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Schönes Kind

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19.08.2001
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Schönes Kind

Nennen Sie mich altmodisch, wenn ich Ihnen sage, daß sie für mich ein schönes Kind ist. Vielleicht klingt der Ausdruck heutzutage antiquiert, vielleicht bin ich auch einfach nur zu alt. Aber sie ist nun mal ein schönes Kind.

Schönheit ist relativ, sagt man und das ist wohl wahr. Sie ist auch vergänglich, aber für mich zählt nur das Jetzt. Und jetzt ist sie schön. Wie die anderen Kerle gestikulieren, wenn sie an ihnen vorbeigeht! Ich nenne sie Kerle, weil sie dumm und grobschlächtig sind. Das Weib an sich ist ihnen gleich. Sie leitet nur ihr Freudentrieb, wenn sie sie umarmen oder küssen wollen. Mich aber leiten die reine Verehrung und Liebe für dieses Geschöpf. Sie ziehen mich jeden Abend in diese gleiche schäbige Hafenspelunke, lassen mich dasitzen und sie bewundern bis zur Sperrstunde. Dann fordert meine Schöne mich mit einem Lächeln auf, zu gehen und wundert sich jedesmal, daß ich nicht betrunken bin wie die anderen. Ich sehne jenen Moment herbei, wenn sie mir gegenübersteht mit diesem makellosen Lächeln, den feinen Gesichtszügen, die von ihren schulterlangen schwarzen Haaren umrahmt werden. Dann ergreife ich ihre zartgliedrigen Finger, vom Spülen der Gläser ist die Haut rauh, hauche einen Kuß auf ihre Hand, nehme meinen Zylinder und verabschiede mich mit einem "Au revoir, Mademoiselle!".
Am ersten Abend starrte sie mich aufgrund meines Verhaltens verwirrt an, doch von Abend zu Abend schien sie auch auf jenen Moment zu warten, geplagt von einer inneren Sehnsucht nach liebevoller Zuwendung in einer gefühlskalten Welt. Und sie schenkt mir dieses Lächeln. Glauben Sie mir, wären wir uns früher begegnet, ich hätte alles für dieses Lächeln getan! Doch die Zeiten ändern sich. Aber die Menschen verlangen dennoch nach hingebungsvollen Avancen. Ich bete diese Schönheit an!

Heute habe ich ihr eine Rose mitgebracht. Seit zwei Tagen weiß ich von dem Wirt, daß sie Annerose heißt. Ich wagte nicht, sie selbst danach zu fragen. Es schickt sich nicht. Der Abend zieht sich hin, scheint länger als die vorigen und es waren derer viele. Doch dann drängt sie die Betrunkenen endlich zur Tür hinaus. Der Wirt gibt ihr den Schlüssel zum Absperren und geht nach oben in seine Wohnung. Nicht ohne mir vorher noch ein vielsagendes Augenzwinkern zuzuwerfen, auf das ich nicht reagiere. Sie kommt auf mich zu, bittet auch mich zu gehen, es sei Sperrstunde. Sanft drücke ich ihr die Rose in die Hände.

-Eine Rose für Ihre Schönheit, Annerose!

Sie lächelt, senkt verschämt den Blick. Dann riecht sie hingebungsvoll an der Rose. So als wäre der Duft etwas ganz wertvolles in der verrauchten Kneipenluft.

-Vielen Dank!, flüstert sie, Jeden Abend sitzen Sie hier und Sie sind so charmant zu mir. Sie kommen meinetwegen, oder?
Ich nicke, fasse sie sanft an den Schultern.
-Sie haben keine andere Behandlung verdient!, lächele ich sie an und sie kommt näher.

Ihre Augen senkend, formt sie die Lippen zu einem Kuss. Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet! Ich ergreife sie, küsse sie und gefangen in stürmischer Leidenschaft fallen wir zu Boden. Einen Augenblick lang halte ich inne, lausche auf den Wirt, doch er scheint zu schlafen. Dann fällt mein Blick auf ihren Busen, der sich heftig hebt und senkt. Ihre Lippen, die mir ein "Komm!" zuhauchen und ihre ausgestreckten Arme. Ich beuge mich zu ihr herab, streiche ihre Haare von der linken Schulter und versenke meine Zähne in ihrer Halsschlagader. Wortlos erträgt sie meine Tat, bis sie schlaff in meinen Armen liegt. Eine leblose Hülle, die Haut weiß wie Porzellan. Gestärkt wische ich mir das Blut vom Mund. Ich wundere mich immer wieder, daß die meisten Menschen so ruhig dabei bleiben. Zugegeben, wenn man so lange wie ich in der Finsternis wandelt, muß man irgendwann anfangen mit ihnen zu spielen, um nicht an Langeweile zu ersticken!
Seufzend werfe ich die Rose auf ihre Brust. Ich verlasse die schmuzige Spelunke. Kalter Wind und Regen schlägt mir entegegen. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, wieviele Frauen es waren. Es müssen derer bald Hunderte gewesen sein. Aber es waren alle schöne Kinder. Vielleicht gebe ich ihnen aber auch in meiner Verehrung für kurze Zeit das Gefühlt etwas besonderes zu sein.
Nun entschuldigen Sie mich! Am Kai sehe ich ein weinendes junges Fräulein stehen. Verlassen steht sie da, die Hände vor das Gesicht gepresst und schluchzt. Jetzt hat sie mich bemerkt und dreht sich zu mir um. Ihr haselnußbraunes Haar weht im Wind. Diese großen traurigen braunen Augen! Was für ein schönes Kind!

 

Hm... Eine zwiespältige Geschichte in meinen Augen!
Zuerst beschreibst du diese "Romanze" vorzüglich, hebst dich damit von den üblichen Schleimereien ab, spielst mit der Sprache und mit den Gefühlen des Lesers. Schön und gut! Dann kommt es zum Kuss ... Und ich bin vor den Kopf gestoßen! Wie ein missglückter Zaubertrick fällt mir anstatt einer Rose ein Hammer entgegen. Ach, wie originell, ein Vampir! Da war ich echt enttäuscht, weil mir die Geschichte bis dahin sehr gut gefallen hat.

Das schlimmste ist für mich aber der Schluss:

Ich verlasse die schmuzige Spelunke. Kalter Wind und Regen schlägt mir entegegen.

An dieser Stelle hättest du den Text meiner Meinung nach enden lassen sollen. Der Rest mit den vielen anderen Opfern und dem neuen Opfer ist so abgeschmackt, dass ich es gar nicht in Worte fassen kann!
Weißt du, damit zerstörst du die wundervolle Wirkung des Textes und reihst dich ein unter jene, die glauben, sie müssten alles GAAAAANZ genau ausführen, damit es auch der dümmste versteht.

Ich hoffe, ich kann dich somit bewegen, nochmal die Geschichte zu überdenken, denn sie ist es wert, würdevoll abgeschlossen zu werden.

 

Danke für Deinen Kommentar, Rainer.
Gut, Du fandest also den Anfang positiv und den rest negativ. Erstmal eine Frage- Wer sagt, daß es ein Vampir ist? Kann ja auch ein einfacher Mörder sein, der das auf diese Art und Weise erledigt. Sicher, der Mensch zieht seine Eindrücke aus Klischees und dann ist es halt ein Vampir.
Der Anfang ist überzogen gemeint, denn bitte, wer redet denn heute noch so von einer Frau? Gut, ältere Leute vielleicht.
Ich persönlich habe erreicht, was ich wollte, wenn Du schreibst, daß der "Hammer" kam (either if it is just a boring vampyre to you (sorry, ich quäle mich durch das deutsch)). Normale Liebesgeschichten finde ich ehrlich gesagt, superlangweilig. Ich schreibe ansonsten auch eher nicht solche braven Geschichtchen, denn ich hasse Happy- Ends und das ist mainstream. Danke für Deine Kritik :), ehrlich. Aber ich veröffentliche hier sowieso nur die "harmloseren" Sachen, was nicht heißen soll, daß das andere, was ich schreibe, besser ist. Okay, genug davon- nett, daß Du Dich dadurch gequält hast. :)

 

Also: Ich habe mich NICHT durch den Text gequält, weil ich ihn sehr schön fand - bis auf den Schluss!
Dass es ein Vampir ist, ist doch ziemlich offensichtlich, und zwar eben aufgrund deines Schlusses - denn hunderte Opfer??? Bei einem Menschen der glaubt, er sei ein Vampir??? Ja, ja, Kürten, ich weiß schon, trotzdem ... ne...

Was heißt da, heutzutage redet keiner mehr so? Erstens finde ich das schade und zweitens: Wo, bitte steht denn, dass die Geschichte in unserer Zeit spielt? Ich finde eher, dass die Geschichte so vor hundert, zweihundert Jahren spielt.

 

Wenn Du das so interpretierst, okay. Na ja, wäre ne Möglichkeit. Bei Reich- Ranicki stellt ja hinter her auch ganz ungeahnte Perspektiven in der Auslegung seines Romans fest. :)
Das ist ja auch dem Leser überlassen.
Wenn ich an meine Schulzeit denke, wo wir oft Gedichte interpretieren mußten- habe mich oft gefragt, ob der Dichter wirklich tagelang vorher die Intention seines Gedichtes abgewogen hat, bevor er die paar Zeilen auf das Papier knallte. Also, ich schreibe frei heraus, ohne vorzuschreiben und deshalb ist es halt nicht so super durchdacht. Die Kurzgeschichten sind aber auch eher Nebensache für mich, na ja...soviel dazu.

 

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