SÜndenfall
I
Lautlos durchdrang er das scheinbar undurchdringliche Unterholz des Urwaldes. Katzengleich huschte er hindurch. Kein einziger Laut durchbrach die unendliche Stille des Dschungels. Tief gebückt schlich er vorwärts und ließ die frische Spur, der er folgte, für keinen Augeblick aus den Augen.
Er hielt einen Moment lang inne, sog die dumpfe, feuchte Waldluft durch seine geübte Jägernase in sich auf. Geräuschlos zog er sein Jagdmesser, dessen scharfe Klinge im trüben, grünlichen Licht des Waldes blinkte. Dann schob er sich wie eine Schlange, dicht am Boden entlang weiter, jederzeit bereit aufzuspringen um sich, wie eine Raubkatze, auf seine ahnungslose Beute zu stürzen.
Ein Sprung. Ein kurzes erschrockenes Quieken. Seine Hände krallten sich tief in das Nackenfell des überraschten Tieres. Ein schneller Schnitt. Ein kurzes Aufbäumen. Ein letztes Zittern. Dann, bewegungslose Stille. Warmes, helles Blut strömte ihm über seine Hände.
II
Er kniete sich nieder, am Ufer des Teiches und betrachtete sich selbst im silbernen Spiegel der Wasseroberfläche. Was er sah war das Bild eines Wilden mit zerzausten Haaren und schmutzigen Kleidern an dessen Händen und Armen noch immer das Blut des erlegten Tieres klebte. Dunkelrot und ekelerregend.
"Ich bin ein Tier! " dachte er bei sich, "Ein schmutziges, ekelhaftes Tier mit dem stechenden Blick einer Schlange, die sich lautlos, von hinten, an ihre wehrlose Beute heranschleicht, um sie mit einem Biss bei lebendigem Leibe zu verschlingen. Das ist es, was der Dschungel aus einem macht!"
Er entkleidete sich und stieg in den Teich. Er spürte Kraft des Wassers, das ihn umfloss, ihn wusch und ihm das Gefühl der Reinheit wiedergab. Er fühlte es, wie es ihn trug, als er darin schwamm, und wie es ihn erfrischte, als er davon trank.
"Das Wasser," dachte er, "nur das Wasser ist fähig, wieder einen Menschen aus mir zu machen!"
III
Sie stand auf der Klippe, vom silbergrauen Licht des Mondes beschienen, und sang ihre Lieder. Sie war wunderschön. Ihr Körper weiblich vollkommen. Ihre Haut von der Sonne mattbraungebrannt. Ihr Haar so schwarz wie Pech und ihre Augen weich wie Samt!
Er stand, mit dem Rücken an den Türrahmen des Blockhauses gelehnt, und schaute zu ihr hinüber. So nah schien sie ihm, dort auf der Klippe, beschienen vom Licht des silbergrauen Mondes. So, als brauchte man nur seine Hände auszustrecken um sie zu berühren. Und gleichzeitig weit, unendlich weit entfernt. Unberührbar wie eine Göttin.
An jedem Abend, sobald der Mond den Himmel betrat und die ersten Sterne das Dunkelblau der Nacht durchbrachen, stand sie dort, auf der Klippe, und sang ihre Lieder, wehmütig, melancholisch. An jedem Abend stand er da, lauschte in tiefer Anbetung ihrer Stimme, die ihn bezauberte, ihn in ihren Bann zog und nicht mehr losließ. Und von Abend zu Abend, wann immer er ihrer Stimme lauschte, wuchs in ihm das Verlangen nach Einheit, nach Geborgenheit, nach wahrer Liebe!
IV
Der Duft von gekochtem Fleisch erfüllte das Blockhaus dem Flackern des Feuers ein gemütliches Aussehen verlieh, so dass sogar die rohen Holzbalken der Außenwände im Dämmerlicht freundlich und weich aussahen.
Er saß auf seinem Lager und aß ein Stück von dem Wild, das er am Nachmittag erlegt hatte.
Ein Geräusch ließ ihn aufhorchen. Sie hatte lautlos, mit unhörbaren Schritten, die Hütte betreten und stand nun vor ihm. Langsam kam sie auf ihn zu und ließ sich zu seinen Füßen auf die Knie fallen. Schüchtern strich sie ihm, mit ihren Fingern, eine Strähne des zerzausten Haares aus der Stirn und strich ihm sanft über die unrasierte Wange. Kein Wort kam über ihre Lippen, als sie ihm das zerrissene Hemd über die breiten Schultern streifte und mit weichen Lippen liebevoll seine braungebrannte, männliche Brust berührte.
Wie gelähmt saß er da und schaute ihr zu, wie sie sich entkleidete. Unfähig auch nur ein einziges Wort zu sagen. Unfähig sich dessen zu erwehren, was mit ihm geschah.
Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke und sie vereinten ihre Lippen zu einem endlosen Kuss. Und für einen Moment hatte er geglaubt, dass es wahre Liebe war, die er fühlte, als er mit seinen Fingern zärtlich über ihre Brüste strich. Doch es war die Begierde nach ihrem Körper, die ihn übermannte, die Kontrolle über seine Gedanken übernahm und ihn dazu brachte, das zu tun, was er niemals hatte tun wollen.
V
Aschgrau war der Himmel an diesem Morgen. Kaum ein Sonnenstrahl durchbrach die massive Wolkendecke über ihm. Er saß auf der Klippe und verbarg sein Gesicht hinter seinen Händen, denn er schämte sich!
Er schämte sich für das, was er in der letzten Nacht getan hatte. Er schämte sich dafür, dass er nicht Herr seiner Gedanken gewesen war, und dass es seinen Gefühlen gelungen war, die Kontrolle über ihn zu übernehmen.
Er kam sich so schmutzig vor. Befleckt von der Schuld, die er auf sich geladen hatte. Eine Last, so schwer, dass sie ihn zu erdrücken drohte.
"Nun ist es geschehen." dachte er, "Ich habe meine Unschuld verloren und ihr die ihre geraubt. Ich bin zum Tier geworden. Kein Wasser der Welt kann je wieder einen Menschen aus mir machen. Denn ich habe mir mit Gewalt genommen, was ich auch ohne sie noch in der selben Nacht bekommen hätte!"
DL 1999