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28.07.2005
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Perpetuum Mobile und die Folgen


Sommer 2003

Zwei Mitarbeiter der britischen Firma Steorn stossen während einer Testreihe mit Mikrogeneratoren zufällig auf einen Prozess, dessen Energieeffizienz die 100% übersteigt. Da dieses Ergebnis den Gesetzen der Thermodynamik zuwider läuft, löst die versuchspraktische Bestätigung des Perpetuum Mobile bei den beiden Selbstzweifel und existenzielle Ängste aus. So bemühen sich die Tüftler monatelang gewissenhaft - aber erfolglos -, technische Fehler im Versuchsaufbau auszumachen.


Frühling 2004

Steorn-Chef Sean McCarthy - mittlerweile von der Existenz der freien Energie überzeugt - entschliesst sich, aus dem Phänomen Profit zu schlagen. Es interessiert ihn wenig, dass sein Team auch nach Monaten der Entwicklung über den ursächlichen Mechanismus nur zu spekulieren weiss. McCarthy macht sich daran, einen für kommerzielle Zwecke geeigneten Prototyp eines Stromgenerators zu konstruieren. Die Angestellten verpflichtet er zur Diskretion.


Winter 2005

Die Entwicklung des Prototyps ist abgeschlossen, und das Ergebnis kann sich sehen lassen! McCarthy erweitert seinen Mitarbeiterstab und plant gemeinsam mit einem Marketingspezialisten den Gang an die Öffentlichkeit. Eine professionelle Internetpräsenz wird erstellt.


August 2006

Steorn schaltet im britischen Wirtschaftsblatt Economist eine ganzseitige Anzeige, in der das scheinbar harmlose Anliegen transportiert wird, zwölf wissenschaftlich renomierte Gutachter für die Überprüfung einer Erfindung zu werben, welche die sogenannte freie Energie zu nutzen wisse.

Die gewünschte Publicity stellt sich ein: Diverse Tageszeitungen, darunter der Guardian, selbst die Nachrichtenagentur AFP berichten. Schnell greifen die Blogger-Szene sowie einschlägige Internetforen das Thema auf und die Meldung verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Ende August haben sich über 55.000 Internet-Nutzer im Newsletter der Steorn-Präsenz eingetragen. Es mehren sich Zweifler und kritische Stimmen, doch es gilt das Motto:
"Jede Publicity ist gute Publicity".

Steorn-Chef Sean McCarthy gelingt es, eine illustre Gruppe von Wissenschaftlern für die Prüfung seines "Perpetuum Mobile" zu verpflichten. Die Evaluation des Produktes soll in drei Phasen vollzogen werden:


Oktober 2006 (Phase I)

"Confirm that the Steorn technology has a coefficient of performance greater than 100%."

Die ausgesuchten Wissenschaftler bestätigen die unbegreifliche Effektivität des handlichen Gerätes. Zweifler geraten zunehmend ins Abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Erstmals berichten auch renomierte Wissenschaftsmagazine und der Wiederhall in den Massenmedien potenziert sich. Mittlerweile haben sich hundertausende Interessenten in den dadurch zunehmend überlasteten Steorn-Newsletter eingetragen.


November 2006 (Phase II)

"Confirm that the operation of the Steorn technology does not affect the component parts of the technology."

Phase II wird zur Zufriedenheit aller Beteiligten ohne Zwischenfälle abgeschlossen. Steorn wird nun von allen Seiten mit Angeboten überhäuft. Die Firma verteidigt ihre internationalen Patente
und strebt ein möglichst lukratives Lizenzmodell an. McKinsey wird zur Beratung und Gewinnoptimierung
hinzugezogen. In Folge entlässt Steorn-Chef Sean McCarthy die meisten seiner Mitarbeiter.
Technische Details der Erfindung bleiben weiterhin unter Verschluss.


Frühling 2007 (Phase III)

"Carry out a full thermodynamic analysis of the technology."

Der Evaluationsprozess gerät ins Stocken. Die beteiligten Wissenschaftler sehen sich schlicht nicht in der Lage, den Ursprung des Energieüberschusses mit den herkömmlichen physikalischen Grundgesetzen zu erklären. Externe Expertise ist gefragt: Fachleute, Nobelpreisträger, Inselgenies und Berühmtheiten werden angefragt und in den Diskussionsprozess miteinbezogen. Im Wissenschaftsmagazin Science wird die Revision der Thermodynamik vorgeschlagen. Steorn - unterdessen börsennotiert - hat derweil mit
ungeduldigen Anlegern, Lizenznehmern und Investoren zu kämpfen.

Sommer 2007 (Phase III)

Durch die Indiskretion eines ideologisch verblendeten ehemaligen Steorn-Mitarbeiters werden im Internet vertrauliche Bauanleitungen veröffentlicht. Es stellt sich heraus, dass selbst Schwachsinnige mit einem IQ von unter 50 in der Lage sein sollten, die Maschine mit einfachen Zutaten, die sich in jeder Mülltonne finden lassen, nachzubauen. Ein Boom der Bastler und Amateure setzt ein. Steorn schaltet Anwälte ein, kann aber nicht verhindern, dass sich die Anleitungen über Filesharing-Systeme unkontrolliert weiter verbreiten.


Sommer 2009 (immer noch Phase III)

Steorn geht Konkurs. Die Erfindung hat sich weltweit etabliert und gravierende gesellschaftliche Umbrüche hervorgerufen.
Doch erstaunlicherweise ist der wissenschaftlichen Weltgemeinschaft die Verortung der angezapften Energieressourcen noch immer nicht gelungen.
24 1/2 Stunden am Tag verbringen manche Wissenschaftler auf der Suche nach alternativen physikalischen Gesetzen, die den Effekt erklären könnten.


Winter 2011 (Phase III)

Ein kleiner Junge aus Polen bringt seinen Vater, einen Physiklehrer, durch beharrliches Nachfragen auf die zündende Idee. Der Physiklehrer überdenkt einen vollen 26-stündigen Tag die Anregungen seines Sohnes,
woher die Maschine ihre Energie beziehen könnte, bevor er sich mit dem Wissenschaftsrat in Verbindung setzt. Der Energieerhaltungssatz wird auf fatale Weise rehabilitiert. Phase III ist abgeschlossen.


Sommer 2012 (Phase IV [Schadensbegrenzung])

Der UN-Sicherheitsrat tritt am frühen Montag Morgen zu einer 29-stündigen
Dringlichkeitssitzung zusammen, die schließlich am Montag Abend in die Veröffentlichung der
dramarischsten Resolution seiner Geschichte mündet. In einem nachdrücklichen Appell werden die
mittlerweile 7 Milliarden Nutzer der nun als "Rotationskonverter" bekannten Erfindung unter Androhung von militärischer Gewalt aufgefordert, endlich den Gebrauch des Gerätes, welches seine Energie direkt aus der Erdrotation zieht, einzustellen, oder wenigstens im Interesse aller einzuschränken...

 

Hallo J. Zerbst,

spannend geschrieben, gut zu lesen. Ich denke allerdings, die Nennung von real existierenden Firmen sollte besser unterbleiben.

unterdessen börsennotiert
LG

Jo

 

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