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Sandkastenliebe
Das Mädchen backte kleine Kuchen mit ihren rosafarbenen Sandförmchen und verzierte diese dann mit den zuvor mühsam gepflückten Gänseblümchen. "Schau", sagte sie zu dem Jungen, der gerade noch damit beschäftigt gewesen war, ein tiefes Loch zu graben, um seine Füße darin zu verbuddeln. Er lächelte sie an. "Was ist das für ein Kuchen?"
"Das ist doch eine Torte, sonst hätte sie keine Blumen oben drauf. Schokolade."
"Kann ich auch ein Stück probieren?", fragte er schüchtern. Das Mädchen strahlte, schnitt den Kuchen mit einem kleinen Zweig vorsichtig entzwei und legte das Sandhäufchen in ein Förmchen. Letztendlich wurde noch ein Gänseblümchen auf der Spitze platziert. "Aber weißt du was?", nuschelte er. Das Mädchen sah ihn fragend an. "Davor musst du mir helfen meine Füße einzugraben."
Sie nahm ihre kleine Schaufel und fing an. Schaufeln, klopfen, schaufeln, klopfen. "Wie heißt du eigentlich?" Der Junge mochte keine Stille. "Mila", gab sie knapp zurück. Sie legte Wert darauf ihn richtig fest einzubuddeln und ihm gefiel das, sodass er immer, wenn sie ihn anlächelte, rot wurde und selbst mit seinen fünf Jahren merkte, dass das Gefühl zwischen ihnen besonders war. Ihr helles Kleidchen war am Ende voller Sand, aber sie grinste breit.
"Fang mich doch, wenn du kannst", rief Mila und ging ein paar Schritte zurück. Der Junge wollte sie jagen, er stand auf und versuchte sich zu befreien, doch seine Beine steckten knietief im Sand. Das war gemein. "Lass mich raus", schrie er. Das Mädchen verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. "Nö." Er stemmte seine kleinen Hände in den Sand, versuchte sich herauszudrücken "Du bist blöd." Sie drehte sich beleidigt weg. Hastig schob er hinterher: "Ach bitte, Mila, bitte, bitte, bitte!" Also grub sie ihn, wenn auch schmollend, wieder aus. Er versuchte, es wieder gut zu machen. Lächelte sie an, entschuldigte sich, doch nichts half, Mila buddelte nur wortlos weiter, ohne aufzusehen. "Bekomme ich eigentlich noch das Stück Torte?" Sie schaute ihn an und fing dann an zu lächeln. "Hier!" Sie drückte dem Jungen ihr Förmchen in die Hand. Er aß das Gänseblümchen. Nicht, weil es so gut schmeckte, nein, er wollte wieder gut machen, was geschehen war. "Hmm, lecker", murmelte der Kleine.
Mila wurde total verlegen, was ihn wiederum dazu brachte, rot zu werden. Er schluckte brav herunter und sagte dann: "Mami hat erzählt, dass es einen neuen Laden gibt, der Eis verkauft." "Halt, warte. Wer bist du eigentlich?" "Ich bin Jonas." Mila ging zu ihren Eltern.
Als Jonas das Warten schon beinahe aufgegeben hatte, tippte ihn seine neue Freundin auf die Schulter. Dicke Tränen kullerten über ihre Wangen. „Mama hat gesagt, Eis ist zu ungesund für mich." Sie schniefte. Jonas konnte es nicht ertragen, sie so unglücklich zu sehen. „Ich kaufe dir eines", bot er Mila an, „und wenn du kein Eis willst, bekommst du eben eine Überraschungstüte." Das Mädchen sah ihn mit großen Augen an. „Ehrlich?"
„Ja, wirklich"
Jonas nahm ihre Hand und zog sie zu dem Kiosk. Er bestellte eines für sich und Mila suchte sich das Eis mit dem Schokoriegel in der Mitte aus.
Auf dem Rückweg gingen sie an einem Weiher vorbei. "Warte mal", sagte das Mädchen, "mein Papa lässt immer Steine über das Wasser hüpfen."
Sie probierten es aus, aber alle Steine gingen unter, das störte jedoch nicht, weil sie einfach zu viel mit sich beschäftigt waren. Der Schlamm, mit dem der Grund des Weihers bedeckt war, eignete sich perfekt zum Werfen. Der kleine Kampf artete aus. Jonas traf eine Frau am Kopf, welche sich schimpfend unter die Dusche stellte und Milas* Waffelrest fiel in das dunkle Nass. Als sich das rote Licht der untergehenden Sonne im Wasser spiegelte, rief die Mutter des Jungen, dass es Zeit wäre zu gehen. Er sah betrübt auf. "Tschüss", murmelte er. Das Mädchen aber hielt ihn am Hosenträger fest, zog in zu sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. So wurden beide wieder verlegen. "Tschüss Jonas", flüsterte sie zurück und ging.
Mila und Jonas sahen sich nie wieder.
An seinem sechsten Geburtstag wurde ihm Leukämie diagnostiziert. Er kämpfte lange, doch als alle glaubten, er hätte ihn besiegt, kam der Krebs zurück. Dieses Mal schaffte es Jonas nicht mehr und verlor. Mit vierzehn Jahren starb er. Seine Eltern fanden einen Umschlag mit der Aufschrift: Mein letzter glücklicher Tag. Dort fanden sie diese Geschichte mit dem Wunsch, Mila solle an seiner Beerdigung kommen. Also ließen sie das Werk in der Zeitung veröffentlichen.
Der Tag war grau, die Pfützen auf den Straßen tief, genauso wie die Ränder unter den Augen der Mutter. Ihr Sohn hatte seinen letzten Wunsch geäußert, doch er war nicht erfüllt worden. Ein paar Mädchen seiner alten Klasse standen hinten, weiter vorne Freunde und Verwandte. "Sie hat es nicht gelesen", flüsterte Jonas Mutter seinem Vater traurig zu. Dieser nickte abwesend, aber auch ihn traf es, weil es die letzte Bitte seines Sohnes gewesen war.
Doch was alle nicht wussten: Genau an diesem Tag stand ein großes, zierliches Mädchen mit einem weißen Kleid an genau dem Seeufer und warf Steine ins Wasser. Dicke Tränen kullerten ihre Wangen herunter und vermischten sich mit dem grünen Wasser des Sees. Ihre Augen waren glasig, ihr Blick verschwommen irgendwo in der Ferne. Sie ließ die Spitze ihrer Eises in den See fallen, drehte sich um ging. "Danke Jonas"