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Rotkäppchen aus der Sicht der Blumen
Ich, die Waldlilie „Immergrün“, stand gerade neben meinen Blumenfreundinnen und wir tauschten die neueste Mode aus. „Wisst ihr, was gerade voll angesagt ist?“, fragte meine beste Blumenfreundin, Rosetta, die Rose. „Dornen!“, rief sie.
„Rosetta, wir wissen, dass du stolz auf deine Stacheln bist, aber wir haben keine“, antwortete ich genervt. Mich langweilte es, dass ich hier den lieben, langen Tag herumstehen musste, Tag für Tag, für Tag ...
„Ein Abenteuer wäre mal eine nette Abwechslung“, dachte ich. „Immergrün“, rief meine Nachbarin, die lila Primel. „Immergrün, du träumst schon wieder!“
„Ja, ja“, murmelte ich und hoffte, dass ich bald etwas Spannendes erleben würde.
Einige Sonnenstände später passierte es. Ich hörte eine tiefe, knurrige Stimme sagen: „Rotkäppchen, sieh, dort sind schöne Blumen, geh doch hin und pflücke einige für deine kranke Großmutter.“
Die Stimme versuchte freundlich zu klingen, aber es gelang ihr nicht recht, denn da war immer noch dieser unübertönbare, böse Unterton. „Nein“, dachte ich. „Rotkäppchen, tu es nicht, dieses Tier hat Böses im Sinn.“ Ich sah hinter einer Kiefer etwas Rotes hervorschimmern. Da war es, ein Mädchen, das musste Rotkäppchen sein. Sie kam auf mich zugesaust, dass man fast Angst um das Wohlbefinden von Pusti, der Pusteblume, haben musste. „Pflück mich, pflück mich“, dachte ich voll freudiger Erwartung. Und das tat Rotkäppchen auch. Zuerst pflückte es Rosetta, dann Zani, den Löwenzahn, Berta die Nelke ... und schließlich mich. Juhu, jetzt konnte das Abenteuer losgehen!
„Oh Mann, ist das aufregend!“ Rosetta war ganz entzückt von dem plötzlichen Umzug in Rotkäppchens Korb. Ich glaube, sie hatte sich auch gelangweilt, auf unserer Wiese. „Ja, endlich mal was Neues“, stimmte ich ihr begeistert zu. „Aber...“, setzte Berta an. „Wohin geht sie mit uns?“ Die Frage war berechtigt, das musste ich ihr lassen, doch ehe ich antworten konnte, rumpelte es und der Korb stand auf dem Boden. Zani fuhr auf. „Hey, was soll das?“, empörte er sich. Ich hörte, wie jemand eine Tür öffnete und lugte durch den Weidenkorb hinaus. Es war Rotkäppchen. „Komm herein, Rotkäppchen“, hörte ich eine mir bekannte Stimme sagen. „Ja Großmutter“, antwortete Rotkäppchen, „ich habe dir Wein, Kuchen und Blumen mitgebracht.“ Sie hob den Korb und damit uns wieder hoch und ging durch die Tür hinein, in ein Zimmer, mit einem Bett. All das konnte ich durch den Korb erkennen. „Rotkäppchen“, da war die Stimme wieder. „Komm herein und sage mir erst einmal richtig Hallo.
„Aber Großmutter, warum hast du denn so große Ohren?“, fragte sie.
„Damit ich dich besser hören kann,“ antwortete die Stimme, die wahrscheinlich die der Großmutter sein musste.
„Aber Großmutter“, setzte das Rotkäppchen wieder an, „wieso hast du denn solch große Hände?“
„Damit ich dich besser packen kann“, antwortete die schreckliche Stimme. Wem gehört diese schreckliche Stimme?, fragte ich mich.
Sie gehört doch...
„Großmutter, wieso hast du so ein schrecklich großes Maul?“
„Damit ich dich besser fressen kann.“
Es war die Gestalt aus dem Wald. Nein!“, schrie ich, „Rotkäppchen, renn weg!“ Doch sie konnte mich ja nicht hören. Die Gestalt packte Rotkäppchen und verschlang es mit einem Schwung. „Wir müssen ihr helfen!“, schrie ich.
Rosetta war ebenso aufgeregt wie ich, doch Zani blieb cool: „Was sollen wir denn schon anstellen? Uns kann doch kein Mensch hören! Nur Tiere. Und was sollte uns das bringen?“
„Ich habs!“, rief ich aufgeregt. „Wir rufen den Hund vom Jäger, der kann bestimmt sein Herrchen herlocken!“
„Gute Idee!“, stimmten mir die anderen zu.
„Jägershund komm her geschwind, rette die Großmutter und das Kind. Locke schnell den Jäger her, das wird bestimmt nicht allzu schwer!“, schrien wir aus voller Seele und warteten gespannt, ob es etwas bringen würde.
Einige Zeit später hörten wir tatsächlich etwas: „Was ist denn hier los, Brutos?“, fragte eine Männerstimme, die vom Jäger sein musste. „ Du kannst doch nicht einfach in ein fremdes Haus stürmen!“, fügte er hinzu.
Ich lugte durch den Weidenkorb und sah, dass der Jäger durch die Tür hereinstürmte. „Da bist du also, du Schlawiener!“, rief er, als er den schlafenden Wolf erblickte. „Das hast du aber fein gemacht, Brutos“, lobte er seinen Hund, der uns zuzwinkerte. Der Jäger richtete sein Gewehr auf den Wolf, der ruhig schlief und wollte gerade abdrücken, als eine Mädchenstimme schrie: „ Bitte, holt uns hier raus!“
„Das musste Rotkäppchen sein.“ Als der Jäger begriff, dass da jemand im Bauch des Wolfes war, holte er sein Messer und schnitt den Bauch auf. Da sprang zuerst Rotkäppchen heraus und half auch ihrer Großmutter beim Aussteigen, die der Wolf auch verschluckt haben musste. Rosetta, die die ganze Zeit über neben mir die Luft angehalten hatte, atmete erleichtert aus. „Puh, das war knapp!“, rief sie. „Ja“, stimmte ich ihr zu. Der Jäger erschoss den Wolf und zog ihm das Fell ab. Das war mein Abenteuer!