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Süßigkeiten

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03.11.2003
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Süßigkeiten

Manche Gespräche sind wie Süßigkeiten.

Ich lernte sie auf einer Party in Berlin kennen, was ja an sich schon ziemlich hip ist. Frauen kennenlernen is nix Neues, aber Frauen auf ner Party in Berlin kennenlernen, wo ich sonst niemand kannte, das ist so richtig hip. Das ist sooo hip, daß ich beschlossen habe, nie wieder ne Frau kennenzulernen, bis ich das in-Berlin-auf-ner-Party-ne-Frau-kennenlernen zu meinem täglich Brot geknetet habe. Aber ich schweife ab: Also, es war eine rauschende Bäckerinnenparty mit lauter netten Leuten. Der meistgesprochene Wortwechsel an dem Abend: "Und, was machst Du so in Berlin?". Cooler Nebeneffekt bei 90% aller Gespräche war die Antwort: "Bin gar nicht aus Berlin, komme aus...". Alle zugereist. Alle waren irgendwie zu Besuch dort, so, als sei Berlin ein Riesen-Bahnhof. Irgendwann habe ich dann mit Katja gesprochen. Sie sah super aus, das muß ich schon sagen, aber ihr Nasenring hat mich irgendwie gestört. So, als sei eine Rosine im Teig, wo keine sein sollte. Aus irgendeinem Grund habe ich dann begonnen, über ihr Leben zu reden, obwohl ich es gar nicht kannte, aber ich wählte die Worte so, daß sie auf so ziemlich alles passen konnten. Ein bißchen wie: "Na, hast ja auch schon einiges gesehen...". Zuerst habe ich sie aber gefragt, was sie so in Berlin mache, und - tataaaa! - sie war sogar dort geboren. Auf jeden Fall schien ihr zu gefallen, wie ich ihr Leben rezitierte, ohne an ihm teilgenommen zu haben. Meine schönste Geschichtsstunde + schönste Geschichtslehrerin.

Ich moserte mich vom Bäcker zum Konditor und war jetzt damit beschäftigt, Süßes herzustellen. Zucker ist die lebensmittelgewordene Lüge, und meine Backwaren bestanden zu 90 % daraus. Vielleicht funktionierte es deshalb. So gegen später etwa kam dann ein Typ vorbei, checkte die Lage und knutschte sie ab, bevor er dann wieder ging. Sie stellte ihn mir währenddessen als ihren Typ vor, während sie, ihn küssend, die Augen in meine Richtung aufgeschlagen hatte. Er war also weg und wir wieder am Labern, aber ich hatte die Lust verloren, denn fremder Speichel trocknete an ihrem Mund. Ich war auf der Suche nach einer Zigarette, aber keiner der vorbeifahrenden Menschenzüge erbarmte sich meiner. Abfahrt, bitte Vorsicht, die Türen schließen automatisch. Da nahm ich alle Unanständigkeit zusammen, die mir verblieben war und sagte, ich müsse jetzt Zigaretten besorgen. Sie meinte, wir müßten uns unbedingt noch weiter unterhalten. Das sagte ich ebenfalls, ohne es jedoch zu meinen. Langsam ging mir der Zucker aus.
Weg war ich, in einer fremden Stadt, verloren, kurz nachdem ich jemanden gefunden zu haben glaubte. Sie war mir völlig fremd, und das, was ich über sie zu wissen vorgab war erstunken und erlogen. Mir war, als hätte ich mir im Supermarkt am Probierstand ein oder zwei Zuckerli andrehen lassen. Und jetzt, wo ich, meinen Einkaufswagen auf Makro-Spielstraßen dümmlich-apathisch schiebend und die Rechts-vor-Links-Regel befolgend längst bei den Wurstaufschnitten war, erinnerten mich meine klebrigen Finger an die Süßwarenabteilung.

Ich lief die Straße immer geradeaus, denn so konnte ich mich nicht verirren. Tatsächlich - irgendwo hatte ein Kebaphaus auf, in dem der Besitzer mit einem Freund Halma spielte. Zigaretten gab es keine, aber Bier. Also nahm ich ein Sixpack und faselte gekonnt etwas von Halma, dem 2500 Jahre alten Spiel der Könige. Der andere war ein echter Halmasoph und belaberte mich gnadenlos. Mag sein, daß Halma wirklich genial ist, aber ich habe es einfach wieder verlernt, nachdem ich es von der süßen Nina gelernt hatte, an jenem Abend, als ich alles andere als Halma im Sinn gehabt hatte. Das Bier hat er mir dafür nicht billiger gegeben, aber wenigstens wußte ich jetzt immer noch nicht, wie Halma funktioniert. So fühlt sich ein Bäcker, der einen schlechten Teig mir zuviel Zucker zu kaschieren versucht, sich reckt, um aus dem obersten Regal noch etwas Zucker zu holen, sich vergreift, den Mehlsack erwischt und von diesem erdrückt wird. Kleine Sünden bestraft Gott selbst, der alte Konditormeister.

Ich ging die Straße einfach wieder zurück und in das Haus, wo der Lärm am lautesten rauskam. Drinnen begrüßte ich all die Hamburger, Münchener und Bremer, die seit unserem Smalltalk meine zuckrigen Freunde waren, und dann lief mir Katja K. wieder über den Weg. Sie hatte mich gesucht, sagte sie und wo ich denn gewesen sei, fragte sie. Wir müßten Telefonnummern austauschen, damit wir weiterreden könnten. Ich meinte, ich sei noch am nächsten Tag in Berlin, aber da hatte sie schon was vor, sagte sie, während ihre Lippen feucht glänzten. Der Regisseur ließ fieserweise ihren Freund wie einen Statisten im Hintergrund vorbeilaufen, so, als habe er nichts mit dem Mord zu tun. Hatte er auch nicht, denn Mord war nicht das Verbrechen der Katja K, doch dazu später.


Ganz viel später ging Katja, und sie legte sich voll ins Zeug, was das Austauschen unserer Nummern anging. Ich habe ihr dann meine Nummer gegeben und sie mir die ihre. Eines verblüffte mich: sie unterschrieb mit Katja "K." und so las sie den Namen auch. Ich sagte ihr, ich hätte mal unter dem Pseudonym Herbert K. ne ganze CD augenommen und zum ersten Mal auf dieser Party (wenn nicht sogar in meinem Leben) war ich uncool im Sinne von nervös. So ein Zufall, dachte ich, Herbert und Katja K. - nehmen wir deinen Nachnamen oder meinen, nachdem wir zu mir oder zu dir gegeangen sind? Dann drückte sie mir einen Kuß auf sie Backe, den ich nur spärlich erwiderte. Ich schaute ihr hinterher und wischte mir den Speichel ihres Freundes von der Wange, darüber war ich mir sicher.

Als ich Wochen danach mit Gerd aus Berlin, der mich zu dieser Fete geschleift hatte, telefonierte, sagte er mir, Katja K. habe mit vielen Leuten auf dieser Party Telefonnummern ausgetauscht, und bei keinem habe sie sich gemeldet. Katja K. - ein Mythos auf einer Party, die wiederum zur Legende wurde in einem Leben, das mir selbst noch immer ein Mysterium ist. Hätte sie sich als Katja Karfunkel oder einfach nur Katja vorgestellt, ich hätte sie bestimmt 3 Stunden vorher vergessen. Aber so hat sie sich selbst zum überlieferten Geheimnis einer Party gemacht, die wie die Süßwarenabteilung beim Multi-Markt aus lauter Zuckerlüge bestand. Sie hatte sich selbst inszeniert, als wäre sie Aschenbrödel: kam aus dem nichts, schmeckte nach allem, was die Abteilung Leben zu bieten hat und verschwand kurz vor 12 ganz plötzlich, wobei sie das "K." ihres Namens wie einen gläsernen Pantoffel hinterließ.

Jedoch werde ich nicht mit diesem gläsernen K. in meinem Reich umherreiten, auf der Suche nach der passenden Katja. Da dieser Schuh aus Zuckerguß ist, werde ich ihn essen, wie Claas Clever, der Dagobert Duck sein möchte anstelle des Dagobert Duck.

Katja K. hatte uns alle verarscht. Ich bin mir heute sicher: sie war die Strafe Gottes für unseren Zuckerwahn, sie war die Sintflut, und der nächste Morgen war die Arche Noah. Und so schippern wir auf einem Kahn dem Land entgegen, um die überlebenden Prototypen aus dem Bauch dieses Schiffes zu lassen, damit sie fruchtbar seien und sich mehren. Aber noch ist es nicht soweit: unter uns ein Meer aus Fanta, in dem zu ertrinken uns allzu verlockend scheint, nur weil Fanta süß schmeckt. Aber dem ist nicht so: in einem Fantameer werden wir genausowenig zu Fischen mit Kiemen wie in einem Salzmeer. Vielleicht konzentrieren wir unseren Blick mal darauf, daß es das Wasser unter unserer Arche flüssig ist, anstatt dauernd darüber zu sinnieren, ob es nun süß oder salzig sei...

Katja K, Du Sirene, Aschenbrödel, Zuckerfee. Ertrinken will ich in Dir, Katja K, auf dem Grund Deines Meeres soll der Rest von mir nach oben schauend den Rumpf der Arche blicken.

© Borna Cesljarevic, 31.12.2003

 

Hi Borna,

mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Ich bin mir noch nicht ganz sicher ob es eine Geschichte mit oder ohne tieferen Sinn werden sollte, für mich hat sie aber einen tieferen Sinn entwickelt. Ich denke aber nach dem letzten Absatz dass sie das auch tun sollte.

1.) Zucker=Konsumgut?

Die Personen scheinen in Deiner Geschichte nach "Zucker" zu streben, nach irgendetwas Aufregendem, dass man konsumieren muss - wobei das auch Menschen sein können, in Form von kennengelernten Leuten/Sexualpartnern. "Sie", "die anderen" benutzen den "Zucker" auch genauso um andere "anzulocken", also auf sich aufmerksam zu machen, was dazu führt dass alles ein riesiger Lügenbrei wird. Keiner ist er selbst, aus Angst, der/die andere könnte ihn nicht aufregend finden.

2.) K.
Das K. steht meines Erachtens für irgendwelche besonderen Merkmale, mit denen die Menschen versuchen sich besonders interessant zu machen - also im Prinzip auch "eine Süßigkeit", "Zucker". Dass das natürlich totaler Schwachsinn ist ist klar...

Mehr fällt mir gerade nicht ein, werde aber vielleicht später noch ein bisschen was dazuschreiben! Auf jeden Fall schöne Gesellschaftskritik, wenn ich es richtig verstanden habe!

Gruß

MisterSeaman

 

Hallo Borna,

deine Geschichte hat mir gut gefallen, man fragt sich die ganze Zeit, ob aus der Begegnung zwischen Katja und Ich-Erzähler noch was wird. Als die Pointe raus ist (dass Katja an diesem Abend mit vielen Männern geflirtet hat), schreibst du aber noch einen Haufen Philosophisches. Du verschüttest die Geschichte mit deinen mythologischen Anspielungen, finde ich. Braucht es das?

Deine Konditormetapher zieht sich durch den ganzen Text. Manchmal passt es nicht hundertprozentig: Der Nasenring als Rosine im Teig ist eigentlich ganz schön. Aber ist der Nasenring nicht eher als herbes Detail in einem süßen Teig?

Manchmal finde ich die Konditormetapher überzogen, z.B. Gott als alter Konditormeister.

An ein paar Stellen fand ich den Text kalauerhaft. Beispiel: "So gegen später etwa"

Aber wie gesagt, im Grunde gefällt mir die Story.

Grüße,
Stefan

 

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