S-dtp-7742356
Das Summen weckte mich. Ich quälte mich aus meinem Bett und öffnete die Tür. Es war Rachel, sie lächelte verlegen. Es hätte niemand anders sein können. Pavel sprach nicht mit mir, sprach mit niemandem. Nicht in kohärenten Sätzen. Ich war trotzdem überrascht, sie hatte mich hier nie zuvor aufgesucht. Mein Herz raste.
„Was gibt’s?“
„Ich hab was entdeckt. Das muss ich dir kurz zeigen.“ Sie trug ihren Arbeitsoverall, wie immer, die Haare nach hinten gebunden. Kein bisschen Müdigkeit in den Augen.
„Jetzt?“
„Hast du geschlafen?“
Ich sah auf die Uhr. Es war halb eins in der Nacht, Standardzeit. Nicht dass es hier wirklich eine Rolle spielte, zu dieser Jahreszeit.
„Kannst du kurz kommen?“, fragte sie. „Ich glaube das willst du sehen.“
Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar. „Ok, ja, klar…“
„Zieh dir was an. Ich warte im Labor auf dich“, sagte sie.
„Ok, ja. Ich zieh mir nur schnell was an. Dann komm ich“, sagte ich und schloss die Tür.
Ich atmete laut aus und lehnte mich gegen die Wand. Natürlich ist mir klar, dass man einen Teil – einen Großteil, vermutlich – meiner romantischen Gefühle für Rachel darauf zurückzuführen kann, dass sie die einzige Frau hier ist. Das ich seit fünf Jahren keine Frau gesehen hatte. Das ich vermutlich nie wieder eine Frau zu Gesicht bekommen werde. Außer Rachel.
Ihr geht es nicht anders. Auch sie wird keinen Menschen zu Gesicht bekommen, außer mir und Pavel. Nicht bevor wir alt und runzlig sind. Man hat niemanden mehr zu uns geschickt, seit sie abgereist ist. Zwischen jetzt und dem Moment zu dem hier ein weiter Menschen ankommen könnte liegen mindestens 30 Jahre – in alle Richtungen.
Als Rachel auf die Station kam, hat sie noch darüber gescherzt. Hat zu mir gesagt, wir wären wie Adam und Eva, auf diesem Planeten. Ich hab nur gelacht, hauptsächlich, weil ich zu nervös war, um etwas zu erwidern. Doch sie hat recht. Außer uns beiden gibt es nur Pavel und Pavel ist geschätzte hundert Jahre alt und senil. Vermutlich wird er der erste Mensch, den wir auf S-DTP-7742356 zu Grabe tragen.
Man sollte meinen unsere Situation hätte es mir leicht gemacht, mit ihr. Im Gegenteil. Fünf Jahre ohne Frauen auf diesem Planeten, allein mit Pavel und der VR-Brille und auch vorher schon arm an Erfahrungen – ich hatte keine Ahnung, wie ich mit ihr reden sollte, keine Ahnung, worüber ich mit ihr reden konnte. Ich hatte nur die Belehrung aus dem Basistraining, die uns von jeglicher Beziehung zu anderen Crewmitgliedern abriet, vollkommen gleich ob hetero- oder homosexuell. Wenn du irgendwo im Weltraum festsitzt und dich mit jemandem auseinandergelebt hast, dann sitzt ihr gemeinsam fest. Dann gibt es keinen Ort, an den ihr gehen könnten. Dann müsst ihr miteinander leben. Jeden Tag.
Verbrechen aus Leidenschaft sind im Weltraum keine Seltenheit. Einen Mord, der sich mehrere hundert Lichtjahre von der Heimat abspielt kann man schlecht verfolgen. Die verlorene Crew ersetzen dauert Jahre. Man rät schon aus finanziellen Erwägungen davon ab.
Ich selbst hatte das zu meinem Mantra gemacht. So musste ich mir nicht eingestehen, dass ich eigentlich nur Schiss hatte. Die ersten zwei Monate hatte ich es geschafft ihr weitestgehend aus dem Weg zu gehen – von professionellen Gesprächen einmal abgesehen. Ich aß allein, ich trainierte allein, ich arbeitete allein, meist zu Zeiten, zu denen sie schlief.
Jetzt wollte sie mich sprechen. Ich zog mich an und ging ins Labor. Rachel saß über einen Monitor gebeugt, der ihr als einzige Lichtquelle diente. Zu sehen waren Außenaufnahmen des Planeten, Steine, hauptsächlich. Und Dunkelheit.
„Was gibt’s?“, fragte ich.
Sie schrak hoch. „Ich hab dich nicht reinkommen hören.“
„Ich hab geklopft“, log ich.
„Ok.“ Sie sah wieder auf den Bildschirm.
„Also? Was wolltest du mir zeigen?“
„Es sind die Slugs“, sagte sie.
„Und?“
„Die bauen etwas.“
Ich beugte mich über den Bildschirm, die Stirn gerunzelt, versuchte etwas zu erkennen. Rachel deutete auf mehrere Kameraaufnahmen, doch ich bemerkte keinen Unterschied. Da waren nur Steine. Etwas, das wir Steine aussah, jedenfalls.
„Und?“, wiederholte ich.
„Das ist ein Bild von gestern Nachmittag“, sagte sie. „Das wurde gestern Nacht aufgenommen und das hier im Laufe des Tages. Das hier ist das aktuelle Bild.“
Es sah aus wie eine Mauer. Als würde dort eine Mauer aus Geröll aus dem Boden wachsen. Hatte man den Vergleich zu den früheren Aufnahmen nicht, dann fiel es einem gar nicht auf.
„Sonderbar“, sagte ich.
„Beunruhigend“, sagte sie.
„Es ist nur… es wächst eben“, sagte ich. „Ist das nicht normal? Hast du nicht gesagt, dass es das tut?“
„Es bildet einen Ring. Direkt um die Station. Wie einen Wall. So als wolle man uns einschließen.“
„Und was haben die Slugs…“
Rachel holte ein paar weitere Aufnahmen aus dem Archiv. Rote und grüne und blaue und gelbe Formen, Tropfenähnlich, die immer wieder in der Nähe der ‚Mauer‘ auftauchten. Einzeln und in einem gewissen Abstand, aber immer vorhanden. An ihr entlang krochen, sie mit ihren Körpern zu streicheln schienen.
Slugs haben Beine. Unzählige. Wie ein Tausendfüßler und auch nicht viel größer. Dabei sind ihre Körper von der Größe eines Kleinwagens. Die niedere Schwerkraft auf S-DTP-7742356 erlaubte es ihnen, sich trotzdem fortzubewegen, jedoch nicht sehr schnell. So krochen sie an der Mauer entlang und es wollte mir nicht klar werden ob sie das taten, weil sie die Mauer tatsächlich bauten oder weil sie nicht wussten, wie sie sie überwinden sollten.
„Aber du hast gesagt, sie können nichts bauen“, sagte ich. „Du hast gesagt, sie sind harmlos. Nicht mehr als Amöben, die über den Planeten kriechen und Steine fressen.“
„Sie ernähren sich von Eisen-III-oxid“, sagte Rachel. „Und ich hab mich eben geirrt.“
„Geirrt? Aber es ist dein Job das zu wissen.“
Rachel sagte nichts, sie starrte nur weiter auf den Monitor, das Gesicht sorgenverzerrt. Mir war klar, dass ich nicht ganz fair zu ihr war. Ja, sie war Xenobiologin und ja, man hatte sie nach S-DTP-7742356 geschickt, um die Slugs zu erforschen. Das plante man schon seit Jahrzehnten. Seit Pavel der DTP seinen ersten Bericht über die Slugs geschickt hatte.
Rachel ist die erste und einzige Forscherin, die diese Spezies erforscht. Überhaupt je in echt gesehen hat. Seit gerademal zwei Monate studierte sie die Slugs. Innerhalb dieser zwei Monate hatte sie die Station nur in den ersten zwei Wochen überhaupt verlassen können. Seither hatte sich die von uns bewohnte Seite des Planeten von der Sonne weggedreht und es war zu kalt, um nach draußen zu gehen, selbst mit den Anzügen. Rachel musste die Slugs also über den Monitor studieren. Keine vernünftigen Voraussetzungen, um verwertbare Forschungsergebnisse zu liefern.
Sie hatte trotzdem eine bedeutende Entdeckung gemacht, schon in den ersten Tagen. Sie hatte Proben genommen, von allem, von der ganzen Umgebung, sie war fast ununterbrochen draußen gewesen, hatte alles beobachtet, alles aufgezeichnet, war nur in die Station gekommen, um ihre Sauerstoffvorräte zu erneuern. Dabei hatte sie bemerkt, dass sich die Landschaft um die Station verändert. Dass Steine sich bewegen, dass Täler wachsen und wieder verschwinden, dass man der Topografie nicht trauen kann. Alles um uns herum, hatte sie mir erklärt, jeder Stein, jedes Sandkorn, selbst das Eis, lebt.
Ich versteh das noch immer nicht, wenn ich ehrlich bin. Leben, hat Rachel versucht mir zu erklären, ist sich selbst reproduzierende Materie, dazu in der Lage, auf Umwelteinflüsse zu reagieren. Und das trifft auf die Umgebung der Station zu. Vielleicht auf die gesamte Planetenoberfläche, wer weiß das schon. Dass etwas in unseren Augen nicht lebendig aussieht heißt nicht, dass es nicht lebendig ist, so Rachel. Wohin solche Überlegungen führen sollen kann ich nicht sagen – nur das sie mir Kopfschmerzen bereiten.
DTP hätte die Station niemals auf diesem Planeten gebaut, hätte man von all dem Leben gewusst. Nicht weil DTP von einem Haufen Gutmenschen geführt wird, sondern weil es Regulationen gibt und empfindliche Strafen, wenn man diese Regulationen bricht. Bestehende Ökosysteme dürfen durch den Bau einer Sendeanlage nicht beeinflusst werden, wenn die Möglichkeit besteht an einem anderen Ort zu bauen. Zwar kann man sich in den Tiefen des Weltraums einige rechtliche Freiheiten erlauben, man ist schließlich fern ab der Behörden und Informationen brauchen Jahre, um nach Hause zu kommen. Wenn man jedoch wie DTP Casimir-Sendeanlagen zur Informationsübertragung mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit baut, dann ist man sich der Tatsache bewusst, dass unangenehme Wahrheiten gesendet werden. Früher oder später.
Es gibt in diesem Sonnensystem genug Planeten auf denen man hätte bauen können. Als man S-DTP-7742356 auswählte waren Xenobiologen jedoch rar. Von den Slugs hatte man erst erfahren, als die Station bereits fertig war. Als Pavel von seiner Entdeckung berichtete – vor über 50 Jahren nun. Davon dass der Rest des Planeten lebt wird man zu Hause erst in gut fünf Jahren hören.
Rachel sah wieder auf den Bildschirm. Die Mauer war weiter gewachsen, hatte fast den oberen Rand des Bildschirms erreicht Unzählige Aliens da draußen, nur drei Menschen hier drinnen, einer von ihnen senil. Sie müssten nur ein Loch in die Station schlagen und wir würden in Sekunden ersticken oder erfrieren. Stattdessen schufen sie eine Mauer.
„Vielleicht weiß Pavel ja Bescheid“, sagte ich. „Vielleicht hat er sowas schon mal gesehen, in den letzten paar Jahrzehnten.“
„In seinen Berichten findet sich nichts“, sagte Rachel. Sie hatte alle gelesen. Mehrmals, hatte sie mir erzählt. Ich hatte es auch mal versucht. Die frühen Berichte waren zum Einschlafen, die Neueren konnten einem den Schlaf rauben. „Ich denke er hätte darüber geschrieben.“
„Was sollen wir dann machen?“
Sie zuckte mit den Schultern.
„Sollen wir sie angreifen?“ Mit Schweißbrennern und Sägen und anderen Werkzeugen, die wir in unseren Anzügen hatten. Konnte man Slugs überhaupt verletzen? Ich war nicht sicher, woraus sie bestehen.
Rachel zuckte nur wieder mit den Schultern.
„Wozu hast du mich geweckt, wenn du nichts unternehmen willst?“, fragte ich.
„Hättest du erst morgen früh davon erfahren wollen? Als Memo, während ich schlafe?“
Ich wusste keine Antwort.
„Ich weiß nicht, was wir tun sollen“, sagte sie. „Ich weiß nicht, was wir tun können. Ich bin zum Beobachten hier, zu mehr nicht. Niemand hat damit gerechnet, dass die Slugs etwas tun, sie waren die letzten 50 Jahre einfach nur… da. Ich meine, wenn wir sie angreifen, was dann?“
„Dann verlieren wir“, sagte ich.
„Dann schicken sie jemanden um nach uns zu sehen. Und dann schicken sie jemanden, um die Slugs zu vernichten.“
Dreißig Jahre pro Flug, nochmal 5 Jahre dazwischen, bis die Nachricht der Bergungsgruppe die Erde erreichte. Den Reisenden würde es wie ein paar Monate erscheinen, dem Rest des Universums wie mehrere Jahrzehnte. Das waren die Tücken von Casimir-Antrieb und Relativität.
„Wenn wir einen Krieg mit denen anfangen, dann würde der ewig dauern“, sagte ich.
Wir schwiegen einen Moment. Dann sah sie mich an. „Ich wollt einfach nicht allein sein.“
Ich war froh dass der Raum fast vollkommen dunkel war, so konnte sie mein Gesicht nicht erkennen. Über Slugs mit ihr reden, über Krieg und Arbeit, das war ok. Jetzt wurde es persönlich und das war ein Feld, auf dem ich keine Erfahrung mehr hatte.
„Hör zu, ich weiß, du magst mich nicht besonders. Aber wir sind nun mal die einzigen Menschen hier. Wir sind Adam und Eva, nicht wahr?“
„Adam und Eva waren aber im Paradies“, sagte ich.
„Warum bist du hier?“, fragte sie. „Wolltest du keinen Menschen mehr sehen?“
„Ich wollte in den Weltraum. Immer schon. Ich hab mich beworben und sie haben mich hier her versetzt um Pavel abzulösen. Darüber, dass hier sonst keiner sein würde hab ich nicht nachgedacht.“
„Ich hab es mir auch romantischer vorgestellt.“
Wir schwiegen eine Weile und sahen auf den Bildschirm, auf dem die Mauer weiter wuchs. Auf dem die Slugs einen Krieg planten.
Falls Slugs planen.
Bewusstsein ist ein seltsames Ding, hatte Rachel mir erklärt. Wir können kaum unser eigens verstehen, geschweige denn ein andere Bewusstsein begreifen.
Wir können ja nicht mal das Bewusstsein anderer Menschen verstehen. Ich hätte die Hälfte meines Körpers dafür gegeben zu erfahren, was in diesem Augenblick in Rachel vorging.
„Es ist nicht so, dass ich dich nicht mag“, blabberte ich. „Ich bin es nur nicht gewohnt mit Menschen zu reden. Nicht mehr. Ich sende einmal im Monat meinen Bericht nach Hause und alle sechs Monate kommen ein paar neue Befehle zurück, die sich in der Regel nur auf veränderte Frequenzen beziehen und dann rede ich noch manchmal mit Pavel, was aber mehr ist, als würde man mit einem Papagei reden der auch schon mal nackt durch die Station läuft weil er noch länger nichts mit Menschen zu tun gehabt hat als ich und das war’s. Ich bin es nicht gewohnt. Das ist alles.“
Ich fühlte mich heiß und unwohl und ich wollte so weit wie möglich davon rennen, doch die Station hatte nur 400 m² und den Großteil nahmen die Computer ein. Ich konnte nicht glauben, dass ich mir ihr sprach. Worüber ich sprach. Während draußen die Slugs ihre Mauer zogen.
„Ist nicht so, dass du viel falsch machen kannst. Wenn ich die Wahl zwischen dir und Pavel hab, nehm ich dich“, sagte sie.
Es war so heiß.
„Vielleicht sollten wir einen Bericht zu Erde senden“, sagte ich, sagte ich etwas zu schnell. „Um sicher zu gehen. Damit die wissen, was hier passiert. Wir können sie ja auf dem Laufenden halten.“
„Ich habe eine Witz gemacht“, sagte sie.
„Ich weiß.“ Ich atmete durch. „Darauf hat uns im Training keiner vorbereitet.“
„Natürlich nicht. Wir sind bisher nicht auf intelligente Spezies gestoßen. Jedenfalls nicht das wir wüssten, aber wie gesagt, Bewusstsein ist ein komisches Ding. Wer weiß, ob andere intelligente Spezies es in uns erkennen würden.“
Ich nickte. „Davon hab ich nicht gesprochen.“
„Ich weiß.“
„Also… senden wir eine Nachricht nach Hause?“
„Ich mach das“, sagte sie. „Du solltest mit Pavel reden. Für den Fall, dass er doch etwas weiß.“
„Und dann?“
„Dann sehen wir weiter.“
Ich stand auf und verließ das Labor. Draußen atmete ich durch. Ich zitterte. Darüber hatten sie uns im Training nicht informiert. Darüber wie es ist, mit der Einsamkeit umzugehen. Solange allein zu sein, mit einem Verrückten, bis man es als Normalzustand empfindet, bis man sich ein anderes Leben gar nicht mehr vorstellen kann. Will. Es war notwendig allein die Stellung zu halten – das hatten sie uns gesagt. Die Sendestationen waren wie eine Kette aus Signalfeuern die die menschliche Zivilisation verband und die Zivilisation forderte Opfer, das hatte man uns klar gemacht – aber niemand kann dich darauf vorbereiten wie es ist wirklich und vollkommen allein zu sein. Mit der Gewissheit, dass es für immer ist.
Niemand kann dich darauf vorbereiten wieder zurückzukommen, wenn du deine vollkommene Einsamkeit akzeptiert hast. Wenn dein Kopf sich angepasst hast. Wenn du soweit bist, dass du gar nicht mehr wirklich an die Existenz anderer Menschen glaubst. Ich sollte glücklich sein und ein Teil von mir war es sicher auch. Hauptsächlich hatte ich jedoch Angst.
Wenigstens konnte ich jetzt in bekannte Gefilde eindringen. Mit Pavel reden. Pavel und seine Senilität – alte Bekannte, seit fünf Jahren. Ich betätigte seinen Türsummer und wartete. Ich hatte nie zuvor an seiner Tür geklingelt. Es war nicht nötig gewesen. Die meiste Zeit geisterte er irgendwo durch die Flure. Das Protokoll sah eigentlich vor, dass er mich in die Station einwies. Hier hatte das Training zu Hause jedoch nicht versagt – zum Glück. Denn Pavel war schon bei meiner Ankunft kein zuverlässiger Lehrer mehr gewesen.
Und um ehrlich zu sein, ich glaube ich jagte dem alten Mann ebenso viel Angst ein, wie Rachel mir.
Ich betätigte den Summer erneut, doch es passierte noch immer nichts. Es war zu früh, um ins Labor zurück zu kehren, noch dazu unverrichteter Dinge. Ich summte also wieder. Und wieder und wieder. Als sich weiterhin nichts tat öffnete ich die Tür manuell.
Pavels Kabine war ein Dschungel aus synthetisch wachsenden Pflanzen, zwischen denen sich irgendwo seine Liege befand. An den Wänden hingen selbst gemalte Bilder von nackten Frauen und auf dem Boden lagen Essensreste – kein Ungeziefer, das ihm diese hätte streitig machen können.
Pavel selbst schlief, oder machte zumindest den Anschein. Ich ging zu ihm herüber und begann ihn zu rütteln, bis er im Schlaf zu murmeln begann und sich von mir wegdrehte.
„Pavel“, sagte ich. „Pavel, wach auf, es ist dringend.“
„Nichts ist dringend“, sagte er.
„Es geht um die Slugs.“
„Es gibt keine Slugs“, sagte er.
„Was sagst du da?“
„Es gibt keine Slugs. Ich habe sie erfunden.“
Ich konnte ihn schnarchen hören und ich rüttelte ihn erneut. „Die Slugs bauen eine Mauer. Um die Station herum.“
„Vollkommen unmöglich. Ich habe sie erfunden.“
„Aber wir sehen es doch über die Kameras.“
„Es sind Schnecken. Sie können nichts bauen. Sie sind nur schön anzusehen und kriechen dahin.“
„Das ist nicht was Rachel sagt, sie…“
Pavel schnarchte erneut.
Ich hab sie erfunden… Es war verlockend sich auf die Wahnvorstellungen des Alten einzulassen.
Ich schüttelte den Gedanken ab. Hier würde ich nichts erfahren.
Ich kehrte ins Labor zurück. Rachel hatte ihre Nachricht fertig eingesprochen. Die Kamerabilder zeigten jetzt nur noch Mauer, oder Gewächs oder was immer es auch war, dass da um unsere Station herum entstand.
„Sieht aus, als wollten sie eine Kuppel errichten.“
Wir starrten zusammen auf den Bildschirm und Rachel nahm meine Hand. Ich schwitzte stark, doch sie schien sich nicht daran zu stören. Vielleicht schwitzte sie genauso.
„Wir sollten morgen versuchen uns herauszuschneiden“, sagte sie. Sie sprach sehr leise.
„Das sollten wir“, stimmte ich zu. Wir wussten beide, dass es nicht viel Sinn hatte. Eine Mauer oder Kuppel die so hoch war musste am Fuß mehrere hundert Meter dick sein, selbst bei der Schwerkraft dieses Planeten.
„Wie lange könnten wir unter einer solchen Kuppel leben?“, fragte sie.
„Wir produzieren unseren eigenen Sauerstoff. Unsere eigene Nahrung“, sagte ich. „Grundsätzlich für immer.“
„Aber wir wären gefangen.“
„Ja.“
„Es ist, als würden sie uns für einen Fremdkörper halten. Und jetzt wachsen sie einfach über uns drüber und machen uns verschwinden.“
„Aber warum jetzt?“
Sie zuckte mit den Schultern.
Die Wand wuchs weiter, auch wenn man es mit bloßem Auge nicht erkennen konnte. Wir standen da, in Rachels Labor, sahen auf den Bildschirm und hielten Hände.
„Wir können also den Rest unseres Lebens hier verbringen?“, sagte sie. „Nur wir?“
„Im Grunde wäre es nicht anders als vorher. Wir können nicht weg“, sagte ich. „Und wir sind allein.“
„Wie Adam und Eva.“
„Ja“, sagte ich, einen Kloß im Hals.
Sie rückte ein Stück näher.
Ich rückte nicht weg.