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Schönheitsreparaturen
Nun hat es wohl einen Streit gegeben. Es gab Streit. Ich stritt mich, könnte ich genauer sagen. Wie nun weiter? Das Kind ist mit dem Bade ausgeschüttet, in den Brunnen gefallen. Der Streit war ein Einschnitt, ein Streit wie ein Gewitter, das herunterkracht, ein Donner wie zerbrechendes Porzellan. Aber so war es nicht. Habe ich geschrien? Hat sie geschrien? Oder er? Ich denke nicht. Ich erinnere mich nicht daran. Er blieb ja lässig, lächelte, er lächelte so unbefangen wie nur möglich, so dümmlich wie der Affe vorm Spiegel, wie die Sonne auf einer Kinderzeichnung, wie der Pornodarsteller der unversehens der nackten Nymphomanin begegnet. Bloß kein höhnisches Lachen, habe ich gedacht. Du willst so lächeln, dass es unmöglich ist, dass ich es als höhnisches Lachen deute. Es soll ein Lächeln sein. Du bist nett, will das sagen, nicht aufreizend nett, nicht provozierend nett, nur einfach nett, will das sagen. Wie konntest du nett sein? Wieso denn nett sein? Wir stritten doch! Vor allem stritt ich mit ihr, deiner Frau. Schrie sie? Nein, sie sprach ruhig. Wollte sie nett sein? Oh nein, giftig war sie, wie man sagen könnte. Gift spritzte durch die ganze Wohnung, es spritzte aus ihrem Mund wie bei einer Kobra, es spritzte auf den Teppich, auf den alten Dielenboden, diesen alten Dielenboden, in den es sich hineinfraß. Zwei deutliche Löcher blieben dort zurück, als sei dort etwas hinabgefallen, ein schwerer Schrank vielleicht, der mit zwei Holzfüßen dort den Boden demolierte, diesen alten Dielenboden, der schön war, ein schöner alter Dielenboden, mit zwei weiteren Löchern nun.
Doch schlimmer als dieser demolierte Boden war, dass das Gift auch mich angriff. Es ätzte sich in mich hinein, wie ich glauben möchte. Ich versuchte es herauszusaugen, band meine Arme ab, die Beine, es sollte nicht zum Herzen gelangen. Dort musste es doch schließlich hineingelangt sein. Es half nichts, es ätzte sich hinein. Die Folgen des Streits waren minimal, würden minimal sein. Er hatte kaum Wirkung - das Geld, nun ja. Aber das Gift, das zeigt Wirkung.
Zuerst muss ich verstehen, wie es zu diesem Streit kommen konnte. Ich muss das verstehen. Was heißt denn das das: ich muss? Warum muss ich das verstehen? Es gab Streit, das genügt. Aber ich muss es wissen. Denn das Gift wirkt bereits. Ich kann an nichts anderes mehr denken, immer nur an diesen Streit, immer ist er da. Das ist das Gift.
Ich stand im Supermarkt in der Einkaufsschlange, wieder eine Kasse zu wenig besetzt, und der schmale Herr vom Leergut er zwängte sich durch den ganzen Laden, um zur Kasse zu gelangen, doch trotz seiner schmalen Statur, und obwohl er sich schlängelte wie die Kobra, es schien endlos zu dauern. Also warteten wir. Sofort in diesem Warten war der Gedanke an den Streit da. Ich dachte an diesen Streit, an das Gift, an die Folgen. Ich fragte mich: Warum dieser Streit? Und das rumorte, es schmerzte. Aber kam dieser Gedanke an das Gift erst als ich warten musste? Nein, er war die ganze Zeit da – vorher, nachher. Ich hatte die ganze Zeit daran gedacht, und nun gezielt, nun fragte ich mich genau das: Wie kam es zu diesem Streit? Ich muss das wissen.
Ein Wort gab das andere, so ließe sich das sagen. Damit ist alles erklärt, damit ist gar nichts erklärt. Wir steigerten uns da hinein, sie, meine Vermieterin, die Gift verspritzte, und ich, der laut und gehässig wurde, wie der schlecht erzogene, zu groß geratene Hund, der weiß, dass er groß ist und sich sein Bellen erlaubt. Ein Wort gab das andere, auf Gift folgte mein Bellen, wieder ihre Giftzähne, mein Knurren und Zähne zeigen, Körper anspannen, sie streckte sich in die Höhe, den Kopf am langen Schlangenkörper mir entgegenstreckend, ich wurde lauter, schnappte, geiferte. So gab ein Wort das andere, könnte ich sagen. Aber warum denn ein Streit?
Wenn ich zurückdenke, an die Zeit bevor wir stritten, sehe ich ihre kleine Tochter. Etwas verzogen, hatte ich immer gedacht. Aber ich sehe ihre Tochter, die die lange Treppe im Haus nach oben tappt, an meine Tür klopft, dann klingelt. Und schließlich steht sie vor mir und sagt, ihr Papa koche, er brauche dringend noch eine Zwiebel, ob ich die hätte, und er brauche dringend noch ein oder zwei Stücke Schokolade, ob ich die auch hätte. Ja, die hatte ich auch.
Ein gutes Verhältnis zu meinen Vermietern, so hatte ich stets geantwortet, wenn ich darauf angesprochen wurde, denn es sei ja nicht immer leicht, mit den Vermietern unter einem Dach zu wohnen. Aber nun dieser Streit, der mich nicht loslässt, der mich von innen gepackt hält, ich spüre ihn genau, im Magen sehr weit oben, dort sitzt er und packt mich. Gemeinsam mit der Wut, gemeinsam mit dem Gift sitzt dort der Streit selbst und lässt mich nicht los. Wie hatte es denn angefangen?
Ich wohne hier in dieser Wohnung so lange, so lange bis jetzt, da ich hier bald nicht mehr wohnen werde. Wie viele Jahre waren es bis zu diesem Jahr, dem letzten Jahr, das ich in dieser Wohnung gewohnt haben werde? Unzählige Male habe ich es nachgerechnet: ich zog in meinem dritten Studienjahr ein, zum Sommersemester, dann noch zwei Jahre Studium, dann vier Jahre beim ersten und drei Jahre beim zweiten Arbeitgeber: es macht neun Jahre, die ich nun hier wohne, glücklich gewohnt habe, bis jetzt, bis vor kurzem als das Glück endete und der Streit begann.
Als ich einzog vor neun Jahren war die Wohnung mein großer Luxus, ich konnte sie unmöglich bezahlen, die Miete nicht, die Nebenkosten nicht, Strom und Heizung noch obendrauf, jedes Einzelne beinah zu teuer für einen Studenten, der sich in diesen Altbau verliebt hatte. Etwas über hundert Jahre alt war das Haus, das ein Pfarrhaus gewesen war, ein Haus der Seelsorge, will ich meinen, ein Haus des Schlichtens. Warum dieser Streit?
Ausziehen muss ich bald, die Wohnung, so schön sie ist, so herrlich der Altbau, so nett die Vermieter waren, ja so nett! Ich kündigte meinen Auszug an, recht kurzfristig, recht schnell sollte es nun gehen. Ganz nett war das Gespräch mit meiner Vermieterin, deren Name ich gerade vergesse, nach neun Jahren unter einem Dach, nach neun Jahren nettsein, will und will mir ihr Name nicht einfallen. Das Gift, es wirkt, alles vergesse ich, nur diesen Streit nicht, er ist da, und meine Wut vergesse ich nicht, sie wütet. Alles kein Problem, hatte sie gesagt, wie man das sagt, bevor die Probleme auftauchen. Nenn zwei, drei Nachmieter, wenn es so schnell gehen muss, dann kannst du sofort raus aus dem Vertrag, sparst das Geld, wir suchen dann einen aus. Ich nannte drei, schnell ging das, die zu finden. So eine schöne Wohnung! So nette Vermieter, wie ich immer sagte. Das Studentenpärchen, das sich dann bei Vermieterin und Vermieter vorstellen durfte – ein Privileg! bei dieser Wohnung! – es passte irgendwie nicht: zu studentisch, zu paarig. Ja die, ja, vielleicht, wen hast du denn noch? Die Karriere-Single-Frau? Nein, nein, zu konservativ, mit Blazer kam die! Mit kleinem Sportwagen! Aber du hast doch noch wen, hieß es dann. Ja, der alleinerziehende Vater, der passte schon. Nur wenige Gespräche später hatten sich alle angenähert, alles sehr nett, wie mir die Vermieterin ständig bestätigte, wenn wir uns im Hausflur begegneten. Der Mietvertrag kam nicht zustande, aber alle hatten sich wieder auf ein Bier verabredet. Also kein Nachmieter, wie mir die Vermieterin mitteilte, und blickte traurig, und ich verstand zunächst gar nicht, dass sie eigentlich damit meinte, ich sollte traurig blicken, denn dieses Problem, dort wo es keine Probleme gäbe, war meins. Dann der Streit. Was hatte ich gesagt?
Über den letzten Monat Miete müssten wir jetzt einmal sprechen, hatte ich so in etwa gesagt. Und dann kam das Gift! Ich hätte nun keine Lust, den letzten Monat noch zu bezahlen, jetzt sei es zu spät, wieder Nachmieter zu suchen. Ich möchte mir eigentlich vorbehalten, den letzten Monat nicht zu bezahlen. Ich zahl doch jetzt nicht den letzten Monat, weil ihr euch nicht einigen könnt! Ihr Scheiß-Spießer in euerm Altbau, sucht ihn doch selbst, den perfekten Scheiß-Nachmieter! Sucht es doch selbst, euer Scheiß-Geld in den Ritzen eures Scheiß-Dielenbodens. Von mir seht ihr nichts mehr, ich lach mich tot. Passte keiner? Das tut mir leid! Nein, da kann keiner passen, ich habe Menschen gesucht, Menschen, freundliche Menschen. Die können nicht passen. Aber das Geld könnt ihr vergessen, ich bin nicht euer Scheiß-Depp nach neuneinhalb Jahren! Nach neuneinhalb Jahren!
So führe ich nun jeden Tag das Gespräch in Gedanken zu Ende. Jeden Tag sage ich diese Worte in mich hinein, und dann verstehe ich den Streit.
Ich bin jetzt in der Wohnung zu Übergabe. Den letzten Monat Miete habe ich überwiesen. Bloß kein Rechtsstreit wegen dieser paar Hundert Euro. Ich habe noch einmal alles durchgesehen, es ist ordentlich. Weit ordentlicher als ich die Wohnung damals übernommen hatte, deren erster Mieter ich war. Sie war gerade renoviert, in Eigenleistung, da war nicht alles fertig, nicht jede Fußleiste war an ihrem Platz, eine Wand unverputzt, Fenster, Türen, Heizkörper sehr dreckig von den Renovierungsarbeiten. Jetzt ist es ordentlich, nicht perfekt, aber ordentlich.
Die Vermieter klopfen erst, dann klingeln sie an der Wohnungstür. „Bringen wir es schnell hinter uns“, sagt er, „das liegt doch in unser aller Interesse.“ „Na dann herein“, sage ich. „Wir können das ja jetzt schnell hinter uns bringen“, sagt er, „wir kennen die Wohnung doch.“ Und sie gehen hinein, in alle Richtungen blicken sie, die Blicke wandern die Decke hoch, zu den Fenstern, den Fußleisten. „Ach, die Fußleiste hier“, sagt er, „die fehlte noch bei deinem Einzug, oder?!“ Er bückt sich, sieht sie sich an: „Die müssen wir neu machen, die passt nicht, die ist, das ist ja mit bloßem Auge zu sehen, ein bisschen höher. Kannst du im Grunde nichts dafür. Ich trag das ins Übergabeprotokoll ein, wir machen die neu, die Fußleiste, die du angebracht hast.“
„Komm mal Schatz“, höre ich die Frau, die mittlerweile im Badezimmer steht, „das musst du dir anschauen.“ Wir gehen beide hinüber. „Hier, die Wand, total fleckig, überhaupt nicht richtig gestrichen, nur so schnell mal drüber. Das geht nicht, oder was meinst du?“ Er antwortet: „Jaaa, naja. Ist schon etwas fleckig“, und geht näher, „ist schon fleckig. Aber das liegt auch am Licht heute. Das ist echt ein brutales Licht heute.“ Ich wünsche mir, das Licht wäre brutal! Er träte in das brutale Licht, das durch das Fenster strahlt. Seine Nase, auf die ein Strahl fällt, beginnt zu bluten. Er spricht dennoch weiter: „Das ist das Licht, aber hier, naja, das stimmt, das ist wirklich fleckig. Was hat er da gemacht? Das ist wirklich fleckig! So will man da nicht einziehen!“ Ich erwidere: „Aber streichen bei Auszug ist doch gar nicht vereinbart gewesen! Und ich hab ja gestrichen, wegen der langen Zeit, die ich hier gewohnt habe.“ „Ja“, setzt er fort, „natürlich musst du streichen – nach der langen Zeit. Du hast hier nie gestrichen, das war überfällig! Aber lassen wir das erst mal. Wenn das alles ist, würde ich da einfach drüber hinwegsehen.“ „Aber hier“, sagt sie, wieder im Flur stehend, „würdest du da drüber hinwegsehen? Schau mal, hier, da waren zwei Löcher, große Dübel wahrscheinlich.“ „Ja“, ergänze ich, „da waren große Dübel, mein schweres Regal, mit den Bildbänden.“ „Schau doch mal, das müssen große Dübel gewesen sein. Richtig große Löcher hat er da gemacht. Ordentlich zugespachtelt sind die nicht. Aber wozu hat er auch diese riesigen Dübel gebraucht. Da könntest du ja zwei Elefanten aufhängen.“ Die zwei Elefanten sehen sich kurz an, tröten, prusten und verschwinden.
Im Wohnzimmer dann. Die Blicke fliegen überall hin, hasten durch den Raum, schneller und schneller, ein wirbelnder Tanz! Im Wohnzimmer dann der beschädigte Dielenboden. „Das darf nicht wahr sein“, sagt er, „der ist hundert Jahre alt! Das darf nicht wahr sein! Das kannst du nicht abschleifen. Der ist da völlig hinüber. Guck mal, wie tief das ist! Das darf nicht wahr sein! Du hast nichts gesagt? Das zeigst du uns jetzt so? Hoffst, dass wir das nicht sehen? Aber das geht gar nicht. Das darf nicht wahr sein! Da ist dir ein Schrank runtergefallen, dein schwerer Wohnzimmerschrank. Ist da voll draufgefallen, voll draufgeknallt. Da fällt mir nichts ein. Das muss ein Fachmann sehen. Die Wohnung können wir so gar nicht vermieten, das muss erst der Fachmann sehen, der dann vorschlägt, was man da machen kann. Voll draufgeknallt!“ Sie hockt am Einschlagskrater des Meteoritenschranks, sie hockt dort, blickt finster, dann gequält, als suche sie nach Überlebenden dort drin, in diesen beiden Löchern. Sie zischelt, schlängelt sich an den beiden Löchern vorbei zu mir: „Ich bin enttäuscht! Das ist alles so so sssso enttäuschend! Das sind wirklich riesige Löcher, das geht doch gar nicht, das ist doch keine normale Abnutzung, die sind riesig, diese Löcher!“ Sie liegt dort am Rande der Löcher, er hockt noch immer, fällt fast vornüber. Ich handle schnell und gebe ihm einen kleinen Stoß. Er fällt, er fällt. Ihr gebe ich einen starken Tritt. Beide verschwinden.
Ich bleibe allein zurück in dieser Wohnung, die nicht mehr meine ist. Ich sehe vor dem Hinausgehen noch einmal auf die fleckige Wand – sie ist nicht fleckig oder jedenfalls kaum.