Was ist neu

Saure Rache - Anschlag auf den Glockenturm

Mitglied
Beitritt
05.05.2001
Beiträge
18

Saure Rache - Anschlag auf den Glockenturm

Anbei nun die Geschichte, die anläßlich eines kleinen Krimiwettbewerbes in Wardenburg veröffentlich wurde - der Glockenturm ist das Wahrzeichen unseres kleinen Ortes. Aber schaut, ob sie Euch, trotzdem Ihr nicht dort wohnt, gefällt. :-)

Saure Rache - Anschlag auf den Glockenturm


Ort: Wardenburg. Wir schreiben das Jahr 2047.

Wardenburg ist nicht mehr das Wardenburg von früher. Man könnte sagen, es hat sich in seinen Ausmaßen verzehntfacht. Etwa 125000 Einwohner leben in dieser Stadt, die darauf zusteuert, mit Oldenburg zusammenzuschmelzen. Auch die Umwelt ist nicht mehr die alte. Smog und der saure Regen gehören mehr zur Regel als zur Ausnahme. Lieber Leser, Sie befinden sich in einem Büro im Stadtkern dieses Wardenburgs.
20 Stockwerke ragt dieser noch relativ kleine Komplex in den Wardenburger Himmel. Was Sie dort machen? Sie lassen sich eine Geschichte erzählen.

Tag 1

„Es war wieder einer dieser kalten, verregneten Herbstmontage, als ich mit meinem grauen Ford die Oldenburger Straße in Richtung Stadtkern fuhr. Ungefähr 17 Uhr mitteleuropäische Standardzeit, wie gewohnt war die Innenstadt Wardenburgs zu diesem Zeitpunkt so gut wie unpassierbar. Nach etwa 30 Minuten Stop and Go aber klärte sich der Verkehr langsam auf und ließ mich endlich in den Parkhauskomplex fahren, in der auch meine Detektei lag.
Ja, vielleicht hatten Sie gerade den richtigen Gedankengang, lieber Gast, ich bin in der Tat „Privatdetektiv“. Für mich zwar ein antiquierter Begriff aus dem 20. Jahrhundert, aber ich möchte gerne Ihr Vokabular benutzen, wenn es genehm ist.
Nun, jetzt sitzen wir jedenfalls zusammen in den vollklimatisierten Räumen meines Büros und ich war gerade dabei, Ihnen diese merkwürdige Geschichte zu erzählen. Teilweise eine sehr geschmacklose Geschichte, das gebe ich zu, aber was solls. Bevor ich es vergesse, mein Name ist André Hauschild.

Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, ich war gerade auf dem Weg in die Detektei. Martina, meine Sekretärin, konnte ich praktisch schon vom Fahrstuhl aus zetern hören, als die Kabine sich in Bewegung setzte. Wieder einer ihrer Wutausbrüche über dieses veraltete Laptop.

Im Fahrstuhl ließ ich den letzten Vorfall diesen Tages vor meinen Augen ablaufen. Ich mußte einen durchgeknallten Ehemann davon überzeugen, besser nicht seine Frau zu töten. Vielfach denken diese Typen, ihnen gehöre alles und setzen gleich einen Privatdetektiv an, sobald die Dame des Hauses wieder einmal zu spät vom Shopping bei „Marcos“ kommt. Sie wissen schon, diese Shops an der Friedrichstraße. Mir sollte es recht sein.
Nachdem ich diese Frau tatsächlich in eindeutiger Pose mit einem Fastfoodverkäufer aufspüren konnte, wurde der Auftrag zur Routine. Ich brachte die Photos samt Tonaufnahmen zum betrogenen Ehemann, um mein Geld zu kassieren. Und bitte schauen Sie mich nicht so merkwürdig an, auch sowas gehört zu meinem Job!
Wenig später stürmte der Mann aus seiner Haustür, anscheinend, um seiner Frau seinen Mißfallen über ihre Ausschweifungen zu zeigen. Fassen wir es kurz: Ich wußte, was er vorhatte und handelte beim anschließenden Feuergefecht in der Wohnung des Liebhabers in purer Notwehr. Er hatte eine Kanone gezogen. Nun dürfte der Typ keiner mehr etwas zuleide tun.
Da sie bei der Polizei nichts nachweisen konnten, was gegen eine Notwehr sprach, ließ man mich laufen.

Der Fahrstuhl hielt an und ich marschierte mit meinen abgelaufenen Schuhen direkt zu Martina, die wie wild auf das Laptop einhackte. „Hallo, Marty. Na, läuft das neue Gerät schon?“ fragte ich, wohlwissend, daß das neue Exemplar erst nächsten Monat kommen sollte. „Witzig, sehr witzig, Hr. Hauschild, selten so gelacht! Irgendwann schmeiße ich dieses Gerät aus dem Fenster!“ Ihre Lippen bebten vor Wut, und einen Moment dachte ich tatsächlich daran, schützend die Arme zu heben. Dann sah ich aber, wie sich meine rotharige Sekretärin wieder beruhigte. „André, da ist eine Mitteilung im ISDN2-Speicher aufgelaufen. Sie sollen Komissar Hergen anrufen. Er hat schon mehrmals versucht, Sie zu erreichen. Er sagte, es sei wichtig.“ „Okay, Marty, danke“. Kommissar Hergen? Was wollte denn der von mir? Vielleicht hatten die bei der Polizei irgendetwas vergessen und er wollte mich deshalb sprechen.

Kurze Zeit später hatte ich das dunkle Gesicht meines alten Bekannten Komissar Hergen auf dem Videoschirm der Telefonleitung. Zum Glück hatte ich noch die Direktwahl seines Arbeitsplatzes im Gedächtnis, anderenfalls hätte ich wahrscheinlich vier „Ich verbinde Sie weiter.“ gehört.

„André, wir könnten Deine Hilfe in einem etwas ungewöhnlichen Fall gebrauchen.“ Hergens große Nase kam samt Gesicht verschwörerisch nahe an die Videolinse. „Diesen Fall dürftest Du aber zum Frühstück verspeisen. Quasi Rountine. Treffen wir uns um 20 Uhr bei „Tillys Frittenbude“ ?“ Seine Augen blickten fragend in die meinigen.
Er wußte genau, wie leer es auf meinem Konto aussah. Der Fall von heute morgen deckte gerade die Spritkosten der letzten zwei Wochen und ansonsten herrschte Ebbe auf meinem Eurozähler. „Klar, kein Problem. Bin fast ...“
Hergen hatte die Verbindung schon getrennt. Nicht gerade die höflichste Art, sich zu verabschieden.

Der Name „Tillys Frittenbude“ war ein Synonym für ein kleines Lagerhaus am Wardenburger Transrapidbahnhof. Ungestört konnten dort zeitlich begrenzte „Arbeitsverträge“ mit der Polizei geschlossen werden. Ich war mir sicher, daß dort auch Verhöre der nicht ganz legalen Art stattfanden. Das war aber nicht mein Problem.
Pünktlich um 20 Uhr traf ich dort bei strömenden Regen ein und stellte fest, daß bis jetzt kein anderer Wagen auf dem Gelände stand. Gut. Schnellen Schrittes marschierte ich auf die Hintertür zu, immer bedacht, daß keine der Pfützen meinen Trenchcoat als Treffpunkt finden würde. Er bestand noch aus richtigem Leder, in dieser ausgesprochen rauhen Zeit eine kleine Ungewöhnlichkeit.
Denn vielfach waren diese Ledermäntel nur noch zu Höchstpreisen zu haben. Der Grund war, daß Fleisch kaum noch von Rindern selber kam. Genetische Container dienten seit einigen Jahren dazu, Fleisch und andere tierische Erzeugnisse heranzuzüchten. Der einfache Druck auf ein paar Knöpfe und aus der Rohmasse wurde ein saftiges Steak. Wer aber wie ich manchmal noch die „Untat“ beging, sich ein richtiges Stück Fleisch von lebenden Rindern zu kaufen, weiß, wo der Unterschied liegt.

Nun stand ich vor der rostigen Seitentür des Gebäudes, der Regen plätscherte neben mir auf den Beton und ich überlegte, ob ich zur Sicherheit meinen Taser ziehen sollte. Es handelt sich dabei um eine kleine Pistole, die hochenergiegeladene Pfeilchen verschießt. Der Gegner bekam einen kräftigen Stromstoß, wenn er einem dieser Projektile in den Weg lief. Der Vorsicht halber tat ich es, drückte langsam die Klinke nach unten, und schlüpfte geduckt in den Eingang.
Umsonst, wie sich schnell herausstellen sollte. Komissar Hergen stand amüsiert an die gegenüberliegende Wand gelehnt. Gekleidet in normale Büroklamotten sah er aus, als ob Regen oder sonstige Wettereinflüsse in seiner Welt nicht exestierten. „Hey, André, immer noch die alte Paranoianummer? Dachte langsam, daß Du Dir das abgewöhnt hast.“ Er lächelte mich mit seinem blitzenden Gebiß an. „Vergiß es. Bevor ich nun anfange, Dir von Deinem neuen Fall zu erzählen, bist Du überhaupt noch interessiert?“

Eine merkwürdige Auffassungsaufgabe war bei Polizisten nicht ungewöhnlich. Sie ignorierten aber eigentlich keine offensichtlichen Dinge. Ich zum Beispiel stand zur besten Feierabendzeit pitschnaß vor ihm. Mein bestimmt nicht liebevoller Blick in seine Richtung mußte ihm als Antwort gereicht haben.

„Okay, okay, war ja nur eine Frage. Komm mit, drüben im Aufenthaltsraum läßt es sich leichter reden.“ Er stakste davon, und ich folgte gezwungenermaßen. 10 Meter weiter blieb er vor einer Tür stehen, holte eine kleine Karte hervor und steckte sie in den Schlitz, der direkt neben der Tür war. Mit einem leisem Zischen ging sie auf und ich folgte Komissar Hergen in den „Aufenthaltsraum“.
Genauer gesagt einen Raum mit drei Stühlen, die sich um einen kleinen Tisch reihten. Auf diesem befand sich neben ein bischen Papierkram auch eine Kaffeemaschine. Ich zwang mich, mir keine Gedanken über die Anzahl der hier schon getrunkenen Tassen zu machen. Es war eine typische Bullenbutze, ohne den braunen Sud kamen Polizisten kaum über die langen Nächte.
„Setz Dich bitte, es wird nicht lange dauern“, sagte Hergen zu mir und deutete auf einen der Stühle.

Was es dann auch nicht tat. Nach etwa 20 Minuten hatte ich mir eine kurzen Überblick verschaffen können, was meinen neuen Fall betraf. Es sah wie folgt aus: Irgendein durchgedrehter Typ hatte Sonntag nacht auf das Wardenburger Wahrzeichen, unseren überstadtbekannten Glockenturm, einen Anschlag verübt. Eine beißend riechende Säure sei benutzt worden, sagte mir Hergen, um die Mauern samt umliegendem Holz wegzufressen. Dabei ging der Attentäter anscheinend recht diletantisch vor, denn bis auf mittlere Schäden im Innenraum war der Turm noch ganz geblieben. Wäre die Tat am Tage verübt worden, hätte es wahrscheinlich Verletzte gegeben.


Komissar Hergen und andere heimatliebende Beamten waren nun wirklich interessiert, einen zweiten Anschlag dieser Art zu vermeiden. Wie gewohnt hatte die Polizei Wardenburg-Stadt kaum Geld und Zeit, um Personal für die Aufklärung einer Sachbeschädigung mittleren Ausmaßes zu entbehren. Würde einer der Polizeibeamten in Eigenregie handeln, bekäme er mit Sicherheit eine Menge Ärger.

Also entschieden sich Hergen und die anderen Polizisten für einen Detektiv. Nun ja, in Zeiten begrenzter Mittel nicht die schlechteste Alternative. 1000 Euro sollte mir die Sache bringen, plus einen Bonus, wenn die Indizienreihe gegen den Attentäter besonders gut aussah. Die Beamten der Sicherheitsabteilung „Wardenburg-Historischer Kern“ hatten dafür gesammelt. Ob ich annahm? Natürlich. Ich bin doch Wardenburger!

Mit einem recht entspannten Gesichtausdruck verließen wir beide das ungastliche Gebäude in der Rheinstraße. Hergen konnte so gut gelaunt dreinschauen, weil er endlich jemanden gefunden hatte, der sich um die „Säure-Angelegenheit“ kümmerte. Und meine Wenigkeit mußte sich wahrscheinlich keine Sorgen mehr machen, wie er die nächsten Wochen recht angenehm über die Runden bringen konnte.
Ich fuhr nach Hause, um am nächsten Tag frisch mit meinem neuen Fall anzufangen.


Tag 2

Der nächste Morgen verlief bis auf einen kleinen Kopfschmerz relativ problemlos. Der letzte Drink aus meiner Hausbar war anscheinend wieder schlecht gewesen, als ich am Abend mit mir selber anstieß. Sie müssen wissen, lieber Zuhörer, in meinem Beruf ist man oft allein. Okay, ab und zu fallen überaus feminine Exemplare der Gattung Frau auf meinen Schnüfflercharme herein. Davon merke ich in dem Augenblick aber meistens nichts, da ich dann zu besoffen bin. Ich versuche, das Ende dieser meist kurzen Beziehungen nicht lange herauszuzögern, um den Frauen nicht noch mehr wehzutun. Es gelingt nicht immer.
Wie es zu den peinlichen Situationen kommt? Manchmal wacht man eben auf und denkt sich, wieso man dieses Gesicht neben einem noch nie gesehen hat. Dann schießen die Erinnerungen an den letzten Abend in den Kopf und auch dieser Filmriß nach dem vierten grünen „Batida de lemon“. Die einzige Möglichkeit, schnell alles zu beenden, ist sich anzuziehen, den typischen „Wir sehen uns bald wieder“- Wisch zu hinterlassen und zu verduften. Zum Glück wachte ich bis jetzt immer im Bett der Frau auf. Sollte es einmal anders herum laufen, werde ich diejenige Frau wahrscheinlich heiraten (müssen).

Kurz sprang ich mit dem kleinen Kopfschmerz unter die Dusche, schlüpfte danach in meinen Anzug und streifte sogleich den ledernen Trenchcoat über. Ein Blick aus meinem Appartementfenster während meines Frühstücks verhieß nichts Gutes. Strömender Regen gesellte sich zu Nebelschwaden, also genau die Sorte Wetter, die die Gelenke am liebsten hatten. Ich freute mich schon auf den Abend, wenn ich unter meine heiße Dusche krabbeln würde. Nun, alles Jammern half nichts, ich wollte mich nun selber an den Ort des Geschehens begeben, wo dieser Durchgeknallte mit Säure herumgespielt hatte.


Der Glockenturm, schon seit Jahrhunderten Bestandteil Wardenburgs, lag noch immer am historischen „Marktplatz“. Nur hatte sich hier einiges getan. Standen Ende des 20. Jahrhunderts noch baufällige Gebäude um ihn herum, umgiebt ihn in diesem Zeitalter ein gigantischer Verwaltungskomplex, der bis an den großen Friedhof der Evangelischen Kirche herantritt. Arbeitsamt, das Bauamt,natürlich das Rathaus und einige andere öffentliche Institutionen haben dort Unterschlupf gefunden. Dem Engagement vieler meist älterer Wardenburger sowie einer „Unser Glockenturm bleibt stehen!“-Intitiative war es zu verdanken, daß selbst der Stadtrat Angst bekommen hatte, sich durch Glockenturm-Abrißpläne die Finger zu verbrennen.

Ich marschierte um etwa 10 Uhr durch den grüngehaltenen Kleinpark neben dem riesigen Verwaltungsgebäude, in dessen Räumen zu dieser Zeit rege Betriebsamkeit herrschte. Geöffnete Fenster, mit Energiefeldern gegen einströmenden Regen geschützt, ließen Schreibsensorgeklappere und Stimmengemurmel an mein Ohr. Eine elektronische Spielerei machte es mir möglich, einige Gespräche abzufangen, die aber durchweg bürokratische Belanglosigkeiten behandelten. Es sollte Sie nur kein Konzerngardist mit diesem Ding im Ohr erwischen, wenn Sie gerade durch eine seiner Sicherheitszonen spazierten. Diese Zonen waren besonders bei den größeren Elektronikfabriken Wardenburgs Gang und Gebe. Dort setzte die normale Gesetzgebung aus und die konzerneigene Auslegung von „Deliktbestrafung“trat in Kraft.

Nach 5 Minuten Fußmarsch gelangte ich auf den Fußweg, der direkt zum Turm führte. Links und rechts des Pfades waren elektronische Tafeln aufgestellt, die in 10-Jahres-Schritten die Geschichte dieses historischen Denkmals erzählten. Ich kannte sie ausreichend und konnte jedem Willigen erzählen, seit wann sich die Wardenburger diesem eigentlich recht unscheinbaren Türmchen widmeten.
Aus der Entfernung roch ich dann schon dieses Zeug, was der Täter für den Anschlag verwendet hatte. Je mehr ich mich dem Turm näherte, desto intensiver wurde der Gestank. Schließlich vor dem Turm mitsamt dem Polizeisperrband angekommen, mußte ich mir ein schon vorher gezücktes Taschentuch vor die Nase halten, um nicht loszuko..., pardon, um mich nicht zu übergeben. Säuerlich stand der Gestank noch wie bei der Entdeckung der Beschädigung fest im Inneren des Glockenturmes. Mich wunderte, wie Kom. Hergen von „nur mittlerem Schaden“ sprechen konnte. Dieser Geruch dürfte sich noch einige Zeit in den altehrwürdigen Gemäuern aufhalten. Nachdem ich dem dort anwesenden Sicherheitsbeamten meinen Ausweis gezeigt hatte, begann ich mit meiner privaten Spurensuche.

Etwa ein Stunde mußte ich suchen, bevor ich durch einen Zufall auf etwas Brauchbares stieß, daß mir vielleicht weiterhelfen konnte. Mir war eine kleine Statue aufgefallen, die auf dem anbei gelegenen großen Friedhof stand. Nicht wie sonst befand sie sich auf ihrem Sockel, sondern lag umgekippt auf dem Grab, für das sie bestimmt war. Sie konnte noch nicht lange dort liegen, denn die ihre Stellfläche unterschied sich vom üblichen Aussehen länger freiliegenden Steinmaterials. Kein Moos oder andere Verwitterungshinweise oder Spuren von saurem Regen waren dort zu sehen.
Aus dieser Richtung war der Täter wahrscheinlich gekommen, um dann über den Friedhofsausgang in den Glockenturm zu gelangen. Darauf hin schaute ich noch einmal nach Fußspuren, die sich durch den Regen hoffentlich noch nicht verflüchtigt hatten. Und tatsächlich, genau an der Mauer fanden sich Abdrücke, die der normale Besucher kaum hinterlassen haben konnte. Ungefähr Schuhgröße 47, was auf einen Mann schließen ließ oder eine ungewöhnlich große Frau. Immerhin eine kleiner Anfang, wenn die Spuren wirklich vom Täter stammten. Einer der besser erhaltenen Abdrücke wurde dann von mir mit Kunstgips ausgefüllt. 25 Sekunden später würde ich dann meinen ersten Hinweis verstauen können.

„Was machen Sie denn da?“ rief plötzlich eine Stimme hinter mir, als der Abdruck fast fertig war. Ich drehte mich überrascht um und sah eine ältere Frau vor mir stehen, schätzungsweise um die 70, die mich mit mißtrauischen Augen musterte. Sie trug regenfeste Gartenklamotten und war wohl gerade dabei, während des Nieselregens auf dem Friedhof ein bischen Blumenpflege zu betreiben.

„Entschuldigen Sie bitte, meine Name ist Hauschild, ich bin Detektiv. Ich wußte nicht, da..“
„Jungchen, ist schon gut, Tanta Martha nimmt es Dir ja nicht krumm, daß Du mit Deinen Füßen die Blumen zertrampelst. Dachte nur, daß hier schon wieder irgendein Typ herumschleichen will. Nächstes Mal paßt Du ein bischen mehr auf, nicht wahr?“, sagte sie und zwinkerte mir zu.
Dann ging sie wieder weg.

Ich blieb noch etwas verwirrt stehen. Ich dachte immer, man würde mir meine 32 Lenze schon ansehen. Und diese Dame nannte mich Jungchen... Ich ordnete meine Gedanken, meine Habseligkeiten und versuchte fürs erste, ... was hatte die alte Dame gesagt? Hier sei schon jemand herumgeschlichen? Ich lief in die Richtung, in die auch die Frau gegangen war. Wo war sie abgeblieben? Ah! Da fand ich sie schon, mit dem Oberkörper über ein Grab gebückt, das neben einem großen Baum angelegt war. Sie bearbeitete im Nieselregen gerade mit einer Harke den Boden, um anscheinend Unkraut unterzugraben. Ein frischer in eine typische Friedhofsvase gesteckter Strauß Blumen schmückte das Grab.

„Entschuldigen Sie bitte, dürfte ich Sie noch einmal stören?“ fragte ich vorsichtig.
Sie drehte sich zu mir um, die Harke ruhte dabei wie ein Gewehr auf ihrer Armbeuge. „Was ist denn, Jungchen? Ich bin beschäftigt, wenn Du es vielleicht schon bemerkt hast.“
„Ja, bloß sagten Sie gerade etwas zu mir, daß mich neugierig gemacht hat. Wissen Sie, ich ermittle im Fall des Anschlags auf den Glockenturm, Sie haben sicher schon davon gehört.“
„Na klar, ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen. Heute morgen kams glaub ich kurz über „NordTV“ im 12. Kanal. Was willst Du wissen?“
„Sie sagten, Sie hätten jemand herumschleichen sehen? Wann und wo war das? Das wäre sehr hilfreich für meine Ermittlungen.“
„Ach das meinst Du. Ja, heute morgen, um etwa 8 Uhr, war hier so´n merkwürdiger Typ am Herumgeistern. Hät´schwören können, daß der irgendwas gesucht hat.“ Sie wendete sich wieder dem Unkraut zu.

„Können Sie Ihn mir vielleicht beschreiben?“ fragte ich hoffnungsvoll in ihren Rücken.
„Etwa 1.90 m groß, kurze, schwarze Haare, ich meine, braune Augen und wohl um die 30 Jahre alt. Sah ziemlich trainiert aus, wenn Du mich fragst. Und er hinkte. “
„Danke, ähm, Tante Martha, das hilft schon weiter.“

Mit dieser Beschreibung könnte der Fall vielleicht schon bald gelöst sein. Denn im Polizeipräsidium stand mir noch ein bischen Zeit auf einem der Großrechner zu. Und diese betrieben ein Personenerkennungsprogramm für „straffällig gewordene Mitmenschen.“ Ungemein nützlich, wenn Sie mich fragen.
Ich bedankte mich noch einmal bei der alten Dame und ging zu meinem Auto. Natürlich vergaß ich es nicht, einige Proben vom zerfressenen Holz des Glockenturms und den Gipsabdruck mitzunehmen.


Dort angekommen, fuhr ich mit dem Schnellift ins 9.Stockwerk, um zu meinem speziellen Freund Markus ins Labor zu gelangen. Er war für mich einer der kompetentesten, aber auch durchgeknalltesten Chemiker, die ich kannte. Ich fand ihn wie immer hinter irgendwelchen Geräten wieder, deren Sensoren in irgendwelchen Flüssigkeiten, Stoffen oder auch Gewebeproben steckten.

„Markus?“, fragte ich vorsichtig, da ich seine leichte Erschreckbarkeit kannte.
„Legen Sie es einfach auf den Tisch, ich werde mich darum kümmern.“, kam es hinter den Apparaturen hervor.
Ich räusperte mich geräuschvoll und setzte noch einmal an, seinen Namen zu sagen. Bis zum M kam ich noch. Dann schoß er hinter den Apparaturen hervor.
„Was ist denn jetzt schon wieder?! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß..., oh, André, Du bist das! Ich dachte...“
„Ist schon gut, Markus. Ich hätte eine kleine Aufgabe für Dich.“ sagte ich schnell, um seinen Entschuldigungsfluß abzublocken.
„Um was geht es? Wieder Knochenreste, deren Ursprung ich herausfinden darf? Wenn, dann Nein danke, mein Kumpel, denn...“ Nun mußte Markus still sein.
„Markus. Du sollst einfach diese Proben untersuchen, okay? Und vielleicht diesen Gipsabdruck.“ Ich drückte ihm beides in die Hände.
„Gut, gut, bis spätesten wann willst Du die Ergebnisse, Kollege?“, fragte er mich.
„Je schneller, desto besser. Und bitte verkneif Dir das mit dem „Kollegen“. Du weißt, daß ich seit ein paar Jahren nicht mehr bei Euch bin.“
Markus Gesicht wandelte erneut die Stimmungslage. „Okay, nur find ich es heute noch merkwürdig, daß Du
damals abgehauen bist. War nicht schlecht, die Zeit mit Dir im Team. Was die Proben angeht, die Ergebnisse habe ich wohl morgen fertig.“
„Danke, Markus“, sagte ich zum Abschied und schlenderte wieder in Richtung Fahrstuhl, um ins Parkhaus zu kommen.

Der hagere Typ, der sich nun wieder in seine Arbeit vertiefte, war vor fünf Jahren noch wie ich in dem Polizeikommando, daß sich mit Drogendelikten in Wardenburg auseinandersetzte. Eine wilde Schießerei mit Dealern aber, bei der zwei von unserer besten Männern draufgingen, war dann der Wendepunkt für mich geworden. Beide Polizisten waren Familienväter gewesen, die noch viele Jahre vor sich gehabt hätten. Es war einfach zuviel für mich, diese beiden guten Kollegen draufgehen zu sehen. Darum stieg ich aus dem Geschäft aus und wurde Privatdetektiv. Dort, dachte ich, würde ich nicht andauernd mit Tod, Korruption und Haß konfrontiert werden. Wie Sie, lieber Zuhörer, vom Anfang meiner Geschichte her wissen, war dies ein Trugschluß. Auch dort bin ich ab und an gezwungen, mich selbst oder das Leben eines Klienten zu beschützen, indem ich jemand anderen in Notwehr das Leben nehme.

Im achten Stockwerk sollte das Rechenzentrum mein zweiter Anlaufpunkt werden. Ich ging durch die recht phantasielos gestalteten Gänge direkt in die Anmeldung. Denken Sie jetzt bitte nicht, eine nette Dame würde mir dort sagen, welchen Computer ich benutzen dürfte. Nein, es war einfach ein kleiner metallener Kasten, in den ich meine Rechenzeitkarte stecken mußte. Nach einem metallenen „Guten Tag, Herr Hauschild!“ aus der Metallkiste bekam ich Gerät Zwei zugewiesen. Ich pflanzte mich vor den Monitor und startete das Erkennungsprogramm.
Mit diesem konnte man Zeugenbeschreibungen mit gespeicherten, schon einmal straffällig gewordenen Personen vergleichen. Ich gab die Suchparameter ein, die mir „Tante Martha“ gegeben hatte. Millisekunden später hatte ich das Ergebnis auf dem Schirm: Vier Männer paßten auf die Beschreibung. Die Querverweise am Ende der Dateien von dreien aber machten sie als Verdächtige sehr unwahrscheinlich. Der eine war Kandidat für lebenslange Haft im Oldenburger Hochsicherheitsgefängnis, der zweite auf „Drogenentziehungskur mit Überwachung“ in Bremen und der dritte... Nun, beim dritten handelte es sich um meinen letzten Klienten, dem die Frau durchgegangen war. Und der war nun tot.

Blieb also nur Nummer vier, ein gewisser Alexander Remkin, der im Südviertel von Wardenburg seine Wohnung hatte. Zur Zeit war er auf Bewährung draußen, nachdem er einen Lebensmittelshop überfallen hatte.
Für die „Augen des Gesetzes“ war es aber nicht ungewöhnlich, daß auch Straftäter auf Bewährung wieder Mist bauten. Von meinem PC aus rief ich Komissar Hergen an.

„Ja, grüß dich, André! Wie läufts? Schon Fortschritte?“, grinste er mich aus dem PC an.
„In der Tat. Ich habe einen Kandidaten für die Untersuchungshaft. Ich schick Dir die Infos rüber.“ Ein Druck auf die „Senden“-Taste, und meine kleines Infopaket für Hergen erschien wahrscheinlich gerade auf seinem PC-Bildschirm.
„Hey, interessant! Du hast also jemand gefunden, der ihn dort beobachten konnte? Ich werde alles veranlassen und meld mich in zwei Stunden bei Dir.“ Hergen legte auf.

Außer auf Hergens Anruf und Markus Ergebnisse zu warten, fiel mir keine konkrete Möglichkeit ein, in diesem Fall weiterzukommen. Ich vertrieb mir die Zeit damit, in meinem Büro ein bischen Ordnung zu schaffen. Mehr eine Alibi-Beschäftigung, da Martina immer alles sehr gut in Stand hielt und kaum eine Notiz unbeachtet ließ. Jetzt hatte sie ihre freien Tage. Sie war ein richtiger Glückstreffer gewesen, als ich in Zeiten hohen Fallaufkommens eine flinke Hand brauchte, die mir Arbeit abnahm. Nun hatte sich wie in jeder normalen Wirtschaft eine kleine Rezession angesagt, die für meinen Geschmack schon etwas zu lange dauerte. In dem Glockenturmfall sah ich einen kleinen Hoffnungsschimmer.

Ich zuckte zusammen, als auf dem Display meines Bildtelefons ein Gespräch angemeldet wurde. Ich nahm ab. Es war Hergen.
„Grüß Dich, Schnüffler. Vielleicht eine erfreuliche Nachricht für Dich! Wenn Du wissen möchtest, ob dieser Alexander die Tat begangen hat, komm einfach zu „Tillys Frittenbude“. Schaffst Du das in zwanzig Minuten?“
„Sollte kein Problem sein. Hey, dann hat meine Suche Erfolg gehabt?“, fragte ich erwartungsvoll.
„Werden wir vielleicht in Kürze sehen. Bis gleich!“, sagte Hergen und beendete das Gespräch.

Verdammt, schon früher konnte er es sich nicht verkneifen, mich auf die Folter zu spannen, wenn ein Fall kurz vor der Auflösung stand. Und jetzt hatte er es schon wieder getan. Na ja, neugierig war ich auf jeden Fall. Ich zog meinen ledernen Trenchcoat an und beeilte mich, zu meinem Wagen zu kommen. Diesmal ließ ich auch nicht den Autopiloten in meinem Ford die Strecke fahren, sondern übernahm selber das Steuer.

10 Minuten später fuhr ich mit quietschenden Reifen auf die Fläche vor der Lagerhalle beim Bahnhof. Ich regestrierte, daß neben meinem Wagen noch zwei andere hier standen. Es handelte sich dabei um „VW Intercity“, fast schon typische zivile Polizeiautos. Kurz bevor ich den Eingang erreichte, trat auch schon Hergen hinaus. „Mensch, da hat sich aber jemand beeilt! Komm rein.“ Ich folgte dem hochgewachsenen Schwarzen in die Lagerhallen.

Innen passierten wir die Tür, hinter der wir beide kürzlich den „Arbeitsvertrag“ geschlossen hatten. Diesmal steckte Hergen seine Karte in einen Schlitz, der sich eine Tür weiter befand als beim letzten Mal. Wir betraten einen Raum, der teilweise im Dunklen lag. Eine Frau stand dort, die Augen auf eine Fläche an der Wand und auf Geräte gerichtet, die auf einem Tisch lagen. „Gunda, dies ist André, der Detektiv, er führt für uns die Ermittlungen in diesem Fall.“, sagte er beim Hereinkommen. Gunda und ich nickten uns zu. „Hallo, Gunda. Äh, Hergen, was geht hier ab?“ „André, schau bitte mal zur Wand.“

Er deutete auf die Wandfläche, die sich plötzlich klärte und den Blick auf das Nebenzimmer freigab. Aha, eine Art einseitig durchschaubare Spiegelfläche! Anscheinend noch ein gutes Stück pfiffiger, da ich unser damaliges Verhandlungszimmer mit Kaffeemaschine und Stuhlreihe ohne Spiegel in Erinnerung hatte. Der Mann, der dort am Tisch saß, mußte Alexander Remkin sein. Sein Gesicht drückte Verwirrung und Besorgnis aus.


„Wir haben versucht, ihn ein bischen auszuquetschen, aber bis jetzt hat er bestritten, irgendetwas getan zu haben. Nachdem Du uns die Zeugenaussage dieser Martha angegeben hast, konnten wir Leute von der Polizeidirektion davon überzeugen, uns diese Räume zuzuweisen. Aber nur solange es die da oben nichts kostet... .“ Er schaute mich mit leicht genervten Gesichtsausdruck an. Gunda und Hergen zweigten dann also Freizeit ab, um den Fall voranzutreiben. Nicht schlecht, sagte ich mir.

Hergen schaute mich an. „André, als wir bei Alexander Remkin waren, um ihn überraschend zur Vernehmung abzuholen, fiel einem unserer Beamten ein säuerlicher Geruch auf. Diesen bemerkte er nur, weil er durch den Hintergarten gegangen war, um Remkin eine mögliche Flucht zu erschweren. Als wir aber Remkin sicher im Wagen sitzen hatten, schaute der Beamte sich hinten genauer um. Und fand dies.“ Er hob einen klobigen Plastikbehälter auf, der bis jetzt unter dem Gerätetisch gestanden hatte. Hergen entfernte den Deckel, zum Vorschein kamen ein Paar Gummistiefel und ein Paar Handschuhe, beide in Plastiktüten versiegelt. Jetzt bemerkte ich auch den scharfen Geruch, der aus der Behälter austrat. Es war der gleiche wie der beim Glockenturm, nur milder. Remkin steckte, auf Deutsch gesagt, bis zum Hals in der Scheiße.

„Er ist nur noch wenige Stunden von seinem offizielen Haftbefehl entfernt, André. Vielleicht kannst ja Du etwas aus ihm herausbekommen, daß ihm die volle Strafe erspart. Denn er hat Frau und Kind zu Hause, die zur Tatzeit bei Verwandten waren.“ Ich blickte in Hergens dunkle Augen. Er schien ein wenig Mitleid für diese traurige Gestalt dort im Verhörzimmer zu haben. Trotz allem mußte Remkin für die Tat büßen, die er mutmaßlich verübt hatte. „Gut“, sagte ich, „ich werde versuchen, was ich kann.“ Daraufhin ging ich zur Tür des Nebenzimmers, die mir Hergen mit seiner Karte aufschloß. Ich ergriff den Knauf, drehte ihn und trat in den Raum ein.
Remkin schaute erstaunt auf, als ich eintrat. „Guten Tag, Herr Remkin. Mein Name ist Hauschild, der Rest braucht Sie erst einmal nicht zu interessieren. Ich möchte mit Ihnen sprechen, um Ihre derzeitige Lage zu verbessern. Sie schaut nicht gerade rosig aus, wenn Sie mich fragen.“ Nachdem ich die Tür geschlossen hatte und es mir dabei verkniff, in Richtung rechte Wand zu blicken, setzte ich mich auf einen Stuhl genau gegenüber ihm.
Sie fragen sich, werter Zuhörer, warum ich alleine in den Raum ging? Sie haben anscheinend noch nicht allzu viel 3-D-Fernsehen geschaut. In fast jeder Polizeifolge zeigen sie dort eindrucksvoll, was passiert, wenn der „zu verhörende“ aufmuckt. Er prallt gegen eine stabile Wand prasselnder Energie, die durch Hochenergiefelder erzeugt wird. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Fenster im Verwaltungsgebäude? So wie dort der Regen abgehalten wurde, in den Raum zu dringen, funktioniert es hier mit dem Verhörkandidaten. Nur ist dieses Energiefeld um einiges schmerzhafter.

„Meine Lage zu verbessern? Was habe ich verbrochen?! Diesen Säureanschlag? Das ich nicht lache, ich setze doch nicht meine Bewährung aufs Spiel!“, warf er mir entgegen, als ich mit meinem Satz zu Ende war.
„Herr Remkin, ich bitte Sie! Die Beweise sprechen eindeutig dagegen! Oder erinnern Sie sich nicht mehr daran, Gummistiefel und Handschuhe besessen zu haben?“ warf ich ihm barsch ins Gesicht.
„Ja, das sind meine Sachen. Aber ich habe nichts mit dem Anschlag zu tun! Ich habe keine Ahnung, wie das mit den Sachen passiert ist. Mir war ja selber der Geruch aufgefallen, darum wollte ich das Zeug ja auch schon fast waschen! Verdammt noch mal!“ Er hieb mit der Faust auf den Tisch.
„Rasten Sie hier nicht aus, das wird Ihre Lage auch nicht verbessern. Fakt ist, daß Sie für die Tatzeit kein eindeutiges Alibi haben und Ihre Fingerabdrücke auf den Beweismitteln kleben. Machen Sie die Sache nicht noch schlimmer! Warum haben Sie den Glockenturm beschädigt?“ Vielleicht rückte er jetzt damit heraus.
Sein Gesicht nahm einen verzweifelten Ausdruck an. „Haunschild oder Hauschild, wie Sie auch heißen, wie oft soll ich es noch sagen? Ich bin unschuldig! Ich habe keine Ahnung, wie meine Sachen ins Spiel gekommen sind oder wie dieses Zeug mit ihnen in Berührung kam. Ich habe eine wunderbare Frau kennengelernt und nun einen Sohn. Warum sollte ich das alles aufs Spiel setzen? Ich...“ Hier unterbrach ich ihn.
„Nun gut. Wir werden sehen, was der Richter dazu meint. Überlegen Sie sich noch einmal genau, was Sie vor ihm aussagen.“ Mit einem vielsagenden Blick in seine Richtung stand ich auf und ging zur Tür. Dort drehte ich mich noch einmal um. „Machen Sie es nicht noch schlimmer.“ Dann ging ich hinaus. Der Typ wollte nicht gestehen.


Als ich abends im Bett lag, war mir gar nicht wohl, was Remkin anging. Drei Stunden, nachdem wir beide miteinander gesprochen hatten, war er verhaftet worden. Die Beweislage war erdrückend. Aber trotzdem waren mir nach dem Gespräch starke Zweifel gekommen. Remkin hatte einen überaus ehrlichen Eindruck auf mich gemacht und ich konnte auch nicht so recht glauben, daß dieser Mensch den Anschlag verübt haben sollte. Denn einfach die Bewährung wegen einer schweren Sachbeschädigung aufs Spiel setzen? Und dann auch noch auf ein historisches, öffentliches Gebäude? Zumindestens zweifelhaft. Alexander Remkins Leben hatte gerade angefangen, sich wieder zu normalisieren, nun war er aber doch wohl wieder rückfällig geworden.
Nur schwer dämmerte ich in einen unruhigen Schlaf, den auch die schnellverdienten 1000 Euro nicht leichter machen konnten.


Tag 3

Es war um etwa 7 Uhr am Dienstag Morgen, als mich das Telefon aus meinem schließlich doch noch gefundenen Schlaf holte. Ich schaltete die Videoübertragung aus, da erfahrungsgemäß jedes meiner braunen Haare des Nachts eine andere Lage angenommen hatte. „Werisnda?“ (übersetzt: Wer ist denn da?) nuschelte ich in Richtung des Micros.

„Heiho, hier ist Markus. Was ist denn das so dunkel bei Dir? Egal, Du scheinst ja da zu sein. Was ich Dir sagen wollte, ich bin mit den Untersuchungen fertig. Die Proben ergaben Reste von Buttersäure. Und was die Gipsabdrücke angeht, hm, es scheinen irgendwelche Gummistiefel zu sein. Das Gewicht des Trägers beträgt etwa 60 Kilogramm, wenn ich den Messungen des Computers glauben kann.“ Er kicherte. „Natürlich, ist ja eine Maschine. Also, mit der Eindrucktiefe der Stiefel in die Erde konnte ich das Gewicht bestimmen. Der Typ muß für meinen Geschmack ziemlich untersetzt sein und riesige Füße zur Schau tragen. Und er hat die Angewohnheit, beim Gehen verstärkt seine Hacken zu belasten.“

Stille in der Leitung. Markus schien meine Antwort abzuwarten. Mir fiel aber zu dieser Stunde und aufgrund meiner derzeitigen Auffassungsgabe nichts anderes ein, als ein „Danke, Markus, ruf Dich zurück.“ zu murmeln. Dann knipste ich das Telefon aus.

Gerade versuchte mein Körper, meinen Geist wieder von der Notwendigkeit des Schlafens zu überzeugen, als dieser plötzlich aufmuckte. Was hatte Markus gesagt? 60 Kilo sollte der Täter wiegen?! Ich setzte mich im Bett auf. Remkin wog laut seiner Datei runde 100 Kilogramm. Und als ich ihn am gestrigen Tag im Verhörzimmer gesehen hatte, sah er auch nicht sonderlich mager aus. Im Gegenteil, der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, machte bei jeder Regung seines Körpers Geräusche des Wehklagens. Sollte Remkin also unschuldig sein?

Zur Sicherheit rief ich gleich bei Markus zurück, um ihn die gefundenen Stiefel mit dem Gipsabdrücken vergleichen zu lassen. Vielleicht war es ja nur ein unbeteiligter Zuschauer gewesen, der dort kurz nach dem Anschlag herumspazierte. Markus führte dann einen genauen Vergleich durch. Es herrschte kein Zweifel. Es war unverwechselbar die selbe Besohlung, sogar spezifische Fehler in der Gummistruktur waren identisch. Vergleichbar mit einem Fingerabdruck passten sie zueinander.
Hm, vielleicht gab es ja noch einen weiteren Hinweis darauf, daß Remkin unschuldig war. Was belastete ihn zusätzlich und mußte entkräftigt werden? Natürlich die Handschuhe! Die hatten ziemlich eindeutig seine Abdrücke auf dem Gummimaterial.

Ich setze mich im Schlafpyjama an meinen kleinen Essenstisch, trank eine Tasse Kaffee und nuckelte an einem Fertigbrötchen aus der Mikrowelle. Wie konnten die Handschuhe beweisen, daß er unschuldig war? Ich dachte an die alten „Inspektor Columbo“-Folgen zurück, die in meinem Archiv für zweidimensionale Filme aufbewahrt wurden. Sie hatten eine ungeheure Anziehungskraft auf mich gehabt, als ich noch ein kleiner Junge war und ließen auch in meinem jetzigen Alter kaum in ihrer Kraft nach. Manche Folge hatte ich schon zehn- oder fünfzehn Mal gesehen, und immer wieder fand ich Kleinigkeiten in ihnen wieder, die ich vorher übersehen hatte. Manchmal kam mir in meinem jetzigen Beruf Columbos Scharfsinnigkeit zu Gute.
Ich dachte lange nach, bis es mir ein Fall Columbos einfiel, der mir vielleicht weiterhelfen konnte. In diesem mußte er einen Mord auf einem Schiff klären, bei dem eine Künstlerin getötet wurde. Auch dort hatte der Täter Handschuhe benutzt, die Columbo später als Beweismittel gegen ihn verwendete. Ich fragte mich, wie er das noch gemacht hatte... Ja klar! Er drehte sie einfach um, stülpte quasi ihr Inneres nach außen! Dort fanden sich dann die Abdrücke des schon teilweise überführten Täters! Wenn ich also in den Handschuhen nicht Remkins Fingerabdrücke fand, mußte er unschuldig sein! Und jemand anderes wollte ihm die Tat in die Schuhe schieben.

Um acht Uhr machte ich mich flugs auf den Weg zu Komissar Hergen. In seinem Büro angekommen, schilderte ich ihm schnell den Sachverhalt, der mir wie ein Wasserfall aus dem Mund schoß.
Er legte mir erst einmal die Hände auf die Schultern. „Sachte, sachte, André! Ich werd sehen, was ich tun kann. Am besten, ich rufe Michael Hekov von der Aservatenkammer an. Wenn das mit den Handschuhen stimmt, müssen wir nur noch den richtigen Täter finden.“ Er griff zum Telefon, tippte eine vierstellige Nummer ein und wartete. Währenddessen musterte er mich mich einem verwunderten Blick. „Darauf wäre ich nicht gekommen. Wie ist Dir das eingefallen?“ Ich wollte gerade antworten, als sich in der Leitung eine Stimme meldete und Hergen eine seiner großen Hände hob. Ich schwieg. „Hallo Hekov, hier Hergen! Sag einmal, kannst Du einem Kollegen in einem Fall weiterhelfen? Wie? Ja, es geht um ein Beweisstück für den
Fall mit dem Zeichen 0156Sb347. Dürfte ein Paar Handschuhe sein. Kannst Du sie innen auf Fingerabdrücke scannen? Ja, richtig verstanden, innen. Und sie mit den Abdrücken des Täters vergleichen, ein sogenannter Alexander Remkin, Datei schicke ich Dir rüber. 20 Minuten? Wunderbar! Bis dann!“

Hergen legte auf und blickte mich mit seinen dunklen Augen an. „André, mach Dir nicht zuviel Hoffnungen. Remkin hat bis jetzt alles gegen sich. Seine Vergangenheit ist bezeichnend, die Beweise sprechen bis dato gegen ihn. Ein Delikt mehr oder weniger, was solls? Möchtest Du eine Tasse Tee, um ein wenig zu Dir zu kommen?“ Er deutete auf seine gute alte Thermoskanne, die auf dem Tisch stand. Ich nickte. Vielleicht konnte mich der heiße Tee ein wenig beruhigen. Exakt 20 Minuten später rief mich Hergen in sein Büro. Ich hatte es mir im komplettverglasten Garten im obersten Stockwerk des Gebäudes gemütlich gemacht. Während meiner Zeit bei der Polizei hatte ich hier immer Kraft tanken können, wenn mir die Arbeit scheinbar über den Kopf wuchs.
Ich trat ein und sah einen Anblick, der ein wenig ungewohnt war. Hergen sah verwirrt aus. „Was ist rausgekommen?“ fragte ich gespannt.
„Ähm, Du hattest Recht mit Deiner Vermutung. Beim Scan der Handschuhinnenseite fanden wir weitere Abdrücke, völlig andere, als wir erwartet haben. Die Person mit diesen Abdrücken ist dem Computer aber noch nicht kriminaltechnisch aufgefallen, also nicht im Erkennungsprogramm für Straffällige gespeichert.“ Hergen schaute mich an. „Soviel ist gesichert: Der Fall wird neu aufgerollt werden müssen und Alexander Remkin wird wohl entlassen. Nur fehlt uns dann noch das Glied in der Kette zum wirklichen Täter.“
Ich schaute Hergen an. „Hergen, ich habe mir da schon meine Gedanken gemacht. Erinnerst Du Dich noch an den Ursprung unserer Bestrebungen, Alexander Remkin zu fassen?“ Ich sah ihn erwartungsvoll an.
„Warte..., wenn ich mich richtig erinnere, war es die Zeugin. Sie gab Dir die Beschreibung Remkins. Darauf hin nahmen wir Remkin in Untersuchungshaft, fanden die Beweise und konnten ihn schließlich offiziell verhaften.“
Ich nickte. „Genau. Es war diese Martha.“


Über den Computer konnte ich den kompletten Nachnamen der alten Dame rekonstruieren. Wie? Sie können sich bestimmt daran erinnern, lieber Zuhörer, daß ich Tante Martha zum ersten Mal auf dem Friedhof der Evangelischen Kirche antraf. Sie war dort an einem Grab damit beschäftigt, Unkraut zu entfernen. Der Standort dieses Grabes war mir noch relativ gut in Erinnerung geblieben, da er rechts neben einem der wenigen Bäume im Nordbereich lag.
Nun mußte ich nur noch schauen, welchen Namen dieses Grab in der Friedhofsparzellendatei trug und hatte mit Glück auch ihren Namen, wenn der Beerdigte mit ihr verwandt war.

Der PC offenbarte mir einen gewissen Rudolf Moorhausen, 1997 verunglückt und gerade einmal 50 Jahre alt geworden.

Als ich in der Datei dieses Grabes herumstöberte, zeigte mir der Eintrag für Parzelle E133 folgenden Eintrag an: „Mit Pflege und Begleichung der Unkosten wurde die Tochter, Martha Moorhausen, beauftragt. Die Zahlungen erfolgen...“ Der Rest war uninteressant. Denn nun brauchte ich nur diesen Namen in den Computer für Zivilpersonen eingeben und sehen, welches Gesicht sich mir offenbarte.

In unserer modernen Zeit trägt jeder registrierte Bürger einen sogenannten Eurozähler dabei, auf dem neben Geld Versicherungsinformationen zur Krankenkasse oder der Rentenversicherung gespeichert sind. Diese Daten bilden mit persönlichen Informationen zusammen den Personalausweis.


Treffer. Es war in der Tat unsere Tante Martha. Sie wohnte alleinstehend in einem der Mietshäuser im Südviertel von Wardenburg. Sogar relativ nahe an der Wohnung von Alexander Remkin, wie mir an der Adresse auffiel. Ein Zufall? Keine Kinder und keine näheren Verwandte in und um Wardenburg herum, scheinbar eine Rentnerin, die sich ihren Lebensabend zu Hause gutgehen ließ. Sie hatte aber einen Eintrag in ihrem Führungszeugnis. Diese alte Dame? Ich wurde neugierig und klickte diesen Querverweis an.

Aha, Tante Martha war durch massive öffentliche Störungen bei Stadtratsitzungen aufgefallen, wo sie lautstark die Ratsmitglieder beschimpfte. Bei diesen Sitzungen ging es hauptsächlich um geplante Bauvorhaben, die eine Einwilligung des Rates nötig hatten, weil alte Gebäude weichen mußten. Sie war dabei anscheinend so laut geworden, daß sich die Ratsherren genötigt sahen, sie durch die Polizei entfernen zu lassen. Polizeimeister Jens Hitzmann aus der Abteilung „Öffentlichkeitsschutz“ hatte damals die alte Dame weggeführt.
Sogar Fingerabdrücke waren in dieser Akte verzeichnet. Wegen der nicht vorhandenen Bedrohung durch die Rentnerin waren diese Abdrücke aber in dieser Datei verstaubt und nicht ins Hauptsystem übertragen worden.
Hey, warum sollte diese Frau nicht einfach einmal ein öffentliches Gebäude zerstören wollen? Ich fing an zu kichern, nippte dabei aus meiner Kaffetasse. Und wäre im nächsten Moment fast tot vom Stuhl gekippt, beim Versuch, heißen Kaffee und Luft auf einmal in meiner Lunge zu verarbeiten.

Der Grund: Ich hatte aus Jux den Computer angewiesen, mal „mit Verdacht auf ein mögliches Verbrechen“ die verstaubten Fingerabdrücke mit denen im Handschuh gefundenen zu vergleichen.

Sie stimmten überein.

Martha Moorhausen, 67jährige Rentnerin aus Wardenburg, war nun die Hauptverdächtige in diesem Fall.


Es geht dem Ende zu...

Um etwa 12 Uhr rief ich über die Hausleitung Hergen an, der gerade in seinem Büro sein mußte.
„Hier Hergen, was gibt es Neues, André?“ meldete er sich am Videofon. Scheinbar war mein Anruf nicht unerwartet gewesen.
„Hergen, die Täterin heißt höchstwahrscheinlich Martha Moorhausen und wohnt in der Rosenallee 234, Südviertel von Wardenburg. Und ich habe die Beweise: Die Fingerabdrücke in den Handschuhen sind ihre. Weiter passt auch ihr Gewicht ins Gesamtbild. Der Laborant Markus meinte, der Täter müsse etwa 60 Kilo wiegen, da die Eindrücke der getragenen Gummistiefel in der Erde nicht allzu tief waren. Ihre Statur würde auch erklären, warum es so aussah, als ob der Täter fast auf Hacken lief. Diese Frau Martha Moorhausen muß die Spitzen der Stiefel von unserem vorigen Verdächtigen mit ihren kleinen Füßen kaum belastet haben können. Sie wollte uns anscheinend mit den entwendeten Sachen aufziehen und Remkin dafür die Sache in die Schuhe schieben. Klingt das ausreichend?“

Es blieb einen Moment still in der Leitung.

„Ja. In der Tat. Und das Motiv? Warum sollte Sie das machen?“ Auch daran hatte ich gedacht.
„Den Hinweis fand ich im Eintrag des Grabes ihres Vaters und in Zeitungsartikeln von ´97. Er hat sich 1997 auf dem Gelände der Alten Molkerei in Wardenburg umgebracht, kurz bevor sie abgerissen werden sollte. Mir kam das Alter zu früh vor, deshalb forschte ich nach. Voran ging ein Anschlag auf das Rathaus an der Friedrichstraße, der auf sein Konto ging. Er wollte sich anscheinend bei der Gemeinde dafür „bedanken“, daß sie den Abriß der Molkereiüberhaupt zuließen. Seine Arbeit war wohl alles für ihn gewesen. Und rate mal, womit er den Anschlag verübt hat.“
„Keine Ahnung.“ Ich konnte seine neugierigen Ohren am Hörer fast sehen.
„Durch Säure. Um genau zu sein, hochkonzentrierte Buttersäure. Genauso wie seine Tochter, die Alexander Remkin den Anschlag in die Schuhe schieben wollte. Nur hat die sich den Glockenturm ausgesucht. Ich denke, der Grund für ihr Verhalten ist in einem der Baupläne zu finden, über die sie sich so lautstark beschwerte. Der Teil des Friedhofes, wo ihr Vater begraben liegt, soll komplett umgebettet werden, um Platz für einen Anbau zu schaffen. Der Antrag ist noch nicht durch, aber es sieht schlecht aus für die Hinterbliebenden der Gräber, da die Parcellen seit etwa 50 Jahren die gleiche „Besetzung“ haben. Das hat sie verrückt gemacht. Was meinst Du, reicht das für eine Verhaftung aus?“
„Auf jeden Fall. Ich werde Dich gleich abholen. Mir schwant Böses.“
„Warum das denn?“ fragte ich verwirrt in den Hörer.
„Weil dann seit dem Tod ihres Vaters genau 50 Jahre vergangen sind. Ich habe erlebt, daß Leute mit solchen Plänen wie dem Glockenturmanschlag noch Größeres planen. Besonders, wenn Jubiläen anstehen. Ich komme gleich mit meinen Männern bei Dir vorbei, André. Wir müssen dafür sorgen, daß diese Frau schnellstens psychologische Hilfe bekommt.“ Dann legte Hergen auf.

Showdown

Hergen und ich standen in der Wohnung von Martha Moorhausen im Südviertel Wardenburgs. Es war unglaublich. Überall waren Bilder, Kopien, Stickereien, Gedächtniskarten und sonstiger Schnickschnack über ihren Vater zu finden. „André, das ist nicht mehr normal.“, sagte Hergen zu mir, als ich mir gerade ein kleines Buch aus einem Regal griff. Die Seiten waren herausgerissen, zahllose Kopien kleinerer Portraits ihres Vaters fielen heraus. So sah es in der gesamten Wohnung aus. Jahrzehnte mußte die Frau schon ihrem Vater nachgetrauert haben, ohne sich wirklich von ihm trennen zu können. Im Gegenteil: Sie übernahm einen Teil seines Lebens und protestierte gegen alles, was ihrem gewöhnlichem Lebensrythmus zuwider war. Diese Frau mußte verrückt geworden sein, als es schließlich an das Grab ihres Vaters gehen sollte.

Sie selber hatten wir hier nicht mehr angetroffen, als wir in das Haus eindrangen. Daraufhin ließ Komissar Hergen eine Fahndung ausschreiben. Alle verfügbaren Polizisten suchten nun nach der Rentnerin. Wir konnten nur vermuten, wo sie sich aufhielt, bis wir auf dem Küchentisch in ihrer Wohnung zahllose Notizen durchschauten. Und plötzlich eine kleine Mappe fanden, in der der Tathergang von Sonntag Nacht akribisch aufgeführt war. Der letzte Eintrag ließ uns das Herz stocken.

Er lautete: „Sie haben die Warnung nicht verstanden. Ich werde nun Vater rächen. Das Haus der Ignoranten wird danach nicht mehr das gleiche sein.“

Sie mußte das Rathaus meinen. Hergen und ich rannten zu den Wagen.


Martha Moorhausen hatte sich in einem der Sitzungssäle verschanzt und drohte jedem näherkommenden Polizisten, sich umzubringen, wenn er weiterginge. Keiner wußte, wie sie es geschafft hatte, ein derartiges Aufgebot an Vorratsbehältern mit Säure anzusammeln. Sie mußte sie über die Jahre in versteckten Nischen dieses riesigen Gebäudes gehortet haben, nur um dann bei einer Nichtbeachtung ihrer Forderungen „den Herren da oben eine Lektion zu erteilen“. Wie wir später noch herausfanden, war sie im Rathaus langjährig als Reinigungskraft angestellt.

Man fand nach dem Unglück eine Kleinigkeit in den Briefkästen der Verwaltung, die noch gar nicht zur Notiz genommen worden war. Es war ein anonymes Schreiben Marthas, daß einen weiteren Anschlag nach dem Glockenturm ankündigte, wenn nicht innerhalb 24 Stunden öffentlich von den Bebauungsplänen Abstand genommen wurde. Dieses Schreiben wurde nicht zur Kenntnis genommen, noch nicht einmal aus dem Postkasten gefischt.

Wäre das mit dem Anschlag auf den Glockenturm „geglückt“ und die Planungen zu Arbeiten am Friedhof eingestellt worden, hätte dieses schreckliche Ende nicht stattfinden müssen.

Was passierte, läßt sich am besten so beschreiben. Der Polizeipsychologe hatte die alte Dame fast soweit, daß sie von ihrem Tisch mit den zahllosen Säurecontainern herunterstieg und ihren wirren Forderungen absah, als einer der Ratsherren die Rentnerin verbal angriff. Wie sie sich das denn erlauben könne! Was sie denn denke, wer sie sei! Martha fing an zu straucheln und riß dabei einige der Halteseile für die Säurekanister los. Ein Bach von Säure ergoß sich über sie selber und den unwirschen Typen, der in den Raum geplatzt war. Ein gespenstisches Zischen und Schreien brach los, als die Säure auf ihnen ihr rücksichtsloses Werk verrichtete.

Man kann von Glück sagen, daß dieser letzte Anschlag nicht noch mehr Menschen das Leben kostete. Die geisteskranke Attentäterin selber und der Ratsherr fielen dem ätzenden Tod zum Opfer, der Säure, die sich über den ganzen Raum verteilte. Ein grausames Ende für eine mißverstandene Frau, die in ihrer eigenen Welt lebte und schließlich geisteskrank wurde. Und der Ratsherr? Man könnte es eine Ironie des Schicksals nennen. Er war derjenige der Ratsversammlung, der sich am stärksten für die Umbettung der Gräber auf dem Friedhof einsetzte. Ohne ihn vergingen diese Pläne nach dem Unglück bald wie Rauch im Wind.


-------

Lieber Zuhörer, hier endet die Geschichte um den Anschlag auf den Glockenturm. Auch ich hätte nie gedacht, daß sich dieser anfangs harmlos erscheinende Fall so entwickeln würde. Ja, lehnen Sie sich ruhig zurück und entspannen Sie sich erst einmal. Vielen, denen ich diese Geschichte erzähle, ist danach unwohl. Ich kann es verstehen. Auch ich hoffe, die Detektei Hauschild bekommt in nächster Zeit etwas gewöhnlichere Fälle. Sollte wieder einer dieses Kalibers dabei sein, sage ich Ihnen aber Bescheid.

Wollen Sie vielleicht eine Cola? Bei diesem Getränk gefällt mir das Geräusch, wenn die Kohlensäure beim Öffnen entweicht.

Hey, was schauen Sie denn plötzlich so merkwürdig? Habe ich etwas Falsches gesagt?

 

Hi Nicsmix,

diese Rubrik trägt den Namen Spannung. Leider hatte die Story davon nicht viel. Im Gegenteil. Phasenweise fand ich sie sehr langweilig und musste mich zwingen, sie zu Ende zu lesen. :confused:

Den kompletten ersten Tag solltest Du streichen, weil eigentlich nichts passiert. Das wenige, was wichtig ist, kannst Du ja später einfügen. Insgesamt kann die Story mMn um mindestens die Hälfte gekürzt werden. Du verlierst Dich permanent in Nebensächlickeiten, die nicht wichtig für den Plot sind.

Das Du die Story in der Ich-Form geschrieben hast finde ich gelungen, weil Du Deinen Prot sehr tief charakterisierst. Die Zwischenbemerkungen an den Leser fand ich aber eher störend.

Warum spielt die Story im Jahr 2047. Bis auf sehr wenige Ausnahmen könnte sie genauso gut in der heutigen Zeit spielen. Wenn sie in der Zukunft spielt, solltest Du hier mehr Hinweise darauf geben. Möglichkeiten gibt es dich genug.

Die Motivation von Tante Martha kann ich nicht nachvollziehen. Immerhin ist ihr Vater seit 50 Jahren Tod.

Phasenweise hat mir dein Schreibstil ganz gut gefallen. Lediglich die Versuche möglichst witzige Formulierungen zu finden, sind leider oft fehlgeschlagen. :dozey:

Den Kommentar am Anfan, solltest Du in einem extra Post unter die Story setzen.

Gruß
Jörg

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom