Was ist neu

Ruben

Monster-WG
Seniors
Beitritt
18.06.2015
Beiträge
1.334
Zuletzt bearbeitet:

Ruben

Es klopft und ich zucke zusammen. Ruben. Das kann nicht sein. Vielleicht ist ein Vogel gegen die Fensterscheibe geprallt.

Rubens Eltern zogen vor drei Jahren in unser Quartier. Nette Leute. So nett, dass wir uns bereiterklärten, auf den Kleinen aufzupassen, wenn die beiden einen Abend für sich haben wollten. Dann standen sie morgens um halb zwei mit feuchten Schuhen in unserem Wohnzimmer und meine Frau legte ihnen den schlafenden Jungen in die Arme.
Marion vergötterte Ruben. Sie schenkte ihm Kühe aus Holz und Murmeln in allen Farben. Ein Krokodil mit Filzzähnen. Stets zerriss Ruben das Packpapier, legte das Geschenk auf den Küchentisch und betrachtete es für wenige Sekunden. Nachdem er entschieden hatte, was damit zu tun sei, ging es los. Ruben rannte mit dem Stofftier im Arm von Zimmer zu Zimmer. Ruben rollte Murmeln über unser Parkett. Ruben baute einen Stall aus Karton und polsterte ihn mit Moos aus unserem Garten. Lärm machte er, egal, was er tat. Am Ende wurden die Sachen im Kleiderschrank verstaut, wo sie noch heute liegen. Marion half ihm dabei. Ich machte sie auf ihre übertriebene Zuwendung und die Nutzlosigkeit all dieser Geschenke aufmerksam, die sich unter meinen Anzügen stapelten.
„Ist es ein Verbrechen, Spielzeug aufzubewahren?“
„Er ist nicht unser Kind.“
„Natürlich nicht. Das weiss ich sehr wohl. Du willst ja keine.“

Ich öffne die Tür zum Garten. Das warme Brummen nachbarlicher Rasenmäher. Nichts zu sehen.

Es stand nicht mehr gut um unsere Ehe. Nachts lag ich neben Marions Körper. Sie schlief. Ich hätte mit einer Puppe verheiratet sein können. Wieder und wieder fragte ich sie, was sie von mir erwarte. Sie meinte, was ich ihr geben könne, habe sich erschöpft.
„Wenn ich dich ansehe, werde ich müde.“ Ich schlug vor, ans Meer zu fahren, so wie damals, als wir uns kennengelernt hatten. Marion verdrehte die Augen. Kam ich abends nach Hause, war ich jedes Mal erstaunt, dass sie mich nicht verlassen hatte.

In der Ferne zerfliessen blaue Berge. Es wird kühler.

Ruben besuchte uns oft. Er kam durch den Garten und klopfte an die Fensterscheibe. Ich fand ihn ganz süss. Beine, Hände und Kopf schienen wenig verbunden. Manchmal fiel er hin, einfach so. Konzentrieren konnte er sich auf nichts. Alles lenkte ihn ab. Medikamente wollten ihm seine Eltern nicht geben. Es wäre besser gewesen.
Mich mochte Ruben wohl nicht besonders. Brauchte er etwas, ging er zu Marion. Einmal wurde er von einer Biene gestochen. Er schrie auf, rannte zu meiner Frau und drückte sich an sie. Marion entfernte den Stachel und saugte das Gift aus seiner Hand. Ruben sah zu mir herüber. Seine dunklen Augen klagten mich an, als sei ich schuld an seinen Schmerzen.

Die Sonne kämpft gegen ihr Verschwinden. Kein Tod ist sinnlos.

Letzten Winter fuhren wir mit Ruben zu einem dieser Tropenhäuser, wo Schmetterlinge flattern und sich Wassertropfen an Glaswänden bilden. Ich hatte mich mit Marion gestritten. Eines der wenigen Wochenenden, die wir gemeinsam hätten verbringen können. Nur wir beide. So wie jetzt Rubens Eltern.
„Ich möchte aber lieber hier sein“, sagte sie. Betonwege führten durch die Hallen. Marion hatte Ruben bei der Hand genommen. Ihre Köpfe drehten sich nach links und nach rechts. Sie blieben stehen und rochen an fleischigen Blüten. Ab und zu stiess Ruben einen Schrei aus und Marion lachte. Ich folgte in einigem Abstand. Ich war zu warm angezogen, von der fauligen Luft wurde mir übel.
Als wir ihn am Abend zurückbrachten, presste Marion ihr Gesicht auf sein schwarzes Haar.
„Es riecht wie frisch gefallener Schnee.“
Am nächsten Tag geschah es. Unten bei der Kreuzung. Ein Auto stand mitten auf der Strasse. Davor Rubens Vater. Er schaute mir in die Augen, aber ich denke nicht, dass er mich sah. Neben ihm knieten zwei Sanitäter in roten Jacken. Grauer Asphalt. Rinnsale von schmutzigem Schmelzwasser. Mehr konnte ich nicht erkennen.

Ich gehe ins Wohnzimmer zurück und schliesse die Tür. Marion hat eine neue Kerze angezündet.

Zur Beerdigung fuhren wir nicht. Wir standen am Fenster und sahen, wie Rubens Eltern das Haus verliessen. Gekrümmte Schatten. Ich legte meinen Arm um Marion.
Es war eine schwierige Zeit. Noch jetzt, ein halbes Jahr später, geht es Marion manchmal schlecht. Doch ihre Trauer brachte uns einander näher.
„Du kannst dich auf mich verlassen.“
„Ich weiss.“
Wir schlafen miteinander. Marion krallt ihre Hände in meinen Rücken, bis es blutet. Wir spüren uns wieder und das ist gut.

 

Hallo Peeperkorn, und herzlich Willkommen.

Der Stil deiner Geschichte, dein Umgang mit Worten, haben mir gut gefallen. Deine Rechtschreibung ist gut, bis auf ein paar wenige Kleinigkeiten habe ich nichts gefunden. Auch der Plot ist interessant. Ein fremdes Kind steht zunächst auf eine gewisse Weise zwischen den beiden, das sowieso schon voneinander entfremdete Paar entfernt sich noch mehr voneinander. Rubens tragischer Tod bringt die beiden einander wieder nahe.

Die Geschichte hinterlässt jedoch einen bitteren Nachgeschmack, da ich den Eindruck habe, der Mann ist fast froh, erleichtert darüber, dass der Junge weg ist und er seine Frau wieder für sich allein hat. Er ist von Anfang an unterschwellig feindselig. Ich bin froh, dass die beiden keine Kinder haben, denn der Mann scheint mir nicht das Potential für einen guten, liebevollen Vater zu haben.

Inhaltlich finde ich alles etwas dünn. Das Kind bleibt völlig seelenlos. Hier hast du meiner Meinung nach Potential verschenkt. Du hast ihm kein Leben eingehaucht. Ruben ist charakterlos, blass und uninteressant. Ein stummes Kind, das nicht einmal mit Spielsachen spielt, auch sonst nichts tut. Immerhin schreit er, als er von einer Biene gestochen wird, aber das ist auch schon die einzige Reaktion, die einzige Handlung. Natürlich gibt es auch stille Kinder, aber auch die spielen, malen, lachen mal, sind fröhlich, traurig, schüchtern, begeistert, wütend oder sonst irgendwas. Ruben ist nichts, tut nichts. Sein Tod löst keine Emotionen bei mir aus, ich bin genauso gleichgültig wie der Protagonist.
Vielleicht war das deine Absicht, vielleicht willst du so die Gefühlskälte und Eifersucht des Protagonisten zeigen, aber mir fehlen hier, wenn schon nicht Gefühle, so doch wenigstens Handlungen irgendeiner Art von Seiten des Jungen. Besonders, da du seinen Namen als Titel der Geschichte gewählt hast.

Bist du Schweizer(in)? Mir ist aufgefallen, dass du das ß an den entsprechenden Stellen nicht verwendest. Wenn du aus der Schweiz bist, ist das richtig so, ansonsten solltest du es korrigieren.

Doch das kann nicht sein.

Ich würde das Füllwörtlein „doch“ streichen.

So nett, dass wir uns bereit erklärten, auf den Kleinen aufzupassen, wenn die beiden einen Abend für sich und morgens um halb zwei ihren Sohn zurück haben [zurückhaben] wollten.

Der Teil nach "und" will nicht recht in den Satz passen: Wir erklärten uns bereit, auf den Kleinen aufzupassen, wenn die beiden [...] um halb zwei ihren Sohn zurückhaben wollten.
Ich würde ihm einen eigenen Satz schenken.

Dann standen sie mit feuchten Schuhen in unserem Wohnzimmer und meine Frau legte ihnen den schlafenden Jungen in die Arme. [Hier würde ich einen Zeilenwechsel oder Absatz machen] Marion vergötterte Ruben.

Nachts lag ich neben Marions Körper.

Das hat mich erst irritiert, aber es passt.

Ich schlug vor, ans Meer zu fahren, so wie damals, als wir uns gerade erst kennen gelernt hatten.
„gerade erst“ ist enbehrlich.

In der Ferne zerfliessen blaue Berge.

Falls du nicht aus der Schweiz bist: zerfließen.

Ich glaube nicht, dass er mich besonders mochte.
Kann ich verstehen. Kinder spüren es halt meistens, wenn jemand sie nicht leiden kann.

drückte seinen Kopf gegen ihren Körper.

Das finde ich etwas unelegant ausgedrückt. Vielleicht: drückte/schmiegte sich an sie.

Ruben schien glücklich zu sein.

Woran ist das zu erkennen? Wie verhält sich das Kind, wie sieht es aus, wenn es glücklich ist?

Als wir ihn am Abend zurückbrachten, presste Marion ihr Gesicht auf sein schwarzes Haar, das, wie sie später sagte, nach frisch gefallenem Schnee roch. [Hier fehlt mMn ein Absatz] Am nächsten Tag geschah es.

Ich gehe ins Wohnzimmer zurück und schliesse die Tür.

Auch hier, falls nicht Schweizer(in): schließe

Marion sagte, sie würde es nicht ertragen können.

Besser: sie könne es nicht ertragen.

Ich setzte mich neben sie und nach einer Weile legte sie ihre Hand auf meine.

Hier bist du mit den Zeiten durcheinander gekommen, richtig wäre Präsens.

Marion weiss

weiß. Außer ... du weißt schon.

Alles in allem gefällt es mir, wie gesagt, aber ich würde mir mehr szenisches Erzählen wünschen, Dialoge, anstatt nur ein Erzählen davon, dass ein Gespräch stattgefunden hat, mitsamt einer Zusammenfassung desselben. Dann würde das Ganze lebendiger.
Und ich wünschte mir ein lebendiges Kind statt einer blutleeren Puppe.

Ich hoffe, du kannst mit meinen Gedanken etwas anfangen.

Liebe Grüße
raven

 

Hallo Peeperkorn,

der Wechsel von Vergangenheit in die Gegenwart funktioniert in deiner Geschichte! Auch deine Art zu schreiben gefällt mir, sie ist ruhig und transportiert die Trauer, Eifersucht und Hoffnung deines Protagonisten gut.

Die Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind (das Wort "doch" in "Das kann doch nicht sein" streichen und den Satz "Marion sagte, sie würde es nicht ertragen können" zu "Marion sagte, sie könne es nicht ertragen" ändern), hat raven bereits erwähnt. Ansonsten ist mir bei der Rechtschreibung nichts aufgefallen.

Was den Inhalt betrifft, finde ich, deutest du gut an, was den Protagonisten bewegt und auch, wie es Marion geht und warum sie Ruben so gern hat. Auch die Beziehung zwischen den beiden wird durch beispielhafte Situationen so beleuchtet, dass man spürt, dass hier eine Beziehung kurz davor ist, zu zerbrechen. Wo ich raven Recht gebe, ist, dass Ruben selbst leider ohne Konturen bleibt. Hier könntest du ebenfalls durch bestimmte Situationen beschreiben, was für ein Kind er ist. Da er eigentlich Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist, sollte der Leser ihn besser kennenlernen.

Viele Grüße
RinaWu

 

Hallo raven, Hallo RinaWu

Ganz herzlichen Dank für eure Rückmeldungen. Was für ein Empfang in diesem Forum!
Ich antworte euch beiden gleichzeitig, da ihr ähnliche Punkte ansprecht.
Zunächst: Ja, ich bin Schweizer und habe das nun im Profil vermerkt. Sodann: Am Anfang stand die Idee, jemanden von einem Todesfall erzählen zu lassen, über den er insgeheim froh ist. Mich faszinieren unzuverlässige Erzähler, die über ihren eigenen emotionalen Zustand nicht so recht Bescheid wissen. Der bittere Nachgeschmack ist beabsichtigt. Diese Konzeption hat denn auch zur Entschiedung geführt, Ruben blass und ohne Konturen zu lassen, denn so wird er vom Erzähler wahrgenommen. Er schreibt: "Der Junge schien glücklich", ist aber nicht in der Lage, dies zu präzisieren. Euer Unbehagen kann ich dennoch sehr gut nachvollziehen. Die Idee, wenn nicht von den Gefühlen des Jungen, so doch von seinen Handlungen zu erzählen, nehme ich gerne auf. Als Titel hatte ich zunächst: "Sehet, ein Sohn!" (wörtliche Bedeutung von Ruben) gewählt. Das würde die Aufmerksamkeit von Ruben weg und auf die Kinderlosigkeit des Paars hin lenken. Aber das war mir dann zu biblisch-pathetisch. raven: Ganz herzlichen Dank für die detaillierten Kommentare zu einzelnen Passagen! Das ist extrem hilfreich.

 

Finde ich klasse! Ich hab mir ja schon gedacht, dass es so gemeint war.
Ich bin sehr gespannt, wie du das mit den Handlungen umsetzt und wie sich das letztendlich auf die Geschichte auswirkt. Oft bewirken kleine Änderungen ja eine Menge. Das wird sicher noch eine richtige Perle. :thumbsup:

 

Ich habe den Text gemäss euren Anregungen sanft renoviert und versucht, sowohl Ruben als auch dem Text selbst etwas mehr Leben einzuhauchen. Bin gespannt auf weitere Rückmeldungen.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 

Lieber Peeperkorn,
da du meinen Text so eingehend kommentiert hast, habe ich mir auch deinen Text noch einmal vorgenommen. Schon vor ein paar Tagen habe ich ihn gelesen, allerdings eher überflogen. Irgendwie hakte es bei mir, ohne dass ich mir überlegt habe, warum das so war/ist.
Heute habe ich ihn nun also noch einmal gelesen. Ich weiß, dass du einige Änderungen vorgenommen hast, die z.B. Ruben konkretisieren.
Aber ich habe ein anderes Problem
Wenn ich mir den zeitlichen Ablauf klar mache, so steht für mich am Anfang der Geschichte die Entfremdung der beiden. Als Motiv gibst du dem Leser

„Er ist nicht unser Kind.“
„Natürlich nicht. Das weiss ich sehr wohl. Du willst ja keine.“
Dann kommt Ruben. Marion findet ein Objekt für ihre Zuwendung, Liebe und Fürsorglichkeit und ist glücklich. Das beschreibst du sehr gut.
Auch, wie hilflos der Mann dieser Situation gegenübersteht:
Nachts lag ich neben Marions Körper. Sie schlief. Ich hätte mit einer Puppe verheiratet sein können. Wieder und wieder fragte ich sie, was sie von mir erwarte.
Dann stirbt Ruben, es kommt die Zeit der Trauer.
Und dann finden sich die beiden wieder:
Doch ihre Trauer brachte uns einander näher.
„Du kannst dich auf mich verlassen“, sage ich.
„Ich weiss.“
Wir schlafen miteinander. Marion krallt ihre Hände in meinen Rücken, bis es blutet. Wir spüren uns wieder und das ist gut.
Hier kommt mein Problem: Wie hat die Trauer die beiden näher gebracht. Was ist jetzt anders? Warum schlafen sie jetzt wieder miteinander? Warum spüren sie einander wieder?
Dieser Schluss ist mir zu offen, weil ich ihn nicht nachvollziehen kann.
Während ich dir vorher folgen kann, der Text einer inneren Logik folgt, bleibt mir hier das „Warum“.

Ich finde deinen Text ansonsten sehr lebensnah. Etwas Ähnliches habe ich selber einmal erlebt. Der unbedacht vom Mann ausgesprochene Satz, dass er noch kein Kind wünsche, führte bei einem befreundeten Paar zuerst zur Entfremdung, später sogar zur Trennung.

In diesem Zusammenhang fällt mir (wieder einmal) die KG „Katze im Regen“ von Hemingway ein, in der er genau dieses Thema verarbeitet. Auch hier sucht die Frau nach einem Objekt, dem sie ihre Sorge und Zuwendung geben kann.

Das waren meine Gedanken zu deinem Text. Die Art, wie du den Mann zum hilflosen und konstatierenden Beobachter machst, gefällt mir.

Ich wünsche dir einen schönen Sonntagmorgen
barnhelm

 

Hallo barnhelm

Herzlichen Dank für den Hinweis auf "Katze im Regen". Kenne ich nicht. Werde ich lesen. Deinen Kommentar fand ich sehr hilfreich. Dass man bei einer ersten Lektüre nicht hängen bleibt, kann ich gut verstehen. Das ist halt mein Stil, zumindest in dieser Geschichte. Gibt mir dennoch zu denken.
Es freut mich, dass die Geschichte für dich gut funktioniert - bis fast zum Ende. Ich habe den Abstand zwischen Rubens Tod und dem Satz: "... und das ist gut" möglichst klein halten wollen, um die Leserin spüren zu lassen, was der Erzähler nicht sagen kann: dass er über Rubens Tod erleichtert ist. Dadurch ist der Schluss sehr kurz geworden, das gefällt mir selbst nicht so ganz. Aus meiner Sicht ist Marions Reaktion nachvollziehbar. Sie braucht offenbar etwas in ihrem Leben: Eigene Kinder, Ruben. Und jetzt, in der Trauer, braucht sie ihren Mann. Es ist ja nicht so, dass Marion eine Heilige ist. Zudem ist ja nicht klar, ob eigene Kinder nicht doch noch in Frage kommen. Aber das kommt vielleicht zu wenig rüber. Ich werde die Sache auf alle Fälle nochmals überdenken. Statt: "Du kannst dich auf mich verlassen" - "Ich weiss" könnte man Marion sagen lassen: "Ich brauche dich jetzt" - mit der Antwort: "Du kannst dich auf mich verlassen".
Danke, dass du dir die Zeit für eine zweite Lektüre genommen hast.
Grüsse aus Bern
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

ich habe eben gesehen, dass du noch ein paar Änderungen vorgenommen hast und habe deinen Text noch einmal gelesen. Ruben hat nun wirklich ein wenig mehr Farbe bekommen, wenn er mir auch nicht wirklich sympathisch erscheint, sondern durch die von dir gewählten Sätze eher hyperaktiv und anstrengend. Aber ich nehme an, das ist so gewollt, denn der Erzähler ist ja lange nicht so "verliebt" in Ruben, wie seine Frau es ist.

Hier habe ich noch eine kleine Anmerkung, ich glaube, das ist der falsche Konjunktiv:

Marion sagte, sie könnte es nicht ertragen.
Ich denke, richtig sollte es heißen: "Marion sagte, sie könne es nicht ertragen."

Viele Grüße
RinaWu

 

Hallo RinaWu

Merci für die Rückmledung. Ja, ich wollte Ruben durch die Augen des Erzählers charakterisieren und der mag Kinder offenbar nicht besonders.
Ich meinte: "Marion sagte, sie könnte es nicht ertragen...wenn sie zur Beerdigung gehen würde." Aber das ist wohl missverständlich.

Danke und hab einen guten Start in die Woche
Peeperkorn

 

„Abermal ward sie schwanger/ vnd gebar einen Son
/vnd sprach/ Nu wird sich mein Man wider zu mir thun/
denn ich hab jm drey Söne geborn/ ….“ Genesis 29, 34​

Die Sonne kämpft gegen ihr Verschwinden. Kein Tod ist sinnlos.
Mir stach schon vor Tagen der Titel, genauer: der Name ins Auge,

lieber Peeperkorn,
und - vorweg - auch von mir ein herzliches Willkommen hierorts!,

verhieß er doch ein geradezu biblisches Thema: Der älteste Sohn Jakobs heißt Ruben und der kann nicht verhindern, dass Jakobs Lieblingssohn, Josef, von den Brüdern verraten und verkauft wird, was vielleicht weniger bedeutsam ist, als zu wissen, dass Ruben von Lea stammt, der älteren Schwester der von Jakob geliebten Rahel, der Mutter des Josef und des Benjamin. (Ich unterstell, dass die Geschichte bekannt ist.)

Nun hat dies vordergründig wenig mit Deiner Geschichte zu tun, tatsächlich aber deutestu einiges mit düsteren Worten an, die geradezu alttestamentarisch sein könnten (siehe Eingangszitat) und hier

Zur Beerdigung fuhren wir nicht. Wir standen am Fenster und sahen, wie Rubens Eltern das Haus verliessen. Gekrümmte Schatten,
dunkle Abbilder ihrer selbst, wenn man nicht gleich das Bild vom Schattendasein bemühen will, das nahe beim mythischen Totenreich liegt und so nehm ich die Genesis zur Hand und finde unter den Geschichten, die von Jakob in Ägypten folgendes berichten „Als aber der HERR sah, dass Lea ungeliebt war, machte er sie fruchtbar; Rahel aber war unfruchtbar. Und Lea ward schwanger und gebar einen Sohn; den nannte sie Ruben und sprach: Der HERR hat angesehen mein Elend; nun wird mich mein Mann liebhaben. Und sie ward abermals schwanger und gebar einen Sohn und sprach: Der HERR hat gehört, dass ich ungeliebt bin, und hat mir diesen auch gegeben. Und nannte ihn Simeon.“ (Genesis, Kapitel 29, 31 ff.)

Als wäre es eine Form(el) zu Deiner Geschichte, die nur einen kleinen Haken hätte, der zugleich sprachlich interessant ist, im Tausch des lebenden Ruben gegen Spielsachen, insofern Sachwerte in der bürgerlichen Welt wertvoller erscheinen als der Mensch, was etwa bei meiner Mutter 1967 f. im Rahmen der APO zu der absurden Bemerkung führte, wir - die Unruhestifter - vergriffen uns ja nur an Sachen - und das direkt nach dem Tod des Benno Ohnesorg.

Die Verknüpfung von Materiellem und seiner Vermehrung mit dem Leben findet sich in diesem kleinen Dialog:

„Ist es ein Verbrechen, Spielzeug aufzubewahren?“, fragte sie.
„Er ist nicht unser Kind.“
„Natürlich nicht. Das weiss ich sehr wohl. Du willst ja keine.“
Was ist nun sprachlich daran interessant, außer, dass das Spielzeug als Kindesersatz herhalten muss: Der an sich absurde Wechsel von Einzahl
„Er ist nicht unser Kind.“
zum Plural
… Du willst ja keine.“
als wäre nicht zuvörderst das erste Kind notwendig, um mit dem zwoten Kind endlich ein Pärchen und damit Kinder zu haben.

Aber war in den alten Gesellschaftsformen die Bedeutung des Besitzes weniger und der Mensch höher angesehen als heute? Lea bekommt in der Folge noch Sohn um Sohn, noch acht an der Zahl …, was man heute auch nicht unbedingt beklatschen braucht: Es galt, das Erbe und Arbeitskräfte zu sichern.
Ich hab mal die ursprüngliche Lutherübersetzung zu Genesis 29, 31 ff. herausgesucht und es ist deutlich zu erkennen, dass die neuere Übersetzung weichspült, aus dem Adjektiv/Attribut „ungeliebt“ wird „unwert“:„DA aber der HERR sahe/ das Lea vnwerd war/ macht er sie fruchtbar vnd Rahel vnfruchtbar. 32. Vnd Lea ward schwanger/vnd gebar einen Son/ den hies sie Ruben / vnd sprach/ Der HERR hat angesehen mein elende/ Nu wird mich mein Man liebhaben. 33. Vnd ward abermal schwanger/vnd …“ Und mit der Tendenz zum Gottvertrauen, wie es die Geschichte schildert,

„Du kannst dich auf mich verlassen“, sage ich.
„Ich weiss.“
Wir schlafen miteinander. Marion krallt ihre Hände in meinen Rücken, bis es blutet. Wir spüren uns wieder und das ist gut.
Vielleicht hat ja auch die Auffrischung (mit der einzigen Fluse, die ich im Text fand)
Ich schlug vorKOMMA ans Meer zu fahren, so wie damals, als wir uns kennengelernt hatten.
ihre Wirkung ...

Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo Peeperkorn,

eine subtil geschriebene Geschichte, wirklich und gleich mit mehreren Ebenen. Ich lese von einer zerbrochenen Beziehung, in der Hoffnung aufkeimt und Verletzungen bleiben, ich lese von einem rätselhaften Jungen, der stirbt.... Warum eigentlich, frage ich mich......alles bleibt im Vagen und Ungewissen, das ist einerseits die Stärke, andererseits die Schwäche der Geschichte....
Deine Bilder sind plastisch und dicht, gefällt mir alles gut..... manchmal etwas zu viel vielleicht....poetisch gewiss, aber doch auch im Rausch der zu erzeugenden Bilder....

ich versuch mal zu zitieren:

In der Ferne zerfliessen blaue Berge. Es wird kühler.

Die Sonne kämpft gegen ihr Verschwinden. Kein Tod ist sinnlos.

Diese eingestreuten Beobachtungen sind für meinen Geschmack zu kurz, um einen Absatz zu rechtfertigen. Besser wäre es, sie im Text unterzubringen. Das ist organischer, fließender....

Wenn du Dialoge schreibst, sollte aus dem Zusammenhang klar werden, wer gerade spricht.... das ganze : "sagte er" nervt als Leser zumeist und zerstückelt den Text....

„Ist es ein Verbrechen, Spielzeug aufzubewahren?“, fragte sie.

[QUOTE„Du kannst dich auf mich verlassen“, sage ich.][/QUOTE]

Ich mag den Text und habe ihn gern gelesen.

viele Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Friedel

Wunderbar, wie du den Bogen von der Genesis bis zum Fetischcharakter der Ware spannst. Und den Ruben dazwischen, es bricht ihm fast die dünnen Knochen. Aber mich hat es unheimlich gefreut. Ganz herzlichen Dank für deine Zeilen!

Hallo Isegrims

Dir ebenfalls vielen Dank für deine Anmerkungen. Ich habe vier "sagte" gestrichen, das war ein hilfreicher Hinweis.
Die eingestreuten Beobachtungen beinhalten einen Zeitenwechsel. Daher die Abschnitte. Ich denke jedoch, dass diese alleinstehenden Passagen für deinen Eindruck mitverantwortlich sind, dass das "manchmal etwas zu viel ist." Ich versuche, in Zukunft diesbezüglich achtsam zu sein.
Aus deiner Anmerkung, das Vage sei sowohl die Stärke als auch die Schwäche des Textes, kann ich hier wohl keine direkte Verbesserung ableiten - hilft mir grundsätzlich aber trotzdem weiter.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom