Sand
Eine seltsame Welt war es, in die es mich verschlagen hatte. Hier gab es nichts, was das monotone Braun des Sandes, das sich bis zum Horizont erstreckte, unterbrochen hätte. Wohin ich auch blickte, überall glitzerten Myriaden von Sandkörnern in der prallen Sonne, reflektierten ihr Licht und stachen mir gleißend in die Augen. Ein stetiger, säuselnder Wind wehte feine Staubschleier durch die Luft.
1. Tag
Die einzige Farbe, die neben dem dumpfen Braun des Sandes existierte, war das gleißende Weiß des kleinen Raumers, mit dem ich auf dieser eintönigen Sandwelt notgelandet war. Eigentlich bestand für mich kein Grund zur Besorgnis, denn diese Welt war so tot, wie es nur irgend etwas sein konnte.
Kurz vor dem Crash hatte ich noch einen Notruf zum Basisschiff gesandt. Ich wußte, daß man mich bald holen würde, daß man mit Sicherheit schon auf dem Weg zu mir war. Und wenn ich erst einmal auf dem Basisschiff war, würde ich mir Stevensson vornehmen, diesen schlampigen Idioten, der für die Wartung der Raumer zuständig war.
Während mir diese Gedanken wohltuend durch den Kopf schossen, kletterte ich wieder durch die schmale Einstiegsluke ins Innere des kleinen Erkundungsschiffes, um zum wer weiß wievielten Male den automatischen Standortpeilstrahl zu kontrollieren.
2. Tag
Ich war immer noch hier!
Wo, zum Teufel, blieb das Rettungskommando?
Der Peilstrahl funktionierte einwandfrei, und eigentlich hätte man mich schon längst gefunden haben müssen. Aber noch machte ich mir keine ernsthaften Sorgen. Vielleicht gab es irgendwelche Interferenzprobleme, vielleicht konnte man mich inmitten dieser
braunen Sanddünen schlecht sichten.
Vielleicht...
Doch es war müßig, sich Gedanken darüber zu machen. Es gab nichts, was ich hätte tun oder ändern können! Und eigentlich ging es mir ja gar nicht so schlecht.
Die Flüssigkeitsaufbereitung des Raumers war intakt, und nachts, wenn es empfindlich kalt auf diesem Wüstenplaneten wurde, konnte ich mich ins Innere des Raumers zurückziehen. Einzig das stetige Säuseln des Windes und das kaum hörbare Schaben, mit dem er den leichten Flugsand gegen die weiße Metallhaut meines Schiffes wehte fingen an, mir auf die Nerven zu gehen.
3. Tag
Ich hatte schlecht geschlafen in dieser Nacht. Wirre Träume suchten mich heim, Träume, in denen ich vom Wind davongewirbelt wurde und mein Körper langsam zerfiel, eins wurde mit den unzählbaren Sandkörnchen.
Als ich erwachte, zog es in meinen Gliedern, während in meinem Kopf ein dumpfes Pochen dröhnte.
Ächzend erhob ich mich aus dem Pilotensitz, auf dem ich gezwungen war zu nächtigen. Mühsam kletterte ich hinaus in die sandgewordene Eintönigkeit dieser Welt. Ich fragte mich, was ich eigentlich hier draußen wollte. Mir den immer gleichen Sand ansehen, in der Hoffnung, etwas würde sich an meiner Situation ändern? Dem Säuseln des Windes zuhören? Mir wurde klar, wie sinnlos es war, hier draußen zu stehen und auf irgend etwas zu warten. Kopfschüttelnd kletterte ich zurück in den Raumer, der mir wenigstens Schutz vor dem Flugsand versprach, der wie Sandpapier über meine Haut strich.
4. Tag
Die Träume kamen wieder, und ich machte mir ernsthafte Gedanken, sowohl darüber, wie es um meine Nerven bestellt war, als auch über das Ausbleiben des Rettungskommandos. Vier Tage waren mehr als genug, mich in dieser Einöde aufzuspüren!
Außerdem begann der Hunger, unerträgliche Formen anzunehmen. Ich wußte zwar, daß man noch wesentlich länger ohne Nahrung auskommen konnte, doch das nagende Gefühl, das durch meine Eingeweide zog, ließ sich nicht mit Vernunft bekämpfen.
Ich grinste bei dem Gedanken daran, daß die Menschheit es geschafft hatte, den Weg zu neuen Planeten zu beschreiten, aber immer noch von so elementaren Dingen wie Nahrung abhängig war.
Dagegen hatte noch niemand etwas erfunden!
Doch dieser Gedanke war nur ein kurzes Aufflackern des Intellekts. Dies wurde mir mit schmerzlicher Gewißheit klar, als meine Gedanken wiederum begannen, sich mit dem Sand und dem Wind jenseits des schützenden Metalls zu beschäftigen.
Verwirrt rief ich mich zur Vernunft.
War es das, was ich in den letzten Tagen getan hatte? Mich mit dem Sand zu beschäftigen? Und dem Wind? Wozu, verdammt noch mal?
Ich schob diese Fragen beiseite, denn irgendwie beängstigte es mich, darüber nachdenken zu müssen. Ich versuchte, wenigstens einen Teil meiner früheren Rationalität zu bewahren, indem ich erneut den Peilstrahl kontrollierte. Wann hatte ich dies zum letzen Mal getan?
Eine böse Überraschung erwartete mich.
Der Peilstrahl war abgeschaltet worden!
6. Tag
Ich war müde. In der vorhergehenden Nacht hatte ich Wache geschoben, denn mir war der Gedanke gekommen, daß ich auf diesem öden Planeten vielleicht doch nicht so allein war, wie ich es bis jetzt geglaubt hatte. Doch nichts war geschehen. Einzig das dumpfe Gefühl des Hungers hatte sich mit dem Säuseln des Windes verbunden und zerrte nun doppelt an meinen Nerven. Ab und zu streifte noch ein kleiner Hoffnungsschimmer durch mein Bewußtsein, bei dem es sich um den Gedanken an das Rettungskommando handelte.
Rettungskommando? Was war das? Und wer wollte mich wovor retten?
Langsam dämmerte der Schlaf durch meinen Geist, und begann, mich einzulullen.
***
Ich erwachte. Diese wenigen, jedoch traumlosen Stunden des Schlafes hatten mich etwas erfrischt, wodurch meine Gedanken an Klarheit gewannen.
Ein plötzliches Erschrecken durchzuckte mich. So schnell ich konnte, hastete ich hinüber zum Terminal, das den Peilstrahl kontrollierte.
Er war erneut abgeschaltet worden!
7. Tag
Ich hatte den Rest des gestrigen Tages damit verbracht, draußen nach Spuren zu suchen, die ein ungebetener Besucher hinterlassen haben könnte.
Doch ich fand ... Nichts!
Ich wußte nicht, ob mich diese Feststellung beruhigen sollte oder nicht, denn die Alternativen schienen kaum weniger erschreckend, als es ein nächtlicher Besucher gewesen wäre. Denn wenn es niemanden gab, der den Peilstrahl hätte abschalten können ...
Dann war ich der einzige Verdächtige!
8. Tag
Ich habe mich selber ausgetrickst.
Bevor ich mich erneut zum Schlafen in den nun immer unbequemer werdenden Pilotensitz gezwängt hatte, hatte ich mich selbst mit einem aus der Bordelektronik gerissenen Stück Kabel an den Sitz gefesselt.
Eigentlich erstaunte es mich nicht sonderlich, als ich nach dem Erwachen feststellte, daß das Kabel zerrissen und der Peilstrahl erneut abgeschaltet war.
Die Erkenntnis, daß ich selbst der ungebetene Besucher war, drang allerdings nur wie eine zähe Masse an die Oberfläche meines Bewußtseins. Das Denken schien mir immer schwerer zu fallen, und eine seltsame Art von Gleichmut ergriff nach und nach von mir Besitz. Dieser schleichende Prozeß wurde mir immer weniger bewußt.
Was machte es schon, wenn man mich nicht fand? Was machte es schon, wenn ich für immer auf diesem Wüstenplaneten bleiben müßte?
Ich stolperte hinaus und sah das ewig gleiche Braun des Sandes vor mir. Der Wind zerzauste mein Haar, während ich mit gleichmütigem Blick über die geschwungenen Konturen der Dünen strich.
Dieses golden schimmernde Braun ...
Es war so schön!
Erst jetzt wurde mir klar, was wahre Ästhetik bedeutete. Und der Wind, der stets neue Sanddünen gebar, war der Vater dieser Schönheit!
Ich ließ mich auf die Knie sinken und wühlte mit den Händen im Sand. Fasziniert betrachtete ich die Spuren, die ich dabei hinterließ.
Als der Sand durch meine Finger glitt, wurde der Wunsch unerträglich, eins mit ihm zu werden, eins zu werden mit der ewig gleichen aber doch immer unterschiedlichen Landschaft.
9. Tag
Ich wußte nicht, wie ich es geschafft hatte, mich von diesen grandiosen Empfindungen zu lösen und zurück in den Raumer zu klettern. Allerdings wußte ich auch nicht, was ich hier eigentlich wollte. Mit Sicherheit wußte ich jedoch, daß ich nicht allein in dieser Welt war. Etwas war dort draußen, das mich hinauszog in die unendlichen Weiten, in denen nur der Wind und der Sand herrschten.
Meine Gedanken wurden immer unverständlicher, verloren sich in dem Gefühl, eins werden zu müssen mit dem Sand und dem Wind.
Mit einer letzten Willensanstrengung taumelte ich hinaus, warf mich auf den weichen, goldbraunen Boden und wartete darauf, in den ewigen Kreislauf des Windes aufgenommen zu werden.
***
Einige Monate später:
Man hatte mich doch noch gefunden. Wie man mir später erzählte, war ich fast tot, als man mich im Sand liegend fand. Anscheinend hatte ich versucht, den Sand zu essen, denn in meinem Mund und meinem Magen fanden sich Unmengen von Sandkörnern. Als man mich jedoch zurück zum Basisschiff bringen wollte, begann ich, mich mit Händen und Füßen dagegen zu wehren und schrie, daß ich nicht fortwollte, und daß der Sand zu schön wäre, um ihn allein zu lassen.
Man führte mein seltsames Verhalten auf den Nahrungsverzicht zurück.
Halluzinationen, sagten sie.
Irrationales Verhalten, bedingt durch die Einsamkeit und die Verzweiflung.
Irgendwann begriff ich, daß man mich in Ruhe lassen würde, wenn ich nur allem zustimmen würde. Und so war es dann auch. Kurz darauf nahm ich meinen Abschied von der Raumflotte und zog mich in ein kleines Haus in einer kleinen Stadt zurück, die in der Nähe der Wüste in Nevada lag.
Irgend etwas drängte mich dazu, die Nähe der Wüste aufzusuchen. Etwas, daß mich nicht verlassen hatte, das mich begleitet hatte während des Kälteschlafes auf der Rückreise zur Erde.
Etwas, das noch immer in mir war. Mit dem ich nie wieder allein sein würde.
Heute weiß ich, daß ich damals, auf dem goldbraunen Planeten, tatsächlich nicht allein gewesen bin.
Immer, wenn ich durch die blinden Scheiben der Fenster hinaus in die Wüste sehe, fällt mir auf, daß es wieder etwas mehr geworden ist. Eine kleine Düne hier, eine noch kleinere Sandverwehung dort.
Doch ich weiß, daß dieser Prozeß zwar langsam, aber doch stetig ist. Irgend wann wird der Sand weiter vordringen, die Felder und Städte, die Meere und Menschen verschlingen unter seiner berauschenden Gleichförmigkeit.
Auf diesen Tag warte ich.
Dann werde ich glücklich sein.