich Andreas und ich eines Abends ohne unsere Gastgeber und deren Freunde auf den Weg. Zwar ist Peking noch chaotischer als sein Ruf, doch das beschauliche Viertel um unseren Hotelkomplex lud zum Bummeln ein. Bald bekamen wir Hunger und da war auch schon die kleine, von Petra und Moritz empfohlene, Gaststätte. Andreas schreckte, in Anbetracht der schlammigen und übel riechenden Gasse, zurück. Ich versuchte, ihm die während einer Indienreise erlernte Weisheit nahezubringen, dass zu erwartende Gaumenfreuden um so größer sind, je dreckiger der Weg, der zu ihnen führt. Er ließ sich nicht überzeugen.
Tage später waren wir mit unseren Gastgebern in jenem Restaurant. Natürlich war es ganz vorzüglich. „Siehste, hatte ich wieder Recht!“, sagte ich hinterher zu ihm.
Doch nun zogen wir weiter und weiter, immer weiter. Mein Magen knurrte, meine Füße dampften, mein Gemüt verfinsterte sich. Spielbanken, Massagesalons, Hundefriseure und was weiß ich nicht alles, nur keine Kneipe in Sicht. Ich wollte schon umkehren, aber mit meinem Orientierungs-Unsinn, wäre ich wohl wiedermal im Kreis herumgeirrt und hätte die stinkende Gasse nicht mal erschnüffelt. Endlich hatten wir ein Restaurant gefunden. Wir blätterten im Speisekartenbilderbuch und waren uns, wie immer beim Essen, uneinig. Hungrig, wie ich war, hätte ich sogar tausendjährige Ledereier verschlungen. Also ließ ich Andreas den Vorzug. Sämtliche seiner Essensbilder waren aus, wir nahmen meine und mussten nicht allzu lange auf die ersten beiden Speisen warten. Andreas nahm eine Stäbchenfüllung, keuchte und lief rot an. Vorsichtig versuchte er das zweite Gericht, hustete, seine Nase lief. Mit triefenden Augen glotzte er zu mir rüber, als hätte ich ihn mit Pfefferspray attackiert. Ich reichte ihm ein Taschentuch. Als er sich akklimatisiert hatte, entdeckte er im Speisekartenbilderbuch drei Chillischoten unter diesen Bestellungen. Die hatte ich übersehen (was mir Andreas als Absicht unterstellte). Um keine bleibenden Schäden davonzutragen, überließ er mir, die ich bezüglich Schärfe durch meinen Indienurlaub abgehärtet war, beide Gerichte, von denen ich nur sagen kann, dass sie sehr gut und jeweils anders chinesisch schmeckten. Ich plagte mich nicht lange mit den Stäbchen ab, lag doch eine Kelle in der kleinen Sauciere. Es war köstlich! Da kam auch schon mein drittes Gericht. Das war nun wirklich nicht scharf und ich hätte es Andreas gerne überlassen: Lotuswurzel, schmeckt in etwa wie unsere Kartoffel, in Erdbeersoße. Kartoffeln kann er nicht ausstehen und süß schon gar nicht. Stumm schob er mir die Schüssel unter. „Dass Du gar keinen Hunger hast“, wunderte ich mich vollmundig. Andreas erwiderte nichts. Vermutlich wollte er mich nicht beim Reinschaufeln stören, denn das war Schwerstarbeit, aber eine ausgesprochen leckere.
Man muss in einer Beziehung auch nachgeben können, zum Beispiel wenn dem Partner die Gasse zu schmutzig ist. Solch Großmut wird belohnt. Zu zweit sind wir dann nicht mehr essen gegangen.