- Beitritt
- 01.07.2006
- Beiträge
- 1.008
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
Schöne Monster, remixed
Natürlich sind wir eine Ausgeburt der Hölle, ein böses Wundervolk. Wir kümmern uns um die hoffnungslosen Fälle, die, bei denen ein Ungleichgewicht der Energien herrscht. Um die, die wahrhaft lieben, aber nicht wiedergeliebt werden. Niemand braucht diese Menschen mehr, wir spüren sie auf und putzen sie weg. Auf subtile Weise, Krebs, Herzinfarkt, Selbstmord, so sieht es dann aus. Aber in Wirklichkeit sind wir es, die sie töten, wir mästen uns an der brachliegenden Liebesenergie, saugen schmatzend diesen süßen Seelenstoff aus den Gehirnen, Lebern und Herzen der Menschen. Und es bleibt für sie nichts übrig, womit es sich weiterleben lässt.
Es wäre alles in schönster Ordnung geblieben, wenn nicht Tickler zu uns gestoßen wäre. Ich bin ja dafür, dass diese jungen Heißsporne ihre Arbeit nicht bei Frauen verrichten sollen, aber was hab ich schon zu sagen? Wenn unsere Psychologen ordentlich arbeiteten, hätten sie erkennen müssen, dass Tickler nicht auf Johanna hätte angesetzt werden dürfen, denn Johanna besaß die hübschesten, zierlichsten Füßchen der irdischen und aller anderen Welten.
Ich blättere in dem Akt und überlege, ob man ihn nicht als abschreckendes Beispiel in den Lehrplan aufnehmen sollte.
Mit fünfzehn erwartet ein Mensch alles vom Leben, sein Herz ist ein brach liegendes Feld, auf dem jede Frucht gedeiht. In diesem Alter erfuhr Johanna, dass sie hässlich war.
Damals hatte sie sich in den Bruder ihrer besten Freundin verliebt. Sie kannte Alex schon lange, sie waren Nachbarn, im gleichen Mietshaus aufgewachsen. An diesem Tag waren sie zu dritt zu einem Fußballspiel gegangen und Hanni konnte nicht anders, als Alex während des Spiels immer wieder von der Seite anzusehen. Bis jetzt war er nur der großspurige Bursche gewesen, der seine Schwester gerne ärgerte, jemand, über den die Mädchen lachten, weil sein Zimmer ein Chaos war und nach schmutzigen Socken roch, aber jetzt füllte er mehr und mehr das Stadion mit seiner Anwesenheit aus. Johanna staunte über die Selbstverständlichkeit, mit der er seine steife Lederjacke trug und die Bierdose zum Mund führte. Beobachtete verstohlen, wie sich der kalte, scharfe Rand der Dose in seinen weichen Mund drückte, einzelne Haarsträhnen klebten an der beschlagenen Außenwand, und als er die Strähnen lässig nach hinten warf, streiften sie Hannis Wange, hinterließen eine kühle Spur auf ihrer Haut, brannten ihr ein Zeichen ein. Er bemerkte ihren Blick und zwinkerte ihr zu. Da ging eine Tür auf in ihr, und dahinter war alles purpurn.
Einige Tage später gab die Freundin eine Party, und als Alex endlich eintraf, war Hanni so mit Erwartung angefüllt, dass sie unfähig war, sich zu rühren, sie saß so lange mit unterschlagenen Beinen auf der Couch, bis ihre Waden taub waren. Sie schaute in den Becher mit Rotwein in ihrer Hand und zu ihm und in den Becher und wieder zu ihm, die Veränderungen auf der öligen Schicht des Rotweins nahm sie mit der Genauigkeit eines Seismographen wahr. Aber sein Blick ging gleichgültig über sie hinweg, blieb nicht hängen, und als ihr das zu viel wurde, stand sie mit kribbelnden Beinen auf, ging ins Badezimmer und starrte verzweifelt am Spiegel vorbei. Sie konnte sich nicht mehr einfach so zu ihm stellen und zwanglos sein und mit ihm plaudern. Jetzt waren nicht nur die Beine taub, sondern ihr ganzer Körper, und als sie sich selbst am Unterarm packte, war es, als griffe sie etwas Totes an. Irgendetwas saß ihr im Nacken und machte jeden Schritt anstrengend, als sie sich wieder auf ihren Platz schleichen wollte.
Durch die offene Küchentür fiel Licht auf den Gang, und mitten in dem hellen Viereck saß Alex und schaukelte auf einem Stuhl. Johanna drückte sich seitlich an die Wand, sie wollte jetzt nicht mehr, dass er sie sah. Sie wartete einfach, jemand sprach mit ihm, sein bester Freund.
„Kein ordentliches Material heute hier zum Flachlegen, hm?"
Alex murmelte zustimmend.
„Was ist denn mit dieser Kleinen, der Freundin deiner Schwester?"
„Hanni ist lieb, aber da stimmt doch was nicht mit ihrem Gesicht, oder?"
„Na ja, gibt ein einfacheres Wort dafür: Sie ist schlicht und ergreifend hässlich." Hanni konnte das Grinsen in der Stimme des Freundes hören.
„Ja, sie hat eine Ähnlichkeit mit Miss Piggy, aber mal schaun, vielleicht kann sie ja richtig schweinisch blasen, aber vorher brauch ich noch ein Bier."
Sie lachten.
Irgendwie schaffte Johanna es wieder auf die Couch, ohne dass Alex sie sah. Dort kringelte sie sich ein und sprach mit niemandem mehr ein Wort. Es fiel nicht weiter auf, denn alle anderen waren laut und betrunken und unbeschwert. Dort saß sie ein paar Stunden, ihr Körper pulsierte, der Bauch verkrampfte sich und wurde schwer. Sie dachte viel und rasend schnell, strich die Federn ihrer Eitelkeit glatt, ordnete ihr Inneres. Die Lähmung von vorhin war weg, alles floss schneller durch die Körperbahnen als sonst, endlich stand sie auf und huschte zum Ausgang. Alex stellte sich ihr in den Weg, er schwankte, seine Lider waren halb geschlossen.
„Na, Schatzi, gehst schon?"
„Ja."
„Du haust ab, ohne mich zu küssen?"
Dabei näherte er sich ihrem Gesicht, noch durch den Bierdunst, den er verbreitete, konnte Hanni seinen süßen Duft wahrnehmen. Sie zögerte.
„Vielleicht magst mich ja lieber da küssen." Er fing an, seinen Gürtel zu öffnen. Die halbreife Frucht, die er ihr jetzt zwischen Reißverschlusszähnen präsentierte, wollte sie nicht ernten. Sie stieß ihn weg, er rutschte kichernd an der Wand entlang zu Boden. Dann war Johanna endlich draußen und atmete tief durch.
Der Tag, an dem Tickler gezeugt und geboren wurde, war ein denkwürdiger in der Geschichte unseres Volkes. Ticklers Vater Imur, einer unserer größten Padapas, kam gerade von einem sehr erfolgreichen Beutezug zurück. Er hatte ein Liebesnest ausgehoben, in dem nicht weniger als fünf Menschen hockten, alle unglücklich ineinander verliebt. Nachdem er sie nacheinander ausgesaugt hatte, lief einer von ihnen Amok, tötete alle und am Ende sich selbst.
Prächtig war der Auftritt des hünenhaften Imur auf dem Versammlungsplatz. Umringt von seinen Gefolgsleuten, bejubelt von der Menge, brachte er den weisen Männern, die nicht mehr auf die Jagd gingen, ihren Anteil an der Liebesessenz. Er verneigte sich vor ihnen, seine goldenen Haare berührten den Boden, wurden zu Schlangen, die sich um die Zehen der Alten wanden und ihnen neue Nahrung gaben. Stolz erhob er sein Haupt wieder, der Goldton seiner Haare und seiner Haut vertiefte sich, wechselte da und dort ins Rosane, Purpurne, aus seiner Stirn sprossen dunkelrote Rosen, nackte Engelein mit winzigen Pfeilchen in den Händen begannen, sich um seine Füße zu tummeln. Keine Engel des Himmels, nein, wie unschwer an ihren ausgeprägten Geschlechtsteilen zu erkennen war, die sie oft zu Sturz brachten, während sie um Imurs Füße munter kopulierten. Schalmeien und Geigen begannen leise zu spielen und da, da! schon begann der Himmel sich zu verdunkeln und ein riesiger Schwarm Frauen flog auf den Versammlungsplatz zu. Noch waren sie leuchtende, fleischige Kugeln, aber je näher sie kamen, desto länglicher wurden sie, entfalteten sich, bildeten Köpfchen und Füßchen aus, Füßchen so tiefblau und rundlich und zierlich, dass die jungen Burschen in der Menge unruhig wurden und man sie zurückhalten musste, denn der Großteil von ihnen hatte dieses Schaupiel noch nie gesehen. Und noch nie hatte ein Beutezug eine derart große Menge an Frauen angelockt. Für jeden Mann gab es mindestens eine Blaufüßige, die so lange über seinen Körper trippelte, bis sie ermüdet umsank und er ihr den Schwanz in die Fotze rammen konnte. Blumendämonen, die aus dem benachbarten Ausland stammten, achteten wie immer darauf, dass die Frauen mit ihren Zehen nicht den Boden berührten, stoppten die Zeit, die jede brauchte, bevor sie umfiel und räumten am Ende die verblassten, blauen Fetzen weg.
Imur hatte sich die Schönste ausgesucht, Füße zart wie ein japanisches Aquarell. Sie schaffte es am längsten von allen, über den Körper ihres Herrn zu schreiten und Imur erachtete sie für würdig, einen Sohn mit ihr zu zeugen. Ihre mit Imurs Samen getränkten Überbleibsel wurden sorgfältig aufgesammelt und in die kostbare Nährlösung gelegt, die aus allen Essenzen der Liebe besteht, die jemals von unserem Volk gesammelt worden sind. Dreizehn Jahre später entstieg Tickler dieser Lösung. Möglicherweise hat er bei seiner Reifung zu viel Liebe abbekommen.
Tickler war ein Angeber, der sich seiner Herkunft sehr bewusst war, leider wurde er meinem Team zugeteilt, als er seinen ersten Einsatz absolvieren sollte. Ich rechnete von Anfang an mit Problemen.
Bereits im Vorzimmer unseres Opfers fibberte Tickler nervös neben mir herum, machte seinen Hals lang, spannte seine Schultermuskulatur und warf immer wieder einen langen Blick in den Spiegel. Die Spitzen seiner blauschwarzen Haare zuckten auf seinem breiten Rücken wie Schlangenköpfe.
Ich kann Eitelkeit nicht leiden, das Bestreben eines einzelnen, der Beste und Tollste zu sein, stört den gemeinsamen Rausch, der uns bei der Jagd erfasst. Ich will mich zusammen mit den anderen ganz in der sausenden Wildheit vergessen, mit dem wir unser Opfer in die Enge treiben, damit der Liebesschmerz eine möglichst hohe Intensität erreicht.
Tickler wirbelte herum, nur um sich der Geschmeidigkeit seines Körpers zu versichern. Dabei stieß er eine Tonfigur vom niedrigen Vorzimmerschrank, fing sie ebenso geschickt wie affektiert mit dem Fuß auf, warf sie damit in die Luft, wo sie sich zweimal um die eigene Achse drehte, ließ sie in die Hand fallen und stellte sie flink und geräuschlos wieder an ihren Platz.
„Gib eine Ruh, sonst bemerkt er uns zu früh, und dann können wir es vergessen!", zischte ich ihn an. Wenn man das Opfer vorzeitig aufschreckt, nimmt es die Umwelt wieder wahr und der essentielle Gehalt der Liebesenergie fällt ins Bodenlose.
„Du kannst mir gar nichts, alter Mann!" Tickler versuchte, möglichst tief zu sprechen, aber er giekste nur. Ich packte ihn von hinten am Hals und drückte sein Gesicht an die Wand, das hilft immer bei frechen Halbstarken, unsere Schnauzen sind sehr empfindlich. Die beiden anderen, in der Jagd erfahren wie ich, grinsten.
„Mgrmmgrrr ", geiferte er in die Mauer und wand sich unter meinem Griff.
Da, die Ohren von Urgur und Ölter legten sich an, ihre Nüstern weiteten sich. Der richtige Augenblick war gekommen, unser Opfer begann den typischen Geruch des Liebeskranken auszuströmen. Tickler hörte zu zappeln auf, hob witternd den Kopf. In seinem Nacken bildete sich eine tiefe Falte, der Körper spannte sich wie ein Bogen und seine Lefzen zogen sich nach oben, legten das schwarzblaue Zahnfleisch frei. Unterdrücktes Knurren ließ die Haarspitzen auf seinem Rücken vibrieren.
Ich gab Ölter das Zeichen. Geräuschlos glitt er durch die halboffene Tür ins Wohnzimmer. Wir folgten ihm, und verteilten uns im Raum. Jetzt begann der heikelste Teil unserer Jagd.
Unsere Leute neigen zu unkontrollierbaren Lachanfällen, wenn sie menschliche Männer leiden sehen, sie halten sie für Memmen mit zu klein geratenen Geschlechtsteilen, ja, sie glauben, dass Liebeskummer die Ursache für die Kümmerlichkeit ihrer Schweife ist. Besonders wenn jene aus Verzweiflung onanieren, können sie kaum an sich halten vor Lachen. Diese Anfälle reißen Lücken in unser Jagdschema, durch das die Opfer leicht entkommen können.
Bei menschlichen Frauen - na ja, da gibt es Zwischenfälle anderer Art, aber irdische Gerichtsbarkeit kann uns nicht erreichen.
Dieser hier zeigte uns sein lächerliches Ding glücklicherweise nicht, vielmehr lag er ganz still auf der Couch, ein junger Mann, der seinen Kopf in die rechte Armbeuge gekuschelt hatte, man sah nur wirres Blondhaar, das in alle Richtungen abstand. In Ticklers Gesicht zuckte es, ich warf ihm einen drohenden Blick zu. Auf dem Boden lag ein Mobiltelefon, daneben stand ein übervoller Aschenbecher und ein Teller mit einem vertrockneten Nudelgericht, von dem augenscheinlich nichts fehlte. Er hatte jetzt eine Woche lang auf ihren Anruf gewartet, seit zwei Tagen war er nicht mehr außer Haus gewesen. Vor 24 Stunden hatte er ihr eine letzte SMS geschickt, aber keine Antwort darauf erhalten, wie auch auf alle zwanzig vorhergehenden nicht. Das waren die Fakten. Die Luft im Raum war Besorgnis erregend.
Ölter lag bereits seit einigen Minuten auf dem Jungen, die Schnauze tief zwischen das blonde Haar gebettet. Der Liebeskranke begann die schwere Last zu spüren, richtete sich auf und erhob sich schließlich mühsam. Ölter hatte während des Aufstehens die Arme um dessen Hals geschlungen und blieb nun wie eine dunkle Krake auf seinem Rücken hängen, zog ihn fast zu Boden. Der Mann war kaum noch fähig, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er seufzte tief auf.
Unser Mann war gefühlvoll und las gerne romantische Gedichte. Ich sprach zu ihm:
„Ach, wie so schön ist dieses Mädchen, ihr Haar wie reifer Weizen, über den der Sommerwind geht, ihr Mund eine gespaltene Frucht, auf der Honigtropfen glänzen, die Haut ihres Halses zart und weich wie erlesene Seide." Wieder seufzte er, Ölter umklammerte fest seinen Hals.
Jetzt kam Urgurs Part:
„Dieses eine Mal im Cafe, immer wieder fiel ihr eine blonde Strähne ins erhitzte Gesicht, ihr scheeler, zweifelnder Blick, so von unten zu dir, ihre schlanken Finger, die mit der winzigen Moccatasse spielten, einmal berührten sich eure Knie unterm Tisch und du spürtest es wie einen elektrischen Schlag. Und da war Aufforderung und Keckheit in ihren Augen! Hast du dich wirklich so getäuscht?"
Und jetzt Tickler:
„Jeder deiner Freunde wollte sie auch! Und dann kam dieser Johnny-Depp-Verschnitt mit den Schokoladeaugen ... du hast sie einmal zusammen in eurem Cafe gesehen, das dann nicht mehr eures war ... noch nie vorher war sie dir so schön erschienen, sie hielt Johnnys Hand fest umklammert und drückte einen Kuss darauf ... da bist du wie ein Feigling weggelaufen und musstest auf der Straße weinen, du kleiner Wichser, kein Wunder bei diesem mickrigen Di…" Ich presste Tickler rasch die Hand auf die Schnauze, er war auf dem besten Weg, über das Ziel hinauszuschießen.
Der blonde Junge schleppte sich mit seiner schweren Last am Rücken ins Vorzimmer und starrte in den Spiegel. Wir stellten uns hinter ihm auf, Tickler schnitt seinem Spiegelbild Gesichter und machte obszöne Gesten.
Ich beugte mich zum Ohr unseres Opfers:
„Schau dich doch an! Was für eine erbärmliche Figur du abgibst! Was hat sie bloß aus dir gemacht? Ein Mann muss hart und stark sein, aber du bist doch nur noch ein Jammerlappen, der sich am liebsten weinend an Mamas Busen werfen würde. Und mach mehr Sport, deine Arme sehen ja aus wie Zahnstocher!"
Er zog den kurzen Ärmel seines T-Shirts ganz hoch und betrachtete seinen rechten Oberarm prüfend im Spiegel. Schweißgeruch wehte heran, unsere Nackenhaare stellten sich auf, wir rückten näher an ihn heran. Tickler hatte ebenfalls den Bizeps seines rechten Armes angespannt und betrachtete das Ergebnis selbstverliebt im Spiegel.
Wir zogen einen immer engeren Kreis um unser Opfer, hetzten es tiefer und tiefer in einen Wirbel aus Gedanken, Erinnerungen, Eifersucht, Selbsterniedrigung, und ja, Hoffnung, schubsten ihn hin und her. Ließen ihn nicht mehr aus unserem Kreis hinaus. Berauschten uns an seinem Jaulen und Stöhnen, löschten ihn ganz aus, bis er nur noch aus dem Bild der Angebeteten und der Sehnsucht nach ihr bestand.
Schließlich ließ er sich auf den Boden fallen. Der Moment der Durchlässigkeit war gekommen, unsere Nahrung war nun frei zugänglich. Bei dem Jungen residierte sie vor allem im Kopf. Ölter sprang von seinem Rücken, hob ihn hoch, wirbelte ihn einmal in der Luft herum und warf ihn endlich Tickler zu, der ihm kurzerhand den Kopf abriss und fast erstaunt hineinsah. Wir begannen um ihn herumzuwieseln, der Geruch der Liebe machte uns halb wahnsinnig vor Gier, kobaltblauer Geifer spritzte überall hin, als wir uns den Kopf gegenseitig aus dem Maul rissen. Unsere Zungen schlangen sich um den Kopf, bohrten sich in jede Ganglie, um auch noch den letzten Rest auszulecken.
Die leere Hülle, die wir zurückließen, würde sich selbst entsorgen. Beim Einsaugen des Fluidums war zu viel Seelenmaterial mitgegangen, in ein paar Stunden würde der Junge aus dem Fenster springen.
Endlich richtet sich Tickler als Erster auf. Sein Kopf, Brust und Geschlecht leuchten von Gold, er streckt den Körper, wirft seine Mähne nach hinten, der Spiegel klirrt. Er ist schön, er ist jetzt einer von uns.
Er beginnt brüllend zu singen, wir fallen ein:
Schenk uns deine Liebe!
Sie ist uns so teuer
für unsere Triebe!
Wir sind
Padam, padam, padam,
die schönen Ungeheuer!
Sie unterstützte ihn in jeder Hinsicht, lieh ihm Geld für die Gründung seines Unternehmen, welches sie noch immer nicht vollständig zurückerhalten hatte - immerhin sah sie ihn während der Woche jeden Tag, weil sie für ihre Unterstützung mit dem Posten der Chefsekretärin belohnt worden war. Am Wochenende nahm er sich allerdings nur selten Zeit für sie.
Im Akt befindet sich auch ein Foto von ihr, das eine junge Frau mit wachen blauen Augen, weichem Mund und Doppelkinn zeigt. Menschliche Attraktivität können wir schwer abschätzen, aber ihre Seelenlandschaft macht deutlich, dass sie sich selbst hässlich fand. Auf der Rückseite des Bildes steht ein handschriftlicher Vermerk: Essenz durchgehend auf 10,785 lgms/gfd !!! Ein weiteres Foto zeigt die Unterseite ihres Schreibtisches, wo ihre Nägel stellenweise die rauen Holzfasern glatt gerieben hatten. Gefühle hinterlassen Spuren auf Dingen, was von uns genauestens erfasst wird.
Fünf Jahre lang hatte sie unter intensiver Beobachtung gestanden, als unser Seismograph ausschlug und anzeigte, dass die Bitternis ihre Liebe-Essenz zur Reife gebracht hatte. Das begann an dem Tag, als Alex eine neue Sekretärin einstellte, die Hanni viel hübscher fand als sich selbst. Es wurde Zeit für die Ernte.
Jeder Tag mit Evelyn zusammen im Büro bescherte Hanni neue Qualen. Wenn Alex die Sekretärin in sein Büro rief, achtete Hanni genau darauf, wie lange sie drinblieb und in welchem Zustand sie wieder rauskam. Wenn die Jüngere flink und gut gelaunt durch den Raum flitzte, sah Hanni sich selbst wie einen gestrandeten Wal an ihrem Schreibtisch sitzen, zu keiner Bewegung fähig und im stinkenden Schlamm ihrer Grübeleien steckend. Und wenn Alex die blonde Hexe statt ihr zum Mittagessen mitnahm mit der fadenscheinigen Ausrede, dass er sie brauchte, weil er einen wichtigen Kunden treffen würde, dann war es aus für Hanni. Sie konnte nicht mehr gut arbeiten, sie brütete und brütete und brütete.
Als Alex sie eines Tages mit ernstem Ton in sein Büro bat, glaubte sie schon, dass er sie entlassen würde. Er wirkte sehr nervös, ständig knöpfte er seine Anzugjacke auf und zu.
"Setz dich bitte, Hanni, ich muss dir was sagen. Du siehst heute übrigens sehr schick aus."
Allerdings war sie sehr schick, die rehbraunen Schuhe und die gleichfarbige Kette passten hervorragend zum grauen Designerkleid. Das war schon was anderes als der kleinmädchenhafte Stil von Evelyn, die nur Pastellfarben trug, welche ihren Teint fahl erscheinen ließen. Und dann ständig diese bunten Spangen in ihrem Haar, mein Gott, immerhin war sie auch schon 21! Hanni entspannte sich und fühlte sich besser, wahrscheinlich ging es nur um eine wichtige geschäftliche Entscheidung, bei der Alex sie um Rat fragen wollte.
"Hanni, wir sind jetzt schon so lange befreundet, und, wie ich glaube, sehr gut miteinander, wir haben ja schon einiges gemeinsam erlebt und durchgestanden. Du weißt, dass du mir sehr wichtig bist."
Mehr als ein gepresstes: "Ja, sicher" brachte sie nicht heraus. Ein Schatten lief durch das Zimmer.
"Also um es kurz zu machen: Ich hab schon vor einiger Zeit eine Frau kennen gelernt und ich glaub, das wird jetzt was." Er sah an ihr vorbei zur Tür hin. Etwas setzte sich auf Hannis Schultern und drückte ihr den Hals zu, sie atmete rascher.
"Evelyn? Sprichst du von Evelyn?", stieß sie hervor.
"Evelyn?" Überrascht sah er sie an. "Wie kommst du denn da drauf?"
Ja, wie kam sie denn da drauf? Natürlich nicht dieses kleine blonde Mäuschen, das immer vergaß, wie man den Kopierer so einstellte, dass er beidseitig kopierte und die nicht wusste, wie man "Niveau" richtig schreibt.
Alex lachte. "Du dachtest echt ... Nein, nein, ich hab Elisabeth bei der Messe damals kennen gelernt. Sie ist aus der gleichen Branche, sie wird sicher mal die Firma ihres Vaters übernehmen."
Ach so, ja, ach so ist das, Liebe war das nicht, sondern vor allem geschäftliches Interesse, klar, aber das hieß ja, das hieß ja ... In ihrem Ohr flüsterte es: Eigentlich liebt er nur dich, er weiß es nur selbst noch nicht.
"Hanni, also ... ich bin dir wirklich sehr dankbar für alles, was du für mich getan hast ... du warst immer für mich da und so ... und deshalb wäre es wirklich toll, wenn du auf unsere Hochzeit kommen würdest. Elisabeth will dich unbedingt kennen lernen."
Sie hatte nur kurz: "Ja, gerne" gesagt und "Ich gratuliere!", dann schleppte sie sich zurück in ihr Büro, der Wal kam endgültig auf trockenem Sand zu liegen.
Ihr Finger suchte an der Kante des Schreibtisches die Stelle, wo das faserige Holz schon ganz glatt gerieben war. Sie streifte die engen Schuhe ab. Langsam rutschte sie von ihrem Stuhl wie ein rasch geleerter Sack. Am Boden liegend sah sie, dass ihre Nägel das Holz stellenweise schwarz und speckig gemacht hatten. Schnell, schnell, sie brauchte das Gegenmittel, er hatte doch das ... er war doch so ... sein Schwanz und seine Zunge waren doch in ihr gewesen ... aber die Süße wollte nicht kommen ... warum war er mit der Sekretärin öfter essen gewesen als mit ihr, wenn sie doch gar nicht ... nicht mal das, er war nicht mal lieber mit ihr zusammen als mit der Evelyn ... zuerst kam Elisabeth, dann Evelyn ... und an welcher Stelle sie? ... es war so peinlich ... wie wohl Elisabeth aussah, der Name sah schlank und schön aus ... wie sollte sie es schaffen, auf diese Hochzeit zu gehen ... etwas lief über ihren Körper und trat sie genau dort, wo sie Alex am tiefsten in sich gespürt hatte. Ihr Bauch krampfte und sie schrie. Endlich schrie sie.
Sie sah sich selbst da liegen, mit diesem hässlichen Gesicht, den Wabbelbäckchen und dem Doppelkinn, ihr Körper grau und unförmig, alle Nerven tot und das Herz klein und grün wie eine Erbse, in ihren Bauch war ein Loch getreten worden, steh wieder auf, bevor Alex dich so sieht, etwas kitzelte ihre Füße und sie fuhr wieder in ihren Körper wie die Eisenbahn in einen Tunnel. Ein kalter Berg lastete auf Kopf und Brust, aber in den Zehen knisterte ein kleines Feuer und sie spürte, wie sich langsam von unten Wärme über den gesamten Körper ausbreitete, sie seufzte, sie streckte sich, sie vergaß das Denken. Es brauchte eine Zeit lang, bis sie kapierte, dass ein blaues Tier mit blonder Mähne ihre Füße leckte. Sie dachte sich nur, ich bin verrückt geworden, und, hör nicht auf, schönes Monster, sie erkannte ihre eigene Schönheit, das Schwellende, Rosige, perfekt Gerundete, Samthäutige, Zartblauadrige, Perlmuttschimmernde, Feinnervige ihrer Zehen erkannte sie, ja, selbst ihre Nase war voll vom Jasmingeruch ihrer Sohlen. Sie musste es tun, sie hob die Hand und legte sie auf die Schnauze des Tieres, streichelte es, es sah auf und sie sah alles in seinen Augen: Die Hölle, die Sehnsucht, die Angst, den Stolz, die Hingabe, den Abschied, den Himmel, die Dankbarkeit.
Zu spät! Wir haben viel zu spät reagiert! Das Fluidum ihres Liebesschmerzes war bereits in Ticklers Blutbahn und schließlich in sein Herz gelangt, hatte ihn infiziert. Dass er wie dieser Alex auszusehen begann, machte es nur zu offensichtlich!
Ich hatte ihn doch gewarnt! Aber ich hätte es besser wissen müssen, so wie Tickler mich drängte. Er wollte endlich auch einen Einsatz bei einer Frau mitmachen.
„Die Füße der Menschenfrauen sieht man immer?" Er sah mich treuherzig an.
„Vergiss es, du musst professionell bleiben! Dass man die bei denen immer sieht, hat nichts zu bedeuten, die sind deswegen nicht scharf!"
„Anfassen darf man die auch nicht?"
„Es ist gefährlich, wenn du dabei dein Herz öffnest, kann das Fluidum hineingelangen und dann bist du geliefert!"
Tickler lachte. „Ich doch nicht, seh ich aus wie ein verdammter Softie? Ich will doch nur ein bisschen Spaß haben mit ihr, falls sie hübsche Füßchen hat, so eine kleine Menschentussi kann mir doch nicht gefährlich werden!"
Er schnippte verächtlich mit den Fingern. „Mein Herz ist hart und stark wie Stahl!" Und dann schlug er mit der Faust so fest gegen die Wand, dass sie erzitterte.
Zu spät, viel zu spät zerrte Ölter ihn von Johanna weg, Urgur machte kurzen Prozess und zertrat mit einem Schritt Johannas Kopf.
Tickler fiel wimmernd zu Boden, kein Gold war mehr an ihm, er roch intensiv nach Menschenliebe, wir konnten unsere Gier kaum unterdrücken. Urgur wieselte bereits um ihn herum, beschnupperte Tickler, knurrte. Ich stieß ihn weg. Die Infektion konnte durchaus auch auf Urgur übergreifen, die Schwelle zwischen den Arten war überschritten worden.
„Wir müssen ihn so schnell wie möglich ins Quarantänehaus schaffen!" Wir hoben ihn hoch, er war federleicht. Ich hatte so große Hoffnungen in ihn gesetzt, er wäre sicher einer unserer besten Kämpfer geworden und nun musste ich ihn an diesen schrecklichen Ort bringen.
Die massive Stahltür schwang auf, wir wollten unseren traurigen Auftrag so schnell wie möglich hinter uns bringen. Aus dem dunklen Raum drang Gewisper und Gekeife zu uns. Die Süchtigen rochen bereits, dass der Neuankömmling voll mit frischem, süßem Stoff war. Ich schaltete das Deckenlicht ein, ein paar zerlumpte Gestalten verschwanden wie Kellerasseln in den Spalten an der Wand.
„Du hast nur eine Chance, wenn du an Johanna keinen einzigen Gedanken mehr verschwendest!・ Mit diesen Worten stieß ich Tickler in den Raum. Eilig trat ich durch die Tür hinaus und verriegelte sie sorgfältig. Ich warf einen letzten Blick durch das Gitterfenster, was sich da abspielte, werde ich nie mehr vergessen:
Dort, wo Tickler gerade noch gestanden hatte, erblickte ich eine Säule aus aberwitzig sich windenden Körpern, sie glich einem Gewächs, das sich selbst fraß, einer geil aufschießenden Pflanze, die rasch wieder in sich zusammenfiel, Strähnen von Ticklers langem Haar wirbelten durch den Raum, das war alles, was von ihm übrig blieb.
Ich klappe den Akt zu und starre nachdenklich auf die gegenüberliegende Wand. Mein Blick gleitet über das Foto des Präsidenten, die Lichtreflexe auf seinen Hörnern sind offensichtlich retuschiert. Schon greife ich nach den Unterlagen zu unserem nächsten Fall, da halte ich inne und atme tief durch.
Ich stehe auf und gehe hinaus auf den Gang, um mir vom Automaten Kaffee zu holen.