Samstag: Ein weiterer Samstag
Dies ist die Fortsetzung meiner Geschichte 'Ein Samstag Abend'. Eigentlich ist sie nicht romantisch im klassischen Sinne, aber da das Prequel auch in diesem Forum steht und 'Ein weiterer Samstag' nicht unbedingt in die anderen Kategorien passt habe ich mich entschlossen sie hierhin zu posten.
Die Geschichte spielt ein Jahr nach der ersten...
Ein weiterer Samstag
Ich wurde von einer kühlen Brise geweckt, die über meine nackte Schulter strich. Ich öffnete die Augen, der Platz neben mir war leer, aber ich konnte die Wärme spüren , die der Körper von Jens hinterlassen hatte. Ich drehte mich auf den Rücken und sah zur geöffneten Balkontür hinüber. Draußen konnte ich Jens erkennen.
Eigentlich wollte ich nicht aufstehen, es war viel zu früh, gerade mal 9 Uhr. Gestern war es spät gewesen, ich hatte mit Jens unsere Einjähriges gefeiert, bis um halb sechs.
Ich gab einen grunzenden Laut ab, als ich meine Beine aus dem Bett schwang. Ich erzitterte, als meine nackten Füße den kühlen Parkettboden berührten – wie konnte es im Juni nur so kalt sein? Ein weitere kühle Brise strich über meinen Oberkörper, schnell griff ich zu meinem T-Shirt, das ich gestern achtlos neben das Bett geworfen hatte – zu müde war ich gewesen um mich noch um Ordnung zu sorgen – und streifte es mir über.
Tapsenden Schrittes ging ich auf den Balkon. Blinzelnd sah ich in das Sonnenlicht. Jens stand da, nur in Shorts und T-Shirt bekleidet und blickte über die Felder, die nicht weit hinter unserem Haus begannen.
Die Art wie er da stand machte mir Sorgen, wieder spürte ich dieses unbändige Gefühl ihn in den Arm nehmen zu müssen.
"Was ist los, Jens?"
Ein feuchter Streifen begann sich seinen Weg von Jens Auge zum Kinn zu bahnen.
Ich nahm ihn in den Arm, egal was die Nachbarn – die bisher nicht von unserem Verhältnis in Kenntnis gesetzt worden waren - von uns dachten, ich musste ihn einfach umarmen. Trotz seiner 18 Jahre wirkte Jens immer unglaublich zerbrechlich und zart. Seine helle Haut und die blonden Haare taten ihr übriges.
"Mum hat gestern angerufen."
Mehr sagte er nicht, aber das musste er auch nicht. Ich wusste wie sehr er seine Mum vermisste. Seitdem ihn damals sein Alter aus dem Haus geschmissen hatte, als er bemerkte, dass Jens schwul war, hatte Jens sie nicht mehr gesehen. Sein Alter tat alles um die beiden zu trennen.
Ich drückte Jens noch mehr, und gab ihm einen leichten Kuss auf die Stirn.
"Sie hat mir erzählt, das Vater gesagt hat, ich wäre damals abgehauen. Er hat ihr erzählt ich hätte ihnen Geld gestohlen, er hat erzählt ... ", er brach ab und verfiel ins schluchzen.
Ich stand hier, auf dem Balkon, Jens im Arm, der nicht mehr aufhören wollte zu weinen. Ich konnte mir schon vorstellen, was in ihm vorging, verstoßen vom Vater, von der Mutter nur 2km getrennt, aber trotzdem nicht in der Lage sie zu besuchen.
Sanft streichelte ich über Jens Haare, jetzt verstand ich warum er gestern so ruhig gewesen war und nicht richtig in die Stimmung eingetaucht war. Wieso hatte ich das gestern nicht bemerkt? Ich hätte es bemerken müssen. Ich begann mir selber Vorwürfe zu machen, was war ich für ein Freund, dass ich nicht bemerkte wie dreckig es Jens eigentlich ging?
Die zweite Balkontür zum Schlafzimmer meiner Eltern öffnete sich. Mein Mutter, nur in ein cremefarbenes Nachhemd gekleidet steckte ihren Kopf hinaus.
"Guten Mor..", sie stockte. "Was ist los, Marcus?"
"Jens Mum hat gestern angerufen."
Einen Moment herrschte schweigen, nur das schluchzen von Jens war zu hören.
"Ich verstehe. Bring ihn erst mal rein, ich mache euch derweil einen Tee."
Damit verschwand sie wieder.
"Komm."
Langsam geleitete ich ihn zurück in mein Zimmer, schloss die Balkontür und setzte mich mit ihm zusammen auf unser Bett. Immer noch hielt ich ihn in meinen Armen, er weinte immer noch.
"Marcus", begann er, "er hat ihr gesagt ... " Wieder brach er in Tränen aus. Ich sagte nichts, geduldig wartete ich darauf, dass er sich wieder beruhigen würden.
"Er hat ihr gesagt ich wäre tot."
Stille.
"Er hat was?" Ich konnte es kaum glauben. Ich hatte nie viel von Jens Alten gehalten, aber das ging eindeutig zu weit. Wie konnte er nur. Damit hatte er nicht nur Jens unglaublich viel Leid zugefügt, sonder auch seiner eigenen Ehefrau.
"Und deine Mum hat die ganze Zeit nicht gewusst, dass du noch immer hier im Dorf bist?"
Jens schüttelte den Kopf, Tränen liefen ihm noch immer die Wangen hinab.
Ich schaute ihn entsetzt an und hielt ihn in meinen Armen. Beschützte ihn und gab ihm die Wärme, die er jetzt brauchte.
Nach einer Weile wurde sein schluchzen leiser und ich bemerkte, dass er eingeschlafen war. Wie ein Baby lag er in meinen Armen. Sanft streichelte ich ihm durch das Haar und über sein weiches Gesicht.
Was mach ich nur mit dir, dachte ich.
Die Tür wurde geöffnet und meine Mum kam mit einem Tablett mit zwei Tassen dampfenden Tees und einigen Brötchen inklusive Aufschnitt hinein.
Ich drückte meine Zeigefinger auf die Lippen. Sie nickte nur kurz, stellte das Tablett auf meinen Schreibtisch und flüsterte: "Wie geht es ihm?"
"Er schläft. Aber, das Telefongespräch hat wohl einige alte Wunden wieder geöffnet."
"Wir müssen diese Sache ein für allemal klären, Marcus."
"Ich weis, Mama. Aber nicht heute und nicht morgen, das schafft Jens nicht."
"Ich weis, Marcus, ich weis."