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Sand
Sand, Hitze, Sonne. Seit Tagen waren sie auf der Karawanenroute unterwegs. Weit weg von aller Zivilisation. Weit weg von aller Obrigkeit. Weit weg vom drohenden Gefängnis oder schlimmer noch: dem Galgen!
Auch wenn es beschwerlich war, durch den Sand voranzukommen, war es Abbas immer noch lieber als die drohende Strafe. Er war ein Dieb, ein Halunke, ein Mörder. Ein Leben zählte nicht, wenn er dafür genügend Reichtümer erlangte.
„Mein Freund, pass auf. Wir durchqueren gefährliche Gebiete. Hier gibt es Räuber und Gesetzlose“, erklärte Samir und zeigte auf den Horizont: „Siehst du die Berge dort hinten? Man erzählt sich, dass es dort eine Stadt gibt, die nur aus gestohlenen Gütern besteht. Kein Mann ist jemals von dort zurückgekehrt! Es gibt auch Gerüchte, dass dort ungläubige Dschinn leben…“ Ein Lächeln umspielte Samirs Mund. Auch Abbas wusste, dass Dschinn nur in den alten Geschichten auftauchten. Mit so etwas erschreckte man kleine Kinder.
Eine Unruhe erfasste die Tiere so plötzlich, dass der ordentliche Zug zu einem Durcheinander wurde. Was war los? Laut schreiend und mit Ruten auf die Tiere einschlagend, versuchten die Kameltreiber die Tiere wieder zur Ordnung zu bewegen. Auch Abbas und Samir mussten sich anstrengen, um nicht vom Rücken ihrer Tiere zu rutschen.
„Dort! Sieh!“, rief Samir aus und zeigte abermals auf den Horizont. Eine dunkelbraune Wand raste direkt auf die Karawane zu, verschluckte alles auf ihrem Weg und würde in wenigen Minuten bei ihnen sein. „Ein Sandsturm!“, rief Samir aus um die anderen zu warnen: „Schnell, runter vom Kamel und bedecke Mund und Nase mit einem Tuch“, erklärte er an Abbas gewandt.
Die einzelnen Kamele ließen sich auf den Boden nieder und ihre Herren kauerten sich auf der dem Wind abgewandten Seite an ihre Körper. Mund, Nase und auch die Augen gut vor dem Sand abgeschirmt. Dann war auch schon die Wolke herangerückt. Erst langsam, dann immer schneller füllte sich die Luft mit Sandkörnern und ließ die Kamele zu braunen Schatten werden. Schließlich verschwanden sie ganz und hätte Abbas sich umgesehen, hätte er nur gegen eine braune Wand gestarrt.
Der Sturm dauerte an, Sand prasselte auf seine Kleidung und drang durch jede Naht seiner Kleidung. Trotz des Tuches vor Mund und Nase fiel ihm das Atmen immer schwerer bis er in einen Dämmerzustand abdriftete und die Welt um ihn herum nicht mehr wahrnahm.
Er schreckte aus seinem Zustand der Bewusstlosigkeit hoch. Kein Tuch war mehr um seinen Kopf geschlungen, auch kein Sand mehr unter seinem Körper. Stattdessen lag er in einem Bett! Er ließ sich zurück auf das Lager fallen, dann sah er sich erst einmal vorsichtig um. Er war in einem Haus, soviel stand fest. Der Sturm musste aufgehört haben, denn durch die Vorhänge der Tür blitzten Sonnenstrahlen in den ansonsten eher schummrigen Raum. Außer Abbas war niemand da.
Ihm wurde plötzlich bewusst, dass er in großer Gefahr schwebte. Immerhin war er ein Dieb und da er auch einer der einflussreicheren Diebesgilden angehörte, besaß er auch deren Amulett. Hektisch tastete er seinen Körper ab. Normalerweise müsste es gut verborgen um seinen Hals hängen, doch dort war nichts! Konnte er es verloren haben? Hatte man es gefunden? Nur, warum lag er dann hier und nicht in irgendeiner dunklen Gefängniszelle oder hatte man ihn gar auf der Stelle umgebracht und er befand sich in einer anderen Welt? Doch hätte er dann nicht das Amulett noch bei sich haben müssen? Viele Fragen schwirrten in seinem Kopf. Panik kam auf. Ihm war sein Leben doch so lieb. Er konnte nicht tot sein! Das war nicht möglich!
„Suchst du dies hier?“, tönte eine tiefe, ruhige Stimme durch das Halbdunkel und schwenkte das Amulett vor seinem Gesicht hin und her. Ich bin noch am Leben, schoss es ihm durch den Kopf und seine Panik legte sich leicht. Im gleichen Moment überkam ihn aber auch schon die Gewissheit, dass jemand ihn als Dieb erkannt hatte. Das würde sein Ende sein. Die Panik brach wiederum hervor. Doch er nahm sich ein bisschen zusammen und schaute erst mal in die Richtung der Stimme. Was er erblickte, war ein Gesicht. Gespenstisch erhellt durch eine Öllampe in der einen Hand des Mannes. Die andere hielt immer noch sein Amulett.
„Nenn mich Hakim“, erklärte der Mann und ließ das Amulett los. Es fiel auf Abbas.
„Das gehört dir“, sagte Hakim und holte im gleichen Moment ein zweites Amulett unter seiner Kleidung hervor. Es hing an einem langen Band um seinen Hals und war mit dem von Abbas identisch. Auch ein Angehöriger? Konnte es so einen Zufall geben? Abbas machte große Augen und endlich begann sich die Panik, die in ihm wütete, abzuklingen. Er betrachtete nun den Mann genauer, soweit dies im wenigen Licht auch ging: dunkle Augen, schmale Nase und ein dunkler Bart. Dazwischen ein leicht amüsiert wirkendes Lächeln.
„Wie soll ich dich nennen, Bruder?“, fragte Hakim nachdem das Amulett wieder verschwunden war. Abbas nannte seinen Namen. Mehr nicht, denn sein Herz musste sich erst einmal erholen.
„Ein durchaus passender Name für einen unserer Zugehörigkeit“, erklärte Hakim: „Komm nach draußen und iss etwas, Abbas“
Damit wandte er sich dem Vorhang der Tür zu und verließ den Raum, wobei die Sonne das Halbdunkel für einen kurzen Moment, da er den Vorhang beiseiteschob, verdrängte und strahlend hell in den Raum fiel.
Vor der Tür dauerte es einen Moment bis Abbas etwas sehen konnte. Doch nachdem sich die Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, erblickte er eine Stadt. Gelegen zwischen den Hängen der vorhin noch so fernen Berge. Vor ihm führte eine Treppe in einen tiefer gelegenen Innenhof. Dort befand sich ein Lager aus Kissen, die durch ein Zelt vor der Sonne geschützt waren. Hakim saß dort und bedeutete ihm, dass er sich auch bei ihm niederlassen solle.
Die Stufen der Treppe waren alt und ausgetreten und er musste aufpassen, dass er nicht den Halt verlor. Merkwürdig, denn an sich machte der ganze Komplex einen gepflegten Eindruck und das Alter war ohne genauere Untersuchung nicht abschätzbar.
Nachdem Abbas sich niedergelassen hatte, reichte ihm Hakim auch schon etwas Brot und Datteln.
„Du hattest Glück, Bruder, dass wir dich gefunden haben. Lange hättest du nicht mehr überlebt. Sandstürme sind gerade in dieser Gegend sehr gefährlich“, sagte Hakim, während Abbas sich stärkte.
„Was ist mit den anderen der Karawane?“, fragte Abbas.
„Sie bedeuten dir wohl etwas!?“, antwortete Hakim ausweichend und für Abbas war es nicht ersichtlich, ob es eine Frage oder eine Feststellung war.
„Die Karawane ist mir egal, doch begleitete mich ein Mann namens Samir. Er ist ein ehrbarer Händler, der mich als seinen Gehilfen anstellte“
Hakim sah ihn erstaunt an: „Ein Dieb, der einer ehrlichen Arbeit nachgeht?“
„Nun, eigentlich war es nur meine Gelegenheit der Hinrichtung zu entkommen. Doch er ist so etwas wie ein Freund für mich geworden. Er ist auf dem Weg zu seiner Familie“, rechtfertigte sich Abbas.
„Dann wird es dich freuen…“, merkte Hakim an und ein Tor an der gegenüberliegenden Wand öffnete sich. Waren da andere Menschen? Abbas hatte bisher noch niemanden gesehen.
„Du warst nicht der einzige, den wir in dem Sturm gefunden haben“, sagte Hakim und zeigte auf das nun offene Tor. Eine Gestalt erschien in der Tür. Gebeugt und allem Anschein nach gefoltert. Langsam schleppte sie sich auf den Platz hinaus. Die Hände und das Gesicht übersät mit Schürfwunden.
In der Mitte zwischen dem Tor und dem Lager blieb der Mann stehen und sah zu ihnen herüber. Für Abbas hatte es den Anschein, dass dieser sich kaum auf den Beinen halten konnte. Samirs Augen waren in den Überresten des Gesichts zu erkennen. Böse schienen sie zu funkeln.
„Er weiß von dir und deinem Geheimnis!“, flüsterte Hakim in sein Ohr: „Er wird dich verraten sobald ihr in der nächsten Stadt seid. Oder er wird dich gleich hier in der Wüste umbringen. Man wird dich vielleicht niemals finden. Du musst ihn töten!“
Widerstand regte sich in Abbas Innerem. Samir war ein Freund er war gutmütig. Natürlich, schon als Händler war er nicht gut auf Diebe zu sprechen, aber Abbas hatte ihm nie einen Grund gegeben, dass er ein falsches Spiel trieb. Es war einfach undenkbar, dass Samir ihn umbrachte.
„Töte ihn!“, flüsterte Hakim abermals in sein Ohr.
Andererseits traute er Samir doch schon zu, dass er ihn in der nächsten Stadt den Wachen auslieferte. Da half auch die kurze Freundschaft nicht. Samir war ein rechtschaffener Mann.
„Töte ihn!“, flüsterte Hakim ein drittes Mal in sein Ohr und plötzlich nahm er den neben ihm liegenden Säbel wahr.
Ja, Samir würde ihn bestimmt an die Wachen ausliefern. Das durfte nicht geschehen! Sein ganzes Leben hatte er auch ohne Freunde geschafft. Er würde es weiterhin durchziehen. Die Zeit war für ihn noch nicht abgelaufen. Das Leben gehörte ihm und keiner kam und tötete ihn einfach.
Abbas ergriff den Säbel und stand auf. Mit schnellem Schritt kam er auf Samir zu. Den Säbel hob er zum Hieb bereit über den Kopf. Hinter ihm sah Hakim befriedigt dem Schauspiel zu.
„Warte, Abbas!“, sagte Samir als er nahe genug bei ihm war: „Er ist nicht das, was er vorgibt zu sein!“
Samir krümmte sich zusammen. Er wurde von überraschenden Schmerzen gepeinigt.
„Er… er ist ein Dschinn!“, brachte Samir unter Stöhnen hervor. Abbas zeigte sich unbeeindruckt. Er war aber dennoch vor ihm stehen geblieben und hatte nicht zugeschlagen. Trotzdem war der Zorn immer noch stark in ihm.
„Warum wartest du? Er will dich nur Ablenken. Er führt dich in die Irre! Du musst ihm zuvorkommen!“, rief Hakim hinter ihm. Ungeduld lag in seiner Stimme.
„Er ernährt sich von Gefühlen, Abbas“, brachte Samir hervor: „Dein Hass macht ihn stark!“
Konnte das wahr sein? Ein Dschinn war eine Sagengestalt. So etwas gab es nicht! Das konnte nur ein Trick sein! Trotzdem ließ eine innere Stimme ihn zweifeln. Er ließ den Säbel sinken.
„Was tust du da, Bruder?“, rief Hakim die Szene beobachtend. Entsetzen schwang in seiner Stimme mit. Dies bestärkte Abbas darin Samir zu glauben.
„Du musst es beenden!“, erklärte dieser: „Du musst ihn töten! Töte ihn! Töte ihn! Töte IHN!“
Abbas Zorn wandte sich von Samir ab und konzentrierte sich auf Hakim. Er drehte sich um und hob den Säbel wieder in die Höhe. Er konnte Hakims Gesicht sehen. Doch war dort keine Spur von Furcht zu erkennen. Im Gegensatz, es war sogar ein leichtes Lächeln zu sehen, das durch die Mundwinkel zuckte. Nein! Das war alles falsch! Der Hass wurde nur von einem Objekt auf das andere projiziert. Dies alles diente nur dazu, dass er weiterhin Gefühle hatte! Er schluckte seinen Hass herunter. Dann rief er: „NEIN! Nein, ich werde keinen Töten!“
Den Säbel ließ er klirrend zu Boden fallen. Er zwang sich zur Gleichgültigkeit. Keinem der beiden würde er das nächste Wort glauben, geschweige denn für einen Gefühle entwickeln.
„Nein! Nein! NEEEEEEEEIN!“ Zorn blitzte in Hakims Augen auf als seine Konturen langsam begannen sich zu verwischen. Immer mehr löste sich von ihm und dem Lager auf bis sich schließlich ein Sandteufel in der Mitte des Innenhofs erhob. Ein paar Minuten verharrte er dort. Unbeweglich. In monotoner Drehung. Dann fiel er leise und ohne großes Aufheben in sich zusammen.
„Abbas! Abbas, wach auf!“
Samirs Stimme drang an sein Ohr: „Der Sturm ist vorbei. Wir müssen weiter“
Er schlug die Augen auf und fand sich an sein Kamel gelehnt in der endlosen Wüste wieder. Sand bedeckte seinen ganzen Körper. Er entfernte vorsichtig das Tuch von seinem Mund, sodass der Sand von seinem Gesicht abfiel. Sein Mund war staubtrocken. „Ich brauche Wasser“, erklärte er Samir, der über ihn gebeugt war.
„Wer gegen einen Dschinn gewinnt, der hat sich sein Wasser redlich verdient, mein Freund“, erwiderte Samir lächelnd und reichte ihm einen Wasserschlauch. Über das kühle Wasser in seinem Mund vergaß er für den Moment das, was Samir eben gesagt hatte, die Sonne, die Hitze und den Sand.