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Schöne Bescherung
Das Haustelefon ruft Luca zum Schreibsekretär.
„Luca, bist du's?“ Mamas Stimme klingt blechern, nicht wie gewohnt. Die Nummer auf dem Display kennt Luca gar nicht.
„Hallo, Mama! Wo bist du?“
„Der grüne Zettel oben auf dem Laptop, der ist für dich! Deine Hausarbeiten, bis ich zurück bin.“
Luca liest – und staunt. Tränen kullern.
„Aber Mama! Das soll doch Andres machen, hab' ich selber von dir gehört.“
„Nein, Luca! Dein Bruder hat andere Aufgaben von mir bekommen. Ich verlasse mich auf dich, Schatz. Bis bald."
Der Blondschopf versteht die Welt nicht mehr, hässliche weinrote Flecken verunstalteten sein Gesicht. Der Neunjährige fährt mit dem Zeigefinger über die Zeilen, liest nochmals, kann`s nicht glauben.
„Aber nur weil bald Weihnachten ist, Mama!“ kreischt er zum Fenster hin und wirft den „Giftzettel“ unter den Sekretär, tritt noch mal kraftvoll nach. Dann brüllt er: „Kinderarbeit ist verboten!“
Mit hängenden Schultern trottelt Luca in den Keller, wo er putzen soll.
„Mensch, das war cool!“, prustet Andres, verschränkt zufrieden schmunzelnd die Hände im Nacken und dreht zwei Karussell-Runden im PC-Sessel, oben in seinem Domizil unter dem Dach.
„Die Lyrebird-Software funktioniert genauso, wie Benny mir das erklärt hat. Meine Stimme klingt exakt wie Mamas. Auf den Fake kommt`s nervige Brüderchen niemals!“ Der dunkelblonde 15-jährige Lockenkopf stellt entspannt Leckereien neben den Laptop, die Mama verboten hat: Cola-Flasche, Beutel mit Gummitiere, Muffins.
Zocken und schillen ist angesagt!
Vor der Workman-Dusche im Keller stehen die Putz-Utensilien. Drinnen, unter dem Handwaschbecken, warten zwei mit Lehmklumpen beschmierte Fußbälle auf Frischwasser. Verschwitzte Sportklamotten inklusive verklumpte Fußballschuhe der beiden Brüder türmen sich in der Mitte. Mit spitzen Fingern stopft Luca die Sportsachen in den Wäschesack.
Der erste Ball, aus den Handgelenken geworfen, landet haargenau im Handwaschbecken. Treffer! Dreimal mit Papas Waschlappen über die Oberfläche wischen. Das reicht! Beim zweiten Fußball vergrößert der Junge den Abstand, trifft wieder genau das Becken. Trommelt mit den Fäusten auf die Brust. Zweimal kurz Ball-Wisch-Wasch, fertig!
Nun die Fußballschuhe. Aber nicht einzeln, sondern paarweise. Schwierigkeitsgrad erhöhen! Abstand zum Waschbecken: Mindestens vier Meter. Luca steht außerhalb der Dusche, muss etwas ums Eck zielen – auf 10 Uhr – wie Papa zu sagen pflegt. Schnürsenkel als verlängerten Arm benutzen, schwungvoll schleudern und werfen. Daneben!
„Noch zwei Versuche!“, ruft er, als wäre er sein eigener Schiedsrichter. Das macht Spaß!
Fußballschuhe sausen schwungvoll in die Dusche. Krach! Bums! Klirr! „Oh, der Spiegel über dem Waschbecken“, flüstert Luca erschrocken. Recht hat er! Der Spiegel samt Papas Fläschchen, Flaschen und Döschen liegt zersplittert auf dem Fußboden.
Luca blickt auf das Malheur, greift, nach kurzem Kopfschütteln unbeeindruckt den Besen und schiebt lustlos ein paar Splitter zusammen. Verbissen ruft er in Richtung Kellerfenster: „Das passiert bei Kinderarbeit, Mama!“
Das Scheppern im Keller kann man selbst in der Dachkammer nicht überhören, wo Andres mit Hingabe zockt.
Zuerst kommen ihm Einbrecher in den Sinn, dann ist klar: „Luca hat wieder Blödsinn fabriziert!“ Mulmiges Magendrücken meldet ihm gewaltigen Verdruss! Mehrere Stufen auf einmal nehmend, rast er in den Keller, stolpert in der Duschkabine über den Scherbenhaufen und weiß Bescheid.
„Andres, das wollte ich nicht! Was machen wir jetzt? Wenn Mama das sieht, bekomme ich keine Weihnachtsgeschenke!“
„Wieso wir? Du bist das blöde Schaf. Ich habe keinen Putzauftrag von Mama bekommen, sondern du!“
Ja aber - du bist doch mein Bruder! Du musst mir helfen!“
„Helfen, helfen! Wer verpetzt mich immer bei Mama bei jeder Kleinigkeit? Wer drückt sich immer vor der Hausarbeit? Natürlich der Kleine mit den unschuldig blauen Augen! Nicht wahr?
„Andres, ich verspreche dir …“
„Wie oft habe ich dir aus der Patsche geholfen, und wie oft hast du deine Versprechen gebrochen?“
„Wirklich, Andres, ab jetzt halte ich meine Versprechen. Ich schwöre!“
Genau das will der große Bruder hören, weil er bereits einen perfekten Plan im Kopf hat.
„Gut, Luca, du gibt’s mir von deinen Geschenken die fünfzig Euro, die Oma jede Weihnachten verteilt und ich sage zur Mama, dass mir der Spiegel kaputtgegangen ist.“
„Nee, Andres, das kannst du nicht machen, die fünfzig Mücken habe ich schon lange verplant!“
„Na gut!“, ruft der Große über die Schulter. „Denk mal nach, bei dem Mist hier bekommst du nicht ein einziges Geschenk, auch keine fünfzig Euro.“
Luca zieht ein zitronensaures Gesicht, reißt den Bruder am Ärmel zurück: „Gut, Hand drauf! Ich mach`s.“
„Aber schweigen! Zu Mama und Papa kein Sterbenswörtchen. Klar?“
„Klar, mein liebster Bruder, du kennst mich doch.“
„Eben. Die Scherben fege ich selber weg. Du machst das sowieso nicht ordentlich genug. Wenn Papa aus der Werkstatt kommt und duscht, schneidet er sich womöglich noch in den Fuß. Geh in dein Zimmer spielen.“
Das lässt sich Luca nicht zweimal sagen und stürmt in sein Kinderzimmer.
Inzwischen kommt Papa. Seine erste Reaktion: „Nun hat´s den Blinden erwischt, der war schon lange fällig.“ Andres fegt die letzten Scherben zusammen. „ Hast wohl mit dem Besen Tanzen geübt, Großer?“
„Nee, Papa.“
„Halb so wild. Jetzt habe ich einen guten Grund und will gleich den neuen Spiegel anbauen. Das wollte ich längst mal machen.“
Andres reibt sich heimlich die Hände und murmelt: „Besser kann es gar nicht laufen.“ Bauchgrummeln meldet sich hintergründig.
Am nächsten Morgen sitzt die Familie um den Frühstückstisch.
Mama sagt: „Mein lieber, lieber Gatte, wie viele Wochen hat es gedauert, bis in der Kellerdusche der halbblinde Spiegel gegen den neuen ausgetauscht wurde!“
„War sowieso für gestern geplant, Andres hat mir geholfen“, nuschelt Papa mit vollem Mund.
Luca stutzt, reißt Mund und Augen auf, springt hoch vom Stuhl, steht stocksteif da und zeigt mit ausgestrecktem Arm stumm auf Andres.