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Schadenfreude
Heute war Kunkes Tag. Monatelang hatte er an dieser Gesetzesvorlage gearbeitet, an den Formulierungen gefeilt, die Risiken ermittelt. Die Vorteile, die durch das Gesetz entstehen würden, hatte er in mühsamer Kleinarbeit jedem Verband, der sich ihm in den Weg stellen wollte, nahegebracht.
Nun saßen alle am runden Tisch versammelt. Was Rang und Namen hatte war hier und jetzt vertreten und man war gleich einem festlichen PowWow zusammen gekommen, um Kunke den Segen zu erteilen.
Er blickte aufgekratzt und doch gedankenverloren in die Runde.
"Der Bundesverband der Kassenärztlichen Vereinigung wird diese Gesetzesinitiative auf jeden Fall begrüßen. Wir sehen durchaus einen erheblichen Zuwachs an ärztlichem Beratungsbedarf auf diesem Gebiet. Auf uns werden jede Menge privatärztliche Gutachten zukommen."
"Darf ich Sie da mal kurz unterbrechen, Herr Dr. Jobst", griff Kunke energisch ein, weil er den ersten Teil der Ausführungen verpasst hatte, "ich verstehe nicht ganz, in welcher Weise Sie als Vertreter der Ärzteschaft beurteilen können, welche Folgen so ein Gesetz für Ihren Berufsstand haben könnte."
Dr. Jobst machte ein säuerliches Gesicht.
"Wie ich schon sagte, wir sehen ein erhebliches Potential an Bedarf, wenn dieses Gesetz erlassen worden ist, und", er warf nun Kunke einen vorwurfsvollen Blick zu, "wenn ich das mal in Ruhe zuende führen darf, aus folgenden Gründen."
Kunke, dem nicht entgangen war, dass Dr. Jobst seinetwegen diesen herablassenden Tonfall angeschlagen hatte, ließ sich nichts anmerken und lehnte sich zurück, als wollte er jovial zuhörend signalisieren: 'Hört, hört...was er zu sagen hat.'
"Wenn die ersten Bundesbürger herausfinden, dass man ihnen Erhebliches abverlangt, wird so manch einer seine Gefühlswelt dahingehend überprüfen lassen, ob er überhaupt zu denen, im Gesetz normierten Gefühlen fähig ist. Diejenigen Ärzte unter uns, die über das diagnostische Wissen verfügen, dies beurteilen zu können, wobei ich insbesondere an die Psychologen und auch Therapeuten denke, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit reihenweise darüber zu befinden haben, ob nicht der eine oder andere Bundesbürger von seinen charakterlichen Eigenschaften her gar nicht in der Lage ist, gesetzestechnisch zu handeln. Aus unserer Sicht wird es dazu kommen, dass ein Run auf unsere Praxen stattfindet."
Dr. Jobst blickte in die Runde der Anwesenden, welche teils nickten, teils nachdenklich seine Sätze aufgenommen hatten.
"Wenn das Gesetz vorsieht", meldete sich Prof. Lensmaier zu Wort, "so wie es in dem zweiten Entwurf präziser gefasst ist, dass eine Berechnung tageweise erfolgt und nicht nur, wie in der ursprünglichen Fassung für einen einmaligen Vorgang, können wir vom Dachverband des Kreditwesens auch nur beipflichten, dass dieses Gesetz uns direkt von Nutzen sein kann. Wie Sie wissen, wird dann der Bundesbürger nicht mehr, wie bisher auf die von ihm ersehnten Produkte hin sparen, sondern sofort via Kredit kaufen. Denn mit diesem Gesetz würde es ihn jeden Tag ein Erhebliches kosten, wenn er in freudiger Erwartung auf den Erwerb hin spart."
"Entschuldigen Sie, Herr Prof. Lensmaier", sagte Kunke, "bevor Sie fortfahren, habe ich noch eine wichtige Verständnisfrage an Herrn Dr. Jobst." Mit ausholender Handgeste signalisierte Prof. Lensmaier Kunke generös den Vortritt.
"Wenn Sie behaupten, Herr Dr. Jobst, Ihre Branche würde reihenweise aufgefordert sein, dem Bundesbürger zu bescheinigen, dass er gar nicht den Tatbestand des Gesetzes erfüllen kann, dann trifft das ja unter Umständen den Kern des Gesetzes. Ist denn überhaupt sowas medizinisch feststellbar? Kann dann nicht jeder kommen und behaupten, er empfinde keine...?"
"Selbstverständlich", fiel ihm Dr. Jobst unwirsch ins Wort, "gibt es den allseits feststellbaren Zustand der Gefühlskälte, die sog. Alexithymie. Sie zeigt sich dadurch, dass der Einzelne nicht in der Lage ist, Zustände wie Trauer, Wut, Ärger, aber auch Freude zu empfinden. Ich kann jedoch zu Ihrer Beruhigung erwähnen, dass dieser Zustand bei nur rund 13% der Bevölkerung anzutreffen ist, und wir selbstredend über die diagnostischen Möglichkeiten verfügen, da die Spreu vom Weizen zu trennen."
Sichtlich beruhigt nickte Kunke und sagte dann:
"Meine Herren, ein ganz anderer Punkt wird in diesem Zusammenhang sein, ob bislang alle Tatbestände feststehen, nach welchem das Gesetz automatisch zur Anwendung kommt. Wir hatten an einen Katalog gedacht. Dieser soll im Anhang zum Gesetz abschließend alle Tatbestände aufführen. Das Bundesfinanzministerium jedoch soll die Möglichkeit erhalten, jährlich neue Tatbestände einzufügen, die vielleicht bis dato übersehen wurden."
Kunke räusperte sich wichtigtuerisch.
"So haben wir vor, jeweils drei Tage vor Geburtstagen, fünf Tage vor Weihnachten und ab dem Tag des Hochzeitsaufgebots sowie jeweils ab Buchung eines Urlaubs den Tatbestand des Gesetzes für erfüllt zu sehen.
Bei Hausgrundstückskäufen ab Zeitpunkt des Beurkundungstermins, dagegen beim Kauf anderer Wirtschaftsgüter, wie z.B. Fahrzeugen und Luxusartikeln von gewissem Wert soll ab dem Zeitpunkt der Bestellung gerechnet werden. Und zwar tageweise jeweils bis zum Tag des vorgesehenen Ereignisses."
Er erntete ein zufriedenes Lächeln von Prof. Lensmaier.
"Lange heftig umstritten war übrigens die Frage, ob der Tag des Ereignisses mitgezählt werden durfte oder ob an diesem Tag die Gesetzesvoraussetzungen nicht mehr gegeben waren. Meine Fraktion hat sich mit der umfassenderen Variante durchsetzen können.
Über die genaue Höhe, der zu zahlenden Vorfreudesteuer, kann ich Ihnen noch nichts sagen, da ermitteln die Experten noch an einem gerechten System. Aber eines kann ich Ihnen bereits ankündigen",
Kunke blickte aufmerksamheitsheischend in die Gesichter, "wir stehen mit dieser innovativen Steuer erst am Anfang. Da steckt noch sehr viel mehr Potential drin als wir jetzt herausholen. Wir streben da weiter. In ein paar Jahren werden wir in der Lage sein, über jeden Bundesbürger genaue Stundenabrechnungen zu führen und ihn sofort zur Kasse zu bitten, wenn er auch nur kurzzeitig Vorfreude gefühlt hat.
Die Zeiten der kostenlosen steuerfreien Vorfreude sind ab sofort vorbei."
Kunkes Schlusssatz ging fast im Applaus seiner Zuhörer unter.