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Samstagabend

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12.02.2004
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Samstagabend

Drei Merkmale unterscheiden den Samstagabend bei Hilde und Paul von den Abenden unter der Woche: Eine Flasche Weine steht auf dem Tisch, im Fernsehen läuft die Show und Hilde und Paul unterhalten sich während des Programms.
Das hat sich in den 27 Jahren ihrer Ehe so ergeben, und die beiden freuen sich auf ihren Samstagabend. Seit die Kinder aus dem Haus sind, sind die Themen allerdings rarer geworden. Es wird geklatscht. So auch an diesem Samstag.
"Na", eröffnet Hilde das Gespräch, "was gibt’s Neues?"
Paul überlegt. "Das mit dem Maier, das weißt du ja schon, nicht wahr?"
"Nö, was ist denn mit dem?"
"Sag bloß, du hast es noch nicht gehört? Stell‘ dir vor, der hat ein Verhältnis mit der Frau vom Archtiekten Schulze."
"So."
Hildes Kommentar klingt keineswegs interessiert. Sie scheint sich darüber nicht sonderlich zu wundern.
"Dabei sie die gut zehn Jahre älter als der Maier, und eine besondere Schönheit ist die auch nicht", erzählt Paul dennoch weiter.
"Sie hat wohl andere Qualitäten", erwidert Hilde gelangweilt
Paul wundert sich; es passt einfach nicht zu Hilde. Moral und eheliche Treue haben bei ihr einen enorm hohen Stellenwert. Sie kann doch nicht einfach so tun, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass der Maier ein Verhältnis hat.
"Also, hör‘ mal", bohrt er deshalb weiter, "du musst doch zugeben, dass der spinnt. Hat so eine hübsche, junge Frau zuhause und zwei kleine Kinder. Was meinst du, was passiert, wenn Sie dahinterkommt? Ich möchte bloß wissen, was der sich dabei denkt."
"Was hast du dir denn dabei gedacht?" Langsam schien Hilde Gefallen an der Unterhaltung zu finden.
"Ich sag‘ ja, ich hab‘ gedacht, der ist vollkommen übergeschnappt, als ich das gehört habe", antwortete Paul ahnungslos.
"Nein, nein, ich meine damals, vor zwanzig Jahren. Die Kinder waren noch klein, und du hattest auch eine junge Frau."
Paul wird plötzlich kreidebleich. Beinahe wäre er erstickt an dem Schluck Wein, den er grade genommen hatte.
"Du...", stammelte er nach einer Weile, den Blick krampfhaft auf den Fußboden gerichtet, "Du hast es gewusst?"
"Natürlich habe ich es gewusst."
"Wer hat es dir gesagt?"
"Das brauchte mir niemand zu sagen. Ich hab’s gemerkt."
"Woran?"
"An vielem. Daran, dass du jeden Tag eine halbe Stunde im Bad gebraucht hast, und daran, dass du mich immer gefragt hast, ob die Krawatte auch zum Hemd passt, oder daran, dass du keine gestopften Socken mehr angezogen hast und an noch so ein paar Kleinigkeiten."
Paul denkt eine Weile nach.
"Und...du hast nichts gesagt? Warum hast du mich nicht zur Rede gestellt, mir keine Szene gemacht?"
Hilde zuckt mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Ich glaube, es hätte nichts genutzt. Du warst so verändert. Wir hätten nicht miteinander reden können."
"Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass du etwas gemerkt hast."
Paul trinkt einen Schluck Wein. Nach einer längeren Verlegenheitspause fährt er fort: "Hast du... ich meine, hat es sehr weh getan?" Zum erstenmal schaut er dabei wieder in Hildes Gesicht.
Jetzt wendet sie den Blick ab. "Natürlich hat es weh getan. Es..., es ist nicht nur das Betrogen werden, was schmerzt. Noch schlimmer ist das Mitleid der anderen. Wenn du merkst, dass sie hinter deinem Rücken tuscheln. Wenn das Gespräch verstummt, sobald du in Hörweite bist. Wenn plötzlich alle so scheißfreundlich zu dir sind. Und du möchtest ihnen ins Gesicht schreien, dass du genauso viel weißt wie sie, - aber du kannst es nicht. Einmal...", Hilde lachte bitter. "einmal hat mich die Frau Krause sogar im Supermarkt an der Kasse vorgelassen. Weißt du, was es für ein Gefühl ist, wenn man sich für etwas schämt, was man gar nicht getan hat?"
Paul ist auf seinem Sessel zusammengesunken wie ein Häufchen Elend.
"Oh, mein Gott...," ist jetzt das einzige, was er noch zu sagen imstande ist.
Dann bricht die Unterhaltung der beiden ab. Jeder verfolgt stumm den Rest der Fernsehshow und trinkt dabei seinen Wein aus. Es ist eine seltsame Stimmung. Obwohl Hilde und Paul nicht mehr miteinander sprechen, scheinen sie sich in Gedanken so nahe zu sein wie nie zuvor in den letzten zwanzig Jahren.
Zum ersten Mal, seit sie verheiratet sind, steht Paul auf und trägt die schmutzigen Gläser in die Küche.

©1993Gabi Mast

 

Hallo Gabi!

Idee und Inhalt der Geschichte sind gut, aber an der Form hapert es.
Das liegt daran, dass du platt einen Dialog heruntererzählst. Und dieser Dialog ist sachlich geschrieben - er liest sich wie ein Interview.
Das Problem ist, dass man keine Gefühle erkennt, sondern dass Tatsachen aufgezählt werden nach dem Schema:

"Du weißt, dass ich dich betrogen habe?"
"Ja."
"Woran hast du es gemerkt?"
"An deinem Verhalten."
"Wie hast du dich dabei gefühlt?"
"Ich habe mich geschämt."

Du beschreibst ziemlich gut den Übergang zwischen Smalltalk und dem persönlichen Gespräch, auch der Schluss ist ganz gut gelungen.

Du solltest vielleicht versuchen, dich genauer in die Situation hineinzudenken: Hilde zählt auf, was sie gestört hat, aber sie bleibt vollkommen ruhig? Ich nehme doch an, dass sie aufgewühlt ist. Wieso redet sie so emotionslos? Ihre Gefühle beschränken sich sicherlich nicht auf etwas Bitterkeit. Sie könnte sich in Rage reden, aufspringen, ruhig auch auf eine etwas weniger klinische Wortwahl zurückgreifen. Hilde könnte sich die Haare raufen, schimpfen, fluchen. Wie wäre es, wenn sie in Tränen ausbricht? An sein Gewissen appelliert, versucht, ihm richtige Schuldgefühle zu bescheren anstatt in drei Sätzen zu beschreiben, wie die Leute reagiert haben.

Die Geschichte hat einiges an Potential, bedarf aber meiner Ansicht nach einer gründlichen Überarbeitung.

dayvs GE-ve
Stefanie

 

Hallo Gabi,

einen klugen und realistischen Text hast du da geschrieben. Außerdem ist er praktisch fehlerfrei. Das einzige:

Dabei sie die gut zehn Jahre älter als der Maier
Leider ist der Text nicht sehr unterhaltsam, denn der Dialog ist ja eigentlich ziemlich langweilig. Warum sollte man sich für etwas interessieren, was schon 20 Jahre vorüber ist? Nicht mal die Protagonisten tun dies mit besonderer Emphase, wie xkaxre richtig bemerkt hat. Vielleicht könnte man den Seitensprung etwas weiter in die Gegenwart verlagern. Vielleicht hat der Mann auch am Anfang schon ein schlechtes Gewissen. Das würde etwas Spannung in die Geschichte bringen.

Ein weiterer Punkt ist das Ambiente. Ein gemütlicher Fernsehabend zuhause mag in der Realität ganz nett sein. In fiktionaler Literatur haben aber solche betulichen Szenarien normalerweise nichts zu suchen. Es sei denn, man hat z. B. satirische Ambitionen. Warum sollte man schließlich über etwas lesen, was man ebensogut selbst erleben kann. Setz deine Figuren doch mal als Pilotin und Co-Pilot in das Cockpit eines Flugzeuges. Oder lass ihnen mitten im Wald das Benzin ausgehen.

Alles ist erlaubt. Nur eines darfst du nicht: die Lust am Schreiben verlieren.
Beste Grüße
knagorny

 

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