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Süsse Kerle
Süße Kerle
Die Einkaufsbeutel schmerzten in ihren Händen, aber nicht mehr lange. Gleich würden Blumenkohl und Co zerkleinert in den Topf wandern. Erschöpft öffnete Bee die Wohnungstür. Sie freute sich schon auf einen gemütlichen Abend zu Hause, wobei sich gemütlich nur auf Abend beziehen konnte; ihre Zweier-WG war leider nur eine schmuddelige Interimslösung: Küche im Flur, deren einziger Vorteil die fehlende Spüle war, so dass Dani sein schmutziges Geschirr wenigstens in seinem eigenen Zimmer vergaß.
Warum ging das Licht nicht an? Bee versuchte es noch einmal, aber es blieb dunkel. Sie stolperte vorwärts; plötzlich stieß etwas gegen ihren Kopf - die Flurlampe! Dani hatte wohl die Birne wechseln wollen. Merkwürdig, dass er gleich die Lampendose öffnen mußte. Auseinandergerollt baumelte die Hängelampe nun in Kühlschrankhöhe. Bee wunderte sich über Danis Ungeschicklichkeit, für einen Zivi im Altenheim war er ganz schön umständlich.
Sie überlegte, wo die Ersatzbirnen lagen, als das Telefon klingelte. Lu rief aus dem Drogencafé an. Er würde später kommen. Wieder einmal nichts mit gemeinsamen Kochen. Obwohl Bee stolz auf Lus ehrenamtliches Engagement war, ärgerte sie sich. Natürlich fand sie es toll, dass er neben seinem Studium die Bahnhofsjunkies medizinisch versorgte, aber mußte er sich deshalb immer verspäten? Gar nicht zu reden von ihren Ängsten, dass er sich mit Hepatitis oder Schlimmeren anstecken konnte.
Es war ungewohnt, im Dunkeln zu telefonieren, fast ein wenig unheimlich, trotz Lus vertrauter Stimme. Um etwas sehen zu können, öffnete sie die Kühlschranktür. Bei der Gelegenheit konnte sie gleich einen Blick in ihr Fach werfen. Gähnende Leere, Dani hatte wieder einmal ihre Joghurt- und Schokoladenvorräte vernichtet. Ganz schöner Süßhunger, der Kleine. Sechs Würfel Zucker pro Tasse und nachmittags eine Familienpackung Eis, die er in seinem streng riechenden Hochbett auslöffelte. Sie wußte nicht, was im Moment mehr roch, Dani oder seine vergraute Bettwäsche.
Zunehmend verärgert, hörte sie Lu nicht mehr zu, als er von einem besonders schwierigen Klienten erzählte. Sie war es langsam leid. Gedankenverloren spielte sie mit ihren Armreifen, ließ sie im spärlichen Licht aufglitzern, als ihr Blick plötzlich auf ein weißes Häufchen fiel. Sah aus wie Backpulver, dabei hatte sie erst morgens den Boden gewischt. Hatte Dani sich hausmännisch betätigt? Leider duftete es nicht nach frisch gebackenen Plätzchen. Sonst war immer sie die Flurküchenfee, die Dani und sein Kumpel mit schmachtenden Kleinjungenaugen anbettelten. Zwanzigjährige konnten manchmal so süß sein.
Nach dem Telefonieren war Bees Kochlust verflogen. Enttäuscht legte sie sich ins Bett, sollte Lu doch hinterher selbst Gemüse schnibbeln. Sie würde es sich allein gemütlich machen. Chips essen und ein bißchen guns ´n roses hören. Bee quälte sich aus dem warmen Nest und ging zum Fenster. Aber dort, wo ihre Anlage normalerweise stand, lagen nur vertrocknete Pflanzenblätter. Vielleicht hatte Dani sie sich ‚ausgeliehen'?
Bee erschrak über den Gestank, als sie Danis Zimmer betrat, eine richtige Raubtierhöhle, er schien sich mittlerweile gar nicht mehr zu waschen. Seitdem sie zuletzt hier gewesen war, hatte sich einiges verändert. Die Schrankwand seiner Eltern lag zerhackt auf dem Boden. Dazwischen Wochen alte Essensreste, schwarz angelaufene Kaffeepötte, Wäsche, eine Rolle Alufolie. Am Schlimmsten waren die tabakverkrümelten Unterhosen, Dani brauchte wohl eher Windeleinlagen, als die alten Leute, die er tagsüber windeln mußte.
Bee flüchtete angeekelt ins Bad. Etwas Wasser würde sie erfrischen. Danach konnte sie weitersuchen. Sie brauchte das Licht über dem Waschbecken gar nicht erst anzumachen, die Kabel hingen auch hier lose aus der Wand. Es geschahen eigenartige Dinge. Wie in einem Film, den sie vor Jahren gesehen hatte. Lampenfassungen als Versteck für Kokstüten. Die Glühbirnen hätte der Einbrecher wenigstens da lassen können. Wahrscheinlich handelte es sich um irgendeinen Vor-Vormieter, der seine alten Vorräte holte; im Haus wohnten die merkwürdigsten Leute. Vielleicht sollte sie die Polizei rufen. Aber die würden sie nur auslachen, wer wohnte schon in so einem Haus? Jedoch könnte sie morgen die Pfandhäuser durchtelefonieren. Ein bißchen Detektiv Spielen. Vielleicht könnte sie den Namen des Diebs so herausfinden.
Wenn sie schon im Bad war, konnte sie gleich Badewasser einlassen. Der Abend war merkwürdig genug, da konnte sie ihn mit etwas Ungewohntem beschliessen: dem ersten Vollbad seit ihrem Einzug. Sonst ekelte sie sich vor der Wanne, sie konnte sich gerade zum Duschen überwinden, aber heute war ihr alles egal. Das rostbraune Wasser würde im Kerzenlicht sowieso nicht auffallen. Sie mußte an Marek, Danis Kumpel denken. Wie gern er hier gebadet hatte. Wein und Kerzen. Die Jungs konnten so romantisch sein. Ganz anders als ihr pragmatischer Lu, der leider auch nicht so einen süssen Oberkörper hatte wie Marek.
Heisses Wasser und eine halbe Flasche Rotwein sollte sie sich öfter gönnen. Sie fühlte sich angenehm schläfrig, als ein plötzliches Geräusch an der Tür sie aufschrecken ließ. Der Einbrecher!, ging es Bee durch den Kopf. Er kam zurück! Vielleicht hatte er noch etwas vergessen. Sie ärgerte sich über ihren Leichtsinn, nicht die Polizei gerufen zu haben. In ihrer Betrunkenheit war sie ein hilfloses Opfer, besonders, weil sie in der Wanne lag. Vielleicht sollte sie schnell die Kerzen auspusten. Wenn sie Glück hätte, würde er sie übersehen, im Bad war er ja schon gewesen. Noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass der Geruch sie verraten könnte und löschte die Kerzen im Badewasser.
Er war jetzt in der Wohnung. Sie bemühte sich, nicht zu plätschern. Das Dunkel schützte sie, aber wie lange? Sie versuchte zu orten, wo er sich befand. Er schien in ihrem Zimmer zu sein. Er hörte sich ziemlich ungeduldig an. Jetzt betrat er Danis Zimmer. Sie hörte ihn fluchen, er war über irgendetwas gestolpert. Schadenfroh musste sie grinsen, da öffnete sich die Badezimmertür.
Ein Feuerzeug glimmte auf, gleich würde er sie entdecken. "Bee?" Woher kannte er ihren Namen? Sie schloss die Augen, wenigstens würde sie ihn nicht anschauen, wenn er sie unter Wasser tauchte. Sie wartete, aber nichts passierte, bis sie ein Streicheln an ihrer Wange spürte, der Tod konnte schön zärtlich sein. "Wach auf. Was machst du denn hier im Dunkeln?" Lu! So besorgt hatte sie ihn noch nie erlebt, fast mußte sie lachen. Doch dann sprudelte alles aus ihr heraus, ihre Angst, ihre Sorgen, sie mußte weinen. Lu versuchte, ihr aus der Wanne zu helfen, aber sie wollte im Wasser bleiben. "Komm ", und Lu zog sich aus, während sie im Wasser nach den Kerzen fischte. Wie schön er im aufglimmenden Licht aussah, als er zu ihr ins Wasser stieg.
Sein molliger Bauch war tröstlich, sie kuschelte sich ganz nah heran und sinnierte über den Einbrecher, als Lu sich über den Wannenrand nach seinem Rucksack beugte und einen kleinen Gegenstand herausfischte. Im Kerzenlicht sah sie etwas aus Messing aufglitzern. Ihr Lieblingsarmreif! "Woher hast Du ihn?", fragte Bee aufgeregt. Der Dieb musste ihn mitgenommen haben. Und warum hatte Lu ihn plötzlich? "Den habe ich einem der Jungs abgenommen", beantwortete er ihre Frage. "Und morgen lösen wir Deine Anlage aus."
Marek, Dani. Bee erschrak über ihre Naivität. Danis Süßhunger, das ‚Backpulver' - da hatte sie mit zwei süssen Kerlen zusammengewohnt.
"Aber sie hatten gar keine Einstichstellen", sagte Bee.
"Du hast dir die Jungs ja genau angeschaut", sagte Lu scherzend und auch ein wenig verletzt, aber er war zu lässig, um es sich anmerken zu lassen. Bee gab ihm einen tröstenden Kuss und während Lu auf seine unnachahmliche Art ihre Beine streichelte, schnurrte sie behaglich und dachte über alles nach. Vieles erschien ihr jetzt in neuem Licht und sie ahnte, warum die Rolle Alufolie auf Danis Teppich lag.