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Schadensminimierung

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13.03.2002
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Schadensminimierung

Herr Göbel, im wirklichen Leben Sachbearbeiter bei einer Versicherung und mit seiner offenkundigen Buchhaltermentalität scheinbar bestens dort aufgehoben, blickte durch die schmale Öffnung auf die Szenerie. Er sah sein Auto, geparkt auf dem Flachdach eines Supermarktes und den leblosen Körper, der zwischen ihm und seinem Wagen lag. Da es ein Sonntagabend war, stand Göbels Wagen einsam und verlassen auf dem grossen Parkplatz. Göbel selbst befand sich in einer circa 1,60 Meter hohen Grossmülltonne aus verzinktem Stahlblech, ausgestattet mit einem waagerechten, gewölbten Schiebedeckel. Da dieser Deckel nicht ganz geschlossen war, konnte Göbel durch den verbleibenden Schlitz die kurze Strecke zwischen sich und seinem Wagen komplett übersehen. Der Tote wurde ziemlich genau auf der halben Distanz zwischen der besagten Mülltonne und Göbels Wagen von einem grosskalibrigen Geschoss am Kopf getroffen und blieb deshalb dort liegen. Der Körper war unnatürlich zur Seite verdreht und das Gesicht, besser gesagt, der Rest davon, blickte schräg in Richtung Mülltonne.

In den Verhören gab Göbel an, dass ihm Tags zuvor, am Samstag, im gleichen Supermarkt die Geldbörse abhanden gekommen wäre. Da er sich angeblich nicht vorstellen konnte, die Geldbörse einfach verloren oder verlegt zu haben, ging er von einem Taschendiebstahl aus. Göbel teilte im Verhör weiter mit, sich am folgenden Tag, am Sonntag, daran erinnert zu haben, dass sich Diebe von gestohlenen Gelbbörsen, mitsamt dem für sie unnützen Inhalt wie Familienbildern, Personalausweis, Führerschein und dergleichen angeblich schnell entledigen. Meistens seien sie ja nur am Geld interessiert und eventuell noch an Kreditkarten. Aus diesem Grund war er am Sonntagabend zum Supermarkt zurückgekehrt und nachdem er erfolglos den Parkplatz abgesucht hatte auf die Idee gekommen, sich die Mülltonnen genauer anzuschauen. Deshalb sei er in diese Mülltonne eingestiegen, um darin nach seiner Geldbörse zu suchen. Auf meine Frage, welche wichtigen Dokumente und Ausweise sich denn in seiner Gelbbörse befanden, entgegnete Göbel zur Verblüffung aller Anwesenden, „ausser einem Ausweis für die Leihbücherei und einer Telefonkarte im Wert von 12 Mark eigentlich keine", auf meine daraufhin folgende Frage, ob dies für ihn ausreichend Motivation gewesen sei, in eine schmierige, stinkende, völlig verdreckte Mülltonne einzusteigen, antwortete er zu unserem weiteren Erstaunen, „sehen Sie ich arbeite bei einer Versicherung, und ein Teil meiner Aufgabe ist es festzustellen, wie sich die Schäden aus Versicherungsfällen minimieren lassen können. Ich wollte einfach nur den Schaden minimieren. Weiter nichts.“

Während er in der Mülltonne nach seiner Geldbörse suchte, so Göbel, hörte er diesen Knall und einen kurzen Moment später warf jemand, wahrscheinlich von einem fahrenden Auto heraus, eine Pistole in die Mülltonne. Das fahrende Auto habe er an den Geräuschen erkennen können. Da er zu diesem Zeitpunkt in der ungefähr zu einem viertel gefüllten Mülltonne beim Suchen gekniet hätte, konnte er wohl selbst nicht gesehen werden. Da er die Vorgänge vor der Mülltonne nicht einschätzen konnte und ihn der Knall und die Pistole sehr verängstigten, habe er sich selbst mit Müll bedeckt und gewartet. Vielleicht eine Minute später habe jemand eine Aktentasche mit einem transportablem Computer darin, einem sogenannten Notebook, in die Mülltonne geworfen und den Deckel geschlossen. Dann habe er einen weiteren Knall gehört. Erst nach ungefähr vier bis fünf weiteren Minuten völliger Stille, habe er sich getraut durch den verbliebenen Schlitz nach draussen zu schauen. Dort sah er dann zwischen sich und seinem Auto den in unnatürlicher Art und Weise verdrehten Körper eines Menschen liegen. Und dieser habe ihn mit einem diabolischen Lächeln geradezu unverschämt angegrinst.

Weder ich noch meine Kollegen konnten sich daran erinnern, irgendeinen diabolischen Ausdruck oder ein Grinsen im Gesicht des Toten gesehen zu haben, vielmehr hatten wir Mühe damit, überhaupt noch ein Gesicht erkennen zu können.

Die weiteren Untersuchungen haben dazu geführt, dass die Schmauchspuren an Göbels Händen darauf zurückzuführen waren, dass er selbst an diesem Tag mindestens einmal eine Pistole abgefeuert haben musste. Ausserdem fanden die Gerichtsmediziner ein Projektil im Oberschenkel des Toten. Das Projektil wurde aus ungefähr 25 – 50 Metern Entfernung auf die getötete Person abgefeuert und stammte zweifelsfrei aus der gleichen Pistole, die sich zusammen mit Göbel in der Mülltone befand. Der Schuss konnte aber laut der gerichtsmedizinischen Untersuchung erst abgegeben worden sein, als die getroffene Person schon einige Zeit tot war. Ob die tödliche Verletzung am Kopf der Leiche durch die sichergestellte Pistole hervorgerufen wurde, konnte nicht eindeutig ermittelt werden. Sicher war nur, dass der Schuss aus nächster Nähe abgegeben wurde und möglicherweise aus der gleichen Pistole oder einer Pistole ähnlich grossen Kalibers stammen könnte. Irgendwelche Patronenhülsen, die mehr Licht in diese Umstände hätten bringen können, waren am Tatort nicht zu finden.

Göbel wurde des Mordes angeklagt. Die gesamte Anklage und Verhandlung stützte sich auf unsere dürftigen Erkenntnisse vom Tatort und die Aussagen von Göbel. Er wirkte während den ganzen Verhandlungen sehr ruhig und blieb trotz allen Angriffen, Unterstellungen und Finten des Staatsanwaltes immer bei den gleichen Aussagen, die er schon während unserer Verhöre abgegeben hatte. „Er habe nicht geschossen und könne sich bezüglich des Toten nur daran erinnern, dass ihn dieser in einer unverschämten Art und Weise diabolisch angegrinst hätte“. Irgendwann wäre dann der Deckel der Mülltonne geöffnet worden, „von diesem Herrn da“. Zur Verdeutlichung streckte er seinen Arm aus und zeigte auf mich.

Weitere Gutachter erklärten dem Gericht, dass wegen der Möglichkeit von entstehenden Gasen und der hinzukommenden Sauerstoffknappheit in solch engen Behältnissen, je nach der Zusammensetzung des Mülls, Rauschwirkungen und Halluzinationen nicht auszuschliessen seien, jedoch nur bei Personen, die sich für längere Zeit solchen Bedingungen aussetzten. Ob Göbel unter Halluzinationen in der Mülltonne gelitten haben könnte, war nicht mehr festzustellen.

Am Ende war Göbel ein Mord, aufgrund dem Mangel an eindeutigen Beweisen und Zeugen, nicht nachzuweisen. Auf der gefundenen Pistole konnten sowohl Göbels, als auch die Fingerabdrücke des Toten gefunden werden. Die Tatsache, dass wir Göbels Geldbörse in seiner Wohnung gefunden hatten, war leider nur ein weiteres Indiz, aber kein ausreichender Beweis jemanden wegen Mordes in die Hölle zu schicken. Allenfalls hätte man Göbel vielleicht nachweisen können, auf einen bereits Toten geschossen zu haben. Dies jedoch, wenn überhaupt, in einem Zustand verminderter Schuldfähigkeit, hervorgerufen durch Halluzinationen oder eine Art Drogenrausch. Mindestens hätte sein Anwalt darauf plädiert, trotz der Aussage von Göbel, zu keinem Zeitpunkt etwas von Halluzinationen oder ähnlichem gespürt haben zu wollen. Und jeder einigermassen passable Verteidiger hätte den Staatsanwalt mit einer solchen Anklage lächerlich aussehen lassen. Göbel wurde freigesprochen. Auf eine weitere Anklage wegen Schusswaffengebrauch gegen einen Toten wurde seitens der Staatsanwaltschaft verzichtet.

Nach dem Freispruch für Göbel, waren wir mit den Untersuchungen zum Tod und der Identität der betreffenden Person noch weitere 8 Monate beschäftigt. Dann wurden die Ermittlungen eingestellt. Der Mord konnte nicht aufgeklärt werden. Der Tote bleibt bis heute ein Unbekannter.

Mein Gefühl sagte mir von Anfang an und ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass Göbel der Mörder des Unbekannten ist. Trotz der fehlenden Beweise, trotz der fehlenden Identität des Toten, trotz eines fehlenden Motivs für einen Mord, trotz Göbels sachlicher, korrekter Buchhaltererscheinung. Insbesondere die Umstände zu dem angeblich in die Mülltonne geworfenen Notebook machen mich bis heute stutzig. Wir fanden ausschliesslich Göbels Fingerabdrücke auf der Aktentasche und dem Notebook. Die Tastatur war mit seinen Fingerabdrücken geradezu übersät. Alle Daten auf dem Notebook waren gelöscht, es war sozusagen leer und konnte nicht weiter identifiziert werden.

Vielleicht ist es erklärbar warum ein Notebook, von dem vorher alle Fingerabdrücke und Daten fein säuberlich entfernt worden sind, kurz nach oder vor einem Mord unmittelbar am Tatort in eine Mülltonne geworfen wird. Aber weshalb sollte jemand, unter den gegebenen Umständen in einer Mülltonne sitzend, sich für die Inhalte eines Notebooks interessieren ?

[Beitrag editiert von: Franko am 14.03.2002 um 11:58]

 

so ich mach ma:
also die geschichte war ganz gut geschrieben. über die aussage lässt sich streiten, ich hätte göbel angeklagt, da die indizien voll und ganz gegen ihn gesprochen haben.
es ist dir weniger gut gelungen spannung rüberzubringen. ich denke mir, du wolltest am ende diesen "nanu scheiße"-effekt rüberbringen, aber daran solltest du noch tüfteln!
sonst ist der schreibstil schön locker.könntest sicher mal ne wichtige geschichte zum thema gesellschaft oder, humor, satire oder so schreiben, aber mit der spannung isses dir net so gelungen finde ich! hat sich aber gut gelesen!
kopf hoch weiter gehts!
greetz
enel

 

Erst mal Danke, dass Du Dich mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hast. Werde über alles was Du geschrieben hast genau nachdenken.

Eine tiefere bzw. hintergründige Aussage oder Message interessierte mich beim Schreiben der Geschichte nicht wirklich, nur das Dinge einfach unbefriedigend verlaufen und enden können -"Im Zweifel für den Angeklagten !"...klar sprechen viele Indizien gegen Göbel und es liegt praktisch auf der Hand, dass er nicht die Wahrheit sagt. Aber ist er unbestreitbar auch der Mörder oder war er vielleicht nur eine Randfigur eines Verbrechens ???

Ob die Geschichte wirklich unter "Spannung" gehört weiss ich auch nicht recht, aber es schien mir von allen Kategorien die treffendste zu sein.

Bis demnächst !

 

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