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Saft
Knochen knirschten unter meinen Stiefeln. Es klang wie Schnee.
Der Himmel bestand aus einer schwarzen Wand, es gab weder Wolken noch Mond.
Die Nacht selber machte keine Geräusche. Mein Atem tat es ihr gleich,
aber er stieg deutlich sichtbar vor meinen Augen auf.
Mein Blick auf den weissen Boden gerichtet, versuchte ich immer schneller zu laufen.
Die Kälte verfolgte mich.
Staubwolken waren die Antwort auf meine schweren, tiefen Schritte.
Sie schossen empor und vermengten sich mit meinem Atem.
Mir war heiss, ich fror.
Verhalten blickte ich nach vorn und sah dieses grosse Dreieck, welches sich aus dem Boden
emporwand und wieder zu ihm niederstreckte. Verhalten und klein.
Ich schritt weiter auf das Gebilde zu.
Als ich direkt davor stand, erkannte ich die Gliedmassen, aus denen es bestand.
Ein fahler abgeknickter Arm, welcher meine Körpergrösse bei weitem überragte, gebildet zu diesem imposanten Dreieck.
Der Arm war eingefasst von einer blassen, von Pocken überzogenen Haut.
Die Knochen darunter schienen unter der Last der Schwerkraft dem Zusammenbruch nahe.
Meine Finger spitz zusammen geführt, zitterten, bewegten sich langsam der Haut entgegen, scheinbar von Sucht geführt.
Sie setzten auf.
Meine Fingernägel ritzten in die fahle Hülle, rissen sie auf,
und zogen sanft einen dünnen Fetzen ab.
Ich hielt ihn vor mich.
Der Wind spielte mit dem Streifen aus Haut, hauchten ihm vermeindliches Leben ein.
Er begann zu pulsieren, färbte sich schwarz, wurde heiss.
Ich spürte die aufkommende Hitze in meinen Fingerkuppen.
Vom Instinkt geführt, schleuderte ich den Streifen in das Dreieck, weg von meinen Fingern.
Schweiss gefror auf meiner Stirn.
Ein drängendes, ohrenzerschmetterndes Trommeln, war die Antwort auf das Fressen.
Zwei Gesichter tauchten auf, ein weisses Licht quoll wie nackter Sputum aus dem Gebilde.
Zuletzt zuckte noch mein Auge und ich konnte es sehen.
Der Morgen begrüsste mich so, wie jeden anderen in dieser Zeit.
Nämlich gar nicht.
Die Regierung wurde aufgefressen, die neue Zeit nagte an ihr und riss die letzte Hülle ein,
dahinter war schon lang nichts mehr.
Sie unterdrückte uns seit jeher. Aber wir liebten sie, hassten sie, wie eine gute Ehefrau.
Wir lebten zu lange mit ihr, als dass wir uns von ihr trennen konnten, oder wollten.
Doch bald wird sie von Löchern übersäht neben uns liegen und wir werden uns
weiter an sie schmiegen, weil wir es nicht anders kannten.
Jeder wusste es, doch wir blieben. Ich blieb.
Ich stand im direkten Dienste dieses Weibes. Mein Haut schien fast verwoben mit ihr.
Nicht dass ich an sie glaubte, sie gar liebte, dennoch, loslassen konnte ich nicht.
Ich hätte sie verraten, ja sie sogar getreten, wenn mich jemand darum gebeten hätte.
Aber dies passierte nie.
Somit diente ich weiter, tat meine Pflicht. Wie in einer guten Ehe.
Ich griff nach dem Glas auf meinem kleinen Nachttisch, es war gelblich, wie das ganze Land.
Meine Augen waren noch nicht offiziell im Dienst, gaben mir nur ein fahles Abbild der Umgebung, wofür ich dankbar war.
Ich ergriff das Glas, es war überzogen vom kalten Winter, welcher hier meist herrschte.
Noch müde, nahm ich einen grossen Schluck vom zuvor am Abend, im modrig miefigen Abendlicht, bereitgestellten Saft.
Kalter Sirup wand sich meinem Hals hinab, gefolgt von einem dicken Pfropfen.
Ich spuckte, die Decke, sowieso schon klamm, wurde nun besprenkelt.
Orangefarbene Flecken. Gelbes Blut.
Vor Eckel zuckte ich, meine Augen traten den Dienst an.
Das Glas noch immer in der Hand, blickte ich entsetzt auf den nun verdorbenen Inhalt.
Das Getränk hatte sich offensichtlich unserer Zeit schneller angepasst, als wir.
Ich stellte es ab und blickte über mich.
Die nackte Uhr knackte, es war bald Dienstzeit.
Der Schnee knirschte unter meinen Stiefeln. Es klang wie Knochen.
Ich betrat den Hof, salutierte den Soldaten.
Ich sah die Löcher an ihren Mänteln und in ihren Augen.
Lange konnte es nicht mehr dauern.
Eis klammerte sich an den Bart des Offiziers, welcher mich an meine Arbeitsstätte geleitete und mir die Tür mit verständnislosem Murmeln öffnete.
Ich passierte und trat ein.
Rostig verschluckte sich das Schloss hinter mir, der Morgen war noch jung und kraftlos.
Der Raum lag völlig dunkel vor mir, ich wusste wo alles war.
Langsam und erhaben presste ich den Schalter.
Flackernd stotterte das Licht auf meine Welt und erhellte es mit besonderer Schönheit,
welche ich mir erhalten habe.
Ein gelber Tisch, ein Stuhl davor, zwei dahinter, zeigten sich, die Wände müde und matt glänzend.
Ebenfalls, gelb. Gelbes Blut.
Ein kleiner Medizinschrank hing von der Wand. Ein rotes Kreuz
Ein schlierenbehafteter Spiegel, welcher die gesamte Rückwand des Raumes einnahm, vermochte kaum noch ein Bild wiederzugeben.
Ich öffnete die weisse Box und entnahm ihr meine Loyalität und stürzte sie meine Kehle hinunter, pur.
Von der Macht des Landes überwältigt lies ich mich nieder.
Als ich mich wieder fasste, blickte ich zur linken Tür und prasselte mit meinen Fingern.
„Komm früh, das wird dir gefallen, danach kannst du wieder nach Hause. Schnell erledigt,
hast den restlichen Tag frei. Es kommen nicht mehr.“, die Worte des Befehlshabers, gingen mir durch den Kopf. Sie klangen so enttäuscht.
Es wird mir gefallen ?
Ich konnte mich zu diesem Zeitpunkt an nichts erinnern, was mir noch gefallen hätte, aber auch an nichts, was mir nicht gefiel.
Ich wartete. Wartete darauf, dass sich diese Tür öffnete.
Ich wartete darauf, dass ich tat wofür ich hier war und darauf, dass ich wieder gehen konnte.
Zeit verrann, das Knacken meiner Uhr, war bis hierhin zu hören, so still war es.
Ich steckte mir eine Zigarette an, der ehrlichste Tod in dieser Welt.
Das Knacken nahm kein Ende und mein Blick wandte sich nicht von dieser Tür ab.
Endlich öffnete sie sich.
Ein fröstelnder Soldat, jung und schon verbraucht, schob zwei Personen in den Raum, deren Gesichter bedeckt waren.
Der Soldat zerrte sie tiefer in den Raum, sie stolperten an meinen Tisch.
Er platzierte sie an die mir gegenüberliegenden Plätze.
Ich konnte noch einen wachen Moment in seinen Augen erhaschen, schnell hatte ich ihn vergessen. Er ging, gebückt, verschloss die Tür hinter sich.
Zitternd sassen die Vermummten vor mir. Ich nahm einen tiefen Zug aus meiner Zigarette.
Ich überlegte etwas zu ihnen zu sagen, aber ich zögerte und blickte auf ihre Körper.
Ein Mann und eine Frau. Ein Pärchen ?
Sowohl ihre Hände als auch ihre nackten Füsse waren von rostigen Eisenschellen eingefasst.
Mir konnte nichts passieren, nicht in diesem System.
Ich betrachtete die Frau und versuchte mir ihr Gesicht vorzustellen.
Ihr Körper war bedeckt von dieser tristen Kleidung, wie sie alle trugen, welche zu mir kamen.
Doch blieben mir ihre feinen Rundungen nicht verborgen.
Meine Vorstellung einigte sich auf ein eingefallenes, aber anmutiges Gesicht, einer distanzierten, feinfühligen und leicht verletzbaren Frau.
Der Mann schien einfach, ein üblicher Kandidat.
Ich muss zugeben, meine Blicke überflogen ihn nur flüchtig, dennoch glaube ich nicht,
dass ich mich irrte.
Ich stand auf und entnahm ein Glas aus dem kleinen Schränkchen, fühlte es und setzte mich wieder hin.
All dies versuchte ich so ruhig wie möglich.
Die dunklen Tücher über ihren Gesichtern, bewegten sich stetig, doch keiner von ihnen wagte zu sprechen.
Sie waren aufgeregt.
Als ich sie nochmals genauer betrachtete, muss ich zugeben,
war ich es auch, denn ich wusste, dass den Gefangenen es nicht erlaubt war, etwas unter ihrer
Kluft zu tragen. Der Gedanke an von der Kälte aufgerichteten Nippeln an billigem Stoff,
erregte mich. Ein wahres Sonderangebot aus meinem Phantasienladen.
Verträumte nahm ich einen weiteren Schluck und versuchte in Gedanken zwischen das Fasernetz zu tauchen, um hinter das Gewand zu prallen, an die sinnliche Hitze der Angst.
Nicht dass Sie mich falsch verstehen, ich war kein Sadist, aber mir wurde eben wenig geboten, so dass mir diese Schönheit schlichtweg nicht verborgen bleiben konnte.
Zugegeben, ich sog sie schamlos auf, aber meine Gedanken werden es sowieso nicht in die Geschichtsbücher schaffen.
Ich starrte ihr Tuch an, sowohl dies über ihren Körper, als auch das, über ihrem Gesicht und versuchte, ohne etwas zu sagen, einen Kontakt zu ihr herzustellen.
Ich hoffte, sie würde es spüren, dass ich sie ansah.
Meine Augen starrten sie an, wartend auf eine Reaktion von ihr.
Plötzlich wurde sie ruhig, ihr Zittern erstarb. Ihre Hand bewegte sich langsam, ergriff das Tuch und entblösste ihr Gesicht. Offensichtlich spürte sie etwas.
Ihre grossen Augen, tränenverziert, blickte mich vorwurfsvoll und angstverquollen an.
Ihr Gesicht entsprach meiner Vorstellung, das Spiegelbild ihrer abgenagten, dennoch sinnlichen, Statur.
Ich blickte in ihre Augen, zog an meiner Zigarette. Sie blieb regungslos.
Ich warf einen Blick auf den immer noch verhüllten Mann, er bebte noch vor Angst, im Gegensatz zu ihr.
Ich atmete tief durch. Lautlos, nur in Gedanken.
Kalte Winterluft schoss durch mein Hirn.
Ich wande meinen Blick von ihm ab, wandte mich wieder zu ihr.
Ihre Augen. Gross, glänzend, angreifbar. Ein Stachel von Kälte bohrte sich von meiner rechten Schläfe zur linken. Kalt und schön war dieses Gefühl, wie sie, und wie sie, setzte es all meine alltäglichen Gedanken, mein Leben und die Situation, ausser Kraft.
Verstört drehte ich mir eine weitere Zigarette.
Eine weitere Träne quoll aus ihr hervor.
Ich verbrannte die Spitze meiner Zigarette und den Gedanken, dass sie mich fürchtete,
atmete tief ein, inhalierte.
Ich tastete meine Lippen ab, ich lebte, und in Gedanken tastete ich auch ihre ab.
Sie begann zu seufzen, nur kurz, nur optisch und schloss ihre grossen Augen für einen
flüchtigen Moment
Diesen Moment lies ich mehrfach und in Zeitlupe
an meinem inneren Auge passieren.
Ich öffnete die Augen wieder und blickte nun auf beide.
Den verhangenen Mann und das offene, schöne Gesicht.
Ich hielt inne.
Der Prozess begann, ich öffnete die Schublade, entnahm einen Block und Stift,
legte ihn auf den Tisch und leckte den Bleistift an.
Ich wollte mir nichts anmerken lassen, um so die Überlegenheit des Systems
auf mich zu übertragen. Zumindest scheinbar.
„Sie wissen warum sie hier sind ?“, schoss es wie ein Pflock aus meinem Mund.
Sie nickte. Der Mann zuckte verstört nach links und rechts.
„Gut. Ich weiss nicht warum sie verurteilt wurden und es interessiert mich auch nicht.
Ich bin für ihre Hinrichtung zuständig. Dass ich mit ihnen vorher noch spreche ist nicht vorgeschrieben, noch notwendig, aber dennoch eine Option welche ich nutzen darf.“
Meine Worte klangen wie kaltes Wasser in einem gefrorenen Kondom.
„Sind sie bereit, mit mir zu sprechen ?“
Sie nickte, er zuckte undefinierbar.
„Mich interessiert weder ihr Name noch weshalb sie verurteilt wurden.“
Ich pausierte, blickte sie an.
Sie öffnete leicht den Mund, nicht als ob sie etwas sagen wollte, aber dennoch eine Emotion zum Ausdruck bringen wollte.
„Der Raum ihrer Exekution befindet sich hinter diesem Spiegel...“, meine Finger, die Zigarette haltend, deuteten auf den Spiegel hinter ihnen.
„... einen letzten Wunsch kann ich ihnen erfüllen.“, ich hielt abermals inne, „KANN. ... muss ich aber nicht.“
Das Symbol des Systems brannte in mir, aber es war in diesem Moment nicht halb so stark wie das, was ich in ihren Augen sah.
Ich drückte die halb verfallene Zigarette aus, drehte eine neue, zündete sie an und registrierte ihre aufgeregten, folgenden Blicke.
Ich inhalierte tief, genoss und sah sie an.
“Auch eine ?“
Sie nickte.
Ich drehte erneut eine weitere, lies aber den Blick nicht von ihr ab.
Als ich sie ihr reichte, sah ich eine weitere Träne, sie sah den Mitgefangenen an.
„Nehmen sie ihren Augenschutz ab“, warf ich in seine Richtung.
Offensichtlich handelte ich in ihrem Sinne und es befriedigte mich.
Gleichzeitig kletterte der Hass gegen ihn, auf meiner inneren Skala, um mehrere Punkte.
Er folgte meiner Anweisung. Ein blasses, dümmliches Gesicht drängte sich ins Licht.
Widerwillig musste ich einen vertrauten Blick zwischen ihnen ertragen, als ob keine Gefahr drohen würde.
“Was haben sie verbrochen ?!“
Ich warf die Frage in seine Richtung.
„Ich dachte sie wollen nicht wissen was wir angeblich verbrochen haben ?“
gab er unerwartet selbstsicher von sich.
„Beantworten sei einfach meine Frage !“ ich sah meinen eigenen Speichel den Tisch passieren.
Sie zuckte.
„Ich habe einen Soldaten getötet.“
Ein Mörder also, damit habe ich kein Problem, ich begann zu grinsen.
„Verstehe und Sie ? Was tat sie ? Hat sie dem toten Soldaten etwa den Schwanz gelutscht ?“,
fragte ich weiter grinsend.
Kaum hatten diese Worte meinen Mund verlassen, tat es mir leid. In Gedanken entschuldigte
ich mich sogar bei ihr.
„Offensichtlich sind sie so krank wie das System für das sie arbeiten.“
Ich nickte, weiterhin grinsend.
Eine geschickte Antwort dachte ich, er hatte recht und er war mir sogar sympathisch.
Die Schwierigkeit in einer solchen Situation ist, die Arbeit und das eigene Empfinden best möglich zu vereinbaren. Meistens ist das nicht, oder nur kaum, möglich.
Ich reagierte standardgemäss und ergriff sein Handgelenk,
knallte seine Hände auf den Tisch und drückte meine Zigarette auf einer seiner Hauptadern aus. Die Geräuschkulisse, welche vornehmlich aus seinen gellenden Schreien bestand, bestätigten mich, dass ich die richtige Entscheidung traf.
Seine Haut öffnete sich mit winzigen, kaum wahrnehmbaren, platzenden Blässchen, farbloses Blut rann auf den Tisch. Die Asche wurde von seiner Haut verschluckt.
Sie schluckte ebenfalls, bebte vielleicht, griff aber nicht ein.
Während ich noch seine Hand hielt blickte ich zu ihr auf und fragte sie „Sie sind also ein Paar, oder ?“.
Sie sagte nichts, nur eine weitere Träne.
„...warum töten sie uns nicht einfach ?!“ hackte es sich aus seinem Mund, zerstochert vom Filter seiner Schmerzen.
Er hatte recht. Seine Frage wurde zur meinen und ich dachte nach, bedeckte von einem wissenden Blick.
Ich nahm meine Pistole aus den Lauf, legte sie an seine Halsschlagader und drückte ab.
Meine, bzw. seine Frage, hatte ich bis dahin noch nicht beantwortet.
Die Frage und ein Teil ihres Gesichtes versank in Blut.
Das Glas kreiste unter meinen Augen, die Gedanken unter ihrer Ansicht.
Sein Blut tropfte vom Tisch und ihr Zittern zuckte aus ihren Zähnen, war leise hörbar.
„Dies war keine Hinrichtung sondern ein Unfall.“, warf ich flüstern ein,
bevor es erneut auf den Boden tropfte.
Ich nahm einen weiteren Schluck.
Das Geräusch der Tür drang an mein, vom Schuss der Pistole betäubtes Ohr.
Der junge Soldat blickte verstört hinein.
„Alles in Ordnung !“, schrie ich.
Die Tür schloss sich hinter ihm.
Ich drehte, rauchte, trank und sah sie wieder an.
Die Spritzer auf ihrer Wange sahen aus wie das Make-up einer anderen Welt.
„Wissen sie wer ich bin ?“, fragte ich und bemerkte dabei eine dämliche Betonung in meinen Worten.
Sie schwenkte den Kopf, ich deutete es als ein Nein.
„Dein Henker, meine Schöne.“
Sie nickte nun und es schien dass sie keine Angst mehr habe.
„Ich will dich nicht töten.“
Sie nickte erneut.
„Ich werde dich töten.“
Wieder, ein Nicken.
„Willst du denn leben ?“
Nicken.
„Ich auch.“
Ich komplettierte ihr Make-up und freute mich auf meinen Saft zuhause, denn er war so gesund.