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Schöne Bescherung
Ausgerechnet einen Tag vor Heiligabend wird der Weihnachtsmann krank.
Er hat nicht nur einen leichten Schnupfen oder Halsschmerzen, oh nein - richtig schlecht geht es ihm! Den ganzen Tag dröhnt ein lautes „Hatschi!“ durch den Winterwald, sodass sich nicht einmal der Fuchs in seine Nähe traut.
„So ein Mist!“, schimpft der Weihnachtsmann. „Ausgerechnet jetzt muss mir das passieren!“
Mit einem dicken Schal um den Hals, sitzt er in seinem großen Lehnsessel und nippt an einem Kräutertee. Ab und zu hält er seine Nase über einen dampfenden Wassertopf, aber das hilft alles nichts! Er hustet und schnieft nach wie vor entsetzlich. Seine Nase ist inzwischen so rot, wie die Weihnachtskugeln am Baum, der prächtig angeschmückt im Zimmer steht. Selbst seine Stimme ist kaum noch zu hören; nur ein leises Krächzen dringt durch seine Kehle. Und morgen ist Heiligabend! Kummervoll beobachtet er den großen Zeiger an der Wanduhr – ticktack, ticktack -, unaufhaltsam rückt er dem großen Ereignis entgegen. Was soll nur werden? Bis morgen ist er kaum wieder auf den Beinen.
Die kleine Hexe Burgunda, die ganz in der Nähe wohnt, kann bei diesem Lärm nicht schlafen. Sie stopft sich Watte in die Ohren, kriecht unter die Bettdecke, aber es ist einfach nicht zum Aushalten. Der Lärm hört nicht auf! Ich muss nach dem Alten sehen, denkt sie und springt ärgerlich aus dem Bett.
Burgunda schlüpft in die Pantoffeln, greift nach ihrem Besen und macht sich schnurstracks auf den Weg zum Weihnachtsmann.
Gerade, als sie gegen die Tür hämmern will, dringt ein lautes „Hatschi!“ aus der Hütte. Plötzlich rumpelt es auf dem Dach, und ehe Burgunda sich versieht, donnert eine Schneelawine auf sie herab. Das ist zuviel für eine Hexe! Wütend klopft sie sich den Schnee ab, stößt die schwere Eichentür auf und ruft empört:
„He guter Mann, was machst du nur für einen Lärm?“ Aber sie erhält keine Antwort.
Burgunda tritt in die Stube und schaut sich um. Als sie jedoch den Weihnachtsmann so jämmerlich in seinem Sessel erblickt, tut er ihr furchtbar leid. Wie ein Häufchen Unglück hockt er da und wischt sich unentwegt über die glänzende feuerrote Nase.
„Was hast du denn, geht’s dir nicht gut?“, fragt sie mitleidig und tritt näher an ihn heran.
Der Weihnachtsmann schnäuzt so kräftig in sein riesiges Taschentuch, dass Burgunda sich die Ohren zuhält.
„Ich kann … ha … ha … hatschi! … Heiligabend un … un … hatschi! … unmöglich die Kinder bescheren!“, bringt er mühsam hervor.
„Oje – das ist ja schlimm!“, erwidert Burgunda.
„Na bitte, jetzt haben wir die Bescherung! So was ist mir noch nie passiert!“, stellt der Weihnachtsmann unglücklich fest. „Es geht nicht! Ich kann … hatschi! … einfach nicht!“
Burgunda sieht ihn fassungslos an.
„Aber du kannst Weihnachten doch nicht ausfallen lassen! Was sollen die Kinder von dir denken, wenn du nicht kommst? Das ist ja eine Katastrophe! Ein Weihnachtsfest ohne Weihnachtsmann? Das geht auf keinen Fall!“
Der Weihnachtsmann krault sich den weißen Bart und überlegt angestrengt.
„Nun … ich hätte da so eine Idee!“
„Und die wäre?“, fragt Burgunda neugierig.
„Du musst für mich einspringen!“
„Iiich … wieso ich? Sehe ich etwa aus wie der Weihnachtsmann?“, fragt Burgunda entrüstet.
„Eigentlich nicht!“, gibt der Weihnachtsmann zu, „ … aber mit ein bisschen Hexerei vielleicht - wenigsten so ungefähr!“
Burgunda winkt mit erhobenem Zeigefinger: „Nee mein Lieber! Da musst du dir einen anderen suchen!“
„Aber wa … wa … hatschi! … warum nicht?“, will der Weihnachtsmann wissen.
Burgunda gibt keine Antwort, sondern schüttelt nur den Kopf, dass die Zotteln hin und her fliegen. Langsam dreht sie sich um, tippelt zu einem Spiegel und betrachtet sich von allen Seiten: Spindeldürr ist sie; ihre kurzen, krummen Beine staksen in riesigen abgetretenen Filzlatschen, kunterbunte Ringelsocken schlappen an den Waden und die roten Haare hängen wirr durcheinander. Unter ihrem Mantel lugt ein ausgefranster Kittel hervor und auf der großen Nase prangt ein fürchterlicher Buckel.
„Ausgeschlossen!“, trotzt sie. „Die Kinder werden erschrecken und nie wieder Weihnachten feiern wollen!“
Der Weihnachtsmann ist ratlos und enttäuscht. Mutlos lässt er den Kopf hängen.
„Du hast selbst gesagt, dass wir Weihnachten nicht ausfallen lassen dürfen! Also hilf mir auch!“, fleht er die kleine Hexe an.
Burgundas Blick wandert zwischen ihrem Spiegelbild und dem Weihnachtsmann hin und her. Sie seufzt! Der Alte hat ja recht, aber warum ausgerechnet sie? Als Burgunda sieht, dass der Weihnachtsmann feuchte Augen bekommt, willigt sie schließlich ein.
„Also gut, ich will es versuchen! Aber nur dieses eine Mal! Verstanden?“
Dem Weihnachtsmann wird es ganz leicht ums Herz und zufrieden antwortet er: „Du bist ein Engel - Burgunda!“
„Mach keine Witze!“
Burgunda nimmt ihren kleinen Zauberbesen und schwingt ihn durch die Luft. Sie kneift die Augen fest zusammen und murmelt: "Hokus Pokus Eierpunsch, erfülle des Weihnachtsmann sein Wunsch!" Es beginnt zu rauschen und ein roter Nebelschleier hüllt sie ein, bis sie nicht mehr zu sehen ist. Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei und Burgunda steht in einem roten Mantel im Zimmer. Selbst der lange weiße Bart fehlt nicht.
„Na, wie sehe ich aus?“, fragt sie stolz und dreht sich um. Der Weihnachtsmann blickt entsetzt Burgunda an.
„Da stimmt wa … wa … hatschi! … was nicht?“, keucht er mühsam. Dann fängt er an zu grinsen.
„Wieso stimmt was nicht?“
„Guck dich doch mal an!“, fordert er Burgunda auf.
Die kleine Hexe schlurft zum Spiegel und erschreckt: „Potztausend, wie ist das denn passiert?“
Zwischen dem weißen dichten Haarschopf lugen zwei lange braune Hasenohren hervor. Burgunda wird ganz bleich im Gesicht.
„Ich glaub`, ich habe die Zauberformeln durcheinander gebracht!“, flüstert sie aufgeregt.
„Kannst du das wieder in Ordnung bringen?“, fragt der Weihnachtsmann.
„Ich versuch es, aber versprechen kann ich nichts!“
Burgunda entnimmt ihrer Manteltasche ein kleines Zauberbuch und beginnt eifrig darin zu blättern.
„O … Os … Ostern!“, murmelt sie, „ich glaub, ich hab’s!“
Wieder wedelt sie mit dem Besen und ruft: „Hokus Pokus Hasenschreck, mach mir schnell die Ohren weg!“
Es zischt abermals, und erneut breitet sich im Zimmer eine rote Wolke aus. Gleich darauf öffnet sie vorsichtig die Augen und sieht den Weihnachtsmann fragend an: „Und … sind sie weg?“
„Ja! Alles in Ordnung!“, lobt der Weihnachtsmann. „Na also, geht doch! Bis auf die große Nase sieht doch kein Mensch, dass in diesem Jahr eine Weihnachtshexe die Bescherung macht“, sagt er erleichtert und verkriecht sich in sein Bett.