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Samstag Abend Macht Gespielin

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12.07.2003
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Samstag Abend Macht Gespielin

„Ich trage das Tuch, weil meine Haare frieren“, raunzte sie ärgerlich, stand abrupt auf und verließ den Raum. Wir liefen ihr nicht hinterher. Lediglich Berto rührte sich, zog an seinem Arm, auf dem ich lag, und ich knurrte, weil meine Unterlage verrückte. Griff zu meinem Bier; die schöne Lethargie, in der ich gerade geschaukelt hatte, war nun sowieso zerrissen. Lehnte mich wieder gegen Berto und wusste, dass sein Arm ihm bald erneut einschlafen würde, aber das war mir egal, denn er wehrte sich nie.
„Musste das wieder sein?“, wandte sich Kajan an mich. Die Gestalten hinter der Fernseh-Scheibe flimmerten bedeutungslos. „Wir sollten zurück spulen, ich habe die letzten 10 Minuten verpasst“, antwortete ich. Kajan stand entnervt auf und griff zur Fernbedienung, die Neele regiert hatte, bis sie beleidigt den Raum verließ. Dafür war Kajan gut. Er würde nicht zulassen, dass ich ihm den Arm abklemmte, aber einem Befehl, der ihm scheinbar die Freiheit ließ, sich zu verweigern, kam er immer nach.
Während er zurückspulte, versuchte er es erneut: „Wieso musst Du sie immer so angehen? Können wir hier nicht einmal einen friedlichen Video-Abend verbringen?“ Er betonte das einmal, als hätten wir das schon häufiger versucht. Dabei stritten wir uns meistens schon beim Essen. „Gib mir mal die Chips rüber“, und als er zögerte, der Aufforderung nachzukommen: „Sie sollte nicht so exzentrisch sein, wenn sie nicht damit umgehen kann, wie die Leute auf sie reagieren.“ Seine Hand reichte mir die Chips, und ich gratulierte mir zu dem gelungenen Manöver, während ich die ersten salzigen Fettkrusten in meinen Rachen schob, von wo aus ich sie später wieder auskotzen würde. Ich musste ihm ab und zu das Gefühl geben, dass er Macht besaß, dass er eine Antwort erwarten durfte, bevor er meinen Befehlen nachkam. Währenddessen hielt er mir einen Vortrag über Toleranz; er war gerade an der Stelle, an der er mir erläuterte, dass es viel weniger Kriege gäbe, wenn alle Menschen die Persönlichkeiten der anderen respektierten. Ich dachte daran, wie er gewimmert hatte, als sich sein fetter Schwanz in mir entlud, angeschwollen zu tragischer Frustration durch all die Male, die Neele ihn zurückgewiesen hatte. Seitdem musste ich nur einen gezielten Blick gegen ihn wenden, damit er sich in Anbetracht dessen, was ich anrichten konnte, zusammenzog. Seine Angst vor Neele war ungeheuerlich, noch größer als Bertos Furcht vor mir, und damit ihr gar nicht erst die Idee kam, diesen Triumph gegen mich zur Schau zu stellen, war ich ununterbrochen damit beschäftigt, sie zu erniedrigen.
Neele würde es auskosten, wenn sie von seiner Untreue erführe, sie würde sich nicht trennen, das wäre zu einfach, es gab bessere Wege, ihn zu bestrafen. Er müsste betteln und kriechen, noch etwas mehr als sonst, sie würde die Reste seiner Würde mit ihren bloßen Füßen auf dem Boden zertreten. Hinter ihrer alternativen Fassade, mit der sie kunstlose Figuren schnitzte, herrenlose Tiere aufnahm und sich schmucklose Tücher um den Kopf wickelte, war sie bösartig und durchtrieben, genau wie ich, deshalb konnten wir uns auch nicht ausstehen.
Kajan hielt noch immer seinen Vortrag. Ich bewegte die Augen in seine Richtung, mit dem geübten Blick der Mörderin, und das leidige Geräusch seiner Stimme verstummte.
Im Fernsehen reihten sich weiterhin triviale Sequenzen aneinander: Gerade setzte sich Julia Roberts neben das Bett, als sie von der Hochzeit ihres besten Freundes erfuhr, und statt dort liegen zu bleiben, rollte sie weiter und sprengte durch die Flimmerscheibe in unser Wohnzimmer. Berto verkrampfte sich unter mir, aus Angst, ich könnte die andere Frau bemerken, Kajan zog die Beine ein, um sie nicht zu berühren, während sie sich aufrichtete und sofort hektisch zu überlegen begann, wie sie die Heirat verhindern könnte. Man hatte einfach keine Ruhe in dieser Wohnung.
Ursprünglich waren Kajan und Neele nur übergangsweise eingezogen, weil sie aus ihrer alten WG geflogen waren, doch mittlerweile hatten sie sich eingenistet. Kajan versuchte seitdem, eigentlich gar nicht da zu sein, bloß nicht aufzufallen, ja nicht den Knöchel der Roberts zu berühren, damit diese sich nicht bei Berto über ihn beschweren könnte. Wieder umziehen zu müssen und mit keiner Wohnung Neeles Ansprüchen gerecht zu werden, war eine seiner größten Sorgen. Auch deswegen durfte Berto nicht erfahren, wie sein bester Freund sich an mir bedient hatte und ich – starr vor Angst im Angesicht der plötzlichen Gewalt seiner Lust, eingeschüchtert von der Zielstrebigkeit des besten Freundes, dem ich nichts abschlagen durfte, weil die beiden wie Brüder waren seit ihrer Kindheit – panisch dagelegen und die Schatten gezählt hatte, die sich im Zimmer jagten, nur dort gelegen und mit zugeschnürter Kehle darauf gewartet hatte, dass er über mir zusammenbrach. Kajan würde nicht einmal versuchen, sich zu verteidigen, denn Berto hielt mich für eine Heilige, ich hatte ihn in der Hand, dort kauerte er im Schatten der Verachtung, die ich für ihn empfand, und bettelte um Nähe, bettelte um ein Zeichen der Zuneigung. Ich drehte mich auf seinem Arm und wusste, dass es ihm die Haut schmerzhaft verzerrte. Er hielt die Luft an und den Schmerz aus und freute sich, dass mein Kopf nun auf seiner Brust ruhte.
Julia erzählte uns heulend, wie lange sie ihren besten Freund schon liebte und was für eine blöde Pute sie war, das erst jetzt zu bemerken. Ich stimmte ihr zu, zerhackte sie mit einem Beil, trat ihre Reste in eine Ecke und fragte mich, wer diesen bescheuerten Film ausgesucht hatte.
Derweil betrat Neele wieder den Raum. „Ich weiß gar nicht, wieso ich mich von dieser frustrierten Person immer wieder reizen lasse“, verkündete sie und stolperte über Julias Bein, aus dem noch Blut quoll. Kajan schreckte hoch, Berto zuckte zusammen, ich räkelte mich zufrieden. „Möchtest Du noch ein Bier, Schatz?“ fragte Kajan seine Königin, die sich in diesem Moment auf ihren Thron fallen ließ, der unter ihr ächzte, eine brillante Vorlage für meine Kampflust: „Herrgott, Neele, knall doch nicht immer so in diesen Sessel, der war teuer; wenn Du schon zunimmst, dann pass zumindest auf, wohin Du schwabbelst.“ Kajan, der bereits auf dem Weg zur Küche war, um das Bier zu holen, das Neele nicht bestellt hatte, blieb abrupt stehen. Berto erlitt einen Herzinfarkt, und da ihm niemand half, starb er, verweste, sein Hühnerfleisch zerfiel zu zähem Frikassee, seine Knochen bröselten unter meinem Gewicht, in wenigen Momenten war von ihm nur noch Pampe übrig, ungenießbar, so wie sein Leben.
„Okay, das reicht“, empörte sich Neele.
„Das muss ich auch sagen, es reicht jetzt“, stimmte ihr Kajan zu.
„So etwas Boshaftes wie Du ist mir noch nie begegnet!“ krähte sie.
„Also wirklich – wie kann man nur so boshaft sein?“ schnatterte ihr Papagei.
„Wenn Du Dich nicht sofort entschuldigst, ziehen wir morgen aus“, gelang es ihr zu formulieren, während sie glanzvolle Purzelbäume in der Luft schlug, einen nach dem anderen, und ich dachte: ‚Sie sollte im Zirkus auftreten, sie wäre eine Attraktion!“
„Genau, dann müssen wir leider ausziehen“, wimmerte ihr Echo, das sich im selben Moment der drastischen Folgen dieses Versprechens bewusst wurde.
Und dann, wie aus einem Mund, als hätten sie tatsächlich etwas gemeinsam: „Berto: Sag doch auch mal was!“
Wie nicht anders zu erwarten, blubberte es aus der Hühnermasse: „Wir haben alle zu viel getrunken, vielleicht sollten wir morgen noch einmal in Ruhe darüber reden.“ Sechs Augen richteten sich auf mich, und natürlich wusste ich – wie alle großen Herrscher dieser Welt – den Pöbel zu beschwichtigen: „Von mir aus“, erwähnte ich beiläufig, während ich in einem Loch meiner Hose pulte, das einer der Jungs später für mich flicken würde. Neele und Kajan rauschten aus dem Zimmer, und Berto stellte endlich den albernen Film ab, der noch immer im Hintergrund plärrte.
„Herzchen, ich finde, Du solltest ...“ fing er an, und ich beschloss, mir bei Gelegenheit einen Liebhaber zu gönnen, denn dieser Gockel würde die Lust nicht befriedigen können, welche die abendliche Szene in mir erzeugt hatte. Ich würde ihn zwingen, sich die ganze Nacht zu bemühen, und mich dabei wie üblich langweilen.
„Sie werden nicht ausziehen“, unterbrach ich seinen Monolog, stand auf, durchquerte den Raum, machte mich auf den Weg ins Schlafzimmer. „Du räumst noch auf, oder?“ Natürlich wartete ich seine Antwort nicht ab.
Während ich mich auszog, ließ ich den Abend noch einmal Revue passieren. Er war zu meiner vollen Zufriedenheit verlaufen, ich hatte mich lange nicht mehr so amüsiert. Sie würden nicht ausziehen. Das wäre nicht in Neeles Interesse. Vielleicht müssten wir uns eines Tages neue Männer zulegen. Aber wir beide würden immer zusammen bleiben. Es war die einzige Form von Liebe, die wir kannten.

 

Hi Echoloch,
mir ist zunächst nicht klar geworden, für wen Du diese Geschichte geschrieben hast – schließlich hatte es den Anschein, als sei dies eine Art ‚Beichte’ mit dem gleichzeitigen Versuch einer persönlichen Aufarbeitung. Der gewohnt vielschichtige Ablauf eines ansonsten harmlosen Videoabends wird zum Hintergrund und Werkzeug perfider Gedanken oder Wunschvorstellungen und gipfelt in der Zufriedenheit, dass alles so bleibt, wie es war.
Ich finde Deinen Text verwirrend (mag sein, es ist gewollt). Zudem bringt er nach ein paar Zeilen nichts Neues. Inhaltlich wiederholt sich vieles (mag sein dem Alkoholgrad des Prot entsprechend).
Entgegen meiner Gewohnheit habe ich diesen Text mehrfach gelesen – aber irgendwie kann ich nichts damit anfangen.

Gruß
Jadro

 

Hallo Echoloch,

mich fasziniert Dein Text irgendwie, auch wenn ich sicher nicht alles verstanden habe.
Deine Art zu schreiben ist recht ungewöhnlich, gefällt mir aber sehr.
Auch die fließenden Übergänge von Realität und Alkohol-Wahn gefallen mir gut, schön surrealistisch!
Gerne bitte mehr davon!
Das Ende kommt überraschend und macht es noch gemeiner: Die beiden Mädels tun so, als könnten sie sich nicht ausstehen, dabei machen sie gemeinsame Sache gegen die Männer. Fies! :D
Lieben Gruß

chaosqueen

 

Hallo Ihr Zwei & danke für Eure Beiträge!
Also, lustig finde ich, dass Ihr beide dem Alkohol eine solche Bedeutung für die Wahrnehmung der Prot zuschreibt, das hatte ich gar nicht so angelegt, manchmal laufen einfach merkwürdige Bilder durch die Welt, die ich bloß aufgegriffen habe.
Für mich war der Text ein großes Experiment, die Ich-Erzählerin ist mir charakterlich so fern, dass es mir schon fast verboten schien, sie zu beschreiben, ich habe mich dabei in eine Decke gewickelt und so getan, als sei ich gar nicht da ...
Mit diesem Hintergrund zu Jadro:
"Beichte"/ "persönliche Aufarbeitung" kann ich nicht als zutreffend annehmen; dass der Text Dich hingegen verwirrt, kann ich gut nachvollziehen. Ich verstehe nicht, wieso Du meinst, dass der Text nach einigen Zeilen nichts Neues bringt - es wird doch eigentlch recht strukturiert in das Verhältnis der Vier untereinander eingeführt, oder seht Ihr das nicht so?
Dass Du den Text mehrfach gelesen hast, ohne ihn wirklich zu mögen, macht mich fast ein bißchen stolz, denn wenn ich überhaupt etwas intendiert habe, dann wollte ich polarisieren und mit den surrealen Szenen die verwirren, die diese Form von Wahrnehmung nicht kennen und die erfreuen, die täglich von solchen Bildern umgeben sind.
Zu chaosqueen: Danke für das Lob! Das Ende kam auch für mich überraschend, das passiert mir häufig beim Schreiben, dass die Figuren plötzlich die Macht übernehmen oder zumindest eine eigene Logik entwickeln; ich kann den schönsten Rahmen aller Zeiten angelegt haben, die Kerlchen in meinen Geschichten machen trotzdem meistens, was sie wollen, das ist es auch, was ich so am Schreiben liebe.
Ein kleines Missverständnis (oder vielleicht sollte ich lieber sagen: einen Unterschied in Deinem und in meinem Empfinden) muss ich noch aufklären: Die Mädels können sich tatsächlich nicht ausstehen, das ist also kein Fake. Sie sind sich so ähnlich, beide so herrisch und gemein, dass sie gar keine andere Wahl haben, als sich zu verabscheuen. Gleichzeitig sind sie aber die Einzigen, die sie respektieren und heimlich verehren können, weil nur sie sich gewachsen sind, und das begründet eben ihre Liebe. Eine ziemlich "kranke" Hassliebe, wie sie aber glaube ich - vielleicht nicht in ganz so ausgeprägter Form - recht häufig vorkommt, wenn man sich mal umschaut.

Mit vielen Grüßen, Echoloch

 

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