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Roter Planet und grüner Lauch
„Hey, Simon! Wie war das Wochenende auf dem Mars?“, kräht Patrick quer über den Schulhof. Seine Stimme sticht in meinen Ohren. Mit schnellen Schritten kommt er auf mich zu.
„Ich war nicht auf dem Mars! Bemannte Raumfähren fliegen noch nicht dorthin. Bisher schicken sie nur kleine Roboter, wie den Pathfinder. Ich habe die Bilder gesehen, die er zurückgefunkt hat. Das waren ganz tolle Aufnahmen. Allein die Farben ...“
„Schon gut, Simon. Jeder kennt sich zu Hause aus.“ Patrick grinst und haut mir so plötzlich auf die Schulter, dass ich zusammenzucke. Warum grinst er bloß jedes Mal, wenn er mich mit dem Mars in Verbindung gebracht hat? Vor ein paar Wochen ging es los.
„Sag mal, kommst du vom Mars?“
„Nein, ich komme aus Bremen, Deutschland, Kontinent Europa, Planet Erde, aber gleiches Sonnensystem.“
Schallendes Gelächter unter den anderen Fünftklässlern. Ich habe einfach ihr Lachen kopiert. Aber inzwischen lasse ich das. Egal, in welche Richtung ich meinen Kopf drehe, überall sind Augen auf mich gerichtet. Heute kann ich dem Drang, meine Augen zuzukneifen, nicht widerstehen. Und schon lachen sie wieder. Hätte ich einen Wunsch frei, dann würde ich sie jetzt alle wegwünschen.
Endlich alleine. Die Sonne zeichnet helle Vierecke auf den Boden. Mit einem Finger streife ich über die Buchrücken, während ich die Regale entlang laufe. Wie immer, erst die in der Mitte, Reihe für Reihe. Dann einmal außen rum. Heute waren vier Bücher falsch einsortiert. Wie kann man nur so unordentlich sein?
Mein Lieblingsbuch „Roter Planet“ ist dort, wo es immer steht. Ich würde es gerne ausleihen, aber ich soll in dieser Bücherei gar nicht sein. Wieso haben die Lehrer und Oberstufenschüler die ganzen interessanten Bücher? Ich setze mich an einen Tisch und versinke in den Bildern. Absolute Stille, wie jeden Nachmittag. Genauso wie auf dem Roten Planeten. Dort hätte ich gerne ein Häuschen. Jeden Tag könnte ich auf die Landschaft schauen. Das wäre so schön.
Wie jeden Dienstag steht Kartoffelsuppe für mich auf dem Herd. Mit einer Hand fühle ich, wie der Topf wärmer wird. Wärmer, immer wärmer, bis ich ihn nicht mehr anfassen kann. Dampf entweicht durch die Löcher im Deckel. Vorsichtig wedele ich etwas davon zu mir.
Hier stimmt was nicht. Die Kartoffelsuppe duftet nicht wie sonst. Ich hebe den Deckel ein wenig an. Flache, grüne Stücke schwimmen in der Suppe. Noch während der Deckel klappernd zurückfällt, schalte ich den Herd aus.
Was soll das? Das kann ich nicht essen. Heute ist Kartoffelsuppe-Tag und nicht Kartoffelsuppe-mit-irgendwas-drin-Tag. Mit grummelndem Magen ziehe ich eine Pizza aus dem Gefrierschrank, schiebe sie aber gleich wieder zurück. Pizza-Tag ist erst Morgen und zweimal Pizza-Tag direkt hintereinander geht einfach nicht. Mir bleibt nur ein Käsebrot. Das geht immer.
Ich ziehe die Kühlschranktür auf und lasse sie sofort wieder zu fallen. Puh! Der gleiche Geruch wie von der Kartoffelsuppe. Mit zugehaltener Nase versuche ich es erneut. Unten stecken zwei Stangen Lauch quer. Sie liegen nicht mal im Gemüsefach, wo das ganze Gemüse reingehört. Soviel Unordnung nur wegen dem blöden Lauch. Wie kann man nur so was ins Haus holen? Bäh! Ich ziehe die beiden Stangen aus dem Kühlschrank.
Ich war so froh, als die Nachbarin den Lauch gestern aus ihrem Beet gezogen hat. Warum pflanzt sie so was, wenn sie es selbst nicht essen möchte? Und warum hat meine Mutter den Lauch überhaupt angenommen? „Man kann doch Nein sagen, wenn man etwas nicht haben möchte.“ Ich reiße das Fenster auf, hole Schwung und schleudere den Lauch in den Garten. Er prallt auf der Terrasse gegen einen Gartenstuhl, rutscht noch ein wenig weiter und bleibt kurz vor dem Blumenbeet liegen. „Dafür ist Nein doch da!“ Ich knalle das Fenster zu. Es riecht immer noch nach Lauch. Käsebrot kauend trete ich den Rückzug auf mein Zimmer an.
Ruckartig drehe ich den Kopf zu meinem Sitznachbarn. Das Raspeln seines Bleistiftanspitzers ist so laut, als hätte er den Stift in mein Ohr gesteckt. Jemand anderes räuspert sich mit der Lautstärke eines Wasserfalls. Ich muss hier raus. Ganz schnell.
Obwohl ich meinen Stuhl vorsichtig zurückschiebe, dröhnt der ganze Raum. Blicke richten sich auf mich. War ich jetzt selbst zu laut? Ich kann es nicht sagen, denn für mich gibt es keine leisen Geräusche mehr. Ich husche aus dem Klassenraum. Auf dem Flur ist endlich Stille. Aber hier kann ich nicht bleiben. Wenn mich ein Lehrer sieht, wird er mich zurück in den Klassenraum schicken. Langsam bewege ich mich in Richtung Toilette. Bloß nicht auffallen.
Am Waschbecken schaufele ich mir etwas Wasser ins Gesicht. Manchmal reicht das schon. Ich probiere es nochmal. Es klingt immer noch, als würde eine riesige Welle in mein Gesicht klatschen. Ich stütze mich auf das Waschbecken. Was würde ich im fehlenden Spiegel sehen? Mein nasses Gesicht. Meine Wuschelhaare. Merkwürdig zuckende Mundwinkel? Irre leuchtende Augen? So sehen die Leute im Fernsehen aus, bevor sie in eine Zwangsjacke kommen, weil sie wild um sich schlagen. Ich stoße mich vom Becken ab. „Nein! Ich will das nicht!“
Mit Papierhandtüchern trockne ich mein Gesicht. Das Rascheln hat fast normale Lautstärke. Ich lehne mich mit dem Rücken an die Fliesen, schließe die Augen und atme tief durch. Gleich kann ich wieder zurück.
Wie nach jeder letzten Stunde habe ich meinen Stuhl mit den Beinen nach oben auf den Tisch gestellt. Ich richte ihn gerade parallel zur Tischkante aus, als mich mein Klassenlehrer zu sich ruft.
„Was gibt‘s?“ Einige haben ihre Stühle nicht hochgestellt. Soll ich das machen?
„Mir ist da was aufgefallen.“ Er wartet, bis wir beide alleine sind. „Seit ein paar Tagen sehe ich dich in jeder meiner Stunden auf die Toilette gehen.“
Mein Blick rutscht auf meine Füße.
„Schau mich bitte wieder an.“
Ich richte meinen Blick auf seine Nase.
„Was ist los?“ Er versucht mir in die Augen zu sehen, doch ich senke meinen Blick auf seine Tasche, die er gerade zuklappt. „Bist du krank?“
„Nein!“ Ich schiebe meine Hände in die Hosentaschen. Dort bilden sich zwei Fäuste. „Es ist alles in Ordnung! Wirklich!“
„Dann brauchst du ja nicht so oft auf die Toilette zu gehen.“ Ich gucke ihm hinterher, wie er den Raum verlässt.
Es ist also aufgefallen. Und jetzt? Einfach so weitermachen kann ich nicht mehr. Aber wie soll ich ihm erklären, warum ich wirklich rausgehe? Entweder lässt er mich dann nicht mehr raus und ich fange auch an, wild um mich zu schlagen. Oder er spricht meine Eltern an. Die werden mir wieder sagen, dass ich spinne und mich nicht so anstellen soll. Vielleicht schleppen sie mich diesmal zum Psychiater und der behauptet ich wäre gefährlich und steckt mich in eine Zwangsjacke. Wie im Fernsehen.
Mit hängenden Schultern schlurfe ich zur Tafel. Die Kreidestücke stauben ein wenig, als ich sie in der Box verschiebe. Aber jetzt liegen sie wieder alle nebeneinander und berühren mit einem Ende eine Wand der Box. Nach links werden die Stücke immer kleiner. Den Lappen falte ich und lege ihn daneben.
Ich habe einen Knopf unter dem Bücherei-Schreibtisch gefunden. Mein Kopf stößt gegen die Tischplatte, als ich wieder hervor tauche. Zum Glück tut es nicht weh. Die Lampe wackelt noch etwas. Jemand hat ein Buch liegen lassen. „Ein Hauch von Lauch. Hundert Rezepte. Bäh!“ Wer liest hier bloß so was? Aber auch wenn es keinen Aufkleber hat, weiß ich doch, wo es hingehört. Auf dem Rückweg wische ich mir die Hände an der Hose ab. Dann starte ich meine tägliche Runde durch die Regale.
Schon wieder ein Buch am falschen Platz. Auch noch so ein Dickes. Ich ziehe einen losen Zettel heraus. Ein Buntstift-Bild mit Sonne, Wolke und einem Haus aus ein paar Linien. Ein Mann und eine Frau Hand in Hand. Daneben sitzt ein Kind auf dem Boden. Es hält sich die Ohren zu und die Augen sind nur als Striche gezeichnet. Ich muss schlucken. Wo habe ich das nur schon gesehen? Gefaltet stecke ich das Bild in meine Hosentasche.
„Falscher Planet. Fragen und Antworten für Eltern autistischer Kinder.“ Ich überfliege das Inhaltsverzeichnis. „Sensorische Überempfindlichkeit: Warum sieht mein Kind so viele Details? Warum lässt sich mein Kind nicht anfassen?“ Mit einer Hand halte ich mich am Regal fest. „Warum kneift mein Kind die Augen zu? Warum hält sich mein Kind die Ohren zu?“ Die Seiten fest im Blick, setze ich mich langsam auf den Boden. „Warum will mein Kind immer das gleiche essen? Interessen: Warum will mein Kind nicht mit Anderen spielen? Warum kennt es sich so gut mit ... aus?“ Ich blättere um. „Alltag: Warum ist mein Kind so tollpatschig? Wie kann ich meinem Kind helfen, wenn es einen Anfall hat? Warum tobt mein Kind, wenn ich etwas anders mache, als sonst?“
Mein Blick klebt an den Seiten und ich verschlinge einen Abschnitt nach dem anderen. Autisten benutzen Teile ihres Gehirns anders und haben deshalb den Eindruck auf einem anderen Planeten zu leben. Fast wie Marsmenschen!
Hier wird soviel Vertrautes beschrieben. Ich bin nicht der Einzige, dem manchmal alles zu laut ist. Oder, der irgendwas wirft, weil das der einzige Weg ist, wie man das Gefühl loswerden kann, gleich zu explodieren. Im Buch nennen sie das einen Anfall. Auf meiner Unterlippe beißend, blättere ich weiter und weiter.
„Bin ich autistisch?“ Diese Frage kreist in meinem Kopf, als ich das Buch wegräume und mich auf den Heimweg mache. Wenn ich es doch nur ausleihen könnte. Aber jemand anderes könnte das Buch ausleihen, und ich brauche es unbedingt noch! Ich laufe zurück zum Regal, ziehe das Buch hervor, drücke es an mich und wandere durch die Reihen.
Wenn es niemand findet, kann es auch niemand ausleihen. Aber ich kann es doch nicht einfach irgendwo zwischen schieben? Das ist gegen die Ordnung! Niemand darf mich dabei sehen. Ich kann es auch nicht mitnehmen. Das wäre Diebstahl und noch schlimmer.
Ich atme tief durch, kneife die Augen zu, taste mich ein paar Regale weiter und stecke das Buch in eine Lücke. So weiß niemand, wo das Buch steckt. Nicht mal ich. Aber ich kann es schneller finden, als alle anderen.
Den Fragebogen habe ich jetzt zum dritten Mal ausgefüllt. Alle hundertfünfzig Fragen. Aber das Ergebnis ist immer das gleiche. „Ihr Kind scheint viele autistische Züge zu zeigen. Um abzuklären, ob ihr Kind wirklich autistisch ist, sollten sie sich an einen Kinder- und Jugendpsychiater wenden, der auf Autismus spezialisiert ist. Nur mit einer Diagnose kann ihr Kind die Hilfe bekommen, die es braucht.“ Wieder und wieder lese ich diesen Absatz. Meine Gedanken springen hin und her, wie beim Tennis. Es gibt Hilfe. Aber nur dort, wo ich auf keinen Fall hin will! Mein Atem wird schneller. Immer schneller. Ich springe auf, mein Stuhl kippt hintenüber, knallt auf den Boden, rutscht ein Stück weiter. Ich trete dagegen. Wieder und wieder, bis ich an ein Regal gestützt, zu Boden sinke. Mit den Armen presse ich meine Knie ganz fest an meine Brust. Trotzdem zittere ich noch. „Ich, ich will das nicht!“
Letzte Stunde hat es noch gereicht, mir vorzustellen, ich würde in der Bücherei sitzen. Aber jetzt funktioniert das nicht mehr. Die Kreide kratzt immer noch wie ein Nagel auf der Tafel. Meine Fingernägel graben sich in meine Handflächen. Der Schmerz dort lenkt ein wenig von meinen Ohren ab. Zu wenig. Aber ich darf nicht raus! Heute Morgen hat er erklärt, dass wir während des Unterrichts nicht mehr auf die Toilette dürfen. Die Pausen wären lang genug und es würde die Konzentration stören. Als ob ich mich jetzt besser konzentrieren könnte.
Endlich hört er auf, an der Tafel zu schreiben. Vorsichtig betrachte ich meine Handflächen. Jeder Fingernagel hat eine tiefe Kerbe hinterlassen. Links ist sogar ein blutender Kratzer. Ich greife nach meinem Füller, doch er rutscht mir aus der Hand, schlittert über mein Heft und fällt mir in den Schoß. Mein Sitznachbar guckt kurz zu mir rüber, schüttelt den Kopf und schreibt weiter. Ich kann meine Schrift kaum lesen, so krakelig werden meine Buchstaben. Jemand stellt eine Frage, aber ich höre nur Dröhnen. Bald kann ich in die Bücherei flüchten. Hoffentlich steht in dem dicken Buch, was ich tun kann. Es muss drin stehen!
Ich schmeiße einen meiner Schuhe quer durch die Bücherei. Ein Buch kippt um. Der harte Fußboden schmerzt an meinen Knöcheln. Trotz der dicken Socken. Den vollen Lotussitz kriege ich auch nicht hin. Im Buch stand, dass der Halbe auch geht. Hauptsache, der Rücken ist ganz gerade. Ich habe mich extra an ein Regal gelehnt. Jetzt tut mein Knie weh. So kann ich mich nicht konzentrieren. Dabei soll mein Kopf ganz leer sein. Von wegen. So viele Gedanken sind da noch nie durchgetobt. Mein Atem ist auch nicht ruhig und flach, sondern ganz schnell. Schon fliegt der zweite Schuh, prallt gegen einen Stuhl, bleibt mitten im Raum liegen und verschwimmt vor meinen Augen. Alles verschwimmt. Warum kann ich mich nicht entspannen? Bin ich denn so viel anders?
Das Geräusch der Türklinke erschreckt mich. Ich will aufspringen, mich verstecken, aber mein linkes Bein ist eingeschlafen. Jetzt ist es aus. Man wird mich aus der Bücherei werfen. Meine Eltern anrufen. Ihnen sagen, was ich hier lese. Ich will nicht, dass sie es wissen!
Noch hat der Lehrer mich nicht gesehen. Sein Schlüsselbund knallt auf den Schreibtisch. Mit dem Ärmel wische ich über mein Gesicht.
„Was machst du denn hier?“
Er kommt näher, hebt meine Schuhe auf, schließt den Klettverschluss und stellt sie auf den Tisch. „Deine?“ An seiner Strickjacke fehlt ein Knopf. Mein Bein kribbelt ganz furchtbar.
Ich nicke. Jetzt hat er auch die Bücher gesehen, die ich mir rausgesucht habe. Am liebsten würde ich ihn wegwünschen.
„Entspannung mit Zen-Meditation.“ Es klingt seltsam, wie er das sagt. Er dreht das Buch in seinen Händen. „Probierst du das gerade?“
„Es funktioniert nicht.“ Ich höre meine Stimme kaum.
Er sieht mir in die Augen, doch ich gucke weg. „Hast du schon Erfahrung mit Meditation?“
„In dem dicken Buch steht, dass meine Anfälle weniger werden, wenn ich mich entspanne.“ Ich beiße auf meiner Lippe. „Aber ich bin zu sehr anders.“
Falten auf seiner Stirn. Er klappt das dicke Buch zu und betrachtet die Vorderseite. „Haben dir deine Eltern gesagt, du wärst autistisch? Oder behauptet das Einer aus deiner Klasse?“
Ich schüttele den Kopf. Endlich kann ich aufstehen. Ganz vorsichtig. Muss mich an einem Stuhl festhalten. Warum beobachtet er mich?
„Dass du fix und fertig aussiehst, ist kein Wunder. So was ist ja auch kein Lesestoff für dein Alter.“ Er wuschelt mir durch die Haare. Ich ziehe den Kopf weg. „Für euch gibt‘s doch die Schüler-Bücherei nebenan.“
„Die Bücher dort sind langweilig.“ Stille. Ich höre uns beide atmen.
Er verschwindet zwischen den Regalen, taucht kurz darauf wieder auf und drückt mir einen Bildband in die Hand. „Das hier ist besser geeignet.“
„Yoga für Schüler?“ Ich zwinge mich, ihm ins Gesicht zusehen. „Was ist Yoga?“
„Ein einfacher Weg sich zu entspannen. Probiere es aus. Am besten zu Hause.“
„Aber ich darf hier doch nichts ausleihen.“ Warum sagt er so was? Er kennt doch die Regeln.
„Bring‘ mir das Buch einfach wieder, wenn du es nicht mehr brauchst. Das hat die letzten fünf Jahre keiner ausgeliehen, also vermisst es keiner.“
Können Schüler Bücher einfach mitnehmen, die hier fünf Jahre niemand ausgeliehen hat? Das ergibt doch keinen Sinn. Warum ausgerechnet fünf Jahre? Oder macht er gerade eine Ausnahme? Darf er das? Könnte sein. Ihm scheint der Schreibtisch zu gehören. Der Knopf passt zu seiner Strickjacke. Eine Ausnahme. Das ist was, was er extra für mich macht. Was muss ich denn jetzt sagen? Ach, ja. „Danke.“
„Sag mal, du hast nicht zufällig mein Kochbuch gesehen? Das mit Lauch?“
Mein Blick rutscht auf meine Füße. Ich drücke den Bildband ganz fest an meine Brust.
„Hey, Marsmensch“, ruft Patrick die Treppe herunter. Ich drehe den Kopf zu ihm, mein Fuß verpasst die letzte Stufe, rutscht ab, bringt mich ins Taumeln. Ich kann mich gerade noch am Geländer festhalten. Das war knapp. Und wieder habe ich alle Blicke auf mich gezogen.
„Was hast du denn da eben an deiner Nase rumgefummelt?“ Er kommt näher. Ich möchte auch die Treppe runtergehen können, ohne auf meine Füße gucken zu müssen. Während ich noch im Kopf die Deutschstunde durchgehe, greift sich Patrick mit einer Hand an die Nase und hält abwechselnd ein Nasenloch zu. „Ach, das meinst du. Pranayama.“
„Häh?“
„Pranayama. Das ist eine Yoga-Übung. Die brauche ich, wenn ich nicht auf dem Mars sein kann.“
Zwei Mitschüler lachen, die Anderen starren mich einfach nur an. Sollen sie doch. Ich habe zu tun. Der Rote Planet wartet auf mich. Durchschnittliche Reisezeit von hier: drei Minuten.