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Sam - Eine Kurzgeschichte

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16.10.2012
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Sam - Eine Kurzgeschichte

„Guten Morgen, Mr. McCarthy“, rief Sam enthusiastisch, als er das Arbeitszimmer des alten Mannes betrat, „ich bringe Ihnen Ihr Frühstück!“

Sam staunte jedes Mal aufs Neue, wenn er die alte Bibliothek betrat, in die sich der Greis zum Arbeiten begab. Die großen Bücherregale aus dunklem, massivem Mahagoni verliehen dem Raum eine düstere, jedoch gleichzeitig sehr edle Erscheinung. Auch der unverhältnismäßig große Tisch, an dem der alte Mann tief gebückt und in seinen Büchern versunken saß, war aus diesem Holz gefertigt.

„Ihr Frühstück, Sir“, wiederholte Sam, als er das Tablett auf dem Tisch abstellte. McCarthy quittierte dies, wie so oft, mit einem bedrückenden Schweigen, das nur Sam zu verstehen schien. Wortlos nahm er das Tablett mit dem Frühstück vom Vortag an sich – der Greis hatte es nicht einmal angerührt. „Der Professor hat angerufen Sir“, ließ Sam verlauten, „er hat Ihnen seine neue Nummer hinterlassen.“ Der Butler kramte einen Zettel hervor und legte ihn neben das Frühstückstablett, doch der alte Mann schien keine Notiz davon zu nehmen. „Er ist wohl sehr beschäftigt“, dachte Sam bei sich und verließ die Bibliothek, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

Mr. McCarthy war ein merkwürdiger alter Mann, fand Sam. Er aß, wenn er sich mal wieder einmal für Tage in die Bibliothek zurückzog, nur sehr selten. Tatsächlich hatte er Sam aufgetragen, ihm nur das Frühstück zu bringen wenn er sich seiner Arbeit widmete. Danach wollte er in Ruhe gelassen werden. Sam nutzte den Rest des Tages dafür, das große Anwesen sauber und in Ordnung zu halten, nahm gelegentlich hier und da Reparaturen vor und stockte die Vorratskammer auf. Das große, anliegende Gewächshaus stellte hierfür alles Nötige zur Verfügung.

Manchmal jedoch, wenn Sam seine täglichen Aufgaben vor Sonnenuntergang erledigt hatte, stellte er sich vor das große Fenster im Südflügel des Herrenhauses und beobachtete den gewundenen Pfad, der sich vom Tal hochschlängelte. Dabei musste er jedes Mal daran denken, dass der alte Mann nie Besucher empfing. Auch heute stand Sam lange Zeit davor, bevor er sich in seine Kammer begab.

Dort angekommen legte er seine Kleidung ab, bevor er sich in die kalte, synthetische Kapsel setzte. Das System schloss automatisch die Starkstromleitung an, die Sams Batterien für den Einsatz am nächsten Tag aufladen würde. Während Sam allmählich in den Stand-By-Modus entschlummerte, fragte er sich noch, ob andere Menschen tatsächlich drei Mahlzeiten am Tag zu sich nahmen, wie er es in den Büchern in der Bibliothek gelesen hatte, wenn der alte Mann ausgegangen war, um sich mit dem Professor zu treffen.

Währenddessen hing der alte Mann noch immer über seinen Büchern. Der Titel des dicken Wälzers, der aufgeschlagen auf dem Tisch lag war nur schwer zu entziffern. „Integration von Sinneswahrnehmungen in künstliche Systeme“ war das letzte Buch, das John McCarthy lesen sollte.

Prototyp SAM-01 würde nie den beißenden Geruch der Verwesung wahrnehmen, der sich seit Tagen in dem alten Herrenhaus verbreitete.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Loto und Willkommen bei KG!

Eine nette Geschichte hast du als Einstand abgeliefert. Ich hätte Sam nicht so viele Emotionen gegeben, z.B. finde ich den "enthusiastischen" Anfang für einen Roboter ein wenig unpassend.
Das Ende ist natürlich ein altbekannter Klassiker, aber noch etwas ausbaufähig. Sam ist zwar in der Lage, sich Gedanken zu machen, über Dinge zu staunen und eigenständige Gedanken zu haben. Andererseits aber kann er nicht erkennen, dass sein Herr tot ist, und das auch nur, weil ihm Sinneswahrnehmungen bzw. ein Geruchssinn fehlen? Das widerspricht sich meiner Ansicht nach, weil du damit Sam einerseits für einen Roboter gleichzeitig extrem menschlich, aber auch ziemlich "dumm" machst.

Viele Grüße vom EISENMANN

 

Hallo Loto, eine schöne Geschichte finde ich, mit gelungener Pointe. Mir sind ein paar Kleinigkeiten aufgefallen. Beispielsweise würde ich bei der Beschreibung des Arbeitszimmers das Urteil „edle Erscheinung“ dem Leser überlassen, denn dunkles, massives Mahagoni sollte für sich sprechen. Ich finde das gilt auch für die Formulierung „bedrückendes Schweigen“, denn der Erzähler nimmt damit einen ziemlich subjektiven Standpunkt ein. Trotzdem kann man es natürlich so machen.

Ansonsten ist bei der Pointe der Story vielleicht zu bedenken, daß ein Roboter theoretisch nicht auf die Wahrnehmung beißenden Verwesungsgeruchs angewiesen ist, um festzustellen, daß mit seinem Herrn etwas nicht stimmt.

Gruß Achillus

 

Hi Loto und willkommen im Forum!

Ich finde, du solltest an dem Text noch nachbessern.

Erstens schließe ich mich meinen Vorpostern an, es wirkt seltsam, dass Sam einerseits so menschlich (er denkt und hinterfragt selbständig! wow!) ist und andererseits unfähig zu erkennen, dass sein Besitzer verstorben ist. Das ist inkonsequent, eine Intelligenz, die Fragen stellt wie Sam, sollte doch ziemlich schnell dahinterkommen, dass sich der Daseinszustand McCarthys verändert hat.
Sam liest Bücher in der Bibliothek - da müsste er auch auf den Begriff "Tod" irgendwann stoßen. Außerdem, würde ein Hersteller von Haushaltsrobotern nicht für medizinische Notfälle vorsorgen und einem so perfekten Butler-Bot wie Sam medizinisches Grundwissen einprogrammieren?

Zweitens solltest du nochmal Formulierungen überdenken:
"bedrückendes Schweigen" - wer empfindet das Schweigen als bedrückend?
"das nur Sam zu verstehen schien" - wer ist denn sonst noch anwesend?
"Er aß, wenn er sich mal wieder einmal für Tage in die Bibliothek zurückzog, nur sehr selten" - Füllwörterstolpersteine.

Drittens krieg ich die Zeitebene in diesem Text schwer zu fassen.
Unter anderem an dieser Stelle hier ist es sehr merkwürdig:

Während Sam allmählich in den Stand-By-Modus entschlummerte, fragte er sich noch, ob andere Menschen tatsächlich drei Mahlzeiten am Tag zu sich nahmen, wie er es in den Büchern in der Bibliothek gelesen hatte, wenn der alte Mann ausgegangen war, um sich mit dem Professor zu treffen.
Währenddessen hing der alte Mann noch immer über seinen Büchern
.
Ich weiß, wie das gemeint ist, aber es klingt seltsam, weil die Formulierung "wenn der alte Mann ausgegangen war" nahelegt, dass er das regelmäßig tat und immer noch tut. Das "Währenddessen" bezieht man auch automatisch auf den Satzteil direkt vorher (also "wenn der alte Mann ...") und NICHT, wie du beabsichtigt hattest auf "Während Sam allmählich ...".
Wie wäre Folgendes:
Während Sam allmählich in den Stand-By-Modus entschlummerte, fragte er sich noch, ob andere Menschen tatsächlich drei Mahlzeiten am Tag zu sich nahmen. Das hatte Sam in den Büchern in der Bibliothek gelesen, wenn ALS der alte Mann EINMAL ausgegangen war, um sich mit dem Professor zu treffen.
Währenddessen Diese/Heute Nacht hing der alte Mann noch immer über seinen Büchern ...

Dadurch kriegt der Leser auch die Chronologie der Ereignisse besser mit.

LG,
MG

 
Zuletzt bearbeitet:

Dieser Text ist zwar ordentlich geschrieben, aber völlig auf die Pointe zugeschnitten, die dann ziemlich gewollt wirkt (und ist). Ferner basiert die Pointe darauf, dass dem Leser zu Beginn eine wichtige Information vorenthalten wird. Das ähnelt Witzen wie: Kommt ein Mann zum Arzt. "Herr Doktor, ich habe immer so einen Druck auf dem Kopf." - "Dann nehmen Sie doch mal das Huhn runter."
Die hohe Kunst besteht darin, eine gute Pointe zu bringen, wenn der Witz beginnt mit: Kommt ein Mann mit einem Huhn auf dem Kopf zum Arzt.

Reine Pointentexte funktionieren nur bei Lesern (wie Achillus offenbar), die die Pointe noch überrascht. Wie dem auch sei - sobald man sie hinterfragt, bricht alles in sich zusammen. Der Roboter verhält sich zunächst vollkommen menschlich - eine leicht durchschaubar vom Autor aufgebaute Tarnung, um die Pointe überhaupt erst zu ermöglichen.

Offen gesagt halte ich nicht viel von reinen Pointen-Texten, weil es ungeheuer schwer ist, eine wirklich sehr viele Leser überraschende Pointe zu erfinden. Das Problem ist nämlich: Alle Leser, bei denen die Pointe nicht zündet, sind enttäuscht, weil der Text eben nicht mehr hergibt. Wenn Du eine komplexe, spannende Geschichte erzählst und der zusätzlich eine Pointe als Abschluss gibst - okay. Dann haben auch die Leser was davon, die die Pointe geahnt haben oder doof finden.

Ich empfehle Dir, die Geschichten hier im Empfehlungsthread zu lesen, um zu verstehen, dass SF mehr kann als Roboter als Menschen tarnen. Die Themen liegen auf der Straße. Mehr dazu auch im Thread "SF des 21. Jahrhunderts".

Ach ja, der Titel: Einfach nur "Sam" war Dir vielleicht zu kurz und gehaltlos (was auch stimmt), aber "Eine Kurzgeschichte" dahinter zu setzen, ist keine Lösung, jedenfalls nicht auf einer Webseite namens kurzgeschichten.de ;)
Denk dran, dass gerade im Internet die Leute nur Links anklicken, die interessant klingen. Schau mal auf die Übersichtsseite dieser Rubrik und vergleiche die Titel! Welche klickst Du an?

Man sieht sich!

 

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