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Saurer Regen

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05.07.2020
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Saurer Regen

„Mein Sohn ist kein Mörder.“ Schwär strich mit seinem schwieligen Daumen langsam über den Kaffeebecher auf dem Tisch. Wir waren alleine im Pausenraum des Zuliefererbetriebs, in dem er arbeitete. Die anderen hatten sich verzogen. Schwär hatte mir erklärt, dass Willi nicht länger im Knast bleiben könne. Weil er dort sterben werde. Mehr gab es für ihn nicht zu sagen.
Ich stand auf und griff nach meinem Mantel. „Wir brauchen neue Anhaltspunkte, irgendetwas, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen würde“, versuchte ich es noch einmal.
Schwär nickte, sah mich dabei aber nicht einmal an. Ich glaube, dass er mich gar nicht mehr hörte.
„Mach deine Arbeit“, rief er mir noch hinterher, bevor ich aus der Tür trat.

Ich saß im Auto auf dem Parkplatz der JVA. Die Heizung lief, trotzdem fror ich erbärmlich. Ich las wieder mal die Akte. Das Opfer, eine neunzehnjährige Polin, lebte mit ihrer Familie in einer gemeinsamen Unterkunft in der Adlerstraße. Irgendwann lief sie von zu Hause weg. Danach verlor sich ihre Spur. Bis sie zwei Jahren später wieder auftauchte. Vollgepumpt mit Drogen. Spuren von Gewalt am ganzen Körper. Stranguliert.
Während ich mit den Papieren raschelte, prasselte der Regen auf die Windschutzscheibe und das Dach des Wagens. Ich überlegte. Rauchte eine Zigarette und blickte aus dem Fenster. Dann ging ich rein.

Wir saßen uns gegenüber. Willi, ein Hüne mit Händen, so groß wie Schaufeln, krakelte herum wie ein Fünfjähriger.
„Malen tut er gern“, hatte Schwär mir gesagt. „Ritter, Autos, solche Sachen.“
Also war ich los und hatte Buntstifte und Papier besorgt. Konzentriert betrachtete Willi für einen Moment sein Werk. Legte die Grün weg und griff nach einem blauen Stift.
„Willi, ich möchte mit dir noch mal über diesen Abend sprechen“, begann ich behutsam.
Er antwortete nicht. Nur das Kratzen auf dem Papier war zu hören. Willi hatte die langen roten Haare zu einem Zopf zusammengebunden, sein Bart hing ihm bis über den Kragen seines T-Shirts. Während er das Bild betrachtete, hatte er die Zunge zwischen den Lippen. Sanfter Riese, hätte man wohl gesagt. Wenn man die Akte nicht kannte.

„Läuft nicht mehr rund“, hatte Schwär erklärt und an mir vorbeigeblickt. „Seit St. Peter Ording nicht mehr.“
Ein Verschickungskind der frühen 60er-Jahre. Bis zu sechs Wochen lang steckte man die Kleinen damals zu dreißigst in einen Schlafraum. Löste backsteingroße Butterstücke in riesigen Kakao-Kannen auf, jagte sie am Tag die Deiche hoch und ließ sie am Abend so viele Schwarzbrote essen, bis der erste davon kotzen musste.
„Der war damals schon beinahe so groß wie heute. Nur wiegen tat er nichts.“
Beim dritten Ausflug in das Heim fand man Willi eines Tages alleine im Duschraum. Mit zertrümmertem Schädel lag er da.
„Kam nie raus, was genau passiert ist“, erzählte mir Schwär, während er Zigarette rauchte und aus dem Fenster sah. „Seitdem war er … anders als die anderen Kinder. Langsamer. Nicht mehr richtig im Kopf. Konnte sich die dollsten Sachen merken, aber Sprechen, Schreiben, Umgang mit Menschen … schwierig.“

„Der Abend mit dem Mädchen“, fuhr ich fort. „Du hast mit den Polizisten darüber gesprochen, erinnerst du dich? Hast denen erzählt, wie du Sie gefunden hast.“
Das Kratzen auf dem Papier hörte auf. Willi behielt den Stift in der Hand, den Blick stur auf das Blatt vor sich gerichtet.
„Das Mädchen und du, ihr wart in dieser Gasse bei den Mülltonnen. Und dann? Was war dann?“
Willi hob langsam den Kopf und sah mich an. Zum ersten Mal trafen sich unsere Blicke. Ganz leicht zitterte seine Hand mit dem Stift.
„War da noch wer?“

Vor Gericht war damals nichts aus Willi herauszubekommen gewesen. Erst als sie ihm nach der Urteilsverkündung wieder Handschellen anlegen wollten, hatte er wohl überhaupt verstanden, dass er nicht einfach wieder nach Hause gehen konnte. In den Vernehmungen hatte Willi zu allem, was ihm die Beamten in den Mund legten, Ja und Amen gesagt. Hatte an den richtigen Stellen genickt und die spätere Strategie seines damaligen Verteidigers bereits im Vorfeld höchstselbst zerbröselt.
Beim allerersten Verhör direkt nach seiner Festnahme aber, hatte er ein einziges Mal davon gesprochen, dass er das Mädchen halb nackt zwischen Mülltonnen gefunden hatte. Dass er sich Sorgen gemacht habe, weil es doch so kalt gewesen sei. Also habe er ihr seine Jacke umgelegt. Irgendwann war er dann weggerannt.
„Warum?“, hatten die Beamten ihn gefragt.
„Angst“, hatte er geantwortet.
„Angst?“, hatten die Beamten gefragt. „Weil du ihr was getan hast?“
„Der Mann im Auto“, hatte er geantwortet.
Danach war nie wieder die Rede davon gewesen.

Ich saß alleine am Tisch. Willi hatten Sie wieder weggebracht. Kein Wort über den Mann. Nichts über das Auto. Ich fragte mich, warum ich überhaupt hergekommen war. Müdigkeit überkam mich, als ob sie nur darauf gewartet hatte, mit aller Wucht zuzuschlagen. Ich sah mich um, stellte mir nicht zum ersten Mal vor, wie es wohl wäre, hier eingesperrt zu sein. In eine Welt in Grau. Mit grauen Fluren, grauen Türen, grauen Gesichtern. Morgens Wurst. Mittags was vom Blech. Abends Wurst. Kein Gemüse. Ab und zu vielleicht mal eine matschige Birne, wenn du Glück hast. Dein Tag davon bestimmt, welcher Schließer gerade Dienst tut oder wem du auf dem Flur begegnest. Und im Hof - auf die Fresse. Jeder, der behauptete, dass es draußen auch nicht viel besser sei, wusste einen gottverdammten Scheiß.
Ich sammelte die Stifte ein. Sie hatten nicht erlaubt, dass Willi sie behalten durfte. Griff nach den Bildern und packte alles zusammen in meine Tasche. Draußen setzte ich mich in mein Auto und schloss die Augen. Ich steckte fest.

„Du bist ein lausiger Anwalt.“ Schwär stellte seinen Kaffeebecher auf den Tisch. Holte ein Feuerzeug aus seinem Arbeitsoverall und entzündete eine Zigarette. Mir bot er keine an. Wir schwiegen eine Weile. Irgendwann sagte ich: „Wir telefonieren.“
Schwär nickte und blickte aus dem Fenster. Draußen regnete es noch immer. Tropfen liefen an der Scheibe herunter. Ich stand auf und ging zur Tür.
„Er muss da raus“, sagte Schwär leise.
Ich drehte mich um und schaute ihm ins Gesicht. Er sah ungesund aus, blass, die Augen tief in den Höhlen. Er nahm einen Zug und blickte wieder aus dem Fenster.
„Ich melde mich“, sagte ich lahm und ging.

Im Alt war wenig los, selbst für einen Vormittag. Ich bestellte ein Bier und ging zu dem Mann im hinteren Teil der Kneipe. Klaus hob den Blick, sah mich für einen Augenblick aus kleinen Augen an und wand sich wieder seiner Zeitung zu. Ich setzte mich.
„Saurer Regen schreiben die“, sagte er nach einer Weile. „Henning, die Welt geht vor die Hunde. Jeden Tag ein bisschen. Und noch zu unseren Lebzeiten ist irgendwann alles aus, sag ich dir. Letztes Jahr Caesium-137, Strontium-90 und all das … jetzt saurer Regen.“ Er las weiter. Hustete und schüttelte den Kopf. Ich nahm einen Schluck Bier und schwieg. Irgendwann gab er auf. Faltete die Zeitung zusammen, legte sie neben sich und sah mich an.
„In Ordnung. Was willst du?“
„Willi Schwär“, antwortete ich.
Klaus überlegte, dann schnaubte er. „Der Mongo? Meine Güte, da hab ich dir vor ein paar Wochen doch schon alles zu gesagt.“
Ich schwieg. Griff in meine Tasche und legte einen Briefumschlag auf den Tisch. Er sah mich ernst an. „Henning, lass es sein.“ Dann griff er nach dem Umschlag.
Ich nahm noch einen Schluck Bier und Klaus drehte sich eine Zigarette. Als er fertig war, sagte er: „In der Nacht, als sie das Mädchen fanden, haben sie ein paar Straßen weiter Verkehrskontrollen durchgeführt. Dabei haben sie auch einen Mercedes rausgezogen, der wohl zu schnell unterwegs war. Am Steuer saß Ernst Wichmann.“
„Wichmann?"
„Ist nichts zu vermerkt. Kein Name, kein Eintrag. Vermute, dass Wichmann ein bisschen was hat springen lassen, damit er weiterfahren konnte. Zwei Tage später ist er dann brav zur Polizei und hat von sich aus eine Aussage gemacht. Dass er in besagter Nacht zwar in der Nähe war, ihm aber nichts aufgefallen sei. Dass er von einer Vorstands-Party kam und danach direkt nach Haus gefahren ist. Da hatte dein Willi im Übrigen auch schon alles gestanden, mehr oder weniger jedenfalls.“ Klaus machte eine Pause und grinste freudlos.
„Hör mal zu, Henning. Ich glaube ja, dass dieser Mongo das Mädchen umgebracht hat. Ganz einfach. Aber es stimmt, auch Wichmann war in der Nähe. Und zeitlich kommt es wohl auch hin. Jetzt sag ich dir aber mal was. Lass. Es. Glaubst du, so einer wie der lässt sich einfach ans Bein pissen? Meinst du nicht, dass der mit seiner Kohle und seinen ganzen Verbindungen aus gutem Grund dafür gesorgt hat, dass nichts von der Sache an die Öffentlichkeit kommt? Und denkst du, dass der sich jetzt zwei Jahre später in aller Öffentlichkeit mit Scheiße bewerfen lässt? Pass bloß auf, dass ...“
„Dass was?“
"Henning, wie oft warst du jetzt schon beim Schwär im Gefängnis? Drei Mal? Vier Mal? Man wird sich nach dir erkundigt haben. Glaub mir einfach, wenn ich dir sage, dass dieser ganze Fall verloren ist."

Es klingelte, aber Schwär ging nicht dran. Als ich schon auflegen wollte, nahm er ab.
„Ja?“
„Herr Schwär, wir sollten uns treffen. Ich hab neue ...“
„Vergiss es.“
Eine Pause entstand.
„Vergessen? Sie verstehen nicht, ich habe ...“
„Er ist tot. Willi ist tot, hat sich gestern aufgehängt.“
Noch fünf Minuten, nachdem Schwär wieder aufgelegt hatte, stand ich da. Den Hörer immer noch in meiner Hand. Verloren.

Nach der Beerdigung ging ich auf ihn zu. Schwär stand alleine am Grab im Regen. Ich trat neben ihn. Es war ungewohnt, ihn in einem Anzug zu sehen. Die Hände in den Taschen blickte er in Richtung eines Mannes, der sich ein paar Reihen weiter mit einem Fotoapparat herumdrückte.
„Wenn der näher kommt, schlag ich ihm die scheiß Fresse ein“, murmelte er. Dann drehte er sich zu mir. Ich erschrak. Sein Blick war leer. Gar nichts lag mehr darin, außer dumpfer Abwesenheit.
„Mein Beileid“, sagte ich und streckte ihm meine Hand entgegen. Etwas Besseres fiel mir nicht ein.
Schwär nickte, griff aber nicht zu. Dann blickte er wieder zu dem Mann hinüber. Wir schwiegen eine Weile. Dann sagte ich: „Als ich Sie angerufen habe, vor zwei Wochen, … ich habe ...“
Ohne Vorwarnung versetzte mir Schwär einen Stoß. Ich taumelte.
„Jetzt hau schon ab! Es ist vorbei!“, schrie er mich an. „Mein Sohn ist tot, im Gefängnis verreckt.“ Er gab mir noch einen Stoß, ballte die Hände zu Fäusten. Sein Kiefer mit dem Bart zitterte. In seinem Blick lag grenzenlose Verachtung.

Ich saß an meinem Schreibtisch und blickte auf die Zeitung vor mir. Das Telefon klingelte, doch ich ging nicht dran. Handgreiflichkeiten auf Beerdigung von verurteiltem Mörder. Der Artikel sprach unter anderem von Nachforschungen im Fall der ermordeten Ania R. . Mein Name tauchte auf, dazu ein Foto, wie Schwär mich schubste. Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, dachte ich. Die Sache war vorbei. Keine Nachforschungen mehr. Ich warf sie in den Mülleimer und begann aufzuräumen. Zwischen meinen Papieren fand ich Willis Krakel-Bilder. Ein Ritter auf einem Pferd mit sechs Beinen, eine krumme Rakete, ein Auto mit einem Stern.
Und einem Nummernschild.

Der Mann. Das Auto. Das Nummernschild. Wichmann. Ich trat aus der Tür, wollte einen Spaziergang machen. Den Kopf frei kriegen. Die Wolken hingen noch immer wie vollgesaugte, dunkle Schwämme über der Stadt. Aber der Regen hatte aufgehört. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hielt ein Wagen. Die roten Bremslichter spiegelten sich in den Pfützen. Drei Männer mit kurzen Haaren stiegen aus. Ich bog um eine Ecke und richtete meinen Kragen. Im Augenwinkel bemerkte ich, dass die Männer mir folgten. Ich ging ein paar Meter, beschleunigte meine Schritte. Dann rannte ich los.

 

Hallo @Habentus,

ich starte mit den Kleinigkeiten, nimm dir, was du brauchst:

Wir waren alleine im Pausenraum des Zuliefererbetriebs in dem er arbeitete

Hätte hier ein Komma vor "in dem" gesetzt

Mehr gab es für ihn nicht zu sagen. Ich stand auf und griff nach meinem Mantel.

Was hältst du hier von einem Absatz nach dem ersten Satz?

Wir brauchen neue Anhaltspunkte, irgendetwas, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen würde

Ich bin da möglicherweise vorbelastet, ich meide den Konjunktiv, wo nur möglich, und das hier wäre so eine Möglichkeit. Vorher hast du schon so Formulierungen, könne, werde, okay, passt da auch, finde ich, aber hier ließe (:shy:) er sich problemlos einsparen, das gäbe (:shy:) der Aussage für mein Empfinden mehr Bums.

Während ich mit den Papieren raschelte, prasselte der Regen auf die Windschutzscheibe und das Dach des Wagens. Ich überlegte. Rauchte eine Zigarette und blickte aus dem Fenster. Dann ging ich rein.

Nur eine kleine Überlegung für mehr Bildhaftigkeit: Wenn er da aus dem Fenster schaut, was sieht er? Beziehungsweise: Was sieht er nicht? Vielleicht könntest du den Regen nur auf das Dach prasseln lassen - das fände ich an der Stelle auch rhythmisch schöner, ohne den und-Zusatz -, und dann im Anschluss erst das Bild der verregneten Windschutzscheibe ins Spiel bringen, so was wie: Rauchte eine Zigarette und blickte durch ... (hier gutes Bild für vollgeregnetes Fenster einfügen). :shy:

Willi, ein Hüne mit Händen, so groß wie Schaufeln krakelte herum wie ein Fünfjähriger.

Willi, ein Hüne mit Händen so groß wie Schaufeln, krakelte ...

Also war ich los und hatte dieses Mal Buntstifte und Papier besorgt.

Also war ich los, hm, klingt sehr regional, klang bisher noch nicht durch bei deinem Prota. Wenn sich solche sprachlichen Besonderheiten nicht später noch häufen, also eine Besonderheit deines Protas aufzeigen, würde ich da eine geläufigere Formulierung wählen, also war ich losgegangen oder so.
Außerdem irritiert mich hier das "dieses Mal" ein wenig, kann ich auf dem Zeitstrahl nicht richtig einordnen, wenn du weißt, was ich meine. Ist er direkt wieder los und kommt wieder zurück, ist das in der Vergangenheit passiert, also das Rumkrakelen? Wird hier nicht deutlich, mir zumindest nicht.

jagte sie am Tag die Deiche hoch und wieder runter und ließ sie am Abend so viele Schwarzbrote essen

Da hab ich wieder so kleine Rhytmusschwierigkeiten, "jagte sie am Tag die Deiche rauf und ließ sie am Abend ...", das klingt für mein Empfinden irgendwie runder. Ohne dass ich genau sagen könnte, woran es liegt.

Nur wiegen tat er nichts.

Hm, könnte wieder sehr subjektiv sein, fände hier "Nur gewogen hat er nichts" aber näher an der mir geläufigen Sprechsprache.

Mit zertrümmertem Schädel, lag er da.

Komma weg

Das Kratzen auf dem Papier hörte auf.

Kleinigkeit, wie so vieles in meinen Anmerkungen, aber ohne die auf-Dopplung fände ich es runder. Das Kratzen auf dem Papier ... hm, stoppte? Verstummte? Irgendwie so.

Bei seinem allerersten Verhör direkt nach seiner Festnahme aber, hatte er ein einziges Mal davon gesprochen,

Hier könntest du die seine-Dopplung tilgen, vielleicht: Beim allerersten Verhör nach seiner Festnahme, oder eben andersrum. Außerdem fühlt sich das Komma nach dem aber ... zumindest komisch an. Was aber auch am aber liegen könnte, das komische Gefühl.

welcher Schließer gerade Dienst tut

"Dienst tut" ... Hätte da ein "hat" erwartet.

Draußen lehnte ich mich gegen mein Auto und schloss die Augen.

Der Regen ist bisher allgegenwärtig, auch gleich in der nächsten Szene wieder, und so frage ich mich, ob er sich da wirklich einfach in den Regen stellt, ob er nicht schnell, mit über den Kopf gezogenen Mantel, zum Auto rennt, mit nassglitschigem Schlüssel aufzuschließen versucht, den Schlüssel fallen lässt und dann wütend gegen die Tür haut. Oder so ähnlich. Aber dass er da im Regen rumsteht und sich gemütlich anlehnt ... Da fehlt mir ein bisschen die Fantasie.

ch bestellte ein Bier und ging zu dem Mann im hinteren Teil der Kneipe. Klaus hob den Blick, sah mich für einen Augenblick aus kleinen Augen an und wand sich wieder seiner Zeitung zu. Ich setzte mich.

Für mich nicht ganz stimmig: Wir sehen durch Hennings Augen, denken Hennings Gedanken, und Henning kennt den Klaus offensichtlich. Warum denkt er da also "Mann" und nicht "Klaus"?

Und noch zu unseren Lebzeiten ist irgendwann alles Aus

aus

Hör mal zu Henning

Hör mal zu, Henning

dass nichts von der Sache an die Öffentlichkeit kam?

Vielleicht lieber kommt statt kam?

So, genug Kleinkram. Der Titel deiner Geschichte hat mich direkt angesprochen, der gibt schon so eine Stimmung vor, und diese erhoffte Stimmung hat die Geschichte selbst voll getroffen. Ich empfinde deine Schreibe zum allerallergrößten Teil als sehr routiniert, die Sätze sitzen, wo und wie sie sollen, du hast hier mit vielen knappen Sätzen gearbeitet und das funktioniert super, wie ich finde - kann auch schnell mal schief gehen, gekünstelt wirken, tut es hier aber zum Glück nicht.
Der Inhalt ... Es wird geraucht und geregnet, natürlich, ohne diese beiden Kernelemente kommt ein Krimi ja auch nicht aus :shy: War mir aber auch nicht zu viel, hat sich gut ins Bild eingefügt. Der Ermittler ist ... Na, ein Ermittler eben. Ein guter Kerl. Ohne schlimmes Alkoholproblem oder dergleichen, auch mal nett. Fällt weder positiv noch negativ ins Gewicht, wie ich finde. Potential schlummert meines Erachtens noch in den Schwärs, sowohl im Alten, besonders, was die Verzweiflung angeht: Den könnte ich mir noch ein bisschen ... getriebener vorstellen, der darf dem Henning gerne noch mehr in den Arsch treten, als er es tut, mehr Druck ausüben, Druck, den er selbst ja sicher jede Menge in sich trägt. Und der Willi ... Vielleicht würde dem ein Extraanstrich auch nicht schaden, noch so ... eine andere Dimension. Also die sind beide schon gut gezeichnet, ich mags, wie der Schwär dem Henning am Ende in die Fresse haut, das ist ein Mensch mit Gefühlen, ganz eindeutig, und der Willi ist eben ein ... na, haste ja beschrieben, was das für einer ist, auch schön anschaulich, aber wenn der noch einen Funken mehr Emotionen in mir wecken würde, wenn der, keine Ahnung, irgendwas echt Niederschmetterndes gemalt hätte, sich, wie er mit seinem Vater irgendwo die Freiheit genießt, ein Eis schleckt oder was weiß ich ... dann fände ich die ganze Situation vielleicht noch unfairer und nervenaufreibender, als sie es eh schon ist. Aber da besteht bestimmt auch Gefahr, übers Ziel hinauszuschießen, keine Ahnung, auf die Schnelle schwer zu beurteilen - das überlasse ich lieber dir, dem Autor :shy:

Ich verabschiede mich in der Zwischenzeit und danke dir vielmals für diese sehr runde und kurzweilige Geschichte, die ich gerne gelesen habe! Ach ja, das Ende finde ich übrigens auch stimmig. Danke!

Bas

 

Hallo @Bas und vielen Dank dir deinen schnellen Kommentar und deine Anmerkungen! Ich gehe es der Reihe nach durch:

Ich bin da möglicherweise vorbelastet, ich meide den Konjunktiv, wo nur möglich, und das hier wäre so eine Möglichkeit. Vorher hast du schon so Formulierungen, könne, werde, okay, passt da auch, finde ich, aber hier ließe (:shy:) er sich problemlos einsparen, das gäbe (:shy:) der Aussage für mein Empfinden mehr Bums.
Ja, ich verstehe, was du meinst. Fand das aber gerade hier am Anfang eigentlich ganz passend, weil es ja ein wenig aus der Distanz erzählt. Aber jetzt stört es mich selbst ein wenig. Ich würde es mal noch lassen und sehen, wie ich es die Tage finde. Kann gut sein, dass ich es dann ändere.

Nur eine kleine Überlegung für mehr Bildhaftigkeit: Wenn er da aus dem Fenster schaut, was sieht er? Beziehungsweise: Was sieht er nicht? Vielleicht könntest du den Regen nur auf das Dach prasseln lassen - das fände ich an der Stelle auch rhythmisch schöner, ohne den und-Zusatz -, und dann im Anschluss erst das Bild der verregneten Windschutzscheibe ins Spiel bringen, so was wie: Rauchte eine Zigarette und blickte durch ... (hier gutes Bild für vollgeregnetes Fenster einfügen)
Guter Punkt. Werde mir überlegen, da etwas in der Richtung, die du vorgeschlagen hast einzubauen. Danke dir dafür :)

Also war ich los, hm, klingt sehr regional, klang bisher noch nicht durch bei deinem Prota. Wenn sich solche sprachlichen Besonderheiten nicht später noch häufen, also eine Besonderheit deines Protas aufzeigen, würde ich da eine geläufigere Formulierung wählen, also war ich losgegangen oder so.
Echt? Hab das relativ unbewusst so geschrieben. Also ohne die Vorstellung, da etwas Regionales einzubauen. Ich warte mal ab, ob das evtl. noch wem so wie dir geht. Ich dachte allerdings, dass das so schon gängig ist.
Außerdem irritiert mich hier das "dieses Mal" ein wenig, kann ich auf dem Zeitstrahl nicht richtig einordnen, wenn du weißt, was ich meine. Ist er direkt wieder los und kommt wieder zurück, ist das in der Vergangenheit passiert, also das Rumkrakelen? Wird hier nicht deutlich, mir zumindest nicht.
Ja, das hab ich noch nachträglich eingebaut, weil ich dachte, ich muss klar machen, dass er nicht das erste Mal bei Willi ist. Habe das dann aber ja später im Text noch. Deswegen kann das hier raus. Danke für den Hinweis!
Da hab ich wieder so kleine Rhytmusschwierigkeiten, "jagte sie am Tag die Deiche rauf und ließ sie am Abend ...", das klingt für mein Empfinden irgendwie runder. Ohne dass ich genau sagen könnte, woran es liegt.
Dachte so an rauf- und runterjagen. Aber ich sehe mal, ob ich das irgendwie umformulieren kann, damit es besser passt.

Kleinigkeit, wie so vieles in meinen Anmerkungen, aber ohne die auf-Dopplung fände ich es runder. Das Kratzen auf dem Papier ... hm, stoppte? Verstummte? Irgendwie so.
Gekauft.

Hier könntest du die seine-Dopplung tilgen, vielleicht: Beim allerersten Verhör nach seiner Festnahme, oder eben andersrum. Außerdem fühlt sich das Komma nach dem aber ... zumindest komisch an. Was aber auch am aber liegen könnte, das komische Gefühl.
Ja, baue ich um.
Der Regen ist bisher allgegenwärtig, auch gleich in der nächsten Szene wieder, und so frage ich mich, ob er sich da wirklich einfach in den Regen stellt, ob er nicht schnell, mit über den Kopf gezogenen Mantel, zum Auto rennt, mit nassglitschigem Schlüssel aufzuschließen versucht, den Schlüssel fallen lässt und dann wütend gegen die Tür haut. Oder so ähnlich. Aber dass er da im Regen rumsteht und sich gemütlich anlehnt ... Da fehlt mir ein bisschen die Fantasie.
Uff, dieser Regen :) Ich weiß nicht, ob ich es damit nicht vielleicht insgesamt ein wenig übertrieben habe (mit dem Rauchen auch). Das muss ich in den nächsten Tagen mal rausfinden. Aber diese Stelle geht so nicht. Ich lasse mir was einfallen und schreibe es um.
Für mich nicht ganz stimmig: Wir sehen durch Hennings Augen, denken Hennings Gedanken, und Henning kennt den Klaus offensichtlich. Warum denkt er da also "Mann" und nicht "Klaus"?
Ja, kam mir da irgendwie gut vor, erst im nächsten Satz rauszurücken, dass er den Mann kennt. Ihn sogar treffen will. Macht aber aus seiner Perspektive so gesehen natürlich keinen Sinn. Danke für den Hinweis.
Vielleicht lieber kommt statt kam?
Gekauft.

Der Titel deiner Geschichte hat mich direkt angesprochen, der gibt schon so eine Stimmung vor, und diese erhoffte Stimmung hat die Geschichte selbst voll getroffen.
Das freut mich sehr. Wobei ich sagen muss, dass ich da ein wenig unsicher bin, ob ich nicht vielleicht ein wenig zu dick aufgetragen habe. Regen, Zigaretten usw. Aber wenn es bei dir funktioniert, beruhigt mich das!

Ich empfinde deine Schreibe zum allerallergrößten Teil als sehr routiniert, die Sätze sitzen, wo und wie sie sollen, du hast hier mit vielen knappen Sätzen gearbeitet und das funktioniert super, wie ich finde - kann auch schnell mal schief gehen, gekünstelt wirken, tut es hier aber zum Glück nicht.
Danke :) Ja, ich habe versucht knapp und ohne große Verschnörkelungen zu schreiben. Freut mich, dass es bei dir funktioniert.

Ohne schlimmes Alkoholproblem oder dergleichen, auch mal nett.
Haha, das hatte er. Habe ich aber gestrichen, weil es unnötig gefüllt hat.

sowohl im Alten, besonders, was die Verzweiflung angeht: Den könnte ich mir noch ein bisschen ... getriebener vorstellen
Ja, das sehe ich auch so. Es kommt die Verzweiflung noch nicht ganz so raus, wie ich das gerne hätte. Vielleicht auch deshalb, weil er insgesamt zu wenig vorkommt? Ich werde mir da mal was überlegen. Danke für deine Einschätzung, die sich mit meinen Gedanken darüber gleicht!

aber wenn der noch einen Funken mehr Emotionen in mir wecken würde, wenn der, keine Ahnung, irgendwas echt Niederschmetterndes gemalt hätte, sich, wie er mit seinem Vater irgendwo die Freiheit genießt
Im Prinzip ist der ja die ganze Geschichte über total passiv, im Grunde gar nicht wirklich präsent (als handelnde Figur). Daher fiel es mir schwer, Willi mit Leben zu füllen. Ich bin auch noch nicht so zufrieden damit, wie ich dargestellt habe, wie es ihm da im Knast geht. In Kombination mit seiner Behinderung, seinen Erfahrungen im Heim usw. Das ist noch alles etwas dünn. Daher hilft mir dein Einwand hier sehr. Ich versuche, das noch mal zu ändern.

Ich verabschiede mich in der Zwischenzeit und danke dir vielmals für diese sehr runde und kurzweilige Geschichte, die ich gerne gelesen habe! Ach ja, das Ende finde ich übrigens auch stimmig. Danke!
Freut mich sehr! Danke dir @Bas für deinen Kommentar! Hat mir wirklich was gegeben und mir geholfen, den Text besser einzuschätzen.
Viele Grüße
Habentus

 

Beim dritten Ausflug in das Heim fand man Willi eines Tages alleine im Duschraum. Mit zertrümmertem Schädel lag er da.

Das ist das Geheimnis. Hier sagt der Text: Die Gesellschaft produziert ihre Monster selbst. Hätte, hätte, Fahradkette. Das darf natürlich nicht mit dem Holzhammer kommen. Ich frage mich auch, warum man das Böse immer erklären muss? Warum muss jede Tat einen Grund haben?
Beim allerersten Verhör direkt nach seiner Festnahme aber, hatte er ein einziges Mal davon gesprochen, dass er das Mädchen halb nackt zwischen Mülltonnen gefunden hatte. Dass er sich Sorgen gemacht habe, weil es doch so kalt gewesen sei. Also habe er ihr seine Jacke umgelegt. Irgendwann war er dann weggerannt.
„Warum?“, hatten die Beamten ihn gefragt.
„Angst“, hatte er geantwortet.
„Angst?“, hatten die Beamten gefragt. „Weil du ihr was getan hast?“
„Der Mann im Auto“, hatte er geantwortet.
Danach war nie wieder die Rede davon gewesen.
Ich bezweifel, dass ein solcher Täter wirklich vernehmungsfähig ist und in den Regelvollzug kommt. Würde man den nicht eher in eine pyschiatrische Anstalt verweisen?
„Kam nie raus, was genau passiert ist“, erzählte mir Schwär, während er Zigarette rauchte und aus dem Fenster sah. „Seitdem war er … anders als die anderen Kinder. Langsamer. Nicht mehr richtig im Kopf. Konnte sich die dollsten Sachen merken, aber Sprechen, Schreiben, Umgang mit Menschen … schwierig.“
Auch das hier. Der Erzähler liest doch die Akte. Warum muss das Schwär nochmals erzählen? Damit der Leser das erfährt, oder? Schon auch eine Krücke, ein wenig. Die müssten doch beide darüber Bescheid wissen. Da wirkt die Konstruktion relativ offensichtlich.

Ein Verschickungskind der frühen 60er-Jahre.
Warum und wie ist es dazu gekommen? Da wird nie wieder drüber gesprochen. Das wird nie wieder erwähnt. Ist ja ein besonderer Umstand. Und ist das nicht auch ein aktenkundiger Vorgang? Er liegt da mit zertrümmertem Schädel, überlebt, und dann? Wie lange lag der im Krankenhaus, und wenn es damals schon Schwierigkeiten gab mit ihm und seinem Verhalten, wie angedeutet, welche Maßnahmen wurden ergriffen? Ist der nicht in ein besonderes Heim gekommen, wie war das mit Lehre und Ausbildung, mit weiteren schulischen Maßnahmen? So ein Mensch müsste doch im System viel früher auffallen, auch ohne dass er gewalttätig wird, einfach aufgrund seiner Vita, und wenn nicht, muss es dafür einen guten und triftigen Grund geben.
Dein Tag davon bestimmt, welcher Schließer gerade Dienst tut oder wem du auf dem Flur begegnest. Und im Hof - auf die Fresse. Jeder, der behauptete, dass es draußen auch nicht viel besser sei, wusste einen gottverdammten Scheiß.
Man kann Ausbildungen nachholen, studieren, seinen Examen machen, in Werkstätten arbeiten, an vielen Freizeitkursen teilnehmen (JVAs haben einen eigenen Beamten, der sich um die Freizeit der Gefangenen kümmert), sich DVDs ausleihen, sich Bücher ausleihen, an Kursen teilnehmen etc. Ist ein wenig ein veraltetes Bild vom Knast. Gewalt gibt es in der Regel auch nicht so viel, wie man annimmt, und Vergewaltigungen etc eigentlich kaum.

Meinst du nicht, dass der mit seiner Kohle und seinen ganzen Verbindungen aus gutem Grund dafür gesorgt hat, dass nichts von der Sache an die Öffentlichkeit kommt?
Viel zu viele Namen. Klaus, wer ist das? Ein Wirt und Informant? Ein Ex-Bulle? Wird mir nicht klar. Dann Wichmann. Neuer Name. Steht irgendwie in Verbindung mit der Sache. Dann wieder: Stereotyp. Reicher Kerl, der sich da irgendwie rauskauft. Ist die deutsche Polizei so korrupt? Würde da keiner was sagen, selbst nachdem sie diesen offensichtlichen "Mongo" festnehmen und mehr oder weniger eine Aussage, ein Geständnis aus ihm herauspressen? Wie wahrscheinlich ist das? Sagt da keiner, moment mal, ich weiß, ich hab zwar Geld genommen, aber da ging es NUR um eine Verkehrsgeschichte, jetzt geht es um Mord oder wenigstens um Totschlag. Und wieviel Macht hat dieser Wichmann? Der wirkt ja hier so mächtig wie Don Corleone, wenn er sich aus so etwas herauskauft. Und möchte man wirklich immer wieder diesen Stereotypen lesen, reicher Kerl der ungescholten davonkommt?
„Er ist tot. Willi ist tot, hat sich gestern aufgehängt.“
Willi, der "Mongo", der ein sanfter Hüne ist, dem sie den Schädel eingeschlagen haben, weiß der genau, was ein Gewissen ist? Der scheint doch vollkommen unberührt von der Tatsache zu sein, sich dem gegenüber fast kindlich zu verhalten? Kann der seine eigene Tat so reflektieren, dass er auf Sühne, auf diese Ausweglosigkeit des Suizid kommt? Das kaufe ich einfach nicht. Wenn da jetzt steht, er ist abgestochen worden, und der Henning denkt, ja, es könnte ja der Wichmann sein, der klar machen möchte, dass da nichts passiert, dann wäre das immer noch konstruiert, aber irgendwie logischer. So entbehrt sich da für mich jeder Realismus.
Gar nichts lag mehr darin, außer dumpfer Abwesenheit.
Hm, nee. Danach haut er ihm eine rein aus Verachtung. Viel eher ist es doch Hass, was in seinem Blick liegen sollte. Hass auf die Ungerechtigkeit, oder?

Drei Männer mit kurzen Haaren stiegen aus. Ich bog um eine Ecke und richtete meinen Kragen. Im Augenwinkel bemerkte ich, dass die Männer mir folgten. Ich ging ein paar Meter, beschleunigte meine Schritte. Dann rannte ich los.
Auch das Ende. Aus welchem Rahmen wird das eigentlich erzählt? Der muss diesen Männern ja entkommen sein, sonst könnte er diese Geschichte nicht erzählen? Da beißt sich irgendwie die Katze in den eigenen Schwanz. Das Ende, was Spannung erzeugen soll, kann das aber nicht, weil ich weiß, der Typ erzählt mir hier gerade diese Geschichte, also ist gar nichts Ernsthaftes passiert. Und dann: drei Männer, die nach der Beerdigung (!) auf ihn warten. Das ist wie in einem Mafia-Film. Es geht nicht mehr offensichtlicher. Woher wissen die außerdem, was er alles weiß? Weil dieser Wirt aus dem Alt ihnen das erzählt hat? Und davon hat Henning dann nichts mitbekommen? Du baust hier Wichmann als extrem machtvolle Person auf, die alle Strippen zieht. Der schafft es, die halbe Polizei zu schmieren oder hat die sonst irgendwie in der Hand, weil bei der Polizei können die ja auch kombinieren, das sind ja ausgebildete Kriminologen. Meinst du nicht, da kombiniert mal einer und schaut nach, Mord, Täter, Wichmann in der Nähe, was ist da passiert? Woher weiß eigentlich dieser Wirt, dass Wichmann da war? Woher hat er diese Information? Und warum wird der nicht vorher ausgeschaltet von Wichmann, wenn der angeblich so viel weiß? Der wäre doch in diesem Moment viel gefährlicher? Und warum fährt so einer wie Wichmann nach einem Mord zu schnell? Also, ganz ehrlich, für mich sind da viel zu viele Unwägbarkeiten, zu viele Namen, zu viele unklare Verbindungen. Ein Kriminalroman lebt nicht nur vom Aufbau, aber eben doch schon auch, jedenfalls so klare Genre-Ermittlerdinger, da muss alles passen, man muss Täter, Opfer und Ermittler kennen, deren Psychologie und die Wahrscheinlichkeiten, was wirklich passieren würde, deswegen gibt es auch so wenig wirklich gute Kriminalromanautoren, weil das kaum einer beherrscht. Es ist auch zu viel auf zu engem Raum. Die Figuren wirken wie deus ex machina, bestellt um kurz ihre Aufgabe zu erfüllen, was eben schade ist.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman

freut mich, dass du bei mir reinschaust! Ich gehe mal der Reihe nach auf deine Punkte ein:

Das ist das Geheimnis. Hier sagt der Text: Die Gesellschaft produziert ihre Monster selbst. Hätte, hätte, Fahradkette. Das darf natürlich nicht mit dem Holzhammer kommen. Ich frage mich auch, warum man das Böse immer erklären muss? Warum muss jede Tat einen Grund haben?
Mmh, das stimmt ja nun so nicht ganz. Die Gesellschaft produziert ihre Monster selbst. Finde ich ehrlich gesagt auch gar nicht so eine schlechte Idee. Trifft aber auf diesen Text nicht so richtig zu. Denn Willi ist ja gar nicht der Täter. Und eben: Warum muss man das Böse immer erklären? Sehe ich ähnlich, daher habe ich das auch gelassen und Wichmanns Beweggründe mal ausgelassen. Das ist vielleicht dann aber einer der Schwachpunkte der Geschichte? Dass Wichmann farblos bleibt, eben nur eingeführt wird, als Funktionsträger für die Handlung? Muss ich mal sehen.
Ich bezweifel, dass ein solcher Täter wirklich vernehmungsfähig ist und in den Regelvollzug kommt. Würde man den nicht eher in eine pyschiatrische Anstalt verweisen?
Heutzutage bestimmt. Mitte der 80er-Jahre aber vielleicht schon eher? Weiß ich aber natürlich nicht.
Hatte versucht das zeitlich nach Tschernobyl einzugrenzen:
Letztes Jahr Caesium-137, Strontium-90 und all das
Hat aber vielleicht nicht so richtig geklappt. Muss ich noch mal dran.

Auch das hier. Der Erzähler liest doch die Akte. Warum muss das Schwär nochmals erzählen? Damit der Leser das erfährt, oder? Schon auch eine Krücke, ein wenig. Die müssten doch beide darüber Bescheid wissen. Da wirkt die Konstruktion relativ offensichtlich.
Das habe ich nicht so richtig verstanden. Warum sollte denn in der Akte zu diesem Mordfall explizit stehe, dass Jahrzehnte vorher, der Beschuldigte einem Angriff in einem Heim ausgesetzt war. Das hat ja erst mal nichts miteinander zu tun. Wie ausführlich sind denn solche Fallakten? Vielleicht hast du da einen besseren Einblick? Ich bin allerdings davon ausgegangen, dass die halt eher fallspezifisch sind.
Die Frage ist vielleicht, sollte ich es ausbauen? Also erklären, warum und was da wie passiert ist. Aber in der Akte sollte das meiner Meinung nach nicht stehen.

Warum und wie ist es dazu gekommen?
Tja, muss ich das erklären? Was bringt es der Geschichte, wenn ich das erkläre? Ich habe da einfach Schwierigkeiten, die richtige Balance zwischen zu viel und zu wenig Infos zu finden.
Man kann Ausbildungen nachholen, studieren, seinen Examen machen, in Werkstätten arbeiten, an vielen Freizeitkursen teilnehmen (JVAs haben einen eigenen Beamten, der sich um die Freizeit der Gefangenen kümmert), sich DVDs ausleihen, sich Bücher ausleihen, an Kursen teilnehmen etc. Ist ein wenig ein veraltetes Bild vom Knast. Gewalt gibt es in der Regel auch nicht so viel, wie man annimmt,
Alles richtig. Heutzutage hat sich sehr viel getan. Die Geschichte spielt allerdings ein Jahr nach der Tschernobyl-Katastrophe, also im Jahre 1987. Sicherlich waren die Verhältnisse auch damals keine US-amerikanischen, aber mit der heutigen Situation in deutschen Gefängnissen vermutlich noch nicht zu vergleichen.
Ein Wirt und Informant? Ein Ex-Bulle? Wird mir nicht klar. Dann Wichmann. Neuer Name. Steht irgendwie in Verbindung mit der Sache. Dann wieder: Stereotyp. Reicher Kerl, der sich da irgendwie rauskauft.
Ja, einer der Schwachpunkte der Geschichte. Ich wollte eben auch hier mit Infos sparen. Das scheint mir nun auf die Füße zu fallen. Ich gebe dir aber absolut recht wenn du ankreidest, dass das nicht stimmig ist. Da muss ich unbedingt ran.
was ein Gewissen ist?
Mmh, er hat sich nicht erhängt, weil er Schuldgefühle hat. Er hat den Mord ja nicht begangen. Aber das muss ich dann wohl deutlicher herausstellen.
Kann der seine eigene Tat so reflektieren,
Kann er nicht.
Das kaufe ich einfach nicht.
Würde ich auch nicht. Aber wie gesagt tut er das ja nicht aus Bedauern oder Schuld gegenüber der eigenen Tat, weil er ja gar nichts getan hat.
er ist abgestochen worden, und der Henning denkt, ja, es könnte ja der Wichmann sein, der klar machen möchte, dass da nichts passiert, dann wäre das immer noch konstruiert, aber irgendwie logischer.
Ja, da hast du wohl recht. Könnte mir vorstellen, dass in diese Richtung zu ändern. Sicherlich bleibt dann noch das Konstruierte, aber das werde ich in dieser Geschichte nicht vollständig auflösen können.
Viel eher ist es doch Hass, was in seinem Blick liegen sollte. Hass auf die Ungerechtigkeit, oder?
Stimmt. Guter Punkt!
Aus welchem Rahmen wird das eigentlich erzählt? Der muss diesen Männern ja entkommen sein, sonst könnte er diese Geschichte nicht erzählen? Da beißt sich irgendwie die Katze in den eigenen Schwanz. Das Ende, was Spannung erzeugen soll, kann das aber nicht, weil ich weiß, der Typ erzählt mir hier gerade diese Geschichte, also ist gar nichts Ernsthaftes passiert.
Noch ein Schwachpunkt. Sehe ich ein. Bin mir aber unsicher, wie ich so was auflösen kann. Eventuell ist die gesamte Perspektive ein Fehler?
die nach der Beerdigung (!) auf ihn warten.
Nicht ganz. Tage später. Immerhin gab es zwischenzeitlich einen Zeitungsartikel (bei dem ich mir ebenfalls unsicher bin). Dieser Artikel ist es dann auch, der ihn endgültig ins Visier von Wichmann rückt. Dass Personen von drei Leuten zusammengeschlagen werden, erscheint mir jetzt erst mal gar nicht soo mafia-mäßig, sondern das passiert ja tatsächlich. Das Problem ist vielleicht, dass ich es einfach zu plump ausgedrückt habe.
Woher weiß eigentlich dieser Wirt, dass Wichmann da war? Woher hat er diese Information? Und warum wird der nicht vorher ausgeschaltet von Wichmann, wenn der angeblich so viel weiß?
Ja, da hadere ich auch noch mit. Das muss ich unbedingt ändern. Die ganze Person Klaus ist sehr unglücklich und einfach dünn. Passt nicht.

Danke für deine Anmerkungen. Ist offensichtlich noch einiges zu tun. Ich werde mich in ein paar Tagen mal dransetzten und versuchen, deine Kritikpunkte anzugehen. Danke dir für deine Zeit!

Viele Grüße
Habentus

 

Mmh, er hat sich nicht erhängt, weil er Schuldgefühle hat. Er hat den Mord ja nicht begangen. Aber das muss ich dann wohl deutlicher herausstellen.
Du hast natürlich Recht. Aber gerade DANN müsste sich der Erzähler doch fragen, warum hat der sich denn umgebracht, wenn er unschuldig ist? Man müsste dann den Leser im Ungewissen lassen, so dass Henning vielleicht denkt, der ist es aber doch gewesen, oder es war es vielleicht doch foul play?, und Jahre später kriegt er einen Tip, dass es anders gewesen ist, dass es Wichmann gewesen sein muss. Du könntest das von der Perspektive wie bei True Detective machen, aus der Vergangenheit in die Gegenwart und dann weiter.

Ich glaube, interessant wäre es, wenn du die Haltung der Erzählung änderst, sie zu einer fragenden machst, also mehr im Sinne einer investigativen Ermittlung, wie ein Journalist das auch tatsächlich machen würde. Da kannst du diese Fragen wirklich auch rhetorisch stellen. Vielleicht müsste es dann auch gar nicht so dick sein, nicht direkt ein Mord, sondern Fahrerflucht, das Opfer erliegt dann seinen Verletzungen, und dieser Willi ist nur zufällig da. Naja, deine Geschichte, aber das waren so meine Gedanken.

Gruss, Jimmy

 

Ich glaube, interessant wäre es, wenn du die Haltung der Erzählung änderst, sie zu einer fragenden machst, also mehr im Sinne einer investigativen Ermittlung, wie ein Journalist das auch tatsächlich machen würde. Da kannst du diese Fragen wirklich auch rhetorisch stellen.
Guter Impuls! Ich werd mich dran versuchen und das Ding umbauen. Wird aber wahrscheinlich ein bisschen dauern.
Danke dir @jimmysalaryman

 

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