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Ruhe

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28.04.2012
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Ruhe

„Na dann, wo soll es hingehen?“
„Wie bitte?“
Ich schaue den grimmig wirkenden Taxifahrer an und atme tief durch. Alles ist gut, sage ich mir in Gedanken.
„Ach ja. Entschuldigung. Zum Zentrum bitte.“
Der Fahrer grummelt irgendetwas in seinen Bart, während er anfährt.


Es regnet. Die Tropfen, die in kleinen Flüssen am Fenster herunterfließen, lassen alles von draußen verschwimmen. Hektische Leute, die mit ihren Regenschirmen ihre Einkaufstaschen schützen, hupende Autos mit miesgelaunten Fahrern am Steuer, Sirenen, Hunde, Kinder; eben alles, was Lärm macht. Dazu kommt das nervtötende Geräusch des immer stärker werdenden Regens, der gegen das Blechdach und gegen die Windschutzscheibe des Taxis prasselt. Zum Verrücktwerden.
„Das macht sieben fünfunddreißig.“, grummelt der Fahrer.
Ich zucke zusammen. Seine Stimme kam unerwartet. Ich krame einen Geldschein aus meiner Jackentasche und reiche ihm diesen.
„Stimmt so.“
Der Fahrer grummelt, ich steige aus.

Ich bin frei.


Ohne Schirm laufe ich über die Straße in die Fußgängerzone. Links und rechts Geschäfte, in der Mitte hektische Menschen mit ihren Hunden und Kindern. Überall fallen mir bunte Schilder ins Auge. Schlussverkauf. Nur heute: Alles reduziert. Neue Winterkollektion. Nimm drei, zahl zwei.

Und die Menschen strömen in die Geschäfte. „Kartoffeln! Die besten Kartoffeln weit und breit!“ Gerüche steigen mir in die Nase. Gerüche von fauligem Gemüse, fauligem Obst, rohem Fleisch, Regenwasser, Dreck und Hundescheiße. „Frisches Brot! Wollen Sie mal probieren?“ Ich will nicht probieren. Ich kämpfe mich durch die Masse, an den Marktständen vorbei.
Es blitzt.
Zwei Kinder brüllen sich an. Die Menschen werden hektischer, es wird gedrängelt und geschubst. „Hey, Vorsicht!“
Es donnert.
Lasst mich in Ruhe! Ich beschleunige meinen Schritt, biege in eine Gasse und fliehe in das erstbeste Lokal.

Mein Blick fällt auf die Theke am anderen Ende des Raumes. Überall stehen kleine Tische mit Stühlen und es riecht nach frischem Kaffee. Leise Musik tönt aus Lautsprechern von der Decke. Ich setzte mich an einen Tisch in der hintersten Ecke. Sofort kommt ein Kellner an, um meine Bestellung aufzunehmen. Nach meiner Antwort zieht er ab, um mein Wasser zu holen.
An den anderen Tischen sitzen ebenfalls Menschen, meist in Gruppen. Ihre Gespräche erfüllen den Raum und dröhnen als eintöniges Gemurmel in mein Ohr. Ich vermisse meine Freunde, ich vermisse es, mich zu unterhalten. Aber mit denen hier rede ich nicht.

Ich atme tief durch. Ich bin jetzt ein anderer Mensch, sage ich mir.


Eine Fliege kommt angeflogen und dreht vor meinem Gesicht ihre zackigen Runden. Ihr Summen stört mich. Ich schlage nach ihr, sie fliegt nicht weg. Verstärkung kommt hinzu. Jetzt schwirren Sie zu zweit um meinen Kopf und reizen meine Nerven. Ihr Summen scheint immer lauter zu werden. Eine setzt sich auf den Tisch, die andere summt mir weiter ins Ohr. Jemand lässt ein Glas fallen. Die Ladenglocke klingelt und weitere Menschen trampeln ins Lokal. Draußen rasen Verrückte mit ihren Motorrädern vorbei. Am Tisch neben mir lacht eine Frau laut kreischend. Die plärrende Musik und der Kaffeegestank machen mich Wahnsinnig. Ich hasse Kaffee! Der Kellner kommt zurück und will mir mein Wasser servieren.
„Alles in Ordnung?“

Die Fliege summt immer lauter. Mir reicht‘s! Ich reiße dem Kellner das Glas aus der Hand und schlage damit schreiend nach der Fliege auf dem Tisch. Das Glas zerspringt, das Wasser spritzt in alle Richtungen, ich springe auf. Die Menschen werden nervös. Alle glotzen mich an, ich höre nur noch mein eigenes Herzklopfen und ein rauschen. Der Kellner redet auf mich ein, ich sehe es an seinen Lippen. Ich ramme ihm die Reste des Glases in den Hals. Er guckt nur blöd, bevor er blutspritzend auf den Boden klatscht. Die nervige Musik und das Gekreische und Geheule der Menschen dringt zu mir durch. Mir wird schwindelig. Ich taumele nach draußen. Ein Köter kläfft mich an, ich trete ihn zur Seite und gehe weiter. Ein LKW fährt direkt vor meiner Nase durch eine Pfütze, das schmutzige Wasser landet in meinen Augen und nimmt mir die Sicht. Ein paar orientierungslose Schritte laufe ich noch, dann brülle ich in den Himmel. Ich brülle meinen ganzen Ärger und den ganzen Hass heraus, denn ganzen Hass auf diese wirre Welt, dann setze mich auf die Straße und warte.

Zwei Polizisten kommen angerannt, schreien mir irgendwas zu, aber ich höre gar nicht hin. Sie treten vor mich, einer bückt sich und legt mir Handschellen an. Ich wehre mich nicht. Ich werde in ein Auto gebracht, jemand wischt mit einem Tuch durch mein Gesicht.

Ich atme tief durch.

Der Regen prasselt gegen das Blechdach und gegen die Windschutzscheibe des Polizeiwagens und lässt alles von draußen verschwimmen. Aber mich interessiert gar nicht, was da draußen abläuft. Alles was ich denke ist:

Ruhe! Bald herrscht endlich wieder Ruhe!

 

Hej Sigoron,

am Ende Deiner Geschichte denke ich: Oha, wenn er sich da nicht mal täuscht (weil ich ihn im Knast sehe).

Unabhängig davon, ob der/die sich jetzt wünscht, meditativ in einer Einzelzelle in irgendeiner Anstalt zu sitzen oder hofft, möglichst bald hingerichtet zu werden - mir fehlt da die eigentliche Person und wenigstens ein paar Hintergründe, um nachvollziehen zu können, was da passieren soll.

Dass jemand ausrastet, okay, aber was geht in dem/derjenigen vor?
Du schilderst nur das außen, ein Innenleben scheint die Figur nicht zu besitzen. Aber viele andere sind ihnen ebenfalls ausgeliefert, den brummigen Taxifahrern und kreischenden Kindern und allen Gerüchen dieser Welt. Trotzdem passiert es vergleichsweise selten, dass jemand einem anderen die Gurgel zerschnippelt.
Und was es ist, das den Unterschied macht, das zeigst Du eben nicht.

Ich wünsch Dir noch viel Spaß hier,

LG
Ane

 

Hey Ane,

vielen Dank für deine Kritik, ist nachvollziehbar :)

Bevor ich aber näher drauf eingehe, würde ich gerne noch auf weitere Beiträge warten ;)

Ich wünsch Dir noch viel Spaß hier,

Danke, aber den hab ich schon seit Jahren hier :D Nur bisher halt passiv...

Gruß
Sigoron

 

Hallo Sigoron

und herzlich Willkommen bei den aktiven KGlern. ;)

Ich fühlte mich aufgrund der Fliegen und dem martialischen Ausrasten deines Prots sofort an Falling Down (Ein ganz normaler Tag) mit Michael Douglas erinnert. Hat das Pate gestanden?

Obwohl im erwähnten Film die Motivation (Suicide by Cop) von William Foster (Douglas), durch den inszenierten Selbstmord, mit der Lebensversicherung seine Tochter, die er per Gerichtsbeschluss nicht mehr sehen darf, zu versorgen, wohl erst gegen Ende seines Amokmarsches durch LA reift, bleibt bei deiner Version nur die schreckliche Tat ohne den Antrieb zu kennen. Du erzählst etwas von Freunden, die ihm fehlen. Da würde ich gerne mehr wissen, um die Tat nachvollziehen zu können. Du lässt mich als Leser einfach noch zu stark im Dunkeln, als dass ich mich in deinen Prot ein- und mitfühlen kann.

Der Fahrer grummelt, ich steige aus.
Ich bin frei.
Warum?

Ich atme tief durch. Ich bin jetzt ein anderer Mensch, sage ich mir.
Sags mir bitte auch, warum?


Noch zum Stil:
Ich finde, die Absätze könnten etwas bewusster gesetzt werden, weniger währen da mehr, bzw. an anderer Stelle sogar besser:

Und die Menschen strömen in die Geschäfte. „Kartoffeln! Die besten Kartoffeln weit und breit!“ Gerüche steigen mir in die Nase. Gerüche von fauligem Gemüse, fauligem Obst, rohem Fleisch, Regenwasser, Dreck und Hundescheiße.
„Frisches Brot! Wollen Sie mal probieren?“ Ich will nicht probieren. Ich kämpfe mich durch die Masse, an den Marktständen vorbei.
Es blitzt.

Zwei Kinder brüllen sich an. Die Menschen werden hektischer, es wird gedrängelt und geschubst. „Hey, Vorsicht!“
Es donnert.
Lasst mich in Ruhe! Ich beschleunige meinen Schritt, biege in eine Gasse und fliehe in das erstbeste Lokal.


Interessant auch, dass am Schluss das Prasseln des Regens alles verschwimmen lässt, wo doch am Anfang die ganzen Aussengeräusche noch ins Innere drangen.

Du siehst, so ganz überzeugt mich deine Geschichte noch nicht, aber mit etwas mehr Hintergrundbühne, wer weiss ...

Gruss dot

 

Hi Dotslash,

vielen Dank für die tolle Kritik!


Ich fühlte mich aufgrund der Fliegen und dem martialischen Ausrasten deines Prots sofort an Falling Down (Ein ganz normaler Tag) mit Michael Douglas erinnert. Hat das Pate gestanden?

Ich befürchte fast, dass es jetzt etwas unglaublich klingt, aber: Noch nie was von dem Film gehört! :-)
Aber dass dich die Fliegen daran erinnern, macht mich neugierig auf den Film, bzw. auf die Szene. Denn die Situation mit den nervigen Summern ist erst in dem Moment des Schreibens entstanden, war also eigentlich gar nicht geplant.


Ich finde, die Absätze könnten etwas bewusster gesetzt werden

Ich werde dran arbeiten! Hast recht, das mit dem Donner liest sich so besser.


Interessant auch, dass am Schluss das Prasseln des Regens alles verschwimmen lässt, wo doch am Anfang die ganzen Aussengeräusche noch ins Innere drangen.

Ich bin nicht sicher, ob das jetzt negativ oder positiv gemeint war, freue mich aber, dass das so rüberkommt, wie gewollt.


Da würde ich gerne mehr wissen, um die Tat nachvollziehen zu können. Du lässt mich als Leser einfach noch zu stark im Dunkeln, als dass ich mich in deinen Prot ein- und mitfühlen kann.

Warum?

Sags mir bitte auch, warum?


Hm schade... Ich habe dran gezweifelt, ob jemand die Geschichte so verstehen kann, wie sie gedacht war. Ein Freund hat sie probegelesen und er hat - wie gewünscht - erst im letzten Satz verstanden, worum es ging.
Vielleicht ist die Situation nicht ganz realistisch, aber der Freund hat es wie gesagt "richtig" interpretiert. Zu viele Informationen würden das zerstören. Die beiden Sätze "Ich bin frei" und "Ich bin jetzt ein anderer Mensch" waren als gute Hinweise gedacht...
"Ruhe" ist vielleicht im Sinne von "Stille" nicht ganz richtig. Eher die Ruhe, die bei Ordnung herrscht.

Meiner Meinung nach darf kein Hintergrund rein, aber ich kann verstehen, dass für den Leser, dem ich meine Absicht nicht vermitteln konnte, etwas fehlt.


Darf ich dir per PN schicken, wie es gedacht war und mir deine Meinung davon durchlesen?

Gruß
Sigoron

 

ich nochmal

Bei "Weniger Abschnitte" sehe ich vor allem den Anfang, da es mir als (wirkungslos?) eingesetztes Stilmittel erscheint. Warum nicht:

„Na dann, wo soll es hingehen?“
„Wie bitte?“
Ich schaue den grimmig wirkenden Taxifahrer an und atme tief durch. Alles ist gut, sage ich mir in Gedanken.
„Ach ja. Entschuldigung. Zum Zentrum bitte.“
Der Fahrer grummelt irgendetwas in seinen Bart, während er anfährt.

Es regnet. Die Tropfen, die in kleinen Flüssen am Fenster herunterfließen, lassen alles von draußen verschwimmen.
...


Ich bin nicht sicher, ob das jetzt negativ oder positiv gemeint war, freue mich aber, dass das so rüberkommt, wie gewollt.
Das war eigentlich negativ gemeint und ich bin ehrlich verwirrt, weshalb das so gewollt war.

Vielleicht ist die Situation nicht ganz realistisch, aber der Freund hat es wie gesagt "richtig" interpretiert.
Schön für deinen Freund, ich raffs leider nicht und somit funktioniert der Text eben nicht bei mir.

Darf ich dir per PN schicken, wie es gedacht war und mir deine Meinung davon durchlesen?
Ich finde es schade, wenn die Quintessenz eines Textes erklärt werden muss, da es der Text nicht selber schafft. Aber nun gut, ich bin gespannt, ob ich einfach nur auf dem Schlauch stehe oder da wirklich noch ein paar Puzzelteile fehlen.

Gruss dot

 

Hi dot,

Bei "Weniger Abschnitte" sehe ich vor allem den Anfang, da es mir als (wirkungslos?) eingesetztes Stilmittel erscheint. Warum nicht:

„Na dann, wo soll es hingehen?“
„Wie bitte?“
Ich schaue den grimmig wirkenden Taxifahrer an und atme tief durch. Alles ist gut, sage ich mir in Gedanken.
„Ach ja. Entschuldigung. Zum Zentrum bitte.“
Der Fahrer grummelt irgendetwas in seinen Bart, während er anfährt.​

Ich hab die Absätze rausgenommen. Die Idee war, dass die wörtliche Rede alleine steht und somit mehr zur Wirkung kommt, weil ja nicht viel geredet wird.

Ich finde es schade, wenn die Quintessenz eines Textes erklärt werden muss, da es der Text nicht selber schafft.
Finde ich auch Schade… Dann ist meine Skepsis, ob das rüberkommt, wohl begründet. Der Freund hat mich hoffen lassen, dass es für mehrere klar wird.

Aber nun gut, ich bin gespannt, ob ich einfach nur auf dem Schlauch stehe
Ich denke nicht. Der Text scheint ja bei der Mehrzahl nicht zu funktionieren. Vielleicht schreibe ich noch etwas um.

Gruß
Sigoron​

 

Hallo Sigoron.

Ich weiß nicht, ob der Text jetzt umgeschrieben wurde oder ob es die Version ist, die nicht verstanden wird.

Meine Interpretation des Textes ist: ein Mensch sitzt jahrelang im Gefängnis, wird endlich entlassen (--> "Ich bin frei.") wegen guter Führung (--> "Ich bin jetzt ein anderer Mensch"). Nun ist er völlig überfordert mit der Situation "da draußen" und dreht durch. In dem Bewusstsein, was er getan hat, wartet er darauf, von der Polizei wieder dorthin gebracht zu werden, wo er sich "unfrei" (--> was ja logisch ist in einem Gefängnis) ;) fühlte, wo ihm aber alles vertraut ist.

Es ist ja nicht selten, dass Menschen Probleme mit einer Wiedereingliederung haben.

Jetzt weiß ich natürlich nicht, ob das Deinen Erwartungen entspricht, aber so lese ich Deine Geschichte. Der Stil könnte noch verbessert werden in Ausdruck und Sprache. Der Prot könnte durch mehr Hintergrundwissen, wie dot ja schon schrieb, lebendiger beschrieben werden, sodass man sich als Leser hineinfühlen kann. Aber die Story an sich, den Gedanken, der dahinter steht, den finde ich eigentlich ganz gut. :)

Viel Spaß weiterhin!
Meraviglia

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Meraviglia!

Dann bin ich ja relativ froh, dass ich noch nichts umgeschrieben habe - denn so war es gedacht :)

Jetzt, wo nach dem hochladen ja schon einige Zeit vergangen ist, werde ich mir die Geschichte nochmal vornehmen. Da fallen mir bestimmt Verbesserungen ein, auch wenn ich jetzt doch nicht mehr deutlicher machen möchte, wie es gedacht ist, da die Geschichte ja auch bei dir ohne funktioniert hat.

Leider habe ich kaum Zeit, mehr zu schreiben, obwohl noch Geschichten in Bearbeitung sind :(

Vielen Dank :D

Mit freundlichem Gruß
Sigoron

 

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