- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Sabotage
Ich sitze in einem bequemen Stuhl, mein Rücken wird gut unterstützt, meine Füße ruhen auf einem Schemel. Vor mir hockt ein Mann, ich kann ihn noch kaum erkennen. Zuerst wollte ich ihn nicht, es widerspricht meiner Haltung, dass da jemand vor mir kauert und sich um meine Füße kümmert. Aber er sieht mich freundlich an und flüstert: "Lass dich drauf ein."
Das versuche ich. Ich spüre, wie er erst einen, dann den anderen Fuß in seine kundigen Hände nimmt, und ihn langsam, sorgfältig mit dem Balsam bedeckt. Ein biblisches Wohlgefühl kommt auf. So fühlt sich Füße salben an? Immer wieder streichen seine Finger zart über meine Füße, ich spüre intensiv, wie gut es ihnen tut, wie das heilende Öl durch die Poren dringt und die Haut nährt. Selig, so fühle ich mich. Völlig entspannt. Ich will mich nur diesem Gefühl hingeben, nichts denken, nichts tun. Alles schwindet aus meiner Aufmerksamkeit, ich will jetzt nur Füße sein, nur diese Wohltat spüren. Nicht überlegen, wohin diese Füße mich morgen tragen sollen.
EIGENTLICH HÄTTEN SIE DAS GESTERN SCHON!
Ich schieße hoch aus dieser Situation, durch das dichte Gewässer der Träume, verlasse wie ein Schwertwal auf Jagd kurzzeitig das umgebende Nass und klatsche schwer zurück auf die strudelnde Oberfläche auf. Ich bin wieder wach. Ich versuche, mich zurück in den Halbtraum zu wühlen, suche die Salbe für meine Füße und den freundlichen Menschen, der für mich sorgte - alles weg. Auch ein Einkuscheln zwischen Kissen und Bettdecke bringt die Bilder nicht wieder, vorbei. Stattdessen rattern die Gedanken, der Antrag im Amt, das Schreiben, das ich dringend beantworten muss, überhaupt, wann war denn noch der Termin? Und wie lange geht die Frist? Ja, und ich habe vergessen, die Bücher in die Bücherei zu bringen, das kostet ja jetzt schon ab dem ersten Tag der Verspätung, und ein Euro fünfzig pro Buch, wie viele Bücher sind denn wohl überfällig? ... An Schlaf ist nicht zu denken.
JETZT IST DIE ZEIT ZU RUHEN, sage ich mir. Es hat keinen Zweck, dass ich jetzt Probleme wälze und morgen abgekämpft und unausgeschlafen in den Tag gehe. ZEIT ZU RUHEN. Ein Zauberwort. Meine Gedanken, diese nachtaktiven Saboteure, ebben langsam ab, werden leise, und ich suche eine neue Fantasie, um in den Schlaf zu kommen. Ich wechsele die Seite, erfühle ganz bewusst, welche Teile meines Körpers die Unterlage berühren. Meine Knie liegen im rechten Winkel zu meinem Rumpf, genauso meine Ellbogen, und ich lenke meine ganze Aufmerksamkeit auf die linke Hälfte meines Brustkastens, spüre die Rippen, die das Gewicht meines Oberkörpers ableiten in die Matratze. Ich atme ruhig, bei jedem Einatmen hebt sich mein Brustkorb gegen die Bettdecke, bei jedem Ausatmen sinke ich tiefer in den Untergrund. ICH LASSE LOS. WERDE GETRAGEN. Angenehm. Ich lasse es zu, dieses Ein und Aus, gleite dahin.
Plötzlich gleißendes Licht in meinem Schlafzimmer. Der Bewegungsmelder der Nachbarn gegenüber scheint direkt herein. Also ist jetzt Sechs Uhr Zwanzig, ich setze mich im Bett auf. Da fährt mein Nachbar vor, das Auto ist schon aus der Garage geholt, er schließt das Tor, und heute ist sogar seine Frau an der Haustür. Neid kommt auf: sie ist mit ihm aufgestanden, sie haben gemeinsam gefrühstückt, und bestimmt geben sie sich jetzt einen Kuss. Doch sie deutet nur auf etwas, er folgt ihrem Zeigefinger. Andererseits, ich muss mit niemandem aufstehen, ich darf noch gut zwei Stunden schlafen, wenn ich es denn schaffe. Ich will mich gerade wieder hinlegen, da küssen sie sich doch noch, der Mann steigt ein, fährt los, hupt. Ich frage mich, warum er jeden Morgen hupt, ob er keine Angst hat, die Nachbarn zu wecken. Allerdings bin ich noch nie davon wachgeworden, immer sind es meine Gedanken, die mich aus dem Schlaf katapultieren.
Aber ich will schlafen. Ich lausche auf die nahe Autobahn, von der sich bei feuchtem Wetter ein Rauschen ausbreitet, und ich stelle mir die Masse an Autos vor, die vorüberziehen, wie eine ganze Schafsherde. Jedes einzelne zieht vorbei, und ich folge jedem mit meinem Blick, der müder und müder wird. Es bleibt nur die Bewegung, eine Gleichmäßigkeit, selbst die Sirene in der Ferne ist ein Teil in diesem Fahrkonzert. Sirene? Krankenwagen? MIST, WANN BESUCHE ICH MEINE MUTTER IM KRANKENHAUS?
Ich zucke zusammen, meine Muskeln spannen sich, bereit zur Tat. Flucht oder Kampf. Dabei will ich jetzt doch gar nichts. Ich stehe auf, um meinen Körper zu bewegen, stolpere durch den dunklen Flur zum Klo, pinkle, kühle Hände und Stirn mit Wasser. Kurz überlege ich, ob ich den Computer anwerfe, den Tag schon jetzt beginne. Aber eigentlich bin ich müde und brauche Schlaf. Wenn nur alle meine Teile zusammenwirken, mich keiner sabotieren würde!
Die verbleibende Nacht ist begrenzt. Wenn ich jetzt nicht schlafe ... Ich versuche, nicht unter Druck zu geraten mit der Zeit. Inzwischen kenne ich mich damit aus, dass Zwang nun gar nichts bringt. Oder Hetze. Ich trinke noch zwei Schlucke Wasser aus der Flasche am Bett und lege mich wieder auf die rechte Seite. Versuche, der Flüssigkeit in mir zu folgen. Jetzt fließt sie sicher aus dem Magen, am Zwölffingerdarm vorbei, und ich stelle mir die Windungen in meinem Inneren vor und die Freude der Zellen über diese Zufuhr. Wie gut das tut.
Ein Piepen weckt mich auf. Acht Uhr Dreißig. Na also, geht doch.