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Schöne Monotonie
Es ist schon wieder Weihnachten.
Es ist schon wieder ein Buch.
Es ist schon wieder für sie.
Es ist schon wieder einer dieser Tage.
Was soll ich ihr bloß schenken?
Möchte sie es wirklich?
Möchte sie es von mir?
Ist es das, was sie möchte?
Fragen und Gedanken purzeln tagein, tagaus, umher wie kleine, abgenutzte Spielwürfel. Als heute morgen mein Wecker klingelte, hatte ich auf einen ganz normalen Tag gehofft, aber da hatte mir meine Vergesslichkeit einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es war 6:30 Uhr, die Wolken hingen noch schwer am Nachthimmel und mein Wecker, der sanft mit Licht und Ton wecken sollte, leuchtete bereits. Einer der Lichtstrahlen hämmerte unermüdlich auf mein Gesicht ein, oder waren es eher die Sorgen und Nöte? Ich weiß es nicht mehr. Ich lag einige Minuten wach im Bett und schaute verträumt die Decke an. Alte, dunkelbraune Balken hielten die mittelalterliche Decke des Altbaus über mir, manchmal wünschte ich, sie würden einfach nachgeben. Risse waren deutlich zu sehen, sie fraßen sich wie Würmer durch das Holz. Und doch hielten die Balken stand. Ich glaube, sie wollten mir ein Zeichen setzen.
Erst, als mich ein eisiger Luftstoß überraschte, kam ich frierend in die Realität zurück.
Es half nichts, also musste ich aufstehen und schleppte mich träge in das Bad. Im Spiegel blickte mir ein alt gewordener, müder Mann mit grauen Schläfen und smaragdgrünen Augen entgegen, doch ich ignorierte seinen eindringlichen Blick. Stattdessen entledigte ich mich meiner Hose und nahm eine kurze, kalte Dusche. Es würde zu lange dauern, den alten Boiler zu heißem Wasser zu überreden. Schnell abgetrocknet und angezogen, ließ ich das Frühstück wie immer aus und eilte aus der Wohnung. Unten im Treppenabgang traf ich auf Frau Schmidt, die vom Leben gezeichnet war. Wie alle in diesem Haus. Sie fuchtelte mit einem Brief vor meiner Nase, irgendeine Ermahnung. Ich schob ihn nur unsacht in meine Jackentasche und lief zur Arbeit.
Doch statt mich dort wiederzufinden, stand ich plötzlich in dieser alten Buchhandlung; um mich herum ganz viele Menschen, in denen ich wie ein Anker unterging. Im Hintergrund trällerte irgendein überfröhliches Lied, das schon viel zu oft gespielt wurde. Es lag Weihnachten in der Luft; es roch nach Zimtsternen und Punsch. Ich mochte Zimt, ich mochte Punsch. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt musste ich nur noch ein Buch finden. Irgendeines, das ihr gefiel. Die ganzen Regale hatte sie voll mit Büchern, bis obenhin an die Decke. Bei dem Gedanken an ihr eines, altes Buchregal musste ich schmunzeln. Immer wenn ich an sie denke, wird es mir warm um mein Herz. Ich schien wohl eine halbe Ewigkeit im Eingang des Ladens zu stehen, bis sich ein alter Opa mit Gehstock über die „Unverfrorenheit einiger Menschen“ etwas zu laut beschwerte. Er meinte mich, er konnte nur mich meinen. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Jackenkragen, steckte die Hände in die Tasche und spürte einen Zettel zwischen meinen Fingern. Der Brief.
Ich begann mich umzuschauen. Rechts von mir standen die Neuheiten, Biografien von ach so bekannten Menschen, die die Welt verändern und Tipps für ein besseres Leben. Ohne sie zu beachten ging ich weiter. Nun kam ich zu den Fantasy Büchern, vor denen sich pummelige Jungs mit Brillen tummelten und über den neuen Star Wars Film fachsimpelten. 'So war ich nie', schoss es mir in die Gedanken. Ich stand nun inmitten des ganzen Getümmels. Eine Frau blickte mich neugierig an. Dachte ich zumindest, bis sie an mir vorbeiging, ihr Rosenduft schmeichelte meiner Nase, und sich einen Hausfrauenratgeber an der nahestehenden Auslage krallte. Interessiert blickte ich auf den Titel „Kochen für Dummies“, schüttelte dann jedoch unmerklich den Kopf und ließ mich vom Menschenstrom in die Liebesromanabteilung treiben. Ich beobachtete ein junges Mädchen, dass sich heimlich einen solchen Schmöker nahm und kichernd den Klappentext laß. Wenn sie nur wüsste. Ich überflog einige Titel, doch nichts interessantes war dabei. Plötzlich stieg mir ein leichter, süß riechender Geruch in die Nase. War es das Rosenparfum? Tatsächlich, die Frau stand neben mir und lächelte mich an.
„Suchen Sie etwas bestimmtes?“ fragte sie mit lieblicher Stimme. Ihre blauen Augen strahlten vor Liebe, Liebe für einen anderen Mann.
„Nein, danke.“ sagte ich leicht verwirrt und steuerte auf die Rolltreppe zu.
Oben angekommen, zog es mich zu der Psychologieabteilung. Vor ihr stand eine junge Dame mit grünblauem Haar, tief in ein Buch versunken. „Ich bin nicht depressiv, das ist nur eine Phase“ hieß der in großen schwarzen Lettern geschriebene Titel. Ich konnte nicht einschätzen, ob es nun Spaß oder ernst gemeint war.
„Das ist aber eine schwere Lektüre.“ sagte ich vor mich hin, laut genug, damit nur sie und ich es hören konnten. Ich schaute auf die bunten Bücher, beobachtete sie jedoch aus dem Blickwinkel. Ihr angestrengter Blick wich einem weichem Ausdruck.
„Ach, finden Sie?“ flüsterte sie kaum hörbar, ohne den Blick abzuwenden. Ich drehte mich zu ihr und betrachtete ihr Profil.
„Warum das?“ fragte ich neugierig und tippte auf die aufgeschlagene Buchseite.
„Kennen Sie das Gefühl, keiner würde Sie verstehen?“
Ohne zu überlegen nahm ich ihr das Buch aus der Hand und hielt diese fest. Sie erwiderte den Händedruck nach kurzem Zögern, schaute mich jedoch verwundert an. Ich blickte in ihre faszinierenden Augen. Eines war grün wie meines, eines war braun.
„Eine sehr seltene Krankheit“ sagte sie, als ich sie genau musterte.
„Das ist ein Geschenk, keine Krankheit.“ antwortete ich.
Sie lächelte, es war ein schönes Lächeln.
„Lass uns ein Buch finden. Ich suche dir eines aus, du suchst mir eines auch. Wie findest du das?“ schlug ich vor.
Sie nickte und zog mich von den deprimierenden Büchern weg.
Im Hintergrund lief „Rocking Around The Christmas Tree“ und ich summte das Lied leise mit. Sie gab den Weg vor und ich folgte ihr, meine Hand war in ihre gelegt. Sie war warm und weich. Ich drückte sie erneut, um mich zu vergewissern, dass es kein Traum war, ihre Hand antwortete zugleich darauf. Ohne mich zu versehen landeten wir vor Kunstbüchern.
„Dort.“ sie zeigte mit einem Finger zu einem großen, dicken Wälzer mit dem gesamten Werk von Leonardo da Vinci. Ich war erstaunt. Genau das war es. Ich ließ ihre Hand los, um nach dem Buch zu greifen. Es wog wie eine Feder in meiner Hand. Als ich mich umdrehte, war sie weg. Doch anstatt mir mein Lächeln verging, wurde es nur breiter. Und vor mir stand ein Weihnachtsbaum. Er strahlte hell, ein Engel war auf seiner Spitze sanft platziert. Ich holte tief Luft. Es roch nach Zimt, nach Rosen, nach Weihnachten.
Es war Weihnachten.
Es war wieder diese Buchhandlung.
Und es war schon wieder ein Buch, ein gutes Buch.
Es war einer dieser Tage, schon wieder. Ein wunderschöner Tag.
Und sie, sie wollte das Buch. Von mir, nur von mir. Vor vielen Jahren. Nur dieses eine Buch.