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Ruhe
„Na dann, wo soll es hingehen?“
„Wie bitte?“
Ich schaue den grimmig wirkenden Taxifahrer an und atme tief durch. Alles ist gut, sage ich mir in Gedanken.
„Ach ja. Entschuldigung. Zum Zentrum bitte.“
Der Fahrer grummelt irgendetwas in seinen Bart, während er anfährt.
Es regnet. Die Tropfen, die in kleinen Flüssen am Fenster herunterfließen, lassen alles von draußen verschwimmen. Hektische Leute, die mit ihren Regenschirmen ihre Einkaufstaschen schützen, hupende Autos mit miesgelaunten Fahrern am Steuer, Sirenen, Hunde, Kinder; eben alles, was Lärm macht. Dazu kommt das nervtötende Geräusch des immer stärker werdenden Regens, der gegen das Blechdach und gegen die Windschutzscheibe des Taxis prasselt. Zum Verrücktwerden.
„Das macht sieben fünfunddreißig.“, grummelt der Fahrer.
Ich zucke zusammen. Seine Stimme kam unerwartet. Ich krame einen Geldschein aus meiner Jackentasche und reiche ihm diesen.
„Stimmt so.“
Der Fahrer grummelt, ich steige aus.
Ich bin frei.
Ohne Schirm laufe ich über die Straße in die Fußgängerzone. Links und rechts Geschäfte, in der Mitte hektische Menschen mit ihren Hunden und Kindern. Überall fallen mir bunte Schilder ins Auge. Schlussverkauf. Nur heute: Alles reduziert. Neue Winterkollektion. Nimm drei, zahl zwei.
Und die Menschen strömen in die Geschäfte. „Kartoffeln! Die besten Kartoffeln weit und breit!“ Gerüche steigen mir in die Nase. Gerüche von fauligem Gemüse, fauligem Obst, rohem Fleisch, Regenwasser, Dreck und Hundescheiße. „Frisches Brot! Wollen Sie mal probieren?“ Ich will nicht probieren. Ich kämpfe mich durch die Masse, an den Marktständen vorbei.
Es blitzt.
Zwei Kinder brüllen sich an. Die Menschen werden hektischer, es wird gedrängelt und geschubst. „Hey, Vorsicht!“
Es donnert.
Lasst mich in Ruhe! Ich beschleunige meinen Schritt, biege in eine Gasse und fliehe in das erstbeste Lokal.
Mein Blick fällt auf die Theke am anderen Ende des Raumes. Überall stehen kleine Tische mit Stühlen und es riecht nach frischem Kaffee. Leise Musik tönt aus Lautsprechern von der Decke. Ich setzte mich an einen Tisch in der hintersten Ecke. Sofort kommt ein Kellner an, um meine Bestellung aufzunehmen. Nach meiner Antwort zieht er ab, um mein Wasser zu holen.
An den anderen Tischen sitzen ebenfalls Menschen, meist in Gruppen. Ihre Gespräche erfüllen den Raum und dröhnen als eintöniges Gemurmel in mein Ohr. Ich vermisse meine Freunde, ich vermisse es, mich zu unterhalten. Aber mit denen hier rede ich nicht.
Ich atme tief durch. Ich bin jetzt ein anderer Mensch, sage ich mir.
Eine Fliege kommt angeflogen und dreht vor meinem Gesicht ihre zackigen Runden. Ihr Summen stört mich. Ich schlage nach ihr, sie fliegt nicht weg. Verstärkung kommt hinzu. Jetzt schwirren Sie zu zweit um meinen Kopf und reizen meine Nerven. Ihr Summen scheint immer lauter zu werden. Eine setzt sich auf den Tisch, die andere summt mir weiter ins Ohr. Jemand lässt ein Glas fallen. Die Ladenglocke klingelt und weitere Menschen trampeln ins Lokal. Draußen rasen Verrückte mit ihren Motorrädern vorbei. Am Tisch neben mir lacht eine Frau laut kreischend. Die plärrende Musik und der Kaffeegestank machen mich Wahnsinnig. Ich hasse Kaffee! Der Kellner kommt zurück und will mir mein Wasser servieren.
„Alles in Ordnung?“
Die Fliege summt immer lauter. Mir reicht‘s! Ich reiße dem Kellner das Glas aus der Hand und schlage damit schreiend nach der Fliege auf dem Tisch. Das Glas zerspringt, das Wasser spritzt in alle Richtungen, ich springe auf. Die Menschen werden nervös. Alle glotzen mich an, ich höre nur noch mein eigenes Herzklopfen und ein rauschen. Der Kellner redet auf mich ein, ich sehe es an seinen Lippen. Ich ramme ihm die Reste des Glases in den Hals. Er guckt nur blöd, bevor er blutspritzend auf den Boden klatscht. Die nervige Musik und das Gekreische und Geheule der Menschen dringt zu mir durch. Mir wird schwindelig. Ich taumele nach draußen. Ein Köter kläfft mich an, ich trete ihn zur Seite und gehe weiter. Ein LKW fährt direkt vor meiner Nase durch eine Pfütze, das schmutzige Wasser landet in meinen Augen und nimmt mir die Sicht. Ein paar orientierungslose Schritte laufe ich noch, dann brülle ich in den Himmel. Ich brülle meinen ganzen Ärger und den ganzen Hass heraus, denn ganzen Hass auf diese wirre Welt, dann setze mich auf die Straße und warte.
Zwei Polizisten kommen angerannt, schreien mir irgendwas zu, aber ich höre gar nicht hin. Sie treten vor mich, einer bückt sich und legt mir Handschellen an. Ich wehre mich nicht. Ich werde in ein Auto gebracht, jemand wischt mit einem Tuch durch mein Gesicht.
Ich atme tief durch.
Der Regen prasselt gegen das Blechdach und gegen die Windschutzscheibe des Polizeiwagens und lässt alles von draußen verschwimmen. Aber mich interessiert gar nicht, was da draußen abläuft. Alles was ich denke ist:
Ruhe! Bald herrscht endlich wieder Ruhe!