Was ist neu

S. Wehrlos.

Mitglied
Beitritt
12.04.2002
Beiträge
421

S. Wehrlos.

S. Wehrlos.
(Prosa, in brutalrealistischem Stil aus meinem Gedicht- und Prosaband
"Bilder im Kopf. ´s ist Krieg. Eine Reise ins Grauen." Verlag Pro mente Linz, 1999.
Frei nach dem Roman "Als gäbe es mich nicht" von Slavenka Drakulic, Aufbau-Verlag.
Originaltitel: "Kao da me nema" – Aus dem Kroatischen übersetzt von Astrid Philippsen)

"Ein Mensch überlebt durch seine Fähigkeit zu vergessen."
Warlam Schalamow, Geschichten von der Kolyma.

Die Serben kommen am Morgen über ein wehrloses, schlafendes Dorf. Soldaten in Tarnanzügen, weiß wie der Schnee, ziehen einen engen Ring um die Häuser. Die Rohre der Panzer, sie blicken bedrohlich. Aus manchem Gewehr verdröhnt ein Schuss. Das Dorf war schon lange zuvor erwacht vom Brummen der Motoren.

Die Erde erbebte, die Mauern zerwackeln, die Fenster verklirren. Und die Menschen? … Die Menschen erzittern und die Kinder? … Die Kinder, sie weinen, so leise und still. Dann bersten die Türen unter den Stiefeln. Die Freischärler dringen ins Haus. Die Kalaschnikows zersägen die Böden, Wände und Decken. Die Seelen verzittern. Bäuche erbrechen, Gedärme verstinken, und Hoden verrinnen. Die Herzen verpulsen, Gedanken verrasen und Augen verglasen an Hämmern und Messern. Ein wogendes Meer der Angst steht wie düsterer Frühlingsmorgennebel über dem befallenen Tal.

Gewehrkolben zersplittern Köpfe. Die Schenkel der Weiber gespreizt. Kindsleiber zerbersten an Schlägern, die sonst einen Baseball weit dreschen. Alle wehrlosen Männer zwischen zwölf und fünfundsechzig, über zweihundertundvierzig an der Zahl, werden zusammen und unter Stößen und Schlägen fort getrieben. Irgendwann dann hört man auf ein Mal Schüsse. Diese wehrlosen Jungen und Männer hat nie wieder ein Jemand gesehen.

Die wehrlosen Frauen und die wehrlosen Kinder werden in einen wehrlosen Bus gepfercht. Die Fahrt geht über eine schmale, kurvige Straße über die Berge in Richtung zur Grenze. Als der Bus in einem wehrlosen Waldstück hält, kurz zum Pinkeln, läuft keine dieser Wehrlosen davon, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre. Doch die Furcht sitzt tief in den wehrlosen Beinen, jeder einzelne Schritt wird zur Qual. Gehirne vermalen wehrlos Gedanken, die sich um die erschossenen Männer, die Freunde, die Verwandten, die Bekannten, die Kinder verquälen.

In einer großen Lagerhalle einer wehrlosen Fabrik jenseits der Grenze werden die wehrlosen Frauen und die wehrlosen Kinder untergebracht. Sie schlafen auf dem nackten Betonboden, in den ersten Tagen ganz ohne Decken. Ende März, Anfang April. Draußen liegt Schnee, es ist bitter kalt. Es wird gestritten um den einzigen tropfenden Wasserhahn, trockenes Brot, etwas Salami. Auf ein Mal geht es Allen nur noch ums eigene Überleben. Eine Erfahrung, die keine der Frauen, die keines der Kinder versteht.

Und dann kommen die ersten wehrlosen Geschichten. Es werden Geschichten erzählt: vom FRAUENRAUM. Furchtbare, so grausame, so Angst machende Geschichten. Und diese Geschichten werden immer mehr und mehr. Und manche der wehrlosen Frauen, und manches der wehrlosen Mädchen ward niemals wieder gesehen.

S. hält Distanz. Nichts hören. Nichts glauben. Nichts sehen. Nichts sagen. Und schon gar nicht was denken. Nur nicht seine Integrität, seine Würde verlieren. Letzte Erinnerungen an eine frühere, menschlichere Welt. S. versucht zu helfen. Sie verbindet die Wunden der wehrlosen Leiber an Händen und Füßen, an Brüsten und Scham der wehrlosen Weiber. Sie legt ihre kühlen und doch so wehrlosen Hände auf durchdrehende wehrlose Köpfe, die wehrlos an ihrer Wehrlosigkeit erkranken.

S. sieht nicht hin, wenn "Soldaten" die wehrlosen Mädchen und die wehrlosen Frauen holen. S. sieht zwar, doch sie will gar Nichts von wissen. Es ist S., als gäbe es S. nicht. S. ist ab nun: S. Wehrlos, ein völlig anderes und so wehrloses Wesen.

S. Wehrlos stellt sich vor, wie sie sich wehren wird, wenn sie an der Reihe ist. Lieber sterben, als......

Doch als dann tatsächlich einer auf S. Wehrlos zeigt, steht S. Wehrlos auf und geht still, schweigend und wehrlos hinterher. Alle Gedanken vergessend. Es heißt: Ab zum Verhör. Man führt sie zum Verwaltungsgebäude. Ihre Knie sind so weich und so matsch, wie draußen der Frühlingsschnee auf den wehrlosen Feldern. Ein Mausauge, gefährlich blinkend, zieht seinen Gurt aus der Hose. Er lacht hämisch und befiehlt ihr sofort, sich zu entkleiden. Doch ihre Hände zittern so sehr, dass sie die Knöpfe der wehrlosen Bluse nicht findet. Da ziehen auch die anderen die Gürtel aus der Hose und schnalzen damit mannhaft auf einen Tisch. Sie versucht sich zu beeilen. Doch kein Gefühl in den Fingern, die Arme sind schwerer als Blei. Es dauert zu lange. Da reißt ihr ein Ganzer Mann die Bluse in wehrlosen Fetzen vom Leib. Ein Gürtel verschnalzt schneidend auf ihrem nackten Rücken. Ihr wehrloser Schrei zerhallt an der Wand. Dann eilen die anderen zwei dem Monster Mausauge zu Hilfe. S. Wehrlos liegt in der Luft, wehrlos, während die Jean sich über die Knie, die Füße befreit. Ihr wehrloses Höschen zerreißt schmerzhaft nach oben gezogen durch das empfindliche Gespalt ihrer Beine. Dann fliegt sie von Einem zum Andern. Brutal verkreischen die Brüste an so harten Händen und Fäuste treffen verschwellend im blutigen Blau ein wehrlos Gesicht.

S. Wehrlos steht dann im Raum. Ein wehrloses Wild umstellt von den Jägern. Gierige Blicke vergleiten auf ihren Brüsten, den Hüften, der Scham. Die Blicke kriechen hin über ihren Körper. Sie spürt es. Sie sind feucht, schleimig, heiß, wie glühende Kohlen. Wehrloses Blut schießt verlavend in ihre noch jungfräulichen, so schönen muslimischen Titten. Die Augen der Tiere verweiden sich am angstvollen Steif der Warzen. Die Augen, diese Augen, sie kann ihnen nicht entkommen. Diese Augen der Jäger hängen noch heute in ihren Träumen so wehrlos und schwer über ihr. Ihr Herz schlägt lauter als laut und übertönt all ihre anderen Gedanken. Zigarettenrauch verblast brennend in ihren wehrlosen Augen. Erste Tränen verdecken ihr jede Sicht. Und dann fallen die wilden Tiere ganz wild über sie her.

S. Wehrlos wird von drei wilden Tieren auf einen Tisch geworfen. Ihre Hände bindet man mit einem Gurt nach hinten lang über den Kopf. Zwei wilde Tiere halten ihre wehrlosen Beine. Das Dritte dringt tief in sie ein. Schmerzen zerfetzen ein Gefühle, ein einziges Nein verschreit einen Wahn. Im Herzen, im Bauch, im Kopf ein Gewühle, ein Seelenvernarren, ein Wahnsinn bricht an, und weit und breit kein Mann in der Nähe, der aufhorcht und hört ihren Schrillschrei um Hilfe, als tief versinkt im wehrlosen Brustfleisch so scharfes Weh von Zahn an Zahn. Danach spürt sie nichts mehr, außer einem Stoßen, von dem sich der Tisch so Ruck um Ruck übers Linoleum verquietschend immer weiter Richtung Fenster schiebt.

Irgendwann betreten weitere wilde Tiere den Raum. Ein endloses Geschiebe. Irgendwann verfällt sie in Apathie. Sie wendet den Kopf wehrlos zur Wand. Dort beobachtet S. Wehrlos eine wehrlose Fliege mit grünem Hinterleib, die nach einem langen Winter noch ganz benommen, fast wehrlos die Wand in einem Sonnenstrahl auf- und abläuft, getrieben von einem neuen Leben.

Irgendwann sieht S. Wehrlos ihre in die Luft gestreckten wehrlosen Beine, dazwischen einen Männerkopf. Sie sagt sich: "Dies sind meine Beine." Doch S. Wehrlos fühlt sie nicht. S. Wehrlos denkt: "Es ist, als gäbe es mich nicht. Als wäre ich gar nicht vorhanden. Als gäbe es mich nicht mehr. Mein altes Leben ist gestorben." Sie spürt nur den harten Tisch unter ihrem Rücken, der sich noch immer zum Fenster hin schiebt und quietscht. Nein, nicht noch immer. Schon wieder. Die wilden Tiere stellen den Tisch immer und immer wieder ans andere Ende des Zimmers. Und sie schieben und schieben ihn um die Wette und lachen dabei.

Durch das Fenster kann S. Wehrlos den Hof und mehrere Wachtposten sehen. Der Tag ist schön und sonnig. Ein schöner Frühlingssonnentag. Die warme Sonne fällt warm über sie her. Doch sie zittert. So kalt. So furchtbar, furchtbar kalt. Und sie fühlt einen Berg von Eis zwischen ihren Beinen. Und das Zimmer ist erfüllt vom Stöhnen. Sie weiß nicht mehr, ob ihres oder das dieser wilden Tiere. Stöhnen, nur Stöhnen, so wehrloses Stöhnen und Qietschen erfüllt ihren Raum. Und Fluchen, ja, sie verfluchen ihre Mutter, ihren Vater.

Einer versucht sich ihr einzuprägen. Er dreht brutal ihr Gesicht zu sich hin und brüllt: "Du wirst an mich denken, du Hure." An sein Gesicht kann sie sich aber nicht mehr erinnern, nur dass er stank. Er stank nach Krieg, nach Soldat, nach ungewaschener Uniform, nach Feld, nach Alkohol.

Den Gestank, diesen urinigen Moder kann sie auch heute noch riechen. Er ist immer und überall. Er kommt im Supermarkt auf sie zu und begrüßt sie. Er schaut ihr im Kino ins Gesicht. Er greift ihr nachts, wenn sie nicht schlafen kann, geil zwischen die Beine. Ja, es ist noch immer so: Als gäbe es sie nicht.

Irgendwann dann wird S. Wehrlos bewusstlos.

Sie liegt auf dem Boden. Ein Stiefel steht schwer auf ihrer Brust. Die Brüste, auf ein Mal, sie fühlt es, die Brüste, sie schmerzen. Erinnerung wallt auf, ja, sie sieht die Glut der Zigaretten, immer und immer wieder, sie verwandeln die Brust in ein zackiges Feld von stinkender Lava. Irgendwann dann enden die Schmerzen.

"Mund auf!", schreit der Stiefel. Der Stiefel presst schwer ihre Brust. Der Schmerz treibt ihr die Luft aus der Lunge. "Mund auf!", befiehlt erneut dieser Stiefel. Er steht, die Beine gespreizt mit offener Hosentür über ihr. Tritte eines anderen Stiefels prasseln erneut ohne allzu großen Schmerz. Ein Stiefel versinkt tief zwischen ihren Beinen. Auch diesen Schmerz spürt S. Wehrlos nicht sehr. Doch S. Wehrlos öffnet nun wehrlos den Mund. Harn spritzt in langem Strahl. "Trink!", befiehlt der Stiefel. "Ich werde dir Gehorsam beibringen, du Hur!" S. Wehrlos versucht zu trinken. Der Urin ist warm und schmeckt salzig. Sie muss erbrechen. S. Wehrlos hustet und erbricht über den Stiefel. Der Stiefel flucht und tritt ihr hart ins Gesicht. Nun trinkt sie gehorsam, wie ein wehrloses Kind. Auch die anderen Stiefel lassen ihr Wasser. S. Wehrlos trinkt und trinkt. Wieder prallen Schläge, Schläge mit der flachen Hand. Die Schläge sind hart. Ihr Kopf pendelt von einer Seite zur anderen, doch es tut gar nicht mehr weh. Ihr ist völlig egal, was sie mit ihr machen.

S. Wehrlos will überleben, nur überleben. Und dies ist nur möglich, wenn S. Wehrlos sich abspaltet, abspaltet von ihrem wehrlosen Körper. Es ist gut so, so als gäbe es sie nicht. S. Wehrlos wird wieder geschlagen, weil sie sich nicht bewegt. Sie soll sich bewegen, wie eine Hure, sagen die Tiere, nein, sie befehlen es ihr. Dann wird S. Wehrlos wieder bewusstlos.

Schläge prasseln wieder ohne allzu großen Schmerz. Diese wehrlose Welt ist so fern und doch so nah. Und wieder wird S. Wehrlos bewusstlos.

S. Wehrlos wacht auf: im FRAUENRAUM. Viele wehrlose Frauen werden mit ihr dort gefangen gehalten. In jeder wehrlosen Nacht kommen neue "Soldaten". Die Betrunkenen und die Ganzen Männer sind die Allerschlimmsten. Manch Wehrlose kommt nicht mehr zurück. Der wehrlose Körper von S. Wehrlos wird zu einem fremden, wehrlosen Gegenstand. Der wehrlose Körper riecht nach dieser Ganzen Männer Schweiß, nach Sperma, Speichel und Urin. S. Wehrlos wäscht sich ständig mit wehrlosem Wasser und wehrloser Seife. Doch ein so fremder, wehrloser Körper stinkt und stinkt.

Eines Tages beginnt S. Wehrlos sich zu schminken. Annehmen einer neuen, falschen Identität. Tausch - Wehrlosigkeit gegen Wehrlosigkeit. Wer verführt, wird nicht vergewaltigt. Neue Logik ihres Selbstbetrugs. Eine Logik der Wehrlosigkeit, die sogar funktioniert.

S. Wehrlos ist die einzige Universitätsabsolventin im Frauenraum. Der Lagerkommandant braucht eine wehrlose Geliebte. Sie reden, sie essen, sie schmusen. Er schläft mit S. Wehrlos. Mit der Zeit übernachtet S. Wehrlos in seinem Bett. Normalität kehrt ein. Sie schauen gemeinsam fern, sind wie eine kleine Familie. Sie reden nicht über seine "Arbeit". Sie philosophieren über die Welt. Doch der Krieg bleibt dabei draußen. Es ist, als gäbe es ihn nicht.

S. Wehrlos könnte ihn nachts, wenn er schläft, in seiner Wehrlosigkeit, erschießen. Die Pistole hängt in einem Halfter über dem Bett. Aber S. Wehrlos tut es nicht, denn dies würde ihren Tod bedeuten. Wohin könnte sie schon fliehen? Und: Sind sie nicht ein wehrloses Liebespaar? Wehrlos ausgeliefert an eine wehrlose Welt? Doch vor allem wohl: S. Wehrlos ist gar nicht wehrlos. Denn S. Wehrlos ist ein MENSCH.

Der Sommer vergeht, der Herbst, und dann kommt wehrlos der Winter. Weihnacht steht wehrlos vor der Tür. Bei einem Gefangenenaustausch wird auch S. Wehrlos "ausgetauscht", so als gäbe es sie nicht. In einem Auffanglager hinter der bosnischen Grenze fällt sie am zweiten Tag wehrlos in Ohnmacht. Ihr war schon den ganzen Tag so schlecht. Im Lazarett sagt ihr eine Ärztin: "Sie sind schwanger! Im fünften Monat." S. Wehrlos meint wehrlos: "Das gäbe es nicht!" Sie hat es nicht gewusst. Nein, im fünften Monat! Nein. Nein. Nein. Das kann nicht sein. S. Wehrlos weint und denkt wehrlos: Als gäbe es mich nicht.

Und die Welt, diese Welt, dreht sich einfach wie wehrlos weiter, ganz so, als gäbe es S. Wehrlos nicht.

© Copyright by Lothar Krist (August 1999)

[ 03.07.2002, 22:44: Beitrag editiert von: buji ]

 

Bibliothekar behallot Buji!

Inhaltlich sehr gut, stilistisch und sprachlich buji.
Leider ist das aber keine Horrorgeschichte, daher möchte ich Dich bitten, Dir zu überlegen in welche Rubrik ich die Story verschieben soll.

Ugh

 

Lieber Bibliothekar!

Keine Ahnung, wo dieser Horror sonst hinpassen könnte, als in Horror. Höchstens Gesellschaft. Keine Ahnung. Geschichten wie diese passen wohl nirgendwo hin. Sie fallen unter unsere Tabus.

Verfüge über sie nach Belieben.

Beste Grüße
Lothar

 

Hallo Buji!
Die Geschichte fällt nicht unter meine Tabus, aber dieser Horror passt einfach nicht in das Genre der phantastischen Horrorliteratur.

Wenn die Gesellschafts-Mods nichts dagegen haben, werde ich die Story dann in ihre Rubrik verschieben, da sie dort auch meiner Meinung nach besser aufgehoben wäre.

Ugh

Nachtrag:
Ich hab da was beim Stöbern gefunden, vielleicht interessier Dich das: http://de.groups.yahoo.com/group/konfuselyrik/

[ 29.06.2002, 20:55: Beitrag editiert von: Bibliothekar ]

 

Hi Kristin!

Danke für Deine Worte. Ja, ich habe Interesse an einer Verbesserung. Wahrscheinlich könnte ich das Wort "wehrlos" mehrfach entfernen, habe auch schon daran gedacht. Konnte mich aber nicht dazu durchringen. Bin schon neugierig.

Liebe Grüße
Lothar

P.s.: Wollte schon vorgestern antworten, noch im Forum "Horror", habe eine Menge geschrieben, klickte dann auf "antworten", dann war Alles weg, weil die Geschichte inzw. verschoben war. Na ja, Schicksal. In Zukunft arbeite ich wieder zuerst mit dem Editor. Ein Mal zu faul, und ....

 

Hi Kristin!

Vorerst ein Mal Herzlichen Dank für Deine Mühe.

1.a) Mit Deiner Kritik der Einleitung hast Du Recht. Sie zeigt wohl von einer gewissen Unsicherheit meinerseits. Wären meine Prosageschichten hier in kg.de nicht großteils so verrissen und vor Allem so sehr missverstanden worden, (in anderen Foren war das ja bisher nicht so extrem der Fall), dann hätte ich wohl die Einleitung ausgelassen, bei einigen anderen Geschichten zuvor wohl auch. Aber an dieser Geschichte, wie auch am ganzen Kosovo-Buch, hängt mein ganzes Herzblut. Ich wollte ihr nicht irgendeine sinnlose Kritik antun.

Ich habe Anfang 1996 zwei Mädchen aus Bosnien getroffen, Schwestern, 17 und 19 Jahre alt, die beide 2 Jahre zuvor über drei Monate lang in einem reinen Kinder- und Frauenlager von den Serben festgehalten worden sind. Die ältere der beiden hat mir die furchtbarsten Geschichten erzählt, welche ich damals kaum glauben wollte. Ihre kleine Schwester saß stillschweigend dabei und hat nie auch nur ein einziges Wort gesprochen. Dies war für mich oft eine völlig unerträgliche Situation. Manchmal hätte ich am Liebsten geweint. So ergeht es mir heute noch, wenn ich an diese zwei für immer verlorene Seele denke.

Ich habe dann mit eigenen Recherchen begonnen und so wurde das Unfassbare zur Tatsache. Ich wollte den erlebten Alptraum dieser Mädchen in Romanform festhalten. Das Buch sollte aus der Sichtweise der von uns allen im Stich gelassenen Opfer geschrieben sein, ein verzweifelter Schrei um Hilfe, direkt aus dem Schweigen heraus, vom unaussprechlichen Schmerz getragen, aber auch von der Wut, ja sogar vom Hass, der den Schandtaten nun einmal folgt. Eine wahre Geschichte über einen Neuen Heldentypus, ohne Schnörkel und Beschönigung. Ich wollte diese beiden Opfer für alle anderen sprechen lassen und sie auf ein Neues Podest stellen, denn diese beiden waren Heldinnen im wahren Sinn dieses Wortes.

Wir alle, die wir bis heute das Glück hatten, niemals Opfer derartiger Gräueltaten zu werden, begegnen diesem Leid, dieser Wut und diesem Hass mehr oder weniger mit tiefer Unverständlichkeit. Wir wenden uns viel lieber den Tätern zu, wohl auch weil uns das Böse nun einmal so fasziniert, vor allem aber, weil deren Seite uns nicht so tief in unseren Gefühlen verletzt. Niemand will sich gerne mit Leid und Schmerz beschäftigen und sich so seinen schönen Tag vertun. Doch für ein Opfer wird dieses uns so völlig Unbegreifliche zur natürlichsten Selbstverständlichkeit seiner zerstörten Welt.

Ich habe gut 1 Jahr für diesen Roman geopfert. Am Ende stand seine Unlesbarkeit. Von den Verlagen hörte ich: Verdammt gut geschrieben, ja, aber für das Gro der Leserschaft nicht lesbar. Später habe ich dann erfahren, dass es den meisten AutorInnen ebenso ergangen ist, die versucht haben, ein Buch über die ersten Jugoslawienkriege zu schreiben. Unser Problem war wohl, dass wir aufgrund der Nähe des Krieges und der uns Allen bewussten Vorgänge des Grauens dort unten, versucht haben, die Schicksale einzelner Opfer zu verdeutlichen. In den meisten Kriegsbüchern bisher war es ja eher umgekehrt. Täter wurden zu Helden umfunktioniert, das Leid der Opfer wurde nur angerissen, bloß mit wenigen Worten bedacht, umschrieben, somit verschwiegen, und dies führte die Werke zum Erfolg. Wir leben ja nun mal in einem Zeitalter des Täterhumanismus. (Slavenka Drakulic erging es übrigens mit ihrem ersten Buch ebenso, so viel ich weiß, hörte sie mitten drunter auf.)

Ich habe versucht, hinter die Worte Folter, Vergewaltigung, Vertreibung, sexuelle Auslöschung eines Volkes, Mord und Krieg zu schauen. In den meisten Büchern liest man (oft nur so nebenbei), dass zB eine Frau vergewaltigt wurde. Mehr ist nicht. Der Rest bleibt dem Leser überlassen. Der Text geht dann gleich wieder in die Heroik des Täters, des Kriegers über. Meist ist es natürlich ein „guter Krieger“, der den Opfern hilft. Trotzdem aber ist und bleibt er für mich Täter, er ist einer der Akteure, kein hilfloses Opfer. Und durch ihn sterben wohl auch andere schuldlose Opfer. Aber unsere sich mit den LeserInnen so gerne verkumpelnden AutorInnen, die ja vom Schreiben leben wollen, gehen einfach darüber hinweg. Ich aber wollte nur dieser Hilflosigkeit, nur dieser Verlorenheit, nur diesem Schweigen der Opfer Ausdruck verleihen. So Etwas ist jedoch nicht gefragt, es trübt ja den schönen Tag. Das Lesen soll ja Freude bereiten, eventuell noch Bedenklichkeit, aber tiefer soll es nicht gehen. Nein, da sind schon die Verlage unserer Gutmenschlichkeit vor. Der Leser ist schließlich zu schützen vor der Realität.

Als dann 1999 im März zu Beginn des Kosovokrieges die Berichterstattung in den Medien losging, da wusste ich, dass alles wieder so kommen würde, wie im Bosnienkrieg. 400.000 oftmals massenvergewaltigte Kinder und Frauen. Ich verfolgte im Fernsehen einen „Runden Tisch“ mit Joschka Fischer, einem der härtesten, ehemaligen Verfechter des reinen, aber militanten, Pazifismus, und da stand auf einmal der Terminus „es gibt doch einen gerechtfertigten Krieg“ im Raum. Und da machte es bei mir auf ein Mal "Klick". In einer einzigen Sekunde war plötzlich Alles da. Ich wusste, wie ich dieses Buch schreiben würde. Keinen Roman. Aber die Erzählung einer Reise in den Krieg, einer Reise ins Grauen, auf eine andere, ganz neue Weise, mit höchster Intensität und Anlehnung an die tatsächlichen Geschehnisse. Kleine Einzelschicksale, aufbereitet in Form von Gedicht-Geschichten, balladenartig, und in Form von Prosa, und nur auf der Seite der Opfer stehend. Kein Verstehen der Seite der Täter. Dies bewusst, denn kein Opfer wird jemals den Täter verstehen, und der Täter findet auch so seine zahlreichen Verteidiger unter den allzu vielen Täterverliebten dieser Welt, außerdem hat kein Täter aufgrund seiner Handlungen jemals seine Worte verloren, kein Täter sieht sich je von unserer Welt ins Schweigen gedrängt.

Für Täter gibt es immer ein Verständnis, und einen bösen Vater hatte ein böser Täter allemal. Also sollte es ein Gedicht- und Prosaband sein, aus dem tiefen Schweiger der Opfer heraus.

O Mann o Mann, was ich mir da wieder anhören musste, von Verlagen und von Kritikern, als dann das Buch doch erschienen ist: ich würde zu heiß schreiben, der Autor müsse cool bleiben, die Hitze dürfe erst beim Leser entstehen. Ich würde den Hass predigen (als ob man den Hass dorthin schreiben könnte, wo nichts Anderes mehr ist, als Hass). Ich hätte eine undifferenzierende Sichtweise (als ob man noch differenzieren könnte, wenn einem die Scheiße bis über die Augen steht). Niemand kann sich vorstellen, wie sehr mir dieses bornierte Gutmenschengesülze auf den Geist geht.

Na ja, diese Kritiken habe ich mir so ähnlich auch hier in kg.de zu S. Wehrlos erwartet. Mit dem Hinweis auf den Roman von Slavenka Drakulic wollte ich dem ein wenig den Boden entziehen. Schließlich ist sie eine Frau. Ein Verleger, der meinem Buch eigentlich sehr positiv gegenüber gestanden ist, der aber auch Geld von mir sehen wollte, und ich zahle grundsätzlich nichts mehr für die Veröffentlichung eines Buches, meinte: Wenn ich eine Frau wäre, würde er das Buch ungeschaut veröffentlichen, es könnte ein Hit werden. Aber als Mann könne ich mir sicher sein, dass man mir alle möglichen Vorhaltungen machen würde, wie zB, dass ich mich an meiner Schreibe selber begeilen würde, usw, und er hatte ja Recht, all diese Anschuldigungen und hämischen Urteile kamen dann ja auch. Unsere Welt ist so ekelhaft.

1. b) Die Geschichte ist eine Art Nacherzählung in Prosa, meine Eigenleistung ist eigentlich nur der Bezug auf die "Wehrlosigkeit". Die "Heldin" im Buch heißt: "S."
Ich machte daraus: S. Wehrlos, und wollte auf die Wehrlosigkeit dieser kleinen Welt im Krieg hinweisen. Natürlich habe ich der Geschichte großteils meine eigenen Worte geliehen. Ein paar Kleinigkeiten habe ich hinzu gedichtet, die mir aus meinen eigenen Ermittlungen bekannt waren, zB diese Sache mit dem Hammermörder (siehe unten), deshalb auch das „Frei“ nach ….

2.) “Das Dorf war schon lange zuvor erwacht vom Brummen der Motoren.“
Das Umstellen des Dorfes dauerte ja eine Weile, trotzdem kamen die Serben über ein schlafendes Dorf (und anschließend dann über die erwachten Menschen). Ein Dorf schläft um 5.00 Uhr früh noch. Das darf man nicht so eng sehen. Ich wollte mit der zeitlichen Distanz nur auf das Trauma hinweisen, die Unsicherheit, die in der Zwischenzeit, zwischen dem Erwachen und dem ersten Eintreten der Türen, in den Menschen steckte. Manche versuchten ja noch zu fliehen, deshalb die vereinzelten Schüsse. Und so lange dauerte der Aufmarsch ja auch nicht, vielleicht eine gute Stunde.
Aber vielleicht sollte ich doch schreiben: "Die Dorfbewohner waren schon lange zuvor erwacht vom Brummen der Motoren." Mal sehen, ich werde darüber nachdenken.

Es gab keinen Kampf. Das Dorf war den Serben wehrlos ausgeliefert. Die Soldateska drang in die Häuser ein, wer sich nicht beeilte, wurde bei diesen Vorgängen üblicherweise gleich erschossen, so zB alle ganz alten Männer und Frauen. Frauen wurden vor ihren Männern in den Ehebetten vergewaltigt. Säuglinge, die nur hinderlich sind beim Abtransport, wurden zertreten, deren Köpfe an den Hauswänden zerschlagen.

Na, wenn das keine Katastrophe ist, wenn da keine Herzen verpulsen, keine Gedanken verrasen. Mit "Augen verglasen" meinte ich, dass mancher Dorfbewohner, manche Dorfbewohnerin gleich durch ein Messer, einen Hammer oder ein anderes Schlagwerkzeug starb. Jede dieser Freischärlertruppen hatte einen eigenen "Henker" mit. Bei Arkans "Tigern" gab es einen wahren Riesen, der mehrere Golfsäcke mit den unterschiedlichsten Schlagwerkzeugen mit hatte, zB div Golfschläger, Baseball-Schläger, alle möglichen Arten von Hämmern, Hacken, usw. Dieser Killer hat oft minutenlang vor den einzelnen Opfern genüsslich nach der richtigen, individuellen Waffe gesucht und sich seinen Spaß mit den Einzelnen gemacht, während das ganze Dorf dabei zusehen musste. In anderen Einheiten wurde diesem Killer dann bald nachgeeifert. Dieser Typ ist heute ein Held in Serbien.

Im ziemlich unbekannten (Underground)Film "Savior" von Peter Antonijevic, produziert von Oliver Stone, mit Dennis Quaid und Nastassja Kinski in den Hauptrollen siehst Du so einen Killer an der "Arbeit". Der Film hatte keinen Erfolg, er kam nie ins deutschsprachige Kino, weil er zu realistisch, zu opferbezogen war. Auch dieser Film bekam als Kritik den Vorwurf, dass er eine "undifferenzierende Sichtweise" vertreten und darstellen würde. Für mich ist das einer der realistischsten Anti-Kriegsfilme. Es wird die Geschichte eines serbischen Mädchens erzählt, das in einem kroatischen Lager so lange geschändet wurde, bis es schwanger war. Dann wurde sie ausgetauscht. Zu Hause bei ihren eigenen Leuten galt sie als Kroatenhure. Der eigene Bruder wollte ihr das Kind aus dem Leib treten. Ein wahrer Horrorfilm, mitten heraus aus unserem Leben. (www.amazon.de)

3.) Du hast Recht. Es muss heißen: Ein wogendes Meer der Angst steht wie ... Ich werde es berichtigen.

4.) Über "Zweihundertundvierzig" an der Zahl - ich dachte, das würde man jetzt auseinander schreiben, bin mir aber nicht mehr sicher. Werde es ändern.

5.) "ein Jemand" gefiel mir und tut es noch immer. Ich wollte es irgendwie personifizieren, aber doch nicht so weit bis zum "Menschen" gehen, dies sollte für mich persönlich die Unterscheidung darstellen. Schließlich kommt dann ja bald der Übergang zu den "Tieren".

6.) Mit der Verwendung des Wortes "wehrlos" wollte ich die Wehrlosigkeit dieser Welt darstellen. Ein Bus, der vielleicht von einer Stadt angeschafft wurde, die Kinder sicher in die Schule zu bringen, ist nun wehrloses Transportmittel, zweckentfremdet, er kann nichts gegen seine Verwendung einwenden, er wird missbraucht. Ebenso das Waldstück, indem ansonsten Menschen herum wandern, sich erholen vom Alltag. Die Beine, die uns ansonsten stark durchs Leben tragen, versagen, haben keine Kraft mehr zur Flucht, sind wehrlos ausgeliefert an den Wahnsinn. Eine Fabrik, in der zuvor Geschirr hergestellt wurde, zur täglichen Freude des Verzehrs genüsslicher Speisen, wurde vom Krieg still gelegt und wird nun als Kinder- und Frauenlager missbraucht, - kann sich nicht dagegen wehren. Auch die Geschichten prasseln wehrlos auf die Gefangenen ein. Detto Bluse, Wasser, Seife, Winter, das schöne Weihnachten. Ich personifiziere mit diesem Wort "wehrlos" die einfachen Dinge des Lebens, erhebe sie in einen feierlichen Rang. Über die Hände werde ich nachdenken, auch über einige andere Stellen. Du hast wohl Recht. Habe es ja, wie gestern schon angedeutet, selbst gefühlt, dass da zuviel ist.

7.) "... ward niemals wieder gesehen".
"Wird" klingt so komisch. Außerdem ist die Verwendung des Wortes "ward" in diesem Fall so ein alter Brauch. Man findet es oft in den alten Märchen (Brüder Grimm) - ... und er ward niemals wieder gesehen.

8.) "... sie will gar Nichts von wissen."
Ich schreibe „Nichts“ in Fällen, wie diesen, immer groß. Als Hervorhebung. Derartiges, wie auch das Wort "Etwas", "Das, Was", usw zieht sich durch all meine Geschichten und wurde hier in kg.de und auch anderswo schon des Öfteren kritisiert. Allgemein gesehen hast Du, habt Ihr natürlich Recht. Aber für mich haben diese Worte in manchen Situationen eine eigene Bedeutung. Ebenso die Worte "Neue", "Alte" (Welt, Zeit, usw), sie werden für mich zu einem einzigen, eigenen und sehr wichtigen Begriff. Deshalb bin ich aber sicher nicht arrogant, wie manche hier das unbedingt glauben wollen. Ihr werdet, abgesehen von diesen meinen Eigenheiten, nicht sehr viele Fehler finden in meinen Geschichten.

9.) "Es ist S., als gäbe es S. nicht."
S. spricht man ja "ES" aus, also haben wir hier so eine Art Verdoppelung. Und S. gibt es ja nicht mehr. S. ist jetzt S. Wehrlos.

10.) "Ganzer Mann" ist eine Hervorhebung, eine „Verarschung“ der so genannten Ganzen Männer, die ja in Kriegen gebraucht werden, um die bösen Dinge zu tun. Im Buch gibt es auch ein Gedicht, das "Ganze Männer" heißt. Sieh es als meine Freiheit als Autor an, der sich Etwas dabei gedacht hat.

11.) Mit "Jeans" hast Du Recht. Das habe ich glatt übersehen. Wohl deshalb, weil wir hier in OÖ. meist das umgangssprachliche "Jean" verwenden. Wir sagen hier: "Sie hat ne geile Jean an." und nicht "Sie hat geile Jeans an." Das klingt ja fast so, als hätte sie 2 übereinander an.

12.) "S. Wehrlos steht dann im Raum."
Der Vorgang des Herumstoßens dauerte ja eine Weile. Ich habe ihn nicht näher beschrieben. Deshalb das "dann". Du hattest das richtige Gefühl: ich habe einen Teil der Geschichte ausgelassen.

13.) "verlavend" .... das ist eine Worterfindung von mir, kommt von Lava und soll die Hitzen der Angst verdeutlichen. Ich habe es dem Leser, der Leserin überlassen, sich hier mehr dazu zu denken. Und das Wort "Lava" ist ja nicht so unbekannt.

14.) "muslimischen Titten", ... "Unschuld"
.... diese Vermischung von Sauberkeit und Ordinärem hängt mit der Gegenüberstellung von Opfer und Tätern, deren Denken und Handeln, Fühlen und Leiden, der Erregung, zusammen. Für diese rohen, vertiert-pervertierten Täter sind die unschuldigen Brüste eines muslimischen Mädchens nichts Anderes als sie geil machende, verhasste Titten, die man zerquetschen, verbrennen, verstümmeln darf. Dies ist ja jener Teil, den ich oben ausgelassen habe, zu beschreiben. Ich spiele nur darauf an: "Zigarettenrauch verblast brennend in ihren weinenden Augen." Sie haben die Glut ihrer Zigaretten immer wieder auf ihre Brüste gedrückt, dann wieder an den Zigaretten gezogen und ihr den Qualm in die Augen geblasen. Unten nehme ich ja dann einen Bezug auf ihre malträtierten Brüste - "sie verwandeln die Brust in ein zackiges Feld von stinkender Lava".

Ich arbeite mit diesen vermischten Unschulds- und Geilheitsmetaphern (Metapher = bildhafter Ausdruck) im ganzen Buch, wie übrigens auch in vielen meiner anderen Geschichten. Das wurde übrigens von den Kritikern damals auch nicht verstanden. Für mich ist das einer der Auswüchse unseres Gutmenschendenkens. Wir kriegen die zwei Welten Opfer- und Tätersein vom Gefühl her nicht übereinander. Es widerspricht unserem opferlosen Sein. Wir können uns nicht wirklich in die Täter und Opfer hineindenken. Wahrscheinlich wollen wir das auch gar nicht.

Diese Vermischung von bildhaften Ausdrücken sich widersprechender Gefühlswelten ist übrigens auch ein großes Problem für manche hier in kg.de bei meinen anderen Geschichten. Zuerst eine schöne, geil-zarte Abhandlung und dann kommt aus dem Nichts der Hammer.

13.) "verblast" = eine Worterfindung, kommt vom "blasen". Statt in die Augen (hinein) blasen, verwende ich halt dieses abgewandelten Begriff. Er ist nicht so abgenützt, nicht so langweilig.

14.) "Und dann fallen die wilden Tiere ganz wild über sie her."
Verdoppelungseffekt. Und auch wilde Tiere benehmen sich ja nicht immer wild.

15.) "ein Gefühle" – wieder so eine Worterfindung, um einerseits die sprachliche Langeweile zu beheben, anderseits sollte es sich auf "im Kopf ein Gewühle" reimen.

16.) "Im Herzen, im Bauch, im Kopf ein Gewühle, ein Seelenvernarren, ein Wahnsinn bricht an, und weit und breit kein Mann in der Nähe, der aufhorcht und hört ihren Schrillschrei um Hilfe, als tief versinken im wehrlosen Brustfleisch so scharfes Weh von Zahn an Zahn."
- einer meiner Lieblingssätze, nicht leicht zu lesen, okay, aber das ist ja anscheinend die ganze Geschichte nicht. Der Satz allein hat mich sicher eine ganze Stunde gekostet. Und trotzdem ist es gut, dass Du mich darauf angesprochen hast. Ich habe trotz der vielen Zeit, die ich für ihn aufgewendet habe, und obwohl ich die Geschichte schon x Mal gelesen habe, einen Fehler übersehen. Er stimmt grammatikalisch nicht. Es muss "als tief versinkt ... so scharfes Weh ...." heißen. Danke. Manchmal ist es wirklich zum Aus-der-Haut-fahren mit der Fehlerüberleserei.

17.) "Irgendwann betreten weitere wilde Tiere den Raum. Ein endloses Geschiebe. Irgendwann verfällt sie in Apathie."
Diese 2 "irgendwann" sollen die zeitlichen Abschnitte verdeutlichen. Ich lasse da ja Einiges aus. Ich könnte das erste Mal ja "Dann" verwenden, aber das kommt schon öfters vor, wie natürlich auch das "irgendwann". Ich wollte wohl auch die ewige Dauer der Folter hervor heben.
Ich werde es mir aber noch überlegen, vielleicht fällt mir auch etwas Anderes ein.

18.) "S. Wehrlos denkt: Es ist, als gäbe es mich nicht. Als wäre sie gar nicht vorhanden. Als gäbe es sie nicht mehr. Ihr altes Leben ist gestorben."
Sehr gute Idee. Ich werde es unter Anführungszeichen setzen und Deine Worte übernehmen.

19.) Mit Sonne hast Du ebenfalls Recht. Werde es zwar beibehalten, aber Deinen Ratschlag beherzigen.

20.) "Stöhnen". Es ist das Stöhnen von Tätern und Opfern. Und beider Stöhnen ist wehrlos. Wer sich ein Mal in sein Täter-Sein ergeben hat, der handelt dann "wehrlos" in diesem Sinne weiter. Nichts hält ihn mehr auf. Eine ganze Abfolge von Tathandlungen folgen "wehrlos" aufeinander, ja er "stöhnt" sogar unter, bei seinen Handlungen, wenn auch im geilen Sinne. Ich weiß nicht, wie manche dieser Täter heute, viele Jahre später, mit ihren damaligen Handlungen zu Recht kommen. Es wird wohl einige geben, die nur schwer damit leben können, die selbst irgendwie Opfer dieses Wahnsinns waren.

Slavenka Drakulic beschreibt ja in ihrem Roman so eine Handlung. Da wurde ein junger Soldat, eine „Jungfrau“, also einer, der noch keine Muslimin vergewaltigt hatte, zu S. ins Zimmer "gesteckt". Er sollte sie "ordentlich hernehmen". Aber er war selbst ganz verzweifelt. Er ist dann neben ihr eingeschlafen, bis die beiden dann unsanft geweckt wurden.

Diese "Wehrlosigkeit" von Opfern und auch Tätern ist ja ein Teil des Urproblems unserer Verständnislosigkeit, das jener westlich zivilisierte Nachkriegsmensch von Heute, der nie Opfer oder Täter war, wohl nicht mehr richtig begreifen wird. Um dies zumindest für die kommenden Generationen zu ändern und Einsicht zu schaffen, bedarf es eines Neuen Künstlers, der die Kraft und den Willen hat, in diese ururalten Regionen der Gefühle vorzustoßen, um diese Auch-Wahrheiten unseres Lebens zu verdeutlichen.

21.) "An sein Gesicht kann sie sich aber nicht mehr erinnern, nur dass er stank. Er stank nach Krieg, nach Soldat, nach ungewaschener Uniform, nach Feld, nach Alkohol. Den Gestank, diesen urinigen Moder kann sie auch heute noch riechen. Er ist immer und überall. Er kommt im Supermarkt auf sie zu und begrüßt sie. Er schaut ihr im Kino ins Gesicht. Er greift ihr nachts, wenn sie nicht schlafen kann, geil zwischen die Beine. Ja, es ist noch immer so: Als gäbe es sie nicht. Irgendwann dann wird S. Wehrlos bewusstlos."

Hier mache ich einen Gedankensprung in das Heute von S. Wehrlos. Würde ich die Zeiten richtig einsetzen, müsste ich Alles umschreiben, eine eigene Geschichte erzählen. Das würde nicht in die Prosa passen. Hier ist einfach der Leser/die Leserin gefordert, den Sprung mit mir, dem Autor, gemeinsam zu vollziehen. Und inzwischen ist ja schon klar, dass dies keine einfache, normale Kurzgeschichte ist. Und so schwer ist es ja auch wieder nicht.

22.) "Irgendwann dann enden die Schmerzen."
Wenn zu viel Schmerz auf Einen einstürmt, enden diese irgendwann. Man spürt keinen mehr, der Körper verfällt in Apathie, lässt Alles willenlos über sich ergehen. Der Leidende schaltet ab. Viele Gefolterte berichten davon, dass sie irgendwann keinen Schmerz mehr verspürt haben. Alles wird egal, man hofft nur noch auf den Tod.

Slavenka Drakulic schreibt an dieser Stelle: "Von dem groben Gerüttel der Männer rutschen die Tischbeine noch immer über das Linoleum. Der hölzerne Tisch knarrt. Wenn wenigstens dieses Knarren und Quietschen und Stöhnen aufhörte, der Lärm, der über ihr hängt und sie zudeckt! S. spürt keinen Schmerz. Etwas in ihr ist zersprungen. Sie ist ganz ruhig und ganz außerhalb ihrer selbst."

Eine außerordentliche, schriftstellerische Gefühlsleistung, wie sie das "Kaltwerden" des Opfers beschreibt. Kurz zuvor stand sie ja noch mitten in der Glut der Gefühle.

23.) Der Ausdruck "Hosentür" soll die Verachtung des Täters für sein Opfer noch deutlicher hervor heben. Das mit dem "Umgang mit Kindern" hast Du gut gecheckt. Es soll auf die Verbösung des Kindes im erwachsenen Täter hin zeigen. Am Anfang stand da sogar das umgangssprachliche "Hosentürl". Das „l“ habe ich dann aber entfernt.

24.) "Ich werde dir Gehorsam beibringen, du Hur"
Ein Täter wird in dieser Situation sicherlich nicht hochdeutsch sprechen. Und ich konnte diese Ästhetisierung der dt. Sprache noch nie ausstehen. Wenn mir ein Wort aus dem Mittelalter gefällt, verwende ich es auch. Ich verneuzeitliche es einfach.

Ich verwende auch Worte, die in unserer Zeit nicht allzu beliebt sind, dies oft mit Absicht, um auf etwas Bestimmtes hin zu weisen. Zu dieser „Opferisierung von Worten“ habe ich meine eigene Sichtweise. Der Gutmensch hat gewisse Worte, die in der Vergangenheit in ihrem Gebrauch „vergewaltigt“ worden sind, gleich noch ein Mal über den Tisch gezogen, indem er sie aus dem Sprachgebrauch hinaus gedrängt hat. Wunderschöne Worte wie Weib, Ehre, Treue u.v.a.m. Auch dies ist ein Beispiel dafür, wie wir mit unseren Opfern verfahren. Sie haben zu schweigen. Wir wollen Nichts von ihnen wissen. Wir verdrängen sie. Dabei übersehen wir, dass es wichtige Worte für unser Leben sind. Es gibt auch heute noch keinen Ersatz für diese Worte. Aber eine Gesellschaft, die ihre wichtigsten Worte ins Abseits des Sprachgebrauchs drängt, verliert mit der Zeit auch deren Inhalte. Man muss sich unsere Gesellschaft ja nur ansehen.

Wenn man zB das Wort "Treue" hört, denkt noch immer Jeder an die Nazis. Dabei hat dieses Wort "Treue" inhaltlich absolut NICHTS mit den Nazis zu tun, außer, dass es von diesen vergewaltigt wurde. Es ist gutmenschlicher Irrsinn ein vergewaltigtes Wort gleich noch ein Mal zu vergewaltigen. Aber es ist typisch für den Gutmensch unserer Zeit.

Einem guten Wort wird von irgendeinem Arschloch dieser Welt ein schlechter, scheußlicher Inhalt aufgezwängt. Und wir haben nichts Besseres zu tun, als dieses Wort durch Verachtung zu bestrafen, anstatt ihm wieder seinen angestammten und herrlichen Inhalt zurück zu geben.
Wir bekämpfen eine Geisteskrankheit mit einer anderen Geisteskrankheit.

25.) "Diese wehrlose Welt ist so fern und doch so nah."
Ja, es stimmt, die Welt ist hier brutal. Aber die Welt ist zweigeteilt, in die Welt der Täter und in jene der Opfer. Und die Seite der Opfer ist eine wehrlose, hinter der die brutale steckt, die man ja hinein lesen kann.

26.) S. konnte zu Beginn der Geschichte vergewaltigte Frauen pflegen, weil ja nicht alle vergewaltigten Frauen in den Frauenraum kamen. Nur die jungen, die schöneren. Und S. hat einer mitgefangenen Krankenschwester geholfen. Sie hat gedacht, wenn sie hilft, geschieht ihr vielleicht nichts Schlimmes. Auch die Krankenschwester dachte das, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Das Lager war ja ziemlich groß. Dort wurden über 10.000 Menschen gefangen gehalten. Jeden Tag kamen neue hinzu. Oft starben hunderte Menschen an einem einzigen Tag. Das Schreiben, das Quälen usw nahm kein Ende. Eine Zeit lang wurden die Toten im Hof direkt vor dem Frauenraum verbrannt. Wenn der Wind ungünstig stand, war der Raum voll Qualm und Gestank. Die Frauen wurden fast ohnmächtig, fast wahnsinnig dadurch.

27.) Das mit der "Universitätsabsolventin":
Der Kommandant des Lagers suchte eine gebildete Frau, mit der er sich abends unterhalten konnte. S. Wehrlos hat ja irgendwann angefangen sich zu schminken. Sie begegnete den Vergewaltigern als Verführerin. Dadurch entging sie irgendwie den "Folterungen". So fiel sie wohl dem Kommandanten auf. Eine eigene Perversität, die man ja auch schon aus unseren Konzentrationslagern zur Genüge kennt.
S. kam aus der Hölle von Sarajewo. Sie war seit Kurzem Lehrerin in einem Bergdorf. Sie dachte, sie wäre weit ab vom Schuss und dort einigermaßen sicher.

Warum ist die Vergangenheit so wichtig? Sie ist ja mit S. gestorben!

28.) "... Denn S. Wehrlos ist ein MENSCH."
Damit spreche ich die immer wieder diskutierte Problematik an, dass jeder Mensch auch in derartigen Situationen die Wahl hat. Er kann Mensch bleiben, oder auch nicht. Ich habe lange mit mir selbst gerungen, da es mir ja auch nicht ganz klar war, was ich da hin geschrieben hatte. Du musst wissen, wenn ich schreibe, dann diktiert immer so ein kleines Männlein in mir. (Das ist kein Witz!) Oft hat es die verrücktesten Ideen, die nicht von mir sein können. Es weiß oft Etwas, von dem ich selbst nie etwas zuvor erfahren habe. Ist eine ziemlich komische Angelegenheit mit dieser Type. Es war aber schon immer da, seitdem ich schreibe. Und wenn ich mal ausnahmsweise beim Disput mit ihm obsiege, es kommt eh nicht oft vor, und diese Stelle ist so ein Beispiel dafür, dann zieht es doch immer wieder irgend ein letztes Argument hervor, dem ich mich dann geschlagen gebe. Hier meinte es zB: "Lass es trotzdem stehen. Es wird die LeserInnen schwer aus dem Gleichgewicht bringen. Sie werden hin und her überlegen, Was nun Das wieder bedeuten könnte. Und es ist doch Deine einzige positive Aussage in der ganzen Geschichte: S. Wehrlos ist ein MENSCH! Was gibt es Schöneres? Ein Mensch! Ein Mensch! Ein Mensch!" Na ja, und dann lasse ich diese Aufreger auch stehen.

Ich weiß, das mit dem Männlein klingt ein wenig verrückt, aber es ist so. Vielleicht kennt es der Eine oder die Andere von Euch ja auch vom Schreiben. So sehr es mir manchmal auch auf den Geist geht, ich bin doch immer wieder froh, wenn es da ist, denn sonst fällt mir ja nichts Ordentliches ein. Haha! Ich sehe Manche/n mit der Stirne runzeln. Haha! Aber es ist echt kein Witz.

29.) Der Kommandant lässt S. Wehrlos gehen, weil er sie irgendwie "liebte", er sagte ihr sogar zum Abschied, dass er sie suchen würde nach dem Krieg. Kennst Du den Spitzenfilm "Der Nachtportier" mit Charlotte Rampling und Dirk Bogarde. Sieh ihn Dir an, dann verstehst Du die Situation etwas besser.
Bei diesem Film aus 1973 geht es darum: Ein Opfer aus einem KZ findet seinen Peiniger 1957 wieder und verfällt ihm aufs Neue.

Dies ist wohl auch eine der vielen Zerrissenheiten von Täter- und Opferbildern, die ja in ihren Zwangssituationen oft den Bezug zur Wirklichkeit verlieren, die von uns Gutmenschen nicht kapiert werden, die wir das Glück hatten, niemals in unserem Leben in eine solche Situation zu geraten, in der wir mit unserem Lebenslatein am Ende sind, in der wir gezwungen sind, ohne Erfahrungswerte einfach drauf los zu handeln, um zu überleben. Wir haben meist auch nicht die Gabe und schon gar nicht den Willen, uns in diese Situationen hinein zu versetzen. Deshalb sind die meisten Bücher, die es darüber gibt, auch Schrott, auch wenn sie sich gerade wohl deswegen sehr gut verkaufen. Der Gutmensch hat ja ein Bild vom Leben, das mehr aus Träumereien besteht, denn aus Tatsachen. Wenn "Die Zeit" passt, so wie unsere in den letzten 30 Jahren, dann kann er sich an den Gegebenheiten des Lebens eine Zeit lang vorbei schummeln, er kann bestimmte Wahrheiten einfach negieren. So war es wohl schon immer. Doch jetzt kommt wieder eine andere Zeit, und unsere verleugneten Wahrheiten werden uns einholen, sie werden uns auffressen und uns dazu zwingen, sehr, sehr böse zu werden.

Wer sich weigert, ab und an ein bisschen böse zu sein, wenn es notwendig ist, wer sich dauerhaft seine Hände in Unschuld wäscht, wird eines Tages gezwungen sein, sich mit dem angewachsenen Bösen zu beschäftigen, wenn er nicht darin untergehen will. Wir haben 30 Jahre lang mehr oder weniger erfolgreich das Böse von uns weg geschoben, doch nun ist wohl bald der Endpunkt erreicht. Hunderte derartiger, negierter, aufgeschobener Probleme stehen heute weltweit zur Lösung an, sie werden in einem einzigen lauten Knall nach Antwort suchen. Unsere ganzen ehemaligen Kolonien stehen kurz vor der Explosion. Asien, Afrika, Südamerika. Es fehlt nur noch der Funke.

30.) Das Wort "ausgetauscht" habe ich deshalb unter Anführungszeichen gesetzt, weil ich auch auf den Austausch ihrer Persönlichkeit hinweisen wollte. Und: Kann man einen Menschen gegen einen anderen "austauschen". Natürlich kann man. Die Welt beweist es immer wieder aufs Neue. Doch für Einen selbst wird dieses Wort "austauschen", wenn man in dieser beschissenen, verlorenen und so sehr wehrlosen Situation ist, immer unbegreiflich bleiben. Dieses Wort allein in diesem Handlungssinn ist für dich dann schon mehr als nur pervers. Eine perverse Wahrheit unserer Welt. Und kaum Jemand in unserer friedlichen Welt kann diesen Austausch der Persönlichkeit nachvollziehen. Dies zeigt auch Deine Frage.

S. Wehrlos hat sich gerade eine Neue Identität geschaffen. Sie konnte inzwischen ganz gut damit leben. Ihr ging es besser, als den anderen Frauen und Mädchen. Diese ließen ihr das auch spüren. S. wurde beneidet, geschnitten, als Hure bezeichnet. Gleichzeitig dachten viele, sie könne Etwas für sie tun. Sie wurde um Hilfe gebeten. Keine von den anderen Frauen konnte verstehen, dass sie mit ihrem "Gemahl", dem Kommandanten, nicht über das Lager, den Krieg reden durfte. Sie hätte sich damit in Gefahr gebracht. Der Kommandant wollte seine „Familienabend“ nicht gestört sehen.

Und als sie dann vom Gefangenenaustausch hörte, hatte sie ja Angst. Würde er sie wirklich gehen lassen? Sie wusste so viel! Aber das war wohl Nebensache. Alle Serben, die in diesen Lagern als Täter agierten, waren sich sicher, dass NIEMAND sie für diese Taten jemals verfolgen, zur Rechenschaft ziehen würde. Wenn sie darauf angesprochen wurden, lachten sie. Und bisher hatten sie ja Recht. Der Internationale Gerichtshof ist ein Unikum, bis auf den Nürnberger Gerichtshof. Und dieser war ja kein richtiger Gerichtshof, bei dem Beweise in anerkannter empirisch-wissenschaftlicher Art und Weise geprüft wurden. Und vom Gerichtshof in Brüssel werden ja auch nur die Haupttäter gesucht. Die Handlanger werden wohl niemals verfolgt werden. Eine Tatsache, die kein Opfer dieser Welt je verstehen wird.

Und sie hatte auch noch eine andere Angst, wie die anderen Frauen auch. Wo geht es jetzt hin? Da ist einerseits die Hoffnung, dass die Angaben vom Gefangenenaustausch stimmen. Aber da ist auch das Wissen, dass viele dieser angeblichen "Austausch-Fahrten" in einem Grab im Wald geendet haben. Und was wird dann nachher sein? Ihre Welt war zerstört, besetzt. Wo sollten sie nun hin? Ohne Geld, ohne Mittel.

Und dieses "Nichtverstandenwerden" des Opferseins, hat ja dann auch gleich wieder eingesetzt, als sie ins Auffanglager kamen. Die internationalen Rotkreuzschwestern, die Helfer, der Lagerleiter, usw, so sehr sie auch versuchten, zu helfen, auch diese hatten nicht die geringste Ahnung, was es bedeutet "ein Opfer zu sein". Niemand kann das anscheinend und die wenigsten Menschen versuchen es auch nicht ein Mal. Wenn ich so Gutmenschenmeinungen darüber höre oder derartiges in Zeitungen, Büchern lese, und etwas Anderes findet man sowieso kaum, dann kommt mir immer so ein irres Lachen aus und manchmal das Kotzen.

31.) "S. Wehrlos meint wehrlos: Das gäbe es nicht. Sie hat es nicht gewusst.
Man hat ihr im Lazarett mitgeteilt, dass sie (schon) im 5. Monat schwanger sei. Sie hat es tatsächlich nicht gewusst. Und sie war damit nicht alleine. Vielen Frauen erging es so. Sie wollten es wahrscheinlich nicht wissen. Vielleicht hätten sie sich aufgegeben, vielleicht hätte es ihren Tod bedeutet (Selbstmord oder was auch immer). Dabei war ja gerade diese Massenschwängerung oberstes Ziel der serbischen Kriegstaktik. Sexuelle Auslöschung eines Ganzen Volkes. Du weißt ja vielleicht, was es für eine muslimische Frau für eine Bedeutung hat, in ihrer patriarchalischen Welt, wenn sie vor der Ehe und noch dazu von einem Vertreter einer anderen Religion geschwängert wird. Sie ist eine Aussätzige, eine Hure. Und nun ist da ein Ganzes Volk von Aussätzigen, von Huren. Kann sich dies Jemand vorstellen? Diesen Irrsinn?! Und genau diesen Irrsinn in der Realität herzustellen, war oberstes Ziel der Serbischen Kriegsführung.

Jeder Informierte in der Westlichen Welt weiß dies auch. Und doch ist es nicht erwünscht, wenn man insbesondere als Künstler darüber spricht, schreibt. Es heißt dann: „Immer schön cool bleiben. Die Hitze soll erst beim Leser entstehen.“ O Mann, da kann man wirklich nur noch weinen, über so viel intellektuelles Hirnschmalz.
Nur nicht zu viel von der Wahrheit offenbaren. Wer es nicht tut und die Wahrheit beim Namen nennt, schreibt "undifferenziert", er "schreibt den Hass herbei". Solche Kritiken hörte ich schon haufenweise. Verdammt, ich kann den Hass nicht dorthin schreiben, wenn dort schon nichts Anderes mehr ist, als Hass. Aber ein westlicher Gutmensch, der ja immer davon überzeugt war, dass man diese Welt "gut schreiben, gut reden" könne, der muss wohl auch der (irrigen) Ansicht sein, dass das Gegenteil möglich ist. Ein habermaß´scher, versloterdijk´ter Supernonsens der berühmten und beliebten Vordenker unserer Zeit.

32.) "Und die Welt, diese Welt dreht sich einfach wie wehrlos weiter, ganz so, als gäbe es S. Wehrlos nicht."
Ja, die Welt dreht sich einfach wehrlos weiter, ganz so, als gäbe es all die vielen, vielen S. Wehrlos dieser Welt gar nicht. Alle darben sie tief, ganz, ganz tief in dem von uns Allen geschaffenen und eiskalt aufrecht erhaltenen Schweigen. Und wenn es denn sein muss, dann werden wir dieses Schweigen auch bald wieder mit einer offiziell und von den Meisten akzeptierten Zensurpolitik aufrechterhalten. Inoffiziell gab es diese Zensur ja sowieso immer. Nur fiel es in den letzten 30 Jahren nicht so auf, weil ja die Masse der Intellektuellen alle an einem Strang gezogen haben. Aber ich denke, auch diese Zeit neigt sich jetzt ihrem Ende entgegen. Und das Internet ist das richtige Medium hiefür. Irgendwo auf dieser Welt wird man seine Online-Bücher schon unterstellen können. Und mit der Eingabe der richtigen Worte in die Suchmaschinen findet man als LeserIn auch "seine Künstler" überall. Natürlich wird man seine Programme zum verdeckten Surfen immer aktuell halten müssen. Es wird ein interessantes, teilweise wohl auch gefährliches Spielchen für die einzelnen Künstler und an diesen Interessierten werden.

Als mir dieses Schweigen der Opfer in der Welt, dieses schwer behütete Tabu, eines Tages erstmals aufgefallen ist, habe ich beschlossen, mein Sein als Künstler, als Autor, diesem Schweigen zu widmen, einen Versuch zu wagen, das Schweigen der Opfer aufzubrechen, es den anderen Menschen näher zu bringen. Mir war natürlich von Anbeginn an klar, dass dies ein Lebenswerk sein würde, womöglich sogar darüber hinausgehen würde. Ich habe mir damals geschworen, dass ich nicht nachgeben werde in meinen Bemühungen, trotz aller Missverständnisse und aller Anfeindungen, die dieses mein Ansinnen zukünftig mit Sicherheit hervor rufen wird. Und bei jeder Neuen Erfahrung in diesem Sinn erneuere ich meinen Schwur. Ich weiß aber auch, dass jetzt die Gutmenschenzeit ihrem Ende entgegen geht. Der so von sich überzeugte Friedensmensch der 68er-Generation mutiert jetzt so nach und nach am Ende seiner Zeit zum Neuen Kriegsmensch. Nach dem Grauen der Gutmenschenkriege, das jetzt über die Welt herein brechen wird, wird eine Neue Generation endlich verstehen, endlich begreifen. Niemals wieder wird sich eine Ganze Generation in ihrer von der Welt, vom Leben völlig abgehobenen, in Gemeinsamkeiten gehuldigten und feurig verteidigten Euphorie auf ein zu hohes Podest stellen. Der Mensch lernt ja doch immer wieder ein wenig aus seiner Geschichte, wenn auch nicht viel. Dies wird jedoch einer der Lernfaktoren sein, die endgültig begriffen werden.

Die Neuen Philosophen und Ethiker, die ja auch schon seit gut einem Jahrzehnt das Ende der Moralsysteme herbei denken, werden nach diesen Kriegen und der mit ziemlicher Sicherheit nachfolgenden Weltrevolution, auch verstanden werden. Die Welt ist jetzt bald reif. Alles spricht dafür, dass sie jetzt bald "zusammenwächst". Aber dieses Neue Verständnis vom Leben kann erst von allen Menschen auch wirklich verstanden werden, wenn sich am Ende die Frage stellt: Wieso konnte der Gutmensch zuletzt noch so böse werden? Wieso hat dies Niemand rechtzeitig begriffen? Wieso ist Niemand erwacht? Erst wenn der Gutmensch der westlichen Zivilisation für eine Neue Generation dann auf einer Stufe mit den von ihm als Bösmenschen eingestuften Nazis, den Bolschewiken steht, ja, wenn er dann vielleicht sogar noch als viel bösartiger eingestuft werden wird, erst dann wird der Mensch begreifen. Die Menschheit wird dann räumlich, rassisch, im Glaubenssinne, usw, zusammen wachsen.

Die Welt war wohl nach dem 2. Weltkrieg noch nicht so weit. Es fehlten die Voraussetzungen. Es lag an uns Allen, den Vertretern der 68er-Generation und an Allen, die in einem Naheverhältnis vom Alter her mit ihr stehen, diese Voraussetzungen zu schaffen. Aber außer viel geistiges BlaBla war da nicht viel.

Der Hauptgrund für den 2. WK waren ja die willkürlichen Grenzziehungen mitten durch die Völker. Einerseits hat man zwar die Freiheit der Wahl, sich zu einem bestimmten Volk zu bekennen, in der UN-Charta der Menschenrechte festgeschrieben. Doch man hat sich realpolitisch nie daran gehalten. Die einzelnen Herrscher (Churchill, Roosevelt, und alle folgenden) haben trotz dieser Erkenntnis immer ihr gegensätzliches Spielchen gespielt, und es gab keinerlei laute Gegenstimmen aus der Westlichen Zivilisation. Bewusst war uns die Problematik ja allemal, zumindest jedem halbwegs gebildeten Intellektuellen.

Selbst die in Europa bestehenden Konflikte einzelner Nationen, wie Irland, Korsika, das Bastenland, brachten uns nicht viel zum Nachdenken. Und aus den festgefahrenen Konfliktregionen der 3. Welt zogen wir ja Alle unseren Nutzen, den allgemeinen Wohlstand, den wirtschaftlichen Aufschwung.

Seht Euch nur mal die Weltkarte an. Dort gehen die Grenzen teilweise wie gerade Striche durch die Landschaft, mitten durch Dörfer und Städte und Völker. Dieser Irrsinn, den der westliche Gutmensch zwar erkannt hat, aber der auch nie wirklich etwas zu seiner Behebung getan hat, wird die Welt jetzt in den nächsten Jahren zerreißen. Es deutet Alles darauf hin. Man muss sich nur unsere jüngere Geschichte ansehen und sie überregional auf die Weltkarte stülpen.

Mann o Mann, jetzt bin ich aber wieder von Einem ins Andere gekommen. Zumindest werden das Einige jetzt denken. Aber es gehört Alles zu einem einzigen Großen Ganzen. Alle diese Probleme und viele, viele andere mehr stehen jetzt an zu ihrer Lösung, sie sind jetzt reif, überreif, alle auf ein Mal und zur gleichen Zeit. Peng-Peng+Bumm-Bumm.

Und Ihr müsst meine Ausschweifungen hier in den Foren auch so sehen: Ich schreibe manche Gedanken oft x Mal nieder. Ist reine Übung! So lange, bis es passt.

Liebe Kristin, ich hoffe, ich konnte einige Deiner Problemstellungen lösen. Einige wohl auch nicht. Einige Deiner Anregungen werde ich befolgen. Mal sehen. Ich hoffe, Du bist mir nicht böse, wenn ich nicht allen folgen werde. Ich habe mich sehr bemüht, meine Hintergründe und Hintergedanken offen zu legen. Und ein Prosastück ist wohl immer auch ein wenig Gedicht. In Gedichten rätselt man ja auch oft als LeserIn herum, was der Dichter da nun wohl gemeint hat. Alle Fragen werden da wohl nie beantwortet werden. Deshalb mögen manche Leute ja auch Gedichte nicht so besonders. Andere lieben sie gerade deswegen.

Wie auch immer, liebe Grüße
Lothar.

P.s.: An denjenigen, der jetzt wieder versucht, mich mit Viren zuzuschütten!
Du sollst wissen, es führt zu keinem Erfolg. Ich habe
1. ein gutes Virenprogramm laufen.
2. Eine gute Firewall mit Sandbox schützt meinen PC.
3. Ich habe auch ein gutes Mailprogramm. Ich sehe mir die Mails beim Provider an, bevor ich sie herunter lade. Ich werfe alle mir unbekannten Mails sowieso weg, ohne sie zu öffnen. Dies schon allein aus Zeitgründen. Aber träume nur weiter.

An Euch, die Ihr dieses mein P.s. vielleicht nicht ganz versteht:
Ich wurde nach der Veröffentlichung meines Kosovokriegbuches „Eine Reise ins Grauen“ von Serben bedroht, auch angegriffen, mit Briefen und Mails zugeschüttet. Die Wege der Mails ließen sich bis zu einem Provider in Serbien zurückverfolgen. Erfolg hatten sie nie.
Dieser Unsinn hat dann vor ein paar Monaten nachgelassen. Aber am Sonntag ging es wieder los. Da ich aber hinsichtlich Kosovobuch keinerlei Aktivitäten gestartet habe, außer diese Geschichte hier in kg.de, schätze ich, dass es ein Leser von hier ist. Die Mails kommen auch aus Deutschland, haben eine de-Endung, laufen aber über ein Hackerprogramm und können nicht verfolgt werden.

[ 03.07.2002, 22:47: Beitrag editiert von: buji ]

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom