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Sarah

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09.12.2003
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Sarah

Sahra...


„Kümmer du dich doch um deinen eigenen Scheiß!“. „ Wird bloß nicht frech sonst polier ich dir die Fresse!“
Die Wände waren dünn hier, wie Papier. Es gab keine Geheimnisse. Der Streit der Betrunkenen im Treppenhaus, das Schreien des Babys von nebenan, das Weinen vom Stock über ihr, die heuchlerische Lust des Paares aus dem 2ten. Klar zu verstehen, ungeschminkt und ohne Maske. Sie lag auf ihrem Bett. Der Raum war kühl und feucht. Papier hält nicht warm. Ist durchlässig für die Kälte. Seltsam, dachte sie, und doch fühl ich mich hier sicher. Beschützt vor den Worten die zu Waffen werden, vor den Geheimnissen die nicht länger geheim sind, vor den Lügen die sich verbreiten und zu Wahrheiten werden und den Tatsachen die verdreht und gewendet werden. Das Treppenhaus war nicht sicher. Er war kalt, heimtückisch und dunkel. Dunkel weil sie immer die Glühbirnen klauten. Die Glühbirnen, nur gehalten von einer Fassung und dem Draht durch den der Strom fließt. Wie an einem seidenen Faden hängen sie da und leuchten, ein seidener Faden am Papier. Der Hausgang war gefährlich. Hinter den Ecken lauerten die Worte. „Schlampe“ oder „Flittchen“, „Hure“ oder „Nutte“. Aber nicht nur die Worte waren ihre Waffe. Viel schlimmer war die Kälte. Die Kälte der Ablehnung, des Ekels, der Angst. Schnell verlor man die Fassung, schnell und sicher durchtrennten sie den Faden der Hoffnung, zerstörten den letzten Funke und verbannten ins Dunkel. Sie hustete. Es würde schlimmer werden. Doch was konnte schon schlimmer sein? Wie soll man denn leben in einem Haus aus Papier in dem Worte zu Waffen, zu scharfen Messern werden, in dem Geheimnisse nicht mehr einem selbst gehören. Es war nur dieses eine Mal gewesen. Diese eine Mal der Lust. Dieses eine Mal der Unachtsamkeit, dieses eine mal des betrunkenen sich hingeben. Ich muss die zwei blauen und die halbe gelbe, eckige noch nehmen erinnerte sie sich. 23 waren es über den Tag verteilt. Zu festen Zeiten. Nicht das Zeit in diesem restlichen da sein eine große Rolle gespielt hätte. Sie machten es erträglich, dämpften den körperlichen Schmerz und vernebelten die Gedanken. Der Streit hatte es verraten. Er hätte geheim bleiben sollen. Ein Geheimnis zwischen mir und ihm, dachte sie. Aber so war es hier nicht. Die Wände waren dünn, wie Papier, und transportierten die Geheimnisse wie Papier das verbrennt. Zuerst sind die Flamen nur ein kleiner Punkt, sie breiten sich aus, verzehren das Ganze und lassen nur schwarze Asche zurück.
Ich war nicht einmal böse gewesen, nur geschockt. Aber irgendwie hatten wir doch angefangen zu streiten. Hatten uns Vorwürfe gemacht und uns unsere Angst ins Gesicht geschrieen. Ich hätte so gern mit ihm geredet. Über meine Gefühle, die Furcht vor dem nicht erklärbaren, dem unbekannten winzigen Tod. Ich hätte es gern bewahrt, dieses Geheimnis. Doch es hat sich verbreitet. Ist durch die Wände gesickert und hat mein Leben verbrannt. Ich muss Schlafen. Mich ausruhen. Mich vorbereiten auf den nächsten Tag, die nächsten Worte.
„Ach halt doch die Schnauze! Oder geh doch hoch zu der Nutte aus dem 3ten und lass dich auch anstecken! Die machts sogar mit einem wie dir!“
Wände aus Papier und Worte die zu Waffen werden. Sie wickelte die Decke fester um sich, vergrub den Kopf tief im Kissen und weinte. Wenigstens mein Weinen soll ein Geheimnis bleiben.

 

Hallo ADent und willkommen bei kurzgeschichten.de!

Sehr eindringlich berichtest du über Sarahs Schicksal, über den Schmerz, den sie spürt, über die Kälte, in der sie ausharren muss und ich finde den Text ziemlich gelungen und sprachlich gut geschrieben. Vor allem die bildlichen Vergleiche veranschaulichen den Inhalt gut.

Viele Grüße,

Michael :)

 

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