Was ist neu

Schönes Leben..

Mitglied
Beitritt
17.04.2002
Beiträge
16

Schönes Leben..

Sie geht durch die Straßen ihrer mehr als tausend Jahre alten Stadt, Fachwerkhäuser, die sie so liebt, und die alten Kirchen, deren Glocken sie morgens wecken, links und rechts von ihr, und schaut traurig in die Schaufenster der tristen Altstadt. Vorbei am Museum, in dem sie nun schon seit einigen Jahren nicht mehr war, vorbei am neuen Spielzeugladen, welchen sie schon sehr oft betreten und sich in ihm umgeschaut hat, hier gibt es soviel Holzspielzeug, naturbelassen und an ihre frühe Kindheit erinnernd. In den Jahren abgetretenes, schmutzstarrendes Kopfsteinpflaster, von Hunden verunreinigt, und die Straßenbahn, welche sich durch die enge alte Straße quält, läßt sie an dieser Stelle vorsichtig gehen.
Auf dem Weg zur Arbeit, geht sie jeden Morgen diesen Weg, viel hat sich hier in letzten Jahren nicht verändert. Eintönigkeit bestimmt das Gesamtbild. Über eine große Brücke führt ihr täglicher Weg, Enten und Schwäne schaukeln gemütlich auf dem sich leicht wellenden Wasser des großen Flusses, der mitten durch ihre Stadt führt. An seinen Ufern finden alljährlich Sommerfeste statt, dann regt sich hier überall das Leben, Ausflügler legen hier zur Dampferfahrt ab, ansonsten wirkt es hier wie ausgestorben.
Die Sonne schaut zaghaft zwischen den dicken, regenbeladenen Wolken hervor. Noch ist der Winter nicht besiegt, er hat noch einmal gezeigt, daß er nicht vergessen ist. Das Hochwasser reicht in diesem Jahr bis an die hölzernen Parkbänke heran, die sonst zum Verweilen und Ausruhen einladen.
Als Kind ist sie oft mit Tüten voll altbackenem Brot, welches sie zu Hause in mühevoller Arbeit mit ihren kleinen Händen in schnabelgerechte Stücke schnitt, hierher gekommen, um die Enten und Schwäne zu füttern. Auch als ihre Kinder klein waren, fand sie regelmäßig mit ihnen den Weg hierher, um bei schönem Wetter an den Nachmittagen viele Stunden in der Sonne zu verbringen und dem Spiel des Wassers mit dem Wind zu zu schauen.
Das allmorgendliche Bild, das sich der Betrachterin bietet, wirkt an diesem jungen Tag erstickend auf sie. Nach einer nicht enden wollenden, schlaflosen Nacht voll Verzweiflung und unendlicher Trauer, ist sie nun erschöpft, kraftlos und ausgelaugt, dabei muss sie gleich wieder mit freundlicher Stimme netten, übellaunigen oder auch arroganten körperlosen Individuen ein ums andere Mal ihre Botschaft vermitteln und ihrem täglichen Geschäft nachgehen.
Sie bleibt kurz stehen, um etwas nach zu denken, über ihr Leben, über ihre Träume und Hoffnungen.

Sie hat alles erreicht, was sie sich in ihrer Jugend vorgenommen hat, viel hatte sie ohnehin nicht erwartet, nur ein wenig Glück und Zufriedenheit, hat viele Tiefschläge einstecken müssen, beruflich wie privat, ist jetzt an einem Punkt angelangt, an dem sie mit sich und dem Erreichten zufrieden sein könnte.
Ihre Kinder hat sie heute wie immer mit Liebe und Freundlichkeit aus dem Haus zur Schule geschickt, ihr Ehemann das Haus bereits vor Stunden verlassen. Im Bad hat sie lange in den Spielgel geschaut. Was sie dort sieht ist das Bild einer Mittdreißigerin, erste Fältchen in ihrem Gesicht, vom Lachen, Weinen, Glücklich- und Traurigsein, von Leben an sich. Gedanken schwirren ihr durch den, sich heute schwer und dumpf anfühlenden, Kopf: –Reiß sich zusammen, du schaffst das schon, wie jeden Tag. Auch wenn niemand deinen Schmerz sieht, er ist da, nur musst du allein damit fertig werden, kannst dich nicht gehen lassen und den Kopf in den Sand stecken.- So beginnt ein weiterer Tag und der nächste steht schon bereit.
Wie lange noch kann sie dieses ewige Spiel ertragen, kann den Menschen denen sie begegnet freundlich ins Gesicht schauen, den Kollegen mit Höflichkeit und gespielter Heiterkeit, ein glückliches Dasein vorgaukeln. In ihr sieht es doch ganz anders aus, sie kann die schweren Schatten nicht vergessen, die sich vor langer Zeit auf ihre Seele legten.

Sie wendet sich rasch ab um den täglichen Ablauf zu wiederholen, geht über die Brücke, eine Straßenbahn überholt sie erneut, und schaut bei ihrem Lieblingsbäcker vorbei, um sich die 2 Kürbiskernbrötchen, ihr Frühstück und Mittagessen, abzuholen und einige Worte mit der, ihr seit langem bekannten, Verkäuferin zu wechseln. Nach einem netten Abschiedswort und einem guten Wunsch für den Tag, nun versorgt mit dem Nötigsten, geht sie schnellen Schrittes durch die Innenstadt, läßt die Bank, die Apotheke, die Boutique, Fleischerei und andere kleine Geschäfte rechts an sich vorbeiziehen und betritt dann, mit mulmigem Gefühl im Bauch, den Platz an der Kirche, hier ist ihr unheimlich zumute, der Platz wirkt im Schatten des imposanten Baus so düster und erdrückend. Also weiter, raus auf den großen freien Platz, welcher zwar immer noch an die Kirche grenzt aber nun viel freundlicher ist, weil nicht umbaut, mehr Licht anzieht.
Noch über die Straße an der Drogerie vorbei, in der sie für kurze Zeit beschäftigt war, um die Ecke und sie betritt dieses Gebäude, um mit dem Fahrstuhl in die 3. Etage zu fahren.
Von jetzt an lächelt sie, zeigt keine wahren Gefühle, hier funktioniert sie nur, folgt Anweisungen und gibt ihre volle Leistung. Die Menschen um sie herum, tun‘s ihr nach, jeder für sich, jeder allein, allein, allein im Team.
Kummer, Leid, Tränen, Glück, Frohsinn, Trauer, Schmerz, Krankheit gar - niemand interessiert sich dafür, und wenn doch, dann nur aus Egoismus, sich am Misserfolg der anderen weiden, nur selbst nichts offenbaren. Welch verlogene Welt.
Nach 6 Stunden geht sie wieder den Weg zurück, diesmal schaut sie in einige Geschäfte, bummelt und bleibt stehen, lässt sich viel Zeit, trinkt vielleicht im Kaffee mit einer Freundin einen Capuccino, isst ein Eis, geht später wieder zu ihrem Bäcker um fürs Abendessen Brot zu holen, und denkt sich, geschafft, der Tag ist fast rum.
Zu Hause angekommen, begrüßt sie ihre Lieben, fragt nach dem Wohlergehen, nach Neuigkeiten in der Schule, auf der Arbeit, setzt sich und erzählt selbst von belanglosen Dingen. Irgendwann macht sie das Abendessen, die Familie setzt sich zusammen, soweit alle im Haus sind, lässt den Abend mit einem Buch oder auch beim Fernsehen ausklingen. Im Bett ist sie dann wieder mit ihren Gedanken allein, schläft unruhig und wartet auf den nächsten Tag.
Alles auf Anfang. Klappe, die Zweite...

Das nenn ich: schönes Leben!

 

Hallo Talklady,

das nenn ich: gut geschrieben!

Wirklich so traurig das Leben, nur weil es Alltag ist? Kein Lachen mit den Kindern, den Kollegen, mit dem Ehemann, keine kleinen Verrücktheiten und Träume?

Es kommt tiefe Trauer rüber, die sich mir nicht nur durch den Alltag erklärt?! Ist es das Älterwerden, die verpaßten Gelegenheitenß Die Langeweile? Oder sitzt irgendwas viel tiefer?
Etwas das nur angedeutet wird?

Sie zeigt keine wahren Gefühle - aber was hat sie denn zu verbergen???

Mir hat Deine Geschichte wirklich gut gefallen! Auch wenn ich die Trauer nicht unbedingt nachvollziehen kann - sehr schön geschriben, sehr rund. Und überhaupt WELCOME (Sagt eine selber noch ganz frische KGlerin ...)!!

Hoffe, Du schreibst nicht wirklich über Dich (Dein Profil läßt es jedoch erahnen ...) - ansonsten versuch doch mal die wirklichen Hintergründeder Trauer in eine Geschichte zu packen ...

Würde mich auf eine Fortsetzung freuen.
Gruß
Kay

 

Hallo Talklady,

auch ich möchte dich herzlich auf kurzgeschichten.de willkommen heißen!

Deine Geschichte hat bei mir nach einigen Zeilen, nämlich denjenigen, als deine Hauptperson einerseits traurig, andererseits scheinbar ohne Grund traurig beschrieben wird, den Gedanken ausgelöst, den in letzter Zeit so in Mode gekommenen Begriff zu denken: BURN OUT.

Genauso würde man sich fühlen, wenn man in diesem Zustand der Sinnleere ist. Traurig, aber für Außenstehende nicht begründbar traurig. Alles läuft ansich rund und klappt, aber es erfreut einen nicht, es fehlt der Antrieb, das Glück zu erkennen, so "schön Leben" zu dürfen oder es fehlt das wahrhaftige Hinterfragen der eigentlichen Ursachen des burnout.
Jeder Gemütszustand hat seine Ursachen. Das hat deine Geschichte bei mir an Gedanken ausgelöst.

Solltest du jedoch deiner Geschichte gar nicht diesen Sinn beigegeben haben, so würde ich mich allerdings kritisch dahingehend äußern, dass dieser Geschichte die innere Logik fehlt.
Es fehlen entweder noch Sätze, die mir als Leser die Möglichkeit geben, diese Person besser zu verstehen oder du mußt die Geschichte auf eine stimmige Stimmung hin nochmals überarbeiten.
Wenn ich traurig bin und zugleich um mich herum alles in Ordnung ist, jedenfalls es so wirkt, dann hat auch das eine Erklärung und die kommt in dieser Geschichte nicht recht heraus(Ausnahme burnout-Syndrom).
Es müssen nicht viele Erklärungssätze sein, aber ein bißchen besser sollte mir als Leser die Chance gegeben werden, in die Gefühlswelt dieser Frau eintauchen zu können.
Dies hab ich aber nur soeben für den Fall geschrieben, dass deine Geschichte nicht einen klassischen Fall von burnout-Syndrom darstellen sollte.

Nun bin ich auf deine Antwort gespannt.

Grüße
lakita

 

Hallo Talklady!

Wirklich schon erzählt! Ich finde, es geht einem trotzdem unter die Haut, denn was bleibt ist die Frage: Uups! Ist das mein Leben von dem sie schreibt?
Ich glaube, es geht jedem von uns mal so, dass das Leben bloß an uns vorbei läuft. Auch wenn es den Anschein macht, es wäre alles in Ordnung, fühlt man sich irgendwie leer. Nichts passiert - Gott bewahre! Ich meine natürlich etwas Aufregendes.
Offensichtlich hat diese Frau auch keine Hobbys, nichts worauf sie sich freuen kann. (So wie wir: Geschichten schreiben, zu Kurzgeschichten.de posten, auf Antwort warten, zurück schreiben....)
Sie hat nicht einmal Freude an ihrem Beruf - Schade.
Aber sie ist eine sehr höfliche Frau. SIe lächelt, auch, wenn sie eigentlich gar nicht will. Sie ist freundlich, obwohl ihr gar nicht danach ist...
Aber irgendwann wird ihr Leben vorbei sein und dann wird sie sich fragen: War das wirklich ein schönes Leben?

Hoffentlich ist in deinem Leben mehr los, kann ich nur sagen!

Alles Liebe dafür

Barbara

 

Vielen Dank für die nette Begrüßung, fühle mich ja sofort von euch aufgenommen in die Runde :D

Ich bin von der doch positiven Resonanz auf meine, zugegeben erste, Geschichte überrascht.
Es sollte traurig klingen, das war genau so beabsichtigt und es sollte nicht nur mich sondern auch andere zum Nachdenken anregen, Vielleicht erkennt der eine oder andere sich selbst wieder.

Nein ich leide nicht an diesem, mir bisher völlig unbekannten, Syndrom. Hab aber sofort mal geschaut, obs auf mich zutrifft. :dozey:

Die Geschichte handelt von mir, sie ist geschrieben worden, an einem Tag, den ich lieber aus meinem Gedächnis streichen möchte. Alle schlechten Erinnerungen kamen hoch und ich hab versucht einen Weg für mich zu finden, diese zu verarbeiten. Ich konnte natürlich in meiner ersten Geschichte nicht gleich alles über mich erzählen, es ist nur angedeutet und sicher werd ich noch mehr schreiben, es ist wie eine Art Therapie. Also wenn ihr mich hier weiter verfolgt ;) könnt ihr einiges mehr über mich erfahren.
Nun werd ich mir mal in Ruhe eure Beiträge anschauen.

bis bald

Uta alias Talklady

hier schon mal ein Hinweis auf meine Tätigkeit:
:headset: :pc:

[ 18.04.2002, 20:52: Beitrag editiert von: Talklady ]

 

Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen. Ich glaube, jeder kann sich in der Stimmung, die deine Geschichte beschreibt, wiederfinden. Wer kennt sie nicht, diese Anflüge von grundloser Melancholie, an denen die Welt aussieht, als trüge sie einen Grauschleier, und einem das gesamte Elend der Welt wieder hochkommt?

Aber auch ich bin mir im Zweifel: Soll die Geschichte wirklich nur eine melancholische Augenblicksstimmung beschreiben, die wieder vergeht? Oder erlebt der Leser hier die Geburtswehen eines beginnenden Burnout-Syndroms oder gar einer ernstzunehmenden Depression? Diese Frage bleibt letztendlich offen.

Schön einfühlsam geschrieben. Alle Achtung.

Lieben Gruss
Pip

[ 19.04.2002, 10:17: Beitrag editiert von: Pipilasovskaya ]

 

Hallo Talklady,

hätte ich nach deiner schönen Geschichte nicht deinen Kommentar gelesen, dann wäre ich auf den Gedanken verfallen, dass da im Hintergrund die Sinnfrage / Midlife-Problematik mitschwingt. Ganz gut, dass man hier in der Diskussion mehr über die Motivation der Autorin erfährt.

Vor dem Hintergrund dieser Information besteht m.E. kein Anlass zur Sorge über die Zukunft der Protagonistin, die so stark verwurzelt und so sicher in dem Leben verankert ist, das sie sich immer gewünscht hat,

Sie hat alles erreicht, was sie sich in ihrer Jugend vorgenommen hat,
dass sie "den schlechten Tag", den sie beschreibt, locker wegsteckt, und die kommenden schlechten Tage genau so, die die Seele braucht, um wieder neue Kraft zu tanken, um die schönen Seiten des "Schönen Lebens" zu genießen.

Wäre interessant zu erfahren, wie ein solcher Tag, von denen ich dir ganz viele wünsche, von dir beschrieben wird - quasi als Kontrastprogramm.

Ansonsten: 8 Punkte (von 10) ;)

Servus, Georg

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom