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Sätze ändern dich
„Fuck! Das hat die nicht ernsthaft gesagt!“, dachte ich entsetzt. Ich blicke schnell rüber zu Mark. Sein Blick sagt alles. Pures Entsetzen in seinen Augen. Er hatte es also auch gehört. Ein Satz nahm uns den Boden unter unseren Füßen. Dieser eine Satz knallte so viel Adrenalin in unsere Adern und Angstschweiß auf unsere Stirn: „Sie müssten dann bitte nach der Untersuchung in den Becher urinieren.“
Doch beginnen wir ein paar Tage vorher; genauer gesagt eine Woche bevor dieser Satz uns so umhaute.
Der Zivildienst dauerte jetzt ungefähr zwei Wochen. Eine Zeit neue hatte begonnen. Das Abitur lag jetzt schon drei Monate zurück und alles war unglaublich gut, man fühlte sich frei und hatte einfach keine Verpflichtungen. Der Zivildienst erwies sich auch als ziemlich chillig. Keiner nervte uns. Wir fuhren den ganzen Tag mit dem Auto rum und brachten Leute von A nach B. Nachmittags gab es keine Hausaufgaben oder solche Dinge, die uns damals übelst genervt haben.
„Nächste Woche geht’s zum Arzt, Jungs.“, übermittelte uns unser Fahrteneinteiler. „Der schaut nach ob bei euch alles in Ordnung ist und alles an seinem Platz sitzt.“ Alles klar! Kein Ding! Fred sagte uns bereits, dass man nicht in einen Becher pinkeln muss. Das war unsere wichtigste Frage, denn wir haben ziemlich gerne Grass geraucht. Und unsere größte Sorge in dieser sonst sorglosen Zeit war es damit aufhören zu müssen. Selbst eine Woche Pause war undenkbar. Es war einfach zu gut.
„Sie müssten dann nach der Untersuchung in den Becher urinieren.“ Fuck, die Krankenschwester hat es wirklich gesagt. Was zur Hölle soll ich jetzt tun. Ich kann buchstäblich hören wir Marks Gehirn an einer Lösung arbeitet und sein Blick sagt alles. „Was geht Nico?“, fragt Ben misstrauisch, „Du bist so ruhig? Kennt man gar nicht von dir.“ Selbst die anderen merken schon, dass was nicht stimmt. „Nichts! Alles gut. Das Warten nervt nur“, versuche ich cool zu antworten.
Jeder wird mit Namen aufgerufen und muss der Schwester folgen. Mark verlässt den Warteraum. Was ist sein Plan? Wie will er die Situation lösen?
Jetzt bin ich an der Reihe. Ich folge der Schwester nervös in den Behandlungsraum und setze mich auf die Liege. Dann die üblichen Prozeduren wie Bluthochdruckmessen und EKG. „Schlägt ihr Herz immer so Schnell?“, fragt die Schwester etwas verwundert. „Ja, liegt in der Familie.“, antworte ich stotternd. „So, jetzt nehmen sie diesen Becher und urinieren da rein. Die Toilette ist gleich da vorne.“, fordert mich die Schwester auf. Alles klar. Auf geht’s. Ich bin geliefert.
In der Toilette angekommen wird mir erst so richtig bewusst, in was für eine Scheiße ich mich manövriert habe. Wenn rauskommt, dass ich kiffe dann bin ich geliefert. Ich würde meinen Ziviplatz verlieren und man würde mich anzeigen. Aber am schlimmsten wäre es, meinen Eltern vor die Augen treten zu müssen.
Ich blicke in alle Ecken der Toilette. Warum tu ich das? Ich suche tatsächlich nach Kameras. Kameras! Nein! Es gibt keine Kameras in der Toilette einer Arztpraxis. So! Was nun? Ich überlege kurz, nur ein wenig in den Becher zu pissen und den Becher dann mit Wasser aufzufüllen. Was für ein Quatsch. Der Test würde trotzdem positiv ausfallen.
Ich enteckte eine Klappe in der Wand. Dort soll man den Becher reinstellen, wenn man sein Geschäft verrichtet hat. Ich mache die Klappe auf und sehe die Lösung meines Problems. Sechs Becher mit Urin! Und jeder war mit einem Namen versehen. Gott sei dank. Ich glaube, noch nie in der Geschichte der Menschheit hat sich jemand so über ein menschliches Ausscheidungsprodukt gefreut. In der Situation roch dieses gelbe Gold sogar gut.
Ich muss nur noch den Becher einer Person aussuchen, von der ich weiß, dass sie niemals kiffen oder sonstige Substanzen konsumieren würde. Patrick! Der würde sowas nicht machen, garantiert! Nun muss ich nur etwas Urin von Patrick in meinen Becher kippen. Alles gut jetzt! Ab nach Hause.
Nach einem kurzen Gespräch mit dem Arzt, dass ich mit billigen Smalltalk auflockern wollte, konnte ich die Praxis verlassen.
„Jou Ben, was hast du gemacht?“, fragte ich Ben als wir uns abends am See unseres Vertrauens treffen. „Ich hab einfach gesagt, dass ich nicht muss.“, sagt er lässig und erleichtert. Dieser geniale Bastard. Einfach aber effektiv. „Und du?“, fragt er mich. „ Ich hab Patricks Pisse in meinen Becher gekippt.“ erwidere ich leicht verlegen.
Selten habe ich jemanden so herzhaft und erleichtert lachen sehen wie Ben in diesem Moment. Natürlich haben wir uns dann erstmal eine schöne Tüte gegönnt. Alles war wieder gut und ich hatte eine Geschichte mehr, die ich erzählen konnte. Und Patrick würde ich irgendwann sagen, dass ich sein Urin missbraucht habe. Vielleicht zum zehnjährigen Abschlusstreffen.
Auf die sorglose Zeit, die viel zu schnell verging.