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Rote Tränen im Schnee (Überarbeitet)
Rote Tränen im Schnee(Überarbeitet)
Neue Version ist unter den bisherigen Kritiken zu finden.
Weiß und unschuldig liegt der Schnee auf der einst so blühend bunten Sommerwiese.
Ein melancholischer Gesichtausdruck ziert sein sonst so hart dreischauendes Gesicht.
„Was denkst du gerade?“ will sein Begleiter wissen.
„Nichts“, antwortet er teilnahmslos.
„Du hast aber auch schon mal besser gelogen“, lacht er amüsiert.
„Red keinen Scheiß und halt die Klappe“, fährt er ihn aufgebracht an.
„Na also, jetzt bist du ja wieder ganz der Alte. Ich hatte schon Bedenken, du machst einen Rückzieher.“
„Lass uns gehen.“
„Wo warst du so lange?“ will seine Frau wissen, während sie geschäftig den Tisch für das Abendessen richtet. Sie ist im achten Monat schwanger mit ihrem zweiten Kind.
Müde von der langen Autofahrt die er hinter sich hat, lässt er sich auf einen Stuhl am Küchentisch nieder. „Du solltest dich nicht mehr so anstrengen“, meint er, statt ihr eine Antwort zu geben.
Sie winkt lächelnd ab.
Ihr Lächeln ist das wundervollste, das er jemals an einem Menschen gesehen hat. Es ist weich und herzlich und würde selbst einen Eisberg zum schmelzen bringen, wenn so was möglich wäre.
Die fünfjährige Tochter kommt kreischend aus dem Nebenzimmer gerannt und fällt ihrem Vater um den Hals. „Papa, ich habe dir ein Bild gemalt. Guck.“ In ihren kleinen Händchen hält sie ein Blatt Papier und wedelt aufgeregt vor seiner Nase damit herum. „Mama hat mir gar nicht geholfen dabei. Ich habe es ganz alleine gemacht.“
Er betrachtet die Zeichnung mit den Augen eines liebesvollen Vaters und meint anerkennend: „Das ist wirklich schön geworden.“
„Das da bist du“, fängt sie begeistert an zu erklären. „Und das ist Onkel Ingo.“
„Und was ist das da?“
„Ach, das ist das neue Baby in Mamas Bauch.“
„Das sieht aber gar nicht aus wie dein Geschwisterchen. Mich erinnert es viel mehr an einen Hund der vom Auto überfahren wurde.“
„Gerd!“ Seine Frau dreht sich wütend zu ihm um. „Wie kannst du nur so was abscheuliches zu deiner eigenen Tochter sagen?“
„Aber er hat doch recht Mutti“, strahlt das Mädchen stolz. „Genau so sollte es doch aussehen.“
Entsetzen spiegelt sich in den Augen der Mutter wieder. „Geh bitte auf dein Zimmer Liebling. Ich rufe dich, wenn das Essen fertig ist.“
Die Kleine guckt entgeistert von der Mutter zum Vater und wieder zurück. Tränen sammeln sich in ihren Augen. Ihr Mundwinkel fängt an zu zucken und ein leises Schluchzen ertönt. Dann springt sie auf und läuft stolpernd in ihr Zimmer. Selten hat sie ihre Mutter so streng erlebt.
„Ich frage mich manchmal wirklich ob ich dich noch kenne. Du bist nicht mehr der Mann den ich geheiratet habe.“ In ihrer Stimme liegt Trauer und Wut zugleich.
„Sie ist eifersüchtig auf ihr neues Geschwisterchen“, ist alles was er dazu zu sagen hat.
„Deine eigene Tochter redet über ein verunglücktes Tier, als wäre es das selbstverständlichste der Welt. Zudem ...“
„Es ist ja auch was ganz normales, oder etwa nicht?“ unterbricht er sie gelassen, als wäre er die Ruhe in Person. „Irgendwann wird sie sich sowieso mit der Schlechtheit der Menschen zurechtfinden müssen. Warum also nicht schon jetzt?“
„Sie redet über ihr Geschwisterchen, ....“
„Als würde sie es hassen“, fällt er ihr erneut ins Wort. „Natürlich. Kannst du ihr das verdenken? Sie wird nicht mehr im Mittelpunkt stehen wie bisher. Sie hat Angst, dass wir sie nicht mehr so lieben wie jetzt.“
„Du redest hier, als wäre alles in bester Ordnung.“ Ihre Stimme zittert. „Ich habe das Gefühl du freust dich gar nicht auf unser Baby. Das du aber auch noch deine Tochter da mit reinziehst und ihr beibringst solchen Hass zu entwickeln, ist das allerschlimmste an dem Ganzen.“
„Ich habe es ihr nicht beigebracht. Sie war schon von Anfang an eifersüchtig. Du wolltest es nur nie wahrhaben.“ Sein Blick ist kühl und gelangweilt.
Eine lange Pause des Schweigens tritt ein ehe sie sich wortlos umdreht und zu ihrer Tochter geht.
„Wir fahren für ein paar Tage zu Oma und Opa mein Schatz. Was hältst du davon?“
„Warum haben Papa und du sich gestritten?“ will die Kleine wissen.
„Das erkläre ich dir später. Was ist nun? Freust du dich nicht auf deine Großeltern?“
„Nur wenn Papa mitkommt“, reagiert sie trotzig.
„Papa kann nicht von seiner Arbeit weg. Aber du siehst ihn ja bald wieder.“
„Bist du böse, weil ich den toten Hund gemalt habe?“ Ihr Trotz ist in Besorgnis umgeschlagen als sie Tränen in den Augen der Mutter sieht.
„Nein, ich bin nicht böse auf dich“, versichert sie liebevoll ihrem Kind.
„Bleibt das neue Baby dann bei Oma und Opa?“ Begeisterung weicht der eben noch vorhandenen Besorgnis.
„Hol deine Puppe und den Teddy“, sagt sie strenger als sie wollte.
Wieder steigen Tränen in die kleinen Augen. Doch dieses mal nimmt die Mutter keine Rücksicht mehr.
Kein Wort verliert sie ihrem Mann gegenüber, als sie die Wohnung verlässt.
Er weiß nicht wohin sie geht, kann es sich jedoch denken.
Er sitzt am gedeckten Tisch und schaut mit leerem Blick auf die drei Teller vor sich. Er weiß, er wird sie beide vermissen. Aber sich darüber Gedanken zu machen hatte im Augenblick keinen Sinn. Es gab im Moment wichtigeres zu erledigen.
Das Essen hat er nicht angerührt. Wenn sie zurückkam, würde sie alles genau so vorfinden wie sie es verlassen hatte.
Er legt sich schlafen mit einem eigenartig melancholischen Gefühl..
Im Traum steht er vor einer unschuldig weißen Winterwiese.
„Na endlich“, begrüßt ihn sein Begleiter genervt. „Ich dachte schon du kommst gar nicht mehr.“
„Sie ist mit der Kleinen zu ihren Eltern gefahren“, sagt er tonlos.
„Was?“ ruft sein Gegenüber wütend. „Wie konntest du das zulassen?“
Er schweigt.
„Was glaubst du passiert, wenn er uns ohne sie antrifft?“
„Ich werde ihren Part übernehmen. Damit sind wir aus der ganzen Sache raus.“
„Jetzt sag bloß, du hast so was wie Gefühle.“ Ein höhnisches Lachen dringt aus seiner Kehle. „Du wolltest dieses zweite Kind nie. Warum wirst du plötzlich so sentimental? Sie hat es doch nicht anders verdient.“
Er schaut ihn nachdenklich an als er sagt: „Du wirst ihr alles beibringen wozu ich keine Gelegenheit mehr haben werde.“
„Komm mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Du stehst ja völlig neben dir.“
„Bist du jetzt derjenige der einen Rückzieher machen will? Sie mag dich und sie vertraut dir. Sie hat ein Bild gemalt mit uns beiden und dem Baby. Meine Frau ist nicht mit drauf. Also, was willst du mehr?“
„Dich nicht verlieren.“
„Wirst du nicht. Ich lebe in meiner Tochter weiter, die du sehr oft sehen wirst.“
„Die Schlampe hat es verdient, du aber nicht. Komm doch endlich zur Vernunft.“
„Dort kommen sie schon.“ Er deutet auf ein Auto, das sich langsam durch den dichten Schnee auf sie zugbewegt.
„Scheiße, tu es nicht!“
Er packt seinen Bruder am Kragen, schüttelt ihn heftig und schreit ihn wütend an: „ Versprich mir das du dich um meine Tochter kümmerst! Sag denen, es läuft anders. Sie sollen den Liebhaber umbringen. Sag ihnen, ich bin der Liebhaber. Ich werde so tun als hätte ich keine Ahnung. Mach ihnen klar, ich hätte auch schon einige Menschenleben auf dem Gewissen und hätte es nicht besser verdient.“
„Komm zur Vernunft! Ok, du bist ein beschissener Krimineller, genau wie ich. Und hast deine Frau jahrelang in dem Glauben gelassen, dass du ein anständiger Mensch bist der einer gutbürgerlichen Arbeit nachgeht. Aber sie hat dich betrogen und dich bis heute in dem Glauben gelassen, das zweite Kind sei auch von dir. Spiel hier doch nicht das Opferlamm.“
Er wirft ihn in den Schnee, steht mit herabhängenden Armen vor ihm und schaut ihn an, als wäre er plötzlich wieder zur Besinnung gekommen. „Du hast recht. Ich werde mit ihnen reden und die Situation klar stellen.“
Erleichtert atmet sein Bruder auf. „Du hast mir einen heiden Schrecken eingejagt.“ Grinsend quält er sich aus dem tiefen Schnee wieder auf die Beine. „Ich hatte schon Angst, du wärst nicht mehr der alte Haudegen den ich bisher kannte.“
Das Auto ist inzwischen, mit weiterhin laufendem Motor, zum stehen gekommen. An der hinteren, linken Tür wird das Fenster herunter gelassen. Nur einen spaltbreit, der Vorsicht wegen.
Er geht hin um einige Worte zu wechseln und die geänderte Situation zu klären.
Im Wagen sitzen Auftragskiller. Bekannte von ihm die trotz allem vorsichtig sind, denn zwischen Verbrechern entsteht niemals eine Vertrauensbasis, so viel hat selbst er in all den Jahren gelernt.
Zwei Muskelberge steigen aus, schauen sich kurz um, und gehen auf den Mann zu, der abwartend und mit zuversichtlichem Gesichtsausdruck knietief versunken auf der verschneiten Wiese steht.
Ihre Gesichter lassen erahnen, dass es ihnen egal ist wen sie umbringen.
Sie packen den völlig Verdutzten, werfen ihn zu Boden und drücken sein Gesicht in den Schnee.
Er strampelt und versucht sich aus den eisernen Griffen zu befreien. Erfolglos.
Sein Bruder kommt hinzu und gibt den beiden Schränken ein Zeichen, ihr Opfer aufzurichten.
Beide Brüder stehen sich gegenüber. Der eine mit einem panisch verständnislosen Blick, der andere mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen.
„Glaubst du tatsächlich, ich hätte nicht gewusst wer der Liebhaber meiner Frau ist? Mein eigener Bruder hat mich hintergangen. Du Dreckskerl bist in der Lage dein eigenes Kind umzubringen, nur um zu vertuschen was zwischen dir und meiner Frau gelaufen ist.“
Todesangst in den Augen des Verräters. „Lass es mich erklären ....“
„Halt die Fresse du Abschaum! Ich wollte dir die Chance geben deinen Fehler durch ein einfaches Geständnis wieder gut zu machen. Doch du warst zu feige dazu. Ich liebe meine Frau, doch dein Kind hasse ich. Mein eigen Fleisch und Blut wird deinem Bastard das Leben zur Hölle machen.“
„Sie hat mich verführt. Ich kann nichts dafür.“
Melancholisch geht sein Blick über die weiße Schneedecke. „Weißt du, es ist nicht gerecht diese unschuldige Landschaft durch dein dreckiges Blut zu verunstalten.“
„Du redest doch gequirlte Scheiße. Seit wann bist du so theatralisch und nachdenklich? Es hat dich doch sonst auch nie interessiert“, schreit ihm sein Bruder voll Hass entgegen und spuckt ihm vor die Füße.
„Wann hast du mir jemals zugehört, liebes Brüderlein?“ Seine Augen spiegeln Gleichgültigkeit wieder. „Ich habe dich mein Leben lang dafür gehasst, dass du der jüngere von uns bist. Solange du noch nicht da warst, haben mir unsere Eltern all die Liebe gegeben die ich brauchte. Doch kaum bist du aufgetaucht, drehte sich alles nur noch um dich.“
„Dafür kann ich doch nichts.“
„Du standest im Mittelpunkt. Du warst der süße kleine Wonnepropen. Du wurdest von allen verhätschelt und verwöhnt. Und dann nimmst du mir auch noch die Frau weg, die mir diese Geborgenheit wiedergegeben hat, die ich so vermisst habe nachdem du aufgetaucht bist.“
„Gerd, du redest Schwachsinn. Komm doch endlich zur Vernunft“, jammert er, als er merkt, dass er mit Vorwürfen den Hass seines Bruders nur noch mehr schürt.
„Lasst ihn los“, sagt er zu den Muskelpaketen, die seinen Bruder noch immer festhalten.
Verwirrung macht sich breit. „Hey, wir haben hier einen Auftrag zu erledigen. Euer Familiengesülze interessiert uns nicht. Gib uns die Kohle und lass uns das hier endlich zu Ende bringen. Zum ewig rumdiskutieren sind wir nicht hier.“
Als wäre er von einer Sekunde zur nächsten aus einer Trance erwacht, blickt er sich irritiert um. Wie in Zeitlupe greift er in die Innenseite seiner Jacke und zieht eine Pistole heraus. Er richtet sie auf seinen Bruder und fordert die beiden Männer auf im Wagen auf ihn zu warten.
„Was für ein beschissener Tag“, murmelt einer von ihnen, während sie zum Auto zurückgehen.
„Was hast du jetzt mit mir vor?“
„Ich will, das du weinst.“
„Was?“ Verständnislos blickt der junge Mann seinen Bruder an. Noch ist eine Waffe auf ihn gerichtet und die Angst ist größer denn je. Der entschlossene Tonfall, mit dem er aufgefordert wird etwas völlig unrealistisches zu tun, jagt seinen Adrenalinspiegel in eine unglaubliche Höhe die er niemals zuvor erlebt hatte. Sein Bruder schien nicht mehr er selbst zu sein.
„Du hast mich schon richtig verstanden. Los, vergieße ein paar Tränen. Ich habe dich nie weinen sehen. Du warst ja immer der Glücklichere von uns beiden. Der, der sein Leben im Griff hatte und nie Schwächen zeigen konnte.“
„Du hast ne Klatsche!“
Ein Schuss durchbricht die friedvolle Winterlandschaft.
„Oh Gott. Du bist ja wahnsinnig!“ Blut sickert aus der Wunde und färbt den Schnee.
„Ich sehe noch immer keine Träne!“
Zwei Tage später taucht er bei seinen Schwiegereltern auf. Er hat ein langes, intensives Gespräch mit seiner Frau. Kein Wort verliert er darüber, dass er weiß wer wirklich der Vater des Kindes ist.
Die anschließend geheimnisvollen Blicke, die er mit seiner Tochter austauscht, bekommt sie nicht mit.
Zwei Jahre später steht er zum ersten mal wieder vor der schneebedeckten Wiese von damals.
Weiß und unschuldig liegt der Schnee auf der einst so blühend bunten Sommerwiese.
Ein melancholischer Gesichtausdruck ziert sein sonst so hart dreinschauendes Gesicht.
„Was denkst du gerade?“ will seine Begleiterin wissen.
„Nichts“, antwortet er teilnahmslos.
„Du hast aber auch schon mal besser gelogen“, lacht sie amüsiert.
„Red keinen Scheiß und halt die Klappe“, sagt er liebevoll und nimmt sie in die Arme.
„Na also, jetzt bist du ja wieder ganz der Alte. Ich hatte schon Bedenken, du würdest wieder .....“
„Lass uns gehen“, unterbricht er sie.
„Du denkst an deinen Bruder, hab ich recht?“ fragt sie sanft. „Du hast seither nie wieder seinen Namen erwähnt.“
Und zum ersten mal in ihrem Leben sieht sie ihn weinen, als er anfängt über den tragischen Unfalltod seines Bruders zu erzählen.