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Sarahs Traum vom Fliegen – Eine Einhorngeschichte
"Sarah. Sarah! Hallo?" Wieder einmal hing Sarah, das kleine Einhorn, den Blick aus dem Fenster gerichtet, ihrem größten Traum nach. Sie beobachte die Vögel, und würde sooo gerne mit ihnen durch die Wattewölkchen am Himmel fliegen. Natürlich war die Einhornschule nicht gerade der richtige Ort, um dies zu tun. Sie hatte leider die Frage des Lehrers gar nicht mitbekommen und schaute nun ein wenig verdutzt drein, als der strenge Herr Raunbacke, ein beeindruckendes, komplett schwarzes, riesiges Einhorn, die Frage wiederholte: “Wie lautet das erste Einhorngesetz, Fräulein Sarah?“
Sarah stotterte ein wenig, als sie leise und etwas zaghaft sagte: „Zeige dich niemals den Menschen?“
„Richtig“, sagte der Lehrer. „Aber trotzdem, ich werde deine Eltern benachrichtigen müssen. Es geht einfach nicht, dass du den halben Unterricht unaufmerksam bist, und nicht aufpasst.“
Sarah schaute ein wenig verdrießlich drein und hörte jetzt schon im Geiste die Vorwürfe ihrer Mutter und dass sie mal was werden solle und so weiter. Das leise Gemurmel und die Blicke ihrer Mitschüler trugen auch nicht dazu bei, ihre Laune zu verbessern.
Sogar ihre beste Freundin Lea Marie, ein Einhorn mit hellblauer Färbung und goldenen Strähnen in Mähne und Schweif, verdrehte ein wenig die Augen.
Irgendwann würde sie es allen zeigen, sie wusste nur noch nicht wie.
Als die Schulglocke läutete, war Sarah heilfroh, dass Sie endlich rauskam und allein sein konnte, um sich ihren Träumereien zu widmen. Wie herrlich musste es doch sein, frei wie ein Vogel dem Himmel entgegenzuschweben. Beim rausgehen tuschelten ihre Mitschüler hinter ihrem Rücken, und sie hörte auch so manches Gelächter. Ihre Sehnsucht nach dem Fliegen war allgemein bekannt und natürlich wurde sie deshalb auch ab und an verspottet. Ein Einhorn und fliegen? Das gab es noch nie und das wird es auch nie geben - hihihi - naja, es nahm sie halt niemand ernst.
Sarah war ein weißes Einhorn mit einer weißen Mähne, die mit rosa Streifen durchzogen war, die in der Sonne silbrig glitzerten. Ihr Schweif sah genauso aus und ihr Horn erinnerte an eine gedrehte Zuckerstange in den Farben Weiß und Zartrosa. Für ihr Alter von knapp 10 Jahren war sie noch ziemlich klein, was sie ein wenig ärgerte. Von Flügeln allerdings war an ihren Flanken nichts zu sehen, und so würde das Fliegen für Sarah, wenn nicht ein Wunder geschah, für immer nur ein schöner Traum bleiben.
Den Blick nach oben gerichtet, schaute sie verträumt den flatternden Vöglein zu und wünschte sich nichts sehnlicher, als einfach die nicht vorhandenen Flügel auszubreiten und es den Vögeln gleich zu tun. Gerade als sie sich vorstellte, um den Apfelbaum im Garten ihres Elternhauses zu flattern, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.
„Hilfe!“
Huch, was war das, dachte sich Sarah und blickte sich um. Sie war durch ihre Träumereien ein wenig vom Weg abgekommen und stand mitten im Feenwald.
„Hiiiiilfeeeee!“
Da war es wieder. Sarah glaubte ein zartes Stimmchen um Hilfe schreien zu hören und scharrte deshalb ein wenig ängstlich mit den Hufen. Wer weiß, was hier im dunklen Wald für eine Gefahr droht. Sie fasste alle ihren Mut zusammen und schlich in die Richtung, aus der sie das schwache Rufen gehört hatte.
Vielleicht brauchte ja wirklich jemand dringend Hilfe.
„So hilf doch jemand meinem Jungen.“
Nun sah Sarah, woher die Rufe kamen. Auf dem Ast einer alten, knorrigen Eiche saß ein kleiner Vogel mit goldenem Gefieder und flatterte aufgeregt mit den Flügeln. So einen Vogel hatte das kleine Einhorn noch nie im Leben gesehen. Als Sarah dem ängstlichen Blick des Tieres folgte, und den Grund der Aufregung sah, durchfuhr sie ein heftiger Schreck. Mutig sprang Sarah mit einem gewaltigen Satz vorwärts.
Ein kleines Vogeljunges saß am Fuß der Eiche. Es war wohl aus dem Nest gefallen und wurde von einem hungrig aussehenden Fuchs umkreist. Sarah landete mit einem lauten Wiehern direkt zwischen Fuchs und Küken. Sie stampfte kräftig mit ihren Vorderhufen auf, sodass Staub und Sand in die Höhe flogen.
„Lass das Vögelchen in Ruhe!“, schrie sie so laut sie es vermochte. Leider ließ sich der Fuchs, der sehr hungrig war, nicht davon beeindrucken und kam trotzdem knurrend näher.
Sarah war verzweifelt. Sie konnte doch nicht zulassen, dass das arme Vögelchen gefressen wurde. Aber was tun? Da kam ihr eine Idee. Es war zwar streng verboten, aber in diesem Falle, so dachte sie, ist es durchaus angemessen. Kurzerhand neigte sie ihren Kopf nach unten und piekte dem Fuchs mit ihrem spitzen Horn einmal kurz aber gezielt in den Po.
„Aua!“ Der Fuchs schaute verdutzt drein und ergriff so schnell er konnte die Flucht. Er wollte sich lieber nicht mit einem wütenden Einhorn anlegen, welches trotz allgemeinen Verbots, sein Horn zum pieken einsetzte.
"Wenn das Herr Raunbacke, der alte Miesepeter, gesehen hätte, dann könnte ich mir wieder einen Vortrag über unsere Gesetze und schlechtes Benehmen anhören. Dann käme noch: Wenn ich so weitermachen würde, fällt mir irgendwann mein Horn ab - eine Schauergeschichte, mit der man eigentlich nur Babyeinhörner erschrecken kann - und BlaBlaBla ..." Das kleine Einhorn verzog bei diesem Gedanken das Gesicht und rollte mit den großen dunklen Augen.
„Naja, es ist ja keiner hier, der mich verraten könnte“, dachte sich Sarah und grinste verschmitzt. Irgendwie hatte es auch ein wenig Spaß gemacht, den Fuchs zu verjagen. Und ein wenig stolz auf sich war sie auch.
Nun wurde ihre Aufmerksamkeit durch das aufgeregte Piepsen des kleinen Vogels am Boden auf das nächste Problem gelenkt. Wie schaffe ich den kleinen Piepmatz wieder nach oben. Sie neigte nochmal ihren Kopf nach unten, damit der kleine Racker mit seinen Füßchen die dünne Spitze ihres Horns erklimmen konnte. Als der Vogel sicher saß, hob sie ihren Kopf und reckte sich so hoch sie nur konnte, damit das Vogeljunge wieder in sein Nest hüpfen konnte. "Geschafft", sie atmete auf.
„Vielen lieben Dank kleines Einhorn. Wie ist denn dein Name?“ zwitscherte die nun überglückliche Vogelmama.
„Sarah ist mein Name und ich bin froh, dass ich helfen konnte. Sag aber bitte niemandem was von dem … du weißt schon, von dem Pieksen mit meinem Horn.“
„Ich behalte es für mich“ antwortete der Vogel. Sarah war neugierig geworden und fragte: „Was bist du eigentlich für ein Vogel? So einen wie dich habe ich noch nie gesehen?“
„Ich bin ein Zaubervogel und komme von weit her. Und da du mir eben so selbstlos geholfen hast, gewähre ich dir nun einen Wunsch."
"Echt?" Sarah wusste genau, was sie sich wünschen würde und plapperte sofort los. „ich hätte gerne …“
„Halt, halt“, unterbrach Sie der goldene Vogel. „Damit dein Wunsch in Erfüllung geht, darfst du ihn nicht laut aussprechen. Berühre einfach mit deinem Horn mein Gefieder und denk ganz fest daran, was du dir wünschst.“
Sarah tat wie ihr geheißen wurde und kaum hatte ihr Horn das Gefieder berührt, erschienen, mit einem leisen "plop" und ein wenig Zaubernebel, an ihren Seiten große Flügel in der Farbe ihrer Mähne. Die Federn der Flügel sahen flauschig und weich aus und Sarah sprang ein paarmal jubelnd im Kreis und flatterte dabei mit ihren neuen Flügeln. Als sie sich umdrehte, um dem lieben Vogel nochmal aller herzlichst zu danken, war dieser, samt Nest und Küken, verschwunden. Seltsam, nur eine kleine goldene Feder, die langsam zu Boden schwebte, zeugte noch von seiner vorherigen Anwesenheit.
Natürlich wollte Sarah ihre neuen Flügel gleich ausprobieren und nach Hause fliegen. Außerdem war sie das erste und einzige Einhorn in der Geschichte, dass wirklich Flügel hatte. Das wollte sie natürlich allen zeigen. Vor allem ihre beste Freundin Lea Marie würde große Augen machen, wenn sie das Wunder sah. Sie nahm Anlauf und flatterte wie wild. Von außen betrachte, so musste sie in Gedanken zugeben, sahen ihre Bemühungen bestimmt urkomisch aus. Sie wirkte wohl eher wie ein aufgeregt flatterndes Hühnchen bei seinem ersten Flugversuch.
Mit einem lauten, hocherfreuten Wiehern schwang sie sich dann schließlich in die Höhe und - oh Schreck - sofort ging’s wieder abwärts. Da half kein noch so wildes Flattern. Etwas unsanft landete Sarah auf dem glücklicherweise weichen Waldboden. Zu ihrer großen Erleichterung hatte sie sich bei ihrem Absturz nicht verletzt.
Hmm? Vielleicht hätte ich mir zu den Flügeln auch gleich die Fähigkeit des Fliegens wünschen sollen, dachte Sarah etwas zerknirscht. „Da werde ich wohl noch eine Menge üben müssen, bis ich mit meinen Gefiederten Freunden mithalten kann.
Trotzdem war Sarah sehr glücklich über ihre Flügel und mit ein wenig Training und vielleicht etwas Hilfe von ihren gefiederten Freunden würde sie bestimmt bald richtig fliegen können …
Aber das ist eine andere Geschichte.