- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Sahara
Black ist scheiße. Muss ich vllt erklären, wie ich drauf komme. Heute Abend ist Party und ich will dahin, weil logisch Mädels und Alkohol. Nur die Musik ist Abfuck. Alle gehen ab auf dieses Black-Zeugs. Darum chill' ich. Das wird wahrscheinlich noch anstrengend genug heute. Erstmal 'ne Runde Wandern. Müsst ihr jetzt nicht unbedingt weitererzählen, wie endgeil ich Wandern finde, mein Vater würd' mich zwangseinweisen lassen. Habe ihm erzählt wir fangen früher an mit Vorglühen und bin dann aus der Stadt raus. Ich drehe mich am Ortsschild immer einmal um und sehe schon meistens keinen mehr auf den Straßen, denke Adieu und ab. Dann jogge ich, weil ich gut fünf Kilo abnehmen könnte, in den Wald und bleibe erst stehen, wenn ich kein Auto, keine Mauern, Dächer oder Leute mehr sehen kann und lege mich irgendwo auf die Erde. Megachillig. Und dann kommt mir meistens alles recht sinnvoll vor, also was ich so denke wie eben jetzt auch, das Black Music Scheiße ist, dass ist mir völlig klar, wo kein anderer zum widersprechen da ist. Nur Bäume und Wald. Über mir bewegen sich die Baumkronen leicht hin und her und werfen sich überschneidende Schatten auf die Erde, wo ich so ein bisschen rumtaste nach Moß und Laub und Holz. Und wie gesagt, erzählt das bitte nicht meinem Vater. Lars hat ihm einmal im Suff verraten, dass ich noch Jungfrau bin, da hat er fast 'nen Herzkaspar gekriegt. Wenn er jetzt noch erfährt, wie sein einziger Sohn quasi zum Objektophilen mutiert ist ... ne das will ich dem Alten nicht antun. Ich hatte Eingangs was von Party und Mädels und Alkohol gesagt. Naja die Mädels können wir eigentlich wieder abziehen.
Black Music ist halt so warten darauf, dass du stirbst; oder dass dir jemand den Schwanz lutscht. Aber unter Ausschluss des Letzteren gilt für mich eher Ersteres.
Es ist nicht so, dass ich das nicht ertragen könnte, aber es ist einfach irgendwie ungeil wie Leute jede abkriegen, während bei mir so Mülltonnentreten und Kotzen. Ich hab jetzt auch nix gegen Mädchen oder so. Aber die machen mir irgendwie Angst, weil sie safe in einer überlegenen Position sind. Alice Schwarzer ist da anderer Meinung und für die Gesellschaft hat sie wahrscheinlich recht, aber mal beschränkt auf mich und irgendeine... Das ist so, wenn ich die toll finde: Kurzschluss. Und wenn sie mich anspricht: Kotzen. Nicht dass ich was gegen sie hab, mehr weil... keine Ahnung, wenn Leute gut aussehen macht mich das irgendwie fertig.
Das dumme an dieser Geschichte ist nur, dass man ja auch keine Hässlichen abbekommen will, während die Hübschen einen überfordern. Aber wo waren wir... Musik vielleicht sollte ich damit anfangen, was ich okay finde. Also nicht super, aber okay. So Party ist toll. Mit Drop und Ausrasten. Denn darum geht's doch. Dass man mal aus seiner Haut fährt!
Hip Hop find ich auch gut weil: rhythmisch. Das geht so nach vorn. Aber ich finde das nicht gut, wenn das Musik darüber ist, wo man sich geil finden soll, weil ist ja in echt auch nicht so. Ungefähr so wie einen Millionärdokus abfucken. Die zeigen einem nur wie kacke man es hat. Und Black ist halt eine Musik, die man nur gut finden kann, wenn man selbst cool ist. Und wenn man ein Assi ist, hört man halt Musik, bei der es okay ist Assi zu sein. Als Beispiel, wenn man in der Black-Area kotzend umfällt ist man geistig behindert. Wenn man in der E.D.M.-Area kotzend umfällt, ist das okay, weil es geht ja um Eskalation. Und ich wünschte, ich könnte das näher erläutern, aber das lohnt nicht.
Was ich gegenüber Hip Hop und Black toll finde ist Rock. Das hat vermutlich mit meinem Vater zu tun, der immer Rock gehört hat und der hat so ein Mixtape gehabt, von seinen Songs. Werner 2008 hieß das. Das habe ich immer gehört. Zum Beispiel Autobahn, da lief dann Temple of Love von Sisters of Mercy und das lief dann immer. Und wichtiger wenn ich mir vorgestellt habe mit Kira zu tanzen dann war das in meiner Vorstellung immer zu Cats in the Cradle. Nicht das Original von Harry Chapin sondern die Coverversion von Ugly Kid Joe. Ironischerweise geht es in dem Song gar nicht um Liebe. Klar man kann sagen um die Liebe zwischen Vater und Sohn, aber das ist halt schon was anderes. Meinem Vater hab ich das dann erzählt, das ich Cats in the Cradle ganz lange für einen romantischen Song hielt, weil ich früher keine Englisch konnte und er hat mir durch die Haare gewuschelt und meinte, ich spinne.
Also wahrscheinlich ist das alles anerzogen und Nostalgie, aber ich bilde mir gerne ein, dass ich das selbst so entscheide, was mir gefällt und was nicht und vielleicht schließt das eine das andere gar nicht aus, denn wenn ich was toll finde, aus welchen Gründen auch immer, sind das ja noch immer meine Gründe. Glaube ich. Und das würde ich Kira gerne sagen. Also das alles, wie hier aufgelistet denn ich glaube, wenn sie es versteht, mag sie mich auch.
"Bist du behindert?", fragt Lars.
Ich tue als hätte ich ihn nicht gehört. Er greift nach meinem Handy. Ich bringe das Gerät mit einer Drehung in Sicherheit.
"Was schreibst du da?"
"Theorie", sage ich.
"Aha", sagt er. Dann guckt er sich eine Weile suchend um. Ich gucke auch, kann in den tanzenden Schemen und dem Strobolicht, aber niemanden erkennen.
"Kira ist doch nichtmal da."
"Ja, wenn sie noch kommt."
"Ja, was ist dann?"
"Muss ich mich zusammenreißen."
Er nimmt mir das Handy weg und liest.
Ich weiß nicht wie weit er gekommen ist, bis ich das Ding zurückerobert hab. Aber die Liste darauf war ungefähr die hier:
1. Sich auf Details konzentrieren, Details in Worte fassen.
2. Auf was rumkauen ist vorteilhaft. (subjektiv)
3. c.a. halb 2 (zweieinhalb Stunden nach regelmäßiger Cocktaileinnahme) Musikgeschmack erhalten. Kackmusik erkannt. "Gzuz" o.ä.
4. Nicen Toilettenwitz bezüglich der Putzkraft ironisch unterwandert. Dennoch Trinkgeld gegeben haben. Stark. (subjektive Selbsteinschätzung)
5. c.a. zwei Stunden nach Beginn der regelmäßigen Cocktaileinnahme: laut Lars Dancemoves okay.
6. Ganzes Experiment mit Konzentration zugunsten sozialer (gedankenloser) Aktivität.
7. Alle Angaben erhoben unter alkoholisierter Beeinträchtigung.
8. Lars ist ein Hurensohn: (Humorverlust nicht zu diagnostizieren)
9. Vorraussetzung: C.a. genauso viel getrunken wie Lars
10. Nr. 4 relativiert. Angestellte können nichts für provokative Zettel die ausgehangen werden. (Zur Erklärung: Kloliste: Trinkgeld für die Putzkraft steigend nach Penisgröße)
Ziel der ganzen Sache war sich beim trinken so krass zu konzentrieren, dass man immer noch hacke wird, aber keine Scheiße mehr baut. Wenn man so ganz bei sich ist - ich öffne und schließe meine Hand und glaube die Gelenke zwischen den Fingergliedern bewegen sich langsamer - dann kommen einem nicht so fixe Ideen wie scheiße zu tanzen, Leute anzupöbeln oder irgendwelche random Mädels anzusprechen.
Lars hat da nicht so Probleme. Ich sehe, wie er sich mit Jenny unterhält. Er lacht. Sie lacht. Sie gucken zu mir und lachen beide. Dann kommen sie rübergeschlendert.
"Na was geht, *****", fragt Jenny mich und ich könnt' schon wieder Kotzen. Das liegt klar zum einen daran, dass Jenny gut aussieht und zum andern und das ist hier wichtiger, dass ich sie echt nicht leiden kann. Allein wie sie schon fragt, was geht, das macht sie auf 'ne Weise, wo sofort klar ist egal, was du sagst, du kommst immer wie ein Idiot dabei rüber. So ein unangenehmes Gefühl durchschaut worden zu sein. Die pure Provokation.
Mich wundert, dass Lars so gut mit ihr kann, vor allem weil Lars der größte Heiopei ist, den ich kenne. Erstmal redet er nur Müll. Also er redet viel Müll, weil er kifft. Und er sieht jetzt auch nicht so wahnsinnig gut aus, das man denkt, alle Mädels würden auf ihn abfahren und ja, keine Ahnung. Ich hänge halt mit ihm rum, was mit Sicherheit auch nicht gerade ein Pluspunkt ist. Aber das Tolle ist, dass er das alles weiß. Wie er aussieht, was für Müll er labert und was für ein Spasti ich bin und er benimmt sich oft so als wäre das alles nicht wahr, obwohl er es genau weiß. Dann manchmal wenn alle feiern, wie er abgeht, dann kommt er zu mir rüber und meint: "Ey wird sind halt safe die Coolsten hier und das spricht nicht für die Party."
Ich war dann sogar auch mal mit Lars im Wald. Okay das hört sich jetzt falsch an, aber ihr wisst was ich meine. Und da hab ich ihm das tatsächlich erzählt, wie ich immer dahinkomme, um nachzudenken.
Herbst war das und wir saßen so da, wie zwei Spinner. Lars hat einen gebaut.
"Und das macht Spaß?", hat er gefragt.
"Was?", hab ich gefragt.
"Na das Rumsitzen im Wald."
"Spaß weiß ich jetzt nicht, aber das ist chillig."
"Aha."
Er zieht an seinem Joint. Ich habe dann noch ein paar mal versucht, ihm das zu erklären, was daran so toll ist, aber er hat's glaube ich nicht kapiert, da hab ich dann auchmal an dem Joint gezogen.
Und dann wollte Lars wissen, ob ich schonmal über die Sahara nachgedacht hab.
"Ne", meinte ich.
"Die Sahara", meinte Lars, "das ist kein Ort für einen wie dich."
"Aber für dich, oder was?"
"Ich will da ja nicht hin."
"Ich doch auch nicht."
"Nein, im Ernst, geh nicht in die Sahara."
"Und wieso nicht?"
"Haste mal überlegt wie viel Sand es da gibt? Da ist doch nichts. Gar nichts."
"Außer Sand."
"Ja, Sand, Sand und Fatamorgana."
Tja, wie gesagt: Nur Müll ist der am labern.
Halb eins kommt Kira auf die Party. Ich tippe Lars an und deute auf sie, er zuckt mit den Schultern. Ich bleibe also erstmal stehen und Lars schubst mich in die Menge.
"Was soll der Scheiß?"
"Wer über 5 Minuten guckt, ohne sie anzuquatschen, ist ein Stalker."
Und ich denke, fick dich, aber mein Experiment hat irgendwie funktioniert. Ich bin gut dabei, lalle noch nicht, also jetzt oder nie. Ich schiebe mich an ein paar Discopumpern vorbei auf Kira zu. Sie holt sich gerade was zu trinken und spricht mit irgendnem Typen. Ich warte locker zehn Minuten. Was zur Hölle haben die sich bloß alles zu sagen? Als sie den Kerl dann endlich abgewimmelt hat, trete ich hinter sie. Sie will gehen und ich packe sie vermutlich eine Spur zu fest am Arm. Sie schreit kurz auf und ich könnte mir auf der Stelle die Kugel geben. Mein kalkulierte Sauferei war wohl doch nicht so erfolgreich.
Dann erkennt sie mich und wartet. Ich erkläre ihr wie Scheiße ich Black finde, was locker überhaupt keinen Sinn macht, weil sie ja mega drauf steht. Und dass ich keine Mädchen ansprechen kann, sage ich ihr, aber den Zusammenhang versteht sie natürlich nicht. Sie schaut mich aber immer noch ausdrucklos, minimal interessiert an, als würde ich hier Smalltalk raushauen. Dann sieht sie irgendwo hinter mir eine Freundin oder so. Sie klopft mir auf die Schulter und schiebt sich an mir vorbei. Ich hätte sie natürlich wieder festhalten können, aber das wäre wahrscheinlich sogar eine geringfügige Sexualstraftat.
Ich zücke mein Handy, lösche die Stichpunkte des kontrollierten Suffs und quatsche dem Barkeeper mit 'nem Fünfziger eine Flasche Klaren ab.
Röcke und nackte Oberschenkel, die steppen so hin und her. Den Klaren habe ich zwischendurch irgendwo verloren. Ich will aufstehen und stoße mir den Kopf an der Tischplatte unter der ich mich verkrochen habe.
Jemand lacht.
"Ey, was suchst du denn da unten?"
Ich reibe mir den Kopf und starre in der Hoffnung in Ruhe gelassen zu werden auf meine Schuhe.
Jenny kriecht ebenfalls unter den Tisch und hockt sich neben mich.
"Hier, ist glaube ich deine."
Sie reicht mir die halbvolle Flasche Klaren. Misstrauisch öffne ich den Verschluss rieche daran, sie lacht wieder und ich nehme einen Schluck.
"Läuft nicht so mit Kira, was?"
Einen Moment bekomme ich Panik, weil ich denke alle haben meinen jämmerlichen Annäherungsversuch mitbekommen, aber dann fällt mir ein, dass das Jenny ist. Von wegen 5 Minuten Stalking. Wenn ich ein Stalker bin, wie gestört ist sie denn bitte, wie sie halt irgendwie auf jeden peinlichen Fehltritt meinerseits wartet, nur um mich inne Pfanne zu hauen.
"Kriege ich auch mal 'n Schluck?"
"Kannst du dich vielleicht verpissen?"
Und sie lacht und ich schreie irgendwas. Da ist sie still, aber nur kurz. Dann legt sie eine Hand auf meine Schulter, die ich sofort wieder runternehme und sie sagt: "Beruhig dich mal, ist doch alles okay."
Dabei greift sie allerdings nach meinem Alk und ich hab genug. Ich ziehe die Flasche weg und will aus meinem Versteck kriechen. Ich kicke einen Stuhl zur Seite, halte aber noch kurz inne und drehe mich in der Hocke, um Jenny nochmal richtig meine Meinung zu geigen.
Aber sie ist mir hintergekrochen und aus Versehen hau ich ihr in der Drehung die Flasche aufs Auge.
"Scheiße!", brüllt sie auf allen Vieren, eine Hand auf dem Auge mit der anderen hektisch die restlichen Stühle beiseite schiebend. Und natürlich ist mein Ärger sofort beendet, aber nützen tut das auch nichts, also komme ich unterm Tisch hervor und blicke mich nach Lars um. Jenny ruft jetzt meinen Namen und ich will mich natürlich entschuldigen. Aber erstens bringt das jetzt nicht mehr viel und zweitens: mich von ihr vor allen als Psychopath und endbehinderten Frauenschläger bezeichnen zu lassen... Das könnte ich, glaube ich, nicht mehr aushalten.
Also gehe ich. Sie ruft noch meinen Namen und ich gehe schneller.
Draußen ist Nacht und ich sitze an einer Mauer. Im Dunkeln find ich die Stadt okay, da muss man sich nur hinter 'ne Mauer chillen und man hat seine Ruhe. Ausnahme natürlich wenn Lars vorbeikommt. Der blickt sofort, wo ich mich hin verziehe und so steht er also jetzt auch vor mir, packt mich am Kragen und zieht mich auf die Füße. Er beleidigt mich 'ne Runde, fragt was mit mir los sei und beleidigt mich dann nochmal. Abschließend sagt er noch, dass man sich nicht wundern brauche, keine Mädels abzubekommen, wenn man sie mit Glasflaschen vermöbelt.
Kann ich jetzt nichts gegen sagen.
Zuhause ist mein Vater noch wach. Wie ich ist er betrunken und erzählt von wegen toller Abend. Tolle Leute die neuen Kollegen. Hätten was auf'm Kasten. Alles gute Leute, mit denen man trinken kann.
Wie mein Abend wäre. Black Music ist scheiße, sage ich. Aber die Mädchen, meint er. Ne, sage ich. Und er wartet, ob da noch was kommt. Aber das war ja auch schon alles. Vollkommen klar kommuniziert, aber er guckt mich nur an und schüttelt den Kopf.
Ich schlafe und denke an Sand und Sonne, an blauen Himmel. Ich konzentriere mich auf die Details, die Körner zwischen meinen Fingern, das Flimmern der Luft vorm Horizont und bin ganz bei mir. Der Wind fegt dünne Körnersalven von den Dünen und um mich rum Sand und Hitze und Leere und zu laufen brauche ich auch nicht anfangen. Ist doch viel zu weit bis zu den andern.