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Sally

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04.04.2014
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Sally

Nome, Alaska, Sonntag, den 24. September 1899,
vormittags um zehn Uhr am Strand

Trotz der Kälte lief sie barfuß durch den Schlick. Sie brauchte diese Abwechslung, diese Reize an ihren Füßen, die sie wieder zur Besinnung kommen ließen. Die Reize, die einen Schmerz an ihren Kopf meldeten, sobald sie auf eine der großen Muschelscherben trat, die in großen Mengen am Strand lagen. Oder wenn sie mit den nackten Zehen gegen einen unerwartet großen Stein stieß. Ihre zerstoßene Seele sehnte sich nach diesen Reizen. Wollte erkennen, dass da noch etwas anderes ist als die Schmerzen, die ihr so oft angetan wurden.
Die Reize, die von der Luft ausgingen. Sie atmete das Salz, das sich in ihrer Kehle und ihrem Rachen vom Atem niederschlug. Sie nahm die Luft durch den Mund auf, da sie schnell lief, beinahe so, als ob sie floh.

Der Kapitän der »Portland« hatte ihr einen ausgesprochen schlechten Preis für ihr Gold gegeben. Das Gespräch mit ihm und dem Zahlmeister verlief unerfreulich. Der Preis für das Gold war durch die reichen Funde hier und am Klondike River gesunken. Deshalb hatte sie das Schiff wütend wieder verlassen. Trotzdem liebte sie diesen Dampfer.
Sie kannte seinen Fahrplan, brachte er doch immer wieder die so wichtigen Vorräte nach Nome und trug ihre Briefe, vollgeschrieben mit ihren Impressionen, an ihre Ziehmutter, Cathy Woodstock, der Wirtin des The Washington Inn, nach Seattle. Wenn sie es einrichten konnte, so wollte sie diese einzige Verbindung zur zivilisierten Welt sehen. Seine beiden Schornsteine verbreiteten schwarzen Rauch, den sie bis zu sich an den Strand wahrnahm. Sie liebte diesen Rauch, diesen glutartigen, dennoch würzigen Duft nach brennender Kohle, vermischt mit Wasserdampf, Meersalz und Öl. Eine fast atemberaubende Gestanksmischung. Allein ihrer Seele tat diese alles andere als angenehme Luft gut.
Dieser Geruch bedeutete für sie Freiheit, Flucht aus dieser menschenfeindlichen Wildnis, in die sie sich vor zwei Jahren zusammen mit Jason O'Connor, dem Reporter der Seattle Morning Post, dessen Freund, dem Fotografen Sam Porter und ihrer Freundin und Kollegin Lizzy Oldfield begeben hatte.
Die Massage der feinen Sandkörner, die Eiseskälte des Wassers, die Schärfe des Salzes, all das regte zunächst die Durchblutung in ihren Füßen an. Die Wärme durchströmte sie. Zunächst ihre Zehen, den Rist, ihre Hacken. Und nahm anschließend ihren Weg durch ihren ganzen Körper. Sie spürte, wie die Bewegung der Füße in ihr Innerstes eindrang. Wie es etwas in ihr bewegte, veränderte. Hier am Strand war sie geborgen und einsam. Es war ihre Heimat, ihr ganz persönliches Stück Alaska. War der Salon einer Frau mitten in der Wildnis im nordwestlichsten Zipfel des Nordamerikanischen Kontinents. Ihre gute Stube mitten im Niemandsland der arktischen Wildnis.

Sie hatte sich weit entfernt von der Siedlung Nome, die aus Bretterbuden bestand, welche keinerlei Komfort baten, den sie aus Seattle gewöhnt war. Das einfache Leben machte ihr nichts aus, allein ihr fehlte die Zerstreuung einer großen Stadt, die Beschäftigung mit Musik, ihre Bücher, die Unterhaltung mit ihren Kunden und lieben Menschen. Die Straßen und Wege zwischen den einzelnen Blockhütten waren durch den Novemberregen zu schier undurchwatbaren Matschpfützen geworden. Behelfsmäßig hatte man Bretter verlegt, um nicht allzu tief im einzusinken.
Wie Nadelstiche schossen windgepeitschte Regentropfen in ihr Gesicht. Sie spürte sie aber nicht. Sie rannte, ohne es zu merken. Eiswasser umspielte ihre Füße, ohne dass sie dies spürte. Sie fror nicht, sie empfand Hitzewallungen in der Kälte.
Die Kälte drang, von Sally unbemerkt, in ihre Füße ein, kroch allmählich weiter nach oben und entzündete ein Feuer des Widerstandes in ihren Beinen. Ein Brennen, ein Glühen.
Aber dies waren nur Äußerlichkeiten, nichts im Verhältnis zu ihren inneren Schmerzen. Den Qualen, derer sie sich hier ausgesetzt hatte. Den Qualen, den sie hier für wenigstens einmal eine Stunde entrinnen wollte.
»Siebenundzwanzig Jahre. Mein Gott«, sagte sie leise vor sich hin. Sie blieb stehen, konnte nicht weiter. Sie spürte Schmerzen am ganzen Leib. Ein Brennen. Kein verlangendes, nein, ein vernichtendes Brennen. Sie verglühte innerlich. Sie kniete sich nieder, trotz Schneeregens am Strand. Die Kälte des Wetters verzischte auf ihrem heißen Körper, es stieg ein sanfter Nebel von ihr auf.

Dumpfes, unaufhörliches Rattern schwang derb und laut durch die Luft. Maschinen fraßen sich durch den Sand, getrieben von der allgegenwärtig einsetzbaren Dampfmaschine. Schwarze Ungeheuer, denen die Elemente Feuer, Wasser und Luft Leben einhauchten.

Jason ließ seinen Schreibblock sinken. Er nahm noch einen Schluck Kaffee aus der Blechtasse. Jemand spielte Klavier. Eine einsame Stimme der Kultur, menschlichen Genusses, in dieser rauhen Einöde. Walzerklänge.
»Wie unpassend hier!«, dachte er bei sich. Er betrachtete die einfache Einrichtung dieses Etablissements. Grob behauene Tische und Stühle, unlasiert, kaum glattgehobelt. Die Währung hier oben waren Goldstaub und Nuggets, kaum Dollar. Entsprechend glitzerte es hier und dort in den Ritzen und Spalten des Tresens. Der Kellner, ein ehemaliger Cowboy aus Tennessee, spülte das Geschirr vom Vortag. Er war ein wortkarger Geselle. Keine Unterhaltung für Jason, keine neuen Informationen heute morgen. Jason klappte seinen Block zu und grübelte. Gedankenfetzen flogen durch sein Bewusstsein und spiegelten sich in einem dreckigen Whiskyglas auf seinem Tisch.
Sally. Der Abschied von ihr würde ihm Schmerzen bereiten. Das wusste er. Sie wollte schon lange weg von hier, fliehen aus dieser kalten, trostlosen Landschaft, zurück nach Seattle. Warum blieb sie bei ihm hier oben? Er wusste es nicht. Das Gold?
Sally und Lizzy gehörte der »Golden Gate Saloon« gemeinsam. Sie hatte es mit Lizzy zusammen mit einfachsten Mitteln selber aufgebaut und Anfang des Jahres 1898 eingeweiht. Sally, das Mädchen. Sein Mädchen. Ihre Seele erschien ihm unergründlich tief. Für ihn unbegreifbar im wahrsten Sinne des Wortes. Fremd, denn trotz aller Widerlichkeiten wusste er, dass sie gerne hier bleiben würde.

 
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Hallo jeanmarie malte,

Trotz der Kälte lief sie barfuß durch den Schlick. Sie brauchte diese Abwechslung, diese Reize an ihren Füßen, die sie wieder zur Besinnung kommen ließen. Die Reize, die einen Schmerz an ihren Kopf meldeten, sobald sie auf eine der großen Muschelscherben trat, die in großen Mengen am Strand lagen. Oder wenn sie mit den nackten Zehen gegen einen unerwartet großen Stein stieß. Ihre zerstoßene Seele sehnte sich nach diesen Reizen. Wollte erkennen, dass da noch etwas anderes ist als die Schmerzen, die ihr so oft angetan wurden.
Die Reize, die von der Luft ausgingen. Sie atmete das Salz, das sich in ihrer Kehle und ihrem Rachen vom Atem niederschlug. Sie nahm die Luft durch den Mund auf, da sie schnell lief, beinahe so, als ob sie floh.

Da "reizt" es aber ganz schön oft. Versuch da, zu variieren. "Impulse" vielleicht, oder später "Gerüche, die von der Luft ausgingen". Denn dann klingt der erste Absatz ganz schön. So bin ich an den oft wiederholten "Reizen" hängengeblieben, das hat mich gestört.

Ich finde deinen Schreibstil eher klassisch, was ich nicht negativ meine. Ich musste an Bücher wie "Tess" denken. Da liegt etwas Altes in deiner Sprache, was ich aber gerne gelesen habe. Sprachlich habe ich (bis auf den ersten Absatz) nicht viel gefunden, über das ich gestolpert bin.

Nur habe ich ein Problem mit deiner Geschichte: Ich verstehe sie nicht. Du deutest nur an, löst aber nicht mal annähernd auf. Man muss nicht alles ausformulieren, aber kontinuierlich anzudeuten, dass Sally ja anscheinend Schlimmes durchgemacht hat, ja sogar Qualen durchlitten, und nicht mal ansatzweise zu erklären, was da passiert ist, das hat mich sehr unbefriedigt zurückgelassen. Und warum sind die vier überhaupt in Alaska? Was war ihr Ziel? Die Mädels machen eine Kneipe auf und die Jungs schreiben? Das ist mir alles irgendwie zu wenig ausformuliert, eher ein Stimmungsbild, bei dem ich aber leider mit keinem deiner Protagonisten mitfiebere, weil ich zu wenig über sie weiß. Sally würde sich super anbieten, aber auch über sie erfahre ich nicht wirklich etwas Handfestes. Würdest du die Figuren hier noch besser zeichnen, würde die Geschichte glaube ich dadurch gewinnen.

Liebe Grüße
RinaWu

 

Hallo RinaWu,

danke dafür, dass du meine Geschichte gelesen hast. Ja, den Schreibstil hatte ich schon etwas "altbacken" gewählt, das gebe ich zu. Die Geschichte spielt im Jahr 1899, da wollte ich nicht allzu viel "moderne" Stilelemente einbauen.

Ganz klar, die "Reize" nehme ich heraus. :read: Ist halt immer gut, wenn jemand anderes es liest.

Und zur Erläuterung der näheren Umstände, sprich: Anfang und Ende, werde ich auch noch etwas ergänzen. Du darfst gespannt sein. Natürlich muss man als Leser mitfiebern. das mache ich auch nicht anders.

LG
Jeanmarie Malté

 

Hallo Jeanmarie Malte,

mir sind ja Geschichten lieber, in denen die Figuren etwas tun statt immer nur empfinden. Und deine Figuren empfinden eine Menge. (Darunter auch Empfindungen, die ich nicht nachempfinden kann, wie z.B. die Hitzewallungen. Sally ist noch ein bisschen jung für die Wechseljahre, oder?) Sie tun wenig und vor allem eines nicht: miteinander interagieren. Wir müssen z.B. Jason einfach mal so glauben, dass ihm der Abschied von Sally Schmerzen bereiten würde. Die beiden wechseln in der ganzen Geschichte nicht ein Wort miteinander, geschweige denn, dass sie sich berühren, etwas füreinander tun, etc. Oder anderes Beispiel: Sally hat Ärger mit dem Kapitän. Du schreibst, dass sie das Schiff wütend verlässt. Zeig uns das doch! Lass sie ihn anbrüllen (oder den ahnungslosen Bootsmann, der ihr beim Verlassen der Kajüte begegnet) oder lass sie gegen die Reling treten.
Deinen Stil empfinde ich übrigens überhaupt nicht als altbacken. Hat mir gut gefallen. Und deshalb meckere ich auch so hemmungslos. Weil ich finde, dass deine Schreibe und die Geschichte Potential hat. Meine Vorschläge sind natürlich nur das: Vorschläge. Auf deine Änderungen bin ich so oder so gespannt.

Viele Grüße
Ella Fitz

 

Hallo Ella Fitz,

danke für Deine Anregungen. Natürlich sollte Sally noch nicht in den Wechseljahren sein, die Hitzewallungen sollten mehr seelischer Natur sein. Ich werde die Geschichte am Wochenende überarbeiten.

LG Jeanmarie Malté

 
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Sie hatte sich weit entfernt von der Siedlung Nome, die aus Bretterbuden bestand, welche keinerlei Komfort baten, den sie aus Seattle gewöhnt war. Das einfache Leben machte ihr nichts aus, allein ihr fehlte die Zerstreuung einer großen Stadt, die Beschäftigung mit Musik, ihre Bücher, die Unterhaltung mit ihren Kunden und lieben Menschen.

Dieses Eingangszitat erklärt mir (und sollte es allen Lesenden eigentlich) die Wortkargheit in diesem kleinen Text am Ende des Goldrush`' am Klondike und Dir,

lieber malte,

gelingt, wie ich finde, tatsächlich eine Annäherung an die (deutsche) Sprache des 19. Jh., die ja bis weit in die Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrtausends hineinreichte. Wenn man so will: Der Inhalt zerplatzender Träume der jungen Frau und Jasons (ob der Mythos vom Goldenen Vlies hineinspiele, kam mir mit diesem Namen) hat seine ideale Form gefunden. Die Argos ist nun ein Dampfschiff - wobei ich meine aus dem reichhaltigen Erfahrungsschatz mit Dampfloks - dass der Rauch auch etwas süßlich, und somit für den kleinen Friedel damals durchaus "lecker" roch.

Gleichwohl geht in einigen Sätzen was daneben, wenn zunächst Demonstrativ- mit Relativartikel verwechselt wird und dann Singular und Plural kollidieren

Den Qualen, derer sie sich hier ausgesetzt hatte. Den Qualen, den sie hier für wenigstens einmal eine Stunde entrinnen wollte.
Warum nicht einfach "Den Qualen, denen sie sich hier ausgesetzt hatte", was ja im zwoten Satz gewählt wird, allerdings mit amputierter Endung "den Qualen, denen sie hier ..."

Sie nahm die Luft durch den Mund auf, da sie schnell lief, beinahe so, als ob sie floh.
Nicht unbedingt falsch, irreale Vergleichssätze wie die mit „als ob“ beginnenden im Indikativ zu belassen (der Grammatikduden, 8. Aufl., 2009, belegt es mit einem Zeitungsausschnitt) oder nur in den Konjuntiv I zu versetzen ( immerhin nicht aus der Berliner Zeitung, sondern von M. Dönhoff u. a.) und dennoch wird hier zumindest im Schriftdeutschen der Konjunktiv irrealis verwendet. Nun bekäme selbst ich, ein „als ob sie flöhe“ hörend (!) das flöhliche Jucken, nicht jedoch lesend (es sei denn, die gemäßigte Kleinschreibung setzte sich durch).

... der Wirtin des The Washington Inn, ...
In der üblichen Weise, wie Der Goldene Hirsch nur mit dem gebeugten Artikel versehe, wenn jemand über den Goldenen Hirsch schreibt oder spricht, würd ich es auch beim Washington Inn halten, ohne dass er Schaden nehme.

Seine beiden Schornsteine verbreiteten schwarzen Rauch, den sie bis zu sich an den Strand wahrnahm.
Ja, mit dem Reflexivpronomen hastu es (kommt öfter vor, den letzten Auftritt schauen wir uns auch noch kurz an)
Warum die reflexive Wahrnehmung des Rauches, wenn sie den bis zum Strand wahrnahm, oder ginge was in der Konstruktion „den sie bis auf dem Strand wahrnahm“ nicht, was in der reflexiven wäre?
»Wie unpassend hier!«, dachte er bei sich.
Denkt man nicht immer nur „bei sich“, auch wenn er einfach nur denkt?, dachte er und vor allem ich bis heute.

Denken ist i. d. R. ein stiller Vorgang, selbst wenn manche dabei mit/zu sich selber sprechen.

Und nahm anschließend ihren Weg durch ihren ganzen Körper.
Zweimal „ihren“ kann verwirren. Der aufmerksame Leser/Hörer weiß doch, dass es die Wärme aus dem vorhergehenden Satz sein wird, die sie erwärmt. Warum also nicht „und nahm anschließend den Weg durch ihren ganzen Körper“?

Zum Schluss der einzige Rechtschreibfehler (nun ja, erst seit der großartigen Rechtschreibreform)

... in dieser rau[...]en Einöde ...

Gern gelesen vom

Friedel

 

Lieber Friedel, auch Dir herzlichen Dank, wenn auch etwas spät. Schön, dass Dir die kleine Geschichte gefällt.

Die Anmerkungen werde ich in der nächsten Zeit einarbeiten.

LG JMM

 

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