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Sand Cats from Mars
Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur darin zurechtfinden. - Albert Einstein
Kairo, Erde
Interspecies Mission Training Center
Also was denkst du?, fragte der Sandkater auf seinen Hinterbeinen ruhend, während er unbewusst mit dem Schwanz auf den Teppich klopfte, von einer Seite zur anderen wischend.
Ich denke, wir haben ziemlich gut abgeschnitten, Murph, antwortete Kate.
Sie setzte sich neben die Sandkatze auf den dunkelorangen, flauschigen Teppich in einer der mit Sofas ausgestatteten Sitzecken des Lesesaals und legte die Arme um das angewinkeltes rechtes Knie. Es war schon früher Abend und der letzte der anderen Kandidaten im Institute für Upliftbiologie war schon vor einer Weile gegangen. Murphy trug das hellbeige Fell, das typisch war für diese in der Wüste lebende Wildkatzenart, mit dunkelbraunen Streifen auf dem Rücken und je zwei dunklen Ringen um jedes Bein. Obwohl von ähnlicher Körpergröße wie eine Hauskatze waren die spitzen, abstehenden Ohren deutlich größer und mehr wie die eines Fennek geformt. Die großen, gelben Augen schauten nachdenklich zu der schlanken, jungen Frau im grau-zitronengelb gestreiften Sportfunktionsanzug. Ihre orangeroten Locken waren zu einem losen Pferdeschwanz gezähmt, aber eine oder zwei Strähnen hatten sich befreit, fielen vor den Ohren herab und umrahmten so das kantige Gesicht.
Dann sind die also zufrieden?, projizierte Murphy eine weitere Frage in ihren Kopf.
Sie zuckte mit den Schultern. Schweigsam saßen für eine Weile einfach da.
Murphy war das Ergebnis jahrzehntelangen gentechnischen Liftings. Obwohl seine äußere Erscheinung mehr oder weniger der seiner einfachen Vorfahren entsprach, war er von menschenähnlicher Intelligenz. Und doch, menschlich war er nicht, was Kate zuweilen zu vergessen pflegte. Induzierte Erweiterung und Restrukturierung des Neocortex, kombiniert mit den Errungenschaften des heute so bezeichneten Zeitalters der Augmentierung ermöglichten ihm die Kommunikation mittels Cybertelepathie mit anderen, die wie er mittels eines Broca-Implantats „cyborgisiert“ worden waren.
Hey Murph, meint Kate schließlich, du scheinst mir heute so in Gedanken. Was hast du auf dem Herzen?
Hmm? Murphy blinzelte. Oh, ich bin nur durch meine Erinnerungen gegangen. Die Zeit vergeht so schnell, es sind nun schon beinahe zwei Jahre. Ich hatte kaum Zeit um alles mal zu verarbeiten.
Stimmt, die halten uns ganz schön auf Trab. Aber auf was genau spielst du an?
Ich frage mich ob das richtig war. Der Kater deutete mit der Pfote auf seine Stirn.
Wie sie dich verändert haben?
Gemacht, meinst du wohl, dachte Murphy.
Ach, red doch nicht so einen Unsinn, dachte sie und er verstummte tatsächlich. Kate betrachtete ihn besorgt, musste dann aber lächeln als sie das geöffnete Lehrbuch (Altägyptische Mythologie und Politik) bemerkte, das noch immer auf dem kleinen Bildschirm mit der an Pfoten angepassten Tastatur zu sehen war. Abschriften und Fotographien alter Wandmalereien und Hieroglyphenschriften. Diese Seite zeigte Bastet, die Katzengöttin der Fruchtbarkeit und des Schutzes. Spätere Darstellungen gaben ihr oft das einfachere Antlitz einer schwarzen Hauskatze, doch dieses Bild zeigte eine humanoide, weibliche Gestalt mit katzenhaftem Kopf, gehüllt in weiße Tücher mit goldenen Rändern. Ihre Rechte umschloss ein Ankh als Symbol der Unsterblichkeit, ihre Linke hielt ein U-förmiges Sistrum, ein rituelles Musikinstrument ähnlich einer Rassel, in die Höhe. Kate hatte Murphy nie als besonders religiös wahrgenommen. Sah er Bastet vielleicht als eine Art Symbol der Evolution, des Aufstiegs seiner Art? Vielleicht täuschte sie sich aber auch und der Kater war spiritueller als sie bislang angenommen hatte.
Wie ich sehe hast du deine Geschichtsstudien fortgesetzt. Die alten Ägypter ... in vielen Dingen waren sie ihrer Zeit voraus ..., dachte Kate.
Die wussten auf jeden Fall, wie man Katzen zu behandeln hat, dachte Murphy, zwinkerte ihr aber zu.
Kate rollte mit den Augen. Also, du wolltest mir doch jetzt was erzählen oder?
Murphy zögerte, dachte aber dann: Weißt du, neulich Nacht lief ich gerade durch die Stadt, als–
Was? Du weißt doch, dass du eigentlich gar nicht–
Ach hör doch auf, Kate! Ich brauchte einfach ein bisschen Freiraum. Wie auch immer, während ich also durch die Gassen und über die Dächer streifte, stolperte ich über diese anderen Katzen. Normale Katzen, okay. Neugierig folgte ich ihnen und beobachtete, wie sie ihren nächtlichen Angelegenheiten nachgingen. Aber dann bemerkten sie mich.
Und? Was ist passiert?, fragte Kate
Die schienen instinktiv zu wissen, oder zu fühlen, das etwas anders war an mir. Sie sahen mich an, fast so, als wäre ich sie, Murphy nickte in Richtung des Bildschirms von dem aus Bastet sie noch immer anblickte. Das ist natürlich lächerlich. Könnte nicht ferner der Wahrheit liegen. Ich bin ja wie ihr.
Autsch, das tat weh, dachte Kate in gespielter Gekränktheit und fasste sich mit der Hand an die Brust, wo das Herz liegt.
Nein, du bist schon in Ordnung. Zumindest, die meiste Zeit über, er benutzte die gentechnisch modifizierten Gesichtsmuskeln für ein neckisches Grinsen. Nein, ich meine wie Menschen. Ihr habt versucht mich wie euch gemacht.
Und das ist ... schlecht?, fragte Kate.
Gut, schlecht. Menschlichen Schubladen. Bin ich jetzt ein „besseres“ Wesen? Besser als wer? Die normalen Katzen? Und was heißt besser?
Ich würde nicht das Wort „besser“ benutzen, das ist zu wertend, dachte Kate.
Und war es richtig, war es euer Recht es zu tun?, fragte er.
Ich weiß es nicht. Würdest du denn lieber ihre Leben leben? Ein einfacheres Leben?, projizierte Kate mit nachdenklichen Blick. Ich kann mit Dr. Collins reden, vielleicht könnte sie–
Ich kenne da Leben ja nur so. Aber ja, manchmal, in Nächten wie diesen, frage ich mich wie anders es sein würde?, dachte Murphy.
Weißt du, ich denke auch über diese Dinge nach, entgegnete Kate mit einem Blick in den simulierten, aber täuschend echt wirkenden, Nachthimmel, der auf die hohe Decke projiziert wurde. Warum nicht einfach kündigen? Ich könnte in die Wildnis ziehen, wie mein Onkel. Mein eigenes Haus bauen, für mich selbst sorgen, all diesen Fortschritt, diese Wagnisse hinter mir lassen. Und doch, hier bin und irgendetwas treibt mich an dort hinaus zu gehen ... und du bist auch hier.
Stimmt. Murphy schaute sie misstrauisch an. Hey! War das schon wieder ein Test?
Kate schüttelte den Kopf. Nicht alles ist ein Test. Naja, vielleicht ist das ganze Leben ein Test, wenn du so willst.
Und was ist die richtige Antwort?, fragte Murphy ernst.
Kate zögerte einen Moment. Die muss wohl jeder selbst finden.
Er dachte eine Minute darüber nach und antwortete dann halb im Ernst: Okay, ich sag Bescheid, wenn ich ‘s rausfinde.
Kate schüttelte schmunzelnd den Kopf und strich ihm über den kleinen Kopf, das sandfarbene Fell zerstrubbelnd.
Ein Jahr später
Noctis Labyrinthus, Mars
Sol strahlte von ihrem höchsten Punkt auf die beiden einsamen Wanderer herab und ein kühler Wind strich über den feinen, rostroten Sand, der den Boden ringsum bedeckte. Beiderseits ragten hohe, abgeschliffene Windhöcker aus dem Boden und weit entfernt erhoben sich kilometerhohe Wände, die diesen Ausläufer des Noctis Labyrinthus umgaben. Seit beinahe zwei Wochen war das ungleiche Team nun Teil der Valles-Marineris-Expedition und allmählich begann sich eine gewisse Arbeitsroutine einzuschleifen. Interspezies-Teams waren eine Neuheit und sie und andere waren hierher entsandt worden, um Möglichkeiten für ein Sanftes Terraforming zu erkunden, in Vorbereitung für eine spätere Kolonisierung. Kate hatte sich für das Programm beworben, nachdem sie ihre Dissertation in Planetologie (Desertifikationsprozesse und ihre Reversion) beendet hatte. Es hatte Versuche mit Fenneks und anderen Wüstenbewohnern gegeben, aber am Ende hatten sich Sandkatzen als geeignetste Partner des Menschen für die Mission zu dieser öden Welt, die einst, vor langer Zeit, gar nicht so verschieden war von der Erde, herausgestellt. Nun näherten sich die beiden gerade einigen Felsen, die kleine und große Spalten und Höhlen formten, als Murphy plötzlich innehielt.
Was bei Seth ...?, ertönte seine Stimme in Kates Gedanken. Sieh mal! Er deutete mit der behandschuhten rechten Vorderpfote auf die wild blinkende Anzeige des Scanners, der in den linken Unterärmel seines Anzugs eingelassen war.
Was ist das?, fragte Kate und versuchte ihren eigenen Scanner zu justieren, der die Anomalie nun ebenfalls erfasste. Das irritierte Gerät bot als wahrscheinlichste Analyse Tachyonen an. Diese theoretischen, relativistischen Teilchen, waren bisher noch nicht nachgewiesen worden. Konnten sie der Analyse glauben? Die Strahlung breitete sich strudelförmig aus und schien ihren Ursprung in einer der größeren nahen Höhlen zu haben.
Seltsam, dachte sie. Da aber keine energiereiche Strahlung kurzer, und somit schädlicher, Wellenlängen festzustellen war, beschlossen sie die Höhle zu betreten und die Anomalie näher zu untersuchen.
Murph? Bist du da ...?, ertönte eine Stimme in seinem Kopf wie aus weiter Ferne.
Natürlich bin ich da, siehst du doch!, dachte Murphy, stellte die breiten, spitz zulaufenden Ohren auf und blinzelte Kate mit halb geschlossenen Augen verständnislos an.
Kate, völlig in die widersprüchlichen Daten ihres Scanners vertieft, blickte verwirrt auf:
Bitte was is’ los?
Murphy gähnte, die langen, spitzen Eckzähne entblößend.
Dachte du hättest was gesagt, projizierte er, den Kopf kurz zu ihr gedreht, und wandte sich dann wieder dem wabernden Spalt zu, der mitten in der Luft den Raum in der engen Felshöhle zerriss. Aber wie auch immer, warum warten? Wir sind jetzt hier, all unsere Technik hilft uns nicht und wir werden erst schlauer sein, wenn wir hindurchgehen.
„Warte! Wir wissen doch gar nicht –“, rief Kate ihm laut über das Helmmikrofon zu. Doch der Wüstenkater war schon bis auf wenige Millimeter an den Übergang herangetreten. Sie sah seine Schnurrhaare vor freudiger Anspannung unter dem Helm zucken. Dann sprang er mit einem Satz durch den glitzernden Spalt.
Verdammter Sturkopf! Kate wankte einen Augenblick hin- und hergerissen auf der Stelle und blickte in die fremdartige, durch winzige Wellen gekräuselte Öffnung.
Dann fasste sie sich ein Herz. „Basiscamp, wir geh’n rein, Ende.“
Mit entschlossenem Schritt trat sie durch den flimmernden Spiegel, die protestierende Funkantwort ignorierend.
Die andere Seite
Es war wie in kühles Wasser einzutauschen. Eine dunkel-grelle Flut schwappte über sie und spülte sie mit sich, fort von der Öffnung durch die sie gekommen war. Kate blickte zurück und sah den Spalt, nein, es waren viele ... unendlich viele ... gleichzeitig. Sah sie oder erinnerte sie sich nur?
Murphy und sie selbst im schweigenden Zwiegespräch wenige Augenblicke zuvor.
Murphy, wie er in dem flimmernden Spalt verschwand.
Murphy, wie er die Öffnung wieder verließ.
War das so geschehen? Wo war der Kater? Sie blickte sich suchend um, schwebend in dieser dunklen, flüssigen Leere, die nur von mehr und mehr dieser seltsamen, glitzernden Spalten unterbrochen wurde, wie Bullaugen in einem gewaltigen, düsteren Aquarium.
Murph? Bist du da?, projizierte sie in den Ozean der keiner war.
Mehr Bilder. Erinnerungen? War dies der Tod?
Fenster öffneten sich, wo immer sie sich auch hinwandte. Sie blickte an ihrem Arm herab und war halb überrascht, dass das Gerät überhaupt noch lief. Doch der Scanner konnte absolut nichts messen. Nicht einmal die Zeit schien noch vorzuschreiten. Sie sah sich um. Konzentrierte sie sich auf eines schien es deutlicher zu werden, näher zu kommen, während die übrigen langsam verblassten.
Ob Murph wohl dort ist?, dachte Kate bei sich und blickte tief in die Öffnung. Dann, ohne zu wissen wie ihr geschah, wurde sie von der Strömung mitgerissen.
Murph? Bist du da?, hallte es in seinem Kopf wider, als er gerade den Ereignishorizont des Übergangs durchquerte und elegant, zunächst auf den Vorder-, dann auf den Hinterpfoten auf glitschigem Felsboden aufsetzte.
Déjà-vu? Er legte den Kopf schief. Da bin ich ja. Die Frage ist nur, wo ist dieses da? Oder wann?
Instinktiv in eine geduckte Haltung zusammengekauert, sondierte er mit einem raschen Rundumblick die Umgebung. Eine einzige smogartige Wolke bedeckte gelblich leuchtend den gesamten Himmel. Feiner, schwefelgelber Niesel prasselte ohne Unterlass auf den kargen Felsboden herab, der sich in alle Richtungen zerklüftete. Der Sandkater konnte zwar nicht schwitzen, aber im wurde, trotz des gut isolierten Raumanzugs, langsam heiß. Er wischte den feinen, gelben Nieselfilm von der Scanner-Anzeige, drehte die Kühlung hoch und studierte die Umgebungsmesswerte:
175 °C bei hohem Atmosphärendruck. Gemütlich.
Aber wo war Kate? Er tapste zurück zum Übergang und legte vorsichtig, ohne jedoch einzutauchen, eine Pfote auf den flüssig glitzernden Riss, der vor ihm in der Luft hing, an den Rändern wie ausgefranst und aus jeder Richtung eine andere Form einnehmend.
Er schloss die Augen. Kate? Ich bin hier!
Wieder umspülten sie kalte Wogen, doch diese fühlten sich vertrauter an. Düster war es, bis auf ein fahles Zwielicht, das von weit oben herab schien. Oben. Ja, hier schien es wieder Gravitation und Richtung zu geben. Kate überprüfte den Sauerstoffvorrat ihres Anzugs (70%) und atmete erleichtert ein.
Sie begann dem Licht entgegen zu schwimmen und tatsächlich wurde der bläuliche Schimmer langsam heller. Zug um Zug arbeitete sie sich ruhig atmend weiter nach oben, bis sie, nach einer gefühlten Ewigkeit, durch die Oberfläche brach.
Um sie herum erstreckte sich endlose, schwarze See, die Oberfläche nur von winzigen Wellen gekräuselt. Von oben brannte ein heißes Paar blauer Binärsterne herab und ließ sie heftig blinzeln. Sie zog das Sonnenvisier des Helms herab und begann den glatten Horizont abzusuchen. Doch nicht die kleinste Auffälligkeit war zu entdecken. Ihre Gedanken drifteten für einen Moment so ziellos dahin, wie ihr Körper in diesem endlosen, glatten Meer.
Da hallte Murphys Ruf schwach in ihr wider und holte sie aus ihrer Träumerei zurück.
Murph, na endlich! Dachte schon ich hätte dich verloren!
Hey, schon vergessen: Neun Leben und so. Tut gut dich zu hören, kam die leise Antwort und Kate musste herzlich lachen.
Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, besprachen beide ihr weiteres Vorgehen.
Gut, aber wie finden wir uns auf der anderen Seite wieder?, fragte Murphy.
Hmm ... wer weiß welche physikalischen Gesetze dort überhaupt gelten ... Aber mal angenommen, wir gehen dieselbe Richtung aus der wir gekommen sind, mit derselben Geschwindigkeit zurück, könnte uns das zurück zu unserem Eingang bringen., dachte Kate.
Bist du sicher?
Wie könnte ich? Hast du ‘ne bessere Idee?
Nein, versuchen wir deinen Plan. Wird hier sowieso gerade ungemütlich.
Es funktionierte nicht. Weder war Kate irgendwo zu sehen (wenn von sehen und hier überhaupt die Rede sein konnte) noch war der erste Riss durch den sie gekommen waren auffindbar. Suchend trieb Murphy eine Weile umher, schloss die Augen und sandte einen stillen Ruf aus. Mit einem Mal schwebte Kate direkt neben ihm als wäre sie schon die ganze Zeit dort gewesen. Kate zuckte ebenso überrascht zusammen wie der kleine Kater.
Whoa, das war ja schräg. Was für ein seltsamer ... Ort, dachte Kate.
Wem sagst du das, dachte Murphy. Fühlt sich fast so an als hätte dieser Ort ... Bewusstsein. Er scheint unsere Absichten zu verstehen, wenn wir sie richtig artikulieren.
Stimmt, ging mir auch so vorhin, dachte Kate, aber diese ‚Kommunikation‘ scheint bisher nur einseitig zu sein, von uns zu ihm.
Ja, aber lass uns jetzt nach einem Weg zurück suchen. Wir können die ganze Kommunikationsgeschichte später noch ausbaldowern, dachte Murphy.
Hey, wer war denn derjenige, der es gar nicht abwarten konnte hier rüber zu kommen?, dachte Kate neckisch.
Wenn es irgendeinen projizierten Gedanken gab, der einem entnervten „Hmpf“ entsprach, dann war es genau das, was Kate als Antwort zu hören bekam.
Auf ihrer Suche passierten sie mehrmals die überall aufflackernden und sich, mal langsam, mal unglaublich schnell wieder schließenden Risse. Einige zeigten nur tiefe Schwärze. Andere führten zu feurigen Lavaflüssen und weißgefrorenen Gletschereinöden.
Direkt bei Murphy öffnete sich plötzlich ein weiteres Fenster.
Sieh nur, es ist voller Sterne ..., dachte Murphy entzückt, während er ohne es zu merken schneller auf den Riss zudriftete.
Kate erstarrte. Murph, nicht!, schrien ihm ihre Gedanken hinterher, aber da war er schon halb im Spalt verschwunden.
Aufgebracht, aber sich zur Vorsicht zwingend, kämpfte Kate sich an den Spalt heran, atmete tief ein und wieder aus und tauchte langsam hindurch.
Auf der anderen Seite ruderte sie überrascht zurück. Vor ihr breiteten sich Billionen von sich gegenseitig überstrahlenden, glitzernden Sternen, die gemeinsam eine gigantische, vielarmige Spiralgalaxie formten, über beinahe ihr gesamtes Gesichtsfeld aus. Geistesgegenwärtig tastete sie mit einer Hand nach Halt an den Riss hinter sich. Zwar glitten ihre Finger hindurch wie durch Wasser, doch zumindest hielt der sanfte Sog sie davon ab weiter vom Spalt in das sie umgebende Vakuum abzudriften.
Hilfe! Ich komm nicht mehr zurück!
Murph? Murph! Sie sah sich hastig nach allen Seiten um. Beinahe übersah sie den kleinen Raumanzug, der fast mit der Dunkelheit um ihn herum verschmolz. Er drehte sich gleichmäßig, noch immer dem Impuls folgend mit dem er durch den Übergang gekommen war.
Kate streckte sich soweit sie konnte vom Riss fort, doch die Entfernung war einfach zu groß.
Denk nach, denk nach! Verzweifelt überlegte sie hin und her. Die Anzüge schützten zwar gegen Vakuum, waren aber momentan für Oberflächeneinsätze umgerüstet. Kein Düsenrucksack. Verdammt! Was nützen mir trittfeste Sohlen, Kletterausrüstung und ... das ist es! Murph, halt durch, ich hab ’ne Idee!
Bitte beeil dich!
Kate griff an die rechte Seite ihres Gürtels, öffnete eine der Taschen und holte eine kleine Pistole mit Winde und Enterhaken hervor.
Ich nehm den Werfer, versuch das Seil zu fangen!
Okay, ich versuch’s!
Kate zählte von drei rückwärts, zielte unmittelbar unter den Kater und drückte den Abzug. Jetzt!
Der Rückstoß ließ sie leicht nach hinten gegen den Spalt driften. Murphy, sich weiterdrehend, streckte die Pfoten nach dem lautlos vorschnellenden Kletterseil, verfehlte es aber um wenige Zentimeter und kam auch nicht näher heran.
Verdammt, verdammt!, fluchte Kate laut und drückte die Rückholtaste. Mit unendlicher Langsamkeit spulte das Seil Meter um Meter wieder zurück in die Pistole.
Okay, nochmal! Bereit?
Sie versuchte es erneut.
Und noch einmal.
Und ...
Kate. Lass gut sein, kam es müde und resigniert von Murphy.
Murph, nein!, schluchzte Kate, du schaffst es! Wir schaffen es, wir ... Aber sie wusste, dass es zwecklos war.
Kleine, kugelige Tröpfchen lösten sich unter ihren Augen und schwebten traurig gegen die Helmscheibe.
Eine ganze Weile schwiegen beide, behielten ihre Gedanken für sich.
Weißt du noch, unterbrach Murphy die Stille, als Newton und ich so getan haben, als ob?
Newton und sein menschlicher Partner gehörten zu einem der anderen Interspezies-Teams. Nach einer wichtigen Präsentation hatten sie Dr. Collins einen Streich gespielt und vorgetäuscht in ihren prä-Uplift Zustand zurückgefallen zu sein. Sie war für das Uplift-Programm verantwortlich und folglich völlig aufgelöst gewesen. Vergeblichen hatte sie versucht die beiden Sandkatzen zu ihrem sonst üblichen Verhalten zu bewegen. Dann war die Biologin entnervt aus dem Raum gestürmt mitten hinein in die vorbereitete Überraschungsparty.
Ja! Kate musste unwillkürlich schmunzeln. Die arme Collins. Der Gesichtsausdruck war einfach unbezahlbar!
Oh, und das eine Mal, fuhr sie fort, als wir beinahe in dem Trainingslabyrinth verloren gegangen sind? Ich dachte wir finden niemals zurück.
Naja, eigentlich hab ich da etwas geschummelt ..., gab er zu.
Was? Wie haste das denn angestellt?
So redeten sie eine ganze Weile in Gedanken, über ihre gemeinsame Zeit, bis beide wieder wortkarg wurden.
Du musst jetzt geh’n, Kate., dachte Murphy sanft.
Kommt gar nicht in Frage! Ich bleib bei dir und –
Mein O[SUB]2[/SUB] ist jetzt bei 27%. Ich nehme an, bei dir wird es nicht viel anders sein, richtig?
Kate überprüfte ihre Anzeige (23%) und schwieg.
Versprich mir, dass du’s nach Hause schaffen wirst, dass du von unserer Entdeckung berichten wirst.
Ich versprech’s, aber –
Schon gut ... Leb wohl Kate. Ich hätte mir keinen besseren Menschen wünschen können.
Leb wohl Murph, du alter Sturkopf, dachte Kate, Tränen in den Augen.
Ich werde jetzt den Helm öffnen, dachte Murphy ruhig und gefasst. Kate schloss die Augen. Ein kurzes Zischen war über das Headset zu hören.
Regungslos hing Kate da. Minuten verstrichen. Das einzig hörbare Geräusch war ihr eigener, heißerer Atem, der durch den Helm keuchte. Der Spalt hinter ihr nun nicht mehr faszinierend und schön, sondern ein bedrohlicher Abgrund, lauernd, ihren Arm schon verschlungen.
Da schoss ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Der Riss ... könnte ich etwa ... Sie fasste sich ungläubig an die Stirn, wurde aber vom Helmvisier aufgehalten. Entschlossen drehte sie sich um und tauchte durch die Öffnung, zurück in den unendlichen Strudel.
Dort verharrte sie bei dem Riss – nein den Rissen, allen Rissen zu diesem Ort – und ging rückwärts bis zu genau jenem Zeitpunkt. Da waren sie, tausende Murphys, und verschwanden, mit dem Kopf voraus, wieder und wieder in dem Spalt. Sie tauchte durch die Öffnung, griff zu, bekam eine behandschuhte Pfote zu fassen und zog so fest sie konnte, sich und den Kater zurück in den Zwischen-Raum schleudernd.
Was zum –?, konnte sie Murphys Gedanken hören. Kate brachte kein Wort heraus und konnte ihn nur fest an sich drücken, vor Erleichterung abwechselnd lachend und weinend.
Freu mich auch dich zu sehn. War’n ja doch schon 10 Sekunden oder so?
Dummer, dummer, leichtsinniger Kater!, schalt sie ihn, drückte ihn wieder an sich. Dann begann sie ihm alles Geschehene zu berichten.
Murphy wurde ernst und still, während er ihr nachdenklich zuhörte. Nach einer Weile meinte er: In all diesen möglichen Welten hast du mich gerettet, er zögerte, schaute zu den Rissen, aber was ist mit dem ersten Murphy?
Kate erschauerte bei dem Gedanken. Wer weiß ... Sie schüttelte den Kopf wie um den Gedanken loszuwerden. Wichtig ist doch, dass wir beide jetzt hier sind.
Murphy nickte unsicher, Jetzt und hier ...
Sie passierten ein weiteres, ins Unendliche gefächerte Spektrum eines Risses. Hatten sie ihn gerufen oder er sie gefunden? Hatte er schon existiert bevor sie sich gewünscht hatten, dass er da wäre? Das Fenster zeigte Wüste, Straßen, Laborräume. Es kam Kate irgendwie vertraut vor. War dies die Erde? Kairo? Vielleicht.
Mit aller Willenskraft strebten sie auf den Spalt zu, wurden hindurch gesogen und auf kühlem, glattem Kunststoffboden angeschwemmt.
Für einen Moment blieben sie einfach liegen. Murphy war zuerst wieder auf den Beinen. Er überprüfte routinemäßig den Sauerstoffgehalt der Umgebung, nickte zufrieden, zog an der Verriegelung und nahm mit einem zischenden Geräusch den Helm ab, um das verklebtes Fell auszuschütteln und zu putzen. Kate war inzwischen ebenfalls aufgestanden und ohne Helm und sah sich um. Sie war erleichtert wieder festen Boden unter sich spüren und frische ungefilterte Luft atmen zu können. Doch irgendwie hatte sie das Labor anders in Erinnerung.
Ein Schwebeauto, oder etwas Ähnliches, rauschte an dem großen Fenster zu ihrer Rechten vorbei. Sie traten an die große Scheibe heran und Murphy sprang auf den Sims um einen besseren Blick erhaschen zu können. Draußen floss ein beständiger Verkehr durch die Straßen oder folgte unsichtbaren Pfaden durch die Lüfte über der gewaltigen Stadt, die sich bis an den Horizont erstreckte. Trotz der sandigen Wüstenumgebung wirkten die umliegenden Gebäude sehr sauber, gebaut aus einem dunkelbraunen, glatten Material, möglicherweise einer Legierung, die Kate unbekannt war. Doch der Stil und die Architektur waren völlig verschieden von ihren Erinnerungen. Anstelle von Wolkenkratzern und blockartigen Flachdachhäusern aus Beton, gab es hier gigantische Pyramiden aus Glass und Stahl und obeliskenförmige, befensterte Türme zwischen weitläufigen, flachen Gebäuden, die durch dicke, kunstvolle Säulen gestützt wurden. Und noch etwas stimmte hier nicht. Kate blickte hinab auf die Straße, die fünf Stockwerke tiefer an ihnen vorbeifloss. Leute gingen geschäftig auf und ab. Sie konnte nicht viele Details erkennen, aber etwas an der Gangart, wie sie ihre Glieder bewegten und wie ihre Körper und Köpfe geformt waren, bescherten ihr eine Gänsehaut.
Hinter ihnen öffnete sich leise knarrend eine Tür. Eine anmutige, große Gestalt in weißem Laborkittel trat ein. Beide drehten sich um, Kate erstarrte und Murphy fauchte überrascht auf. Große, neugierig dreinblickende, grüne Augen mit senkrecht geschlitzten Pupillen blickten sie aus einem runden, fellbedeckten Gesicht mit zierlicher, flachen Nase, langen, weißen Schnurrhaaren und breiten, spitz zulaufenden Ohren an. Das Namensschild am Kittel des Wesens trug eine Aufschrift die Murphy in Teilen wiedererkannte. Obwohl er die ägyptischen Hieroglyphen noch nicht in dieser Kombination gesehen hatte, konnte er sie ohne Probleme übersetzten:
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Dr. Bastet
[Hinweis: Die Grafik oben ein ASCII-Bild der Hieroglyphen des Namesschilds. Leider kann ich hier offenbar keine richtigen Bilder einfügen, deshalb mache ich es auf diese Weise. Die Zahlen haben keine Bedeutung (habe sie jetzt auch alle durch 0 ersetzt). Das Bild dient nur zur Veranschaulichung des Textes und ist nicht zwingend für das Verständnis notwendig.
-> Die linke Teil ist die Hieroglyphe für "weiblicher Doktor/Heiler": http://puffin.creighton.edu/museums/greiner/hieroglyphic.htm
-> Der rechte Teil ist die Hieroglyphe für Bastet (ohne Determinativ): https://en.wikipedia.org/wiki/Bastet
-> Zusammen ergeben sie: Dr. Bastet]