Mitglied
- Beitritt
- 08.08.2002
- Beiträge
- 888
Schön wars mit euch
Sie hat ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Es sind Tage der Verzweiflung gewesen und Tage der Euphorie. Sie wurde herumgeschüttelt und durcheinandergewirbelt von den Erkenntnissen, die sich ihr aufgedrängt haben, nach dem Aufprall auf dem Boden der realen Todessehnsucht, der Seeligkeit im Leid. Sie brauchte ein Ventil dafür es herauszulassen, mit der Wucht fertig zu werden, welche die Welle der Emotionen in ihr an Druck verursachte. All das Kommunizieren und Aussprechen, therapeutisch und im Freundeskreis war zu wenig. Ihre Erfahrungen, ihre Fragen und Zweifel wollte sie in den Raum werfen. Sie sollten nicht ungehört verhallen, sondern Reaktionen und Gedanken provozieren, Anregungen finden zum Weitermachen. Schritte finden, einen nach dem anderen setzen. Wenn sie nachts nicht schlafen konnte, die Gedanken hochkrochen in ihrer Seele und die Tränen an der Innenwand des Herzens ihren Weg suchten, war sie allein. Dann setzte sie sich an den PC und ließ den Schmerz, den Wahnsinn und die Unsicherheit, aber auch die aufkeimenden schönen und sinnvollen Gedanken in die Tasten fließen. Sie nahm Verbindung auf zu Menschen die sie aufgrund ihrer eigenen Lebensdarstellungen fast ein wenig lieben, zumindest aber schätzen lernte. Sie fühlte sich verstanden, aufgedeckt, gebremst und getrieben von den Kritiken dieser Menschen. Ihr eigenes Aufgewühltsein wurde durchleuchtet, hinterfragt, zerlegt und zusammengekittet.
Und dann eines Tages, heute, war der Punkt erreicht. Sie fühlte, dass es in den verschiedensten Bereichen ihres Lebens Zeit wurde abzuschließen. Seit einigen Wochen fand dieser Prozess bereits unvermindert statt. Eine Lade nach der anderen wurde geschlossen in der Regalwand der Erinnerungen, Enttäuschungen und Verletzungen ihres Lebens. Alles hatte sie sich angesehen, alles umgestülpt. Sich nicht gescheut alle Fragen zu stellen, nichts zu beschönigen und alles als Teil ihres Lebens anzunehmen. Sie lernte unendlich viel in dieser Zeit, über sich, die Menschen an sich und wie alles zusammenhängt. Sie fand den roten Faden der sich durch ihr Leben zog, wickelte das Knäuel auf bis zum Beginn ihrer Kindheit. Verstand, dass nichts zu ändern aber alles neu zu bewerten war um den roten Faden zu zerreißen. Und dann wusste sie, es ist Zeit zu gehen von manch Altbekanntem. Sich endlich zu lösen und statt Ventilen, Höhlen und Nischen des bisherigen Lebens hinaus zu schreiten in die Zukunft, mit dem Wissen um das was bis zu diesem Zeitpunkt geschah. Sie lernte zu lachen ohne von etwas oder jemanden abhängig zu sein und sich dem zu öffnen was immer da kommen mag. Sie streifte die Siegfriedshaut ab, die eine Unverwundbarkeitsbarriere bietete und lernte zu sagen; Achtung, Aufpassen – verwundbar. Sie legte auch die Masken der Stärke ab und brauchte nun ihre Unsicherheit, Traurigkeit, Wut und ihre Zerrissenheit dahinter nicht mehr verbergen. Sie fand sich langsam selbst und schaffte es im Laufe der Zeit, sich von der dritten Person zu verabschieden, wenn sie sich selbst beschrieb.
Ich habe mich selbst als wertvoll zu achten gelernt, mich mit eigenen erwachsenen Augen zu sehen. Manchmal werde ich euch vermissen.